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Die Saugpumpen schlürfen wie Seeungeheuer

Sylt und Rügen locken den Urlauber genauso wie den Künstler. Aber mitunter liegen Inseltraum und Frustrationsraum auch sehr nah beieinander.

Sylt: Die Saugpumpen schlürfen wie Seeungeheuer
© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Wenn Inseln überhaupt jemandem gehören, dann dem Meer, den Fischern und den Künstlern. Mag das Schaffen Letzterer noch so anders sein, etwas vereint beide: die Unbehaustheit, in der sie einen großen Teil ihres Lebens verbringen. Sind die einen auf offener See täglich den Launen der Natur ausgesetzt – Unwettern, der fortwährenden Umwälzung des Meeresgrunds und dem nie gänzlich ergründeten Geheimnis der Fischzüge –, wissen die anderen oft nicht, was der nächste Tag, die nächste Stunde ihrer Arbeit bringen. Weiter„Die Saugpumpen schlürfen wie Seeungeheuer“

 

Menschenrechte im Schlussverkauf

Menschenrechte, na klar – aber bitte nur unsere eigenen! Die Schweizerische Volkspartei versucht mal wieder, demokratische Instrumente in Wahlkampf-PR umzumünzen.

SVP: Menschenrechte im Schlussverkauf - Freitext
© Reuters/Ruben Sprich
Ausblick über Horrenbach-Buchen, wo der Einwanderungsplan der SVP die meisten Anhänger hat.

Am Helvetiaplatz gleiten leise und pünktlich Straßenbahnen vorbei, gemächlich fließt das Schwyzerdütsch um mich. Als Gott Tag und Nacht schuf, schnitt er für die Schweizer die Zeit ein wenig großzügiger zurecht als für den Rest der Schöpfung. Die Schweiz, das ist das Land der Neutralität und der Volksbefragungen, der florierenden Privatbanken und Sitz so vieler internationaler Organisationen, eigenbrötlerisch und zugleich weltläufig, ach Schweiz, wären wir nur alle so wie du!

Erst als ich umständlich Franken aus meinem Portemonnaie krame, um meinen Kaffee zu bezahlen, der drei Mal so viel kostet wie in Berlin, fällt mir der Regen auf und die dunklen Wolken, die über Zürich hängen, und wie wenig ich mir diese Stadt leisten kann. Neben allem anderen ist die Schweiz auch der Ort, an dem privilegierte Westeuropäer das Wohlstandsgefälle einmal von unten und nicht von oben aus zu spüren bekommen – Zuwanderungsprobleme de luxe, derweil die Schweizer sich über die Flüchtlinge den Kopf zerbrechen und über die Frage, wann das sprichwörtliche Boot mal wieder voll ist. Weiter„Menschenrechte im Schlussverkauf“

 

Beim letzten Zählen waren es null Freunde

Nach dem Urlaub kommen die Vorwürfe: Wieder keine Karte an die Lieben geschrieben! Das ist auch für die Postkarte kein schöner Zustand. Hier darf sie sich aussprechen.

Hallo Freunde,

ich bin es, Eure nicht verschickte Urlaubspostkarte. Huhu! Na? Seid Ihr gut wieder zu Hause angekommen? Ich bin immer noch hier, falls ihr Euch das fragt. Immer noch in diesem Postkartenständer. Ist okay. Manchmal wird der Ständer gedreht, dann kreischen wir hier alle sehr leise und sehr bemüht, und am Ende bleibt man meist an irgendeiner neuen Position stehen. Über fehlende Abwechslung kann ich mich also nicht beklagen.

Und es ist voll in Ordnung, dass Ihr mich nicht verschickt habt. Es ist ja die Geste, die zählt. Und die Geste war halt, sich vorgenommen zu haben, eine Urlaubskarte zu verschicken. Das ist eine schöne Geste. Viel schöner, als sich zum Beispiel vorzunehmen, auf gar keinen Fall eine Karte zu verschicken oder jemand Fremdes in die Seite zu zwicken. Ihr seid im Grunde gute Menschen, das weiß ich, das weiß ich sicher. Weiter„Beim letzten Zählen waren es null Freunde“

 

Für den Krieg zu alt, für Demenz zu jung

Lange wachte er am Rand der westlichen Zivilisation, dann wurde er ihr als Erster geopfert. Mit 62 lernt er kochen. Töten würde er sofort: der ganz normale Ukrainer.

Der ganz normale Ukrainer- Freitext
© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Er hat zwei Töchter (wobei er sich immer einen Sohn wünschte), eine Dreizimmerwohnung im sowjetischen Hochbau, die er im letzten Jahr der Sowjetunion als hochqualifizierter Ingenieur noch gratis bekam, und eine Frau, die, wie er sagt, im Erdgeschoss bleibt, während er schon in den neunten Stock hinaufgefahren ist.

Genauso wie alle anderen normalen Ukrainer in seinem Alter verlor er mit dem Zerfall des Ost-Imperiums alles, was er besaß. Allen voran seine Arbeit und seine Würde. Ich könnte Schiffe bauen, sagte er bedauernd, wenn er auf dem Markt in der Nachbarschaft ein kleines Geschäft abgeschlossen hatte. Niemand wollte seine Schiffe, alle wollten seinen Wodka. Weiter„Für den Krieg zu alt, für Demenz zu jung“

 

Kunst kann das Nichts

Das Relevanzdiktat dominiert die Kunst. Und wo sie keine politische Aufarbeitung betreibt, da soll sie bitte wenigstens Aufmerksamkeit erregen. Ist das wirklich sinnvoll?

Copyright: Feng Li/Getty Images
Copyright: Feng Li/Getty Images

Man fliegt um den halben Globus, landet auf einem fremden Subkontinent, Gedichte werden übersetzt. Die Autoren, die einem gegenübersitzen, haben eine Agenda. Nicht, dass man selbst keine hätte. Eine Agenda der Kunstfreiheit etwa, gespeist aus dem Gedankenraum europäischer Aufklärungstradition. Kants Idee der Nutzenfreiheit des ästhetischen Genusses, aufgegriffen und gespiegelt, wenn Luhmanns systemische Sozialmodelle der Kunst die Funktion der Funktionslosigkeit zusprechen.

Das Gegenüber schreibt Botschaftslyrik. Der soziale Ansatz ist aller Unterstützung wert: unterdrückte Ureinwohner, die Fortsetzung tausend Jahre alter Macht- und Beraubungsverhältnisse mit Hilfe europäisch-kolonialistischer Strukturen. Eingesetzt gegen sogenannte Kastenlose oder Frauen, deren Gesundheit und körperliche Integrität in großem Maßstab mit Füßen getreten werden. Poesie also, die versucht, Menschen eine Stimme zu geben, die mit dem Wort kaum umgehen können und gewiss nicht zu Wort kommen – sie leben in Slums, schlafen um den Fuß eines Verkehrsschildes gerollt, werden zum Sterben in einen Zug gelegt, weil niemand ihr Begräbnis bezahlen kann. Weiter„Kunst kann das Nichts“

 

Die Verschwundenen von Teneriffa

Zikaden, Orangenbäume, Sonnenuntergänge. Teneriffa versteht sich darauf, die Kitschmaschine anzuwerfen. Aber wer genauer hinsieht, stößt auf die Abgründe der Franco-Zeit.

Die Verschwundenen von Teneriffa - Freitext
© Oliver Elm/Wikimedia Commons

Wir kennen uns seit Langem, die Insel und ich. Die Insel hat viele Talente. Sie hat ein unfehlbares Gespür für Timing, kann Spannungsbögen aufbauen, wie wenige andere Orte, liebt Reihungen, neigt zu Knalleffekten. Darum klemmt morgens nach dem Aufwachen der Fensterladen, und wenn er endlich nachgibt, rieselt beim Aufschwingen hellbraunes Holzpulver, Termiten, in einem akkuraten Viertelkreis auf die Bettdecke. Darum steht draußen, im Nachbargarten, ein Mann zwischen den Orangenbäumen und hält eine Flinte. Und weil die Insel gerne ein wenig dick aufträgt, beugt der Mann seine Knie, macht zwei schleichende Schritte, hält inne und legt an. Der Knall ist leiser als erwartet, wenige Meter von ihm entfernt explodiert etwas Kleines zu Blut und stiebenden Haaren.

Wenig Schlaf letzte Nacht, die Frau hat wieder stundenlang „Danièl“ geschrien, sie wohnt in dem Häuserblock gegenüber der Auffahrt, „Danièl, komm her“, schreit sie, „bitte“, immer in der gleichen Tonlage. Das Wasser kocht, steigt in der Cafetera hoch, die Insel gibt keine Ruhe. Die Katzen haben ein Tier in den Patio getrieben, sitzen vor den Blumentöpfen, versuchen mit den Pfoten dahinter zu langen. Du kriegst mich nicht, sage ich zur Insel, darauf falle ich nicht rein, ich sehe nicht nach. Im Garten blühen die Strelitzien, ebenso der Wachsblumenbaum, und weil die Insel einen Hang zum Übertreiben hat, fängt beim ersten Schluck Kaffee die Danièl-Frau wieder an. Gedämpfter als in der Nacht, da stand sie am offenen Fenster und rauchte während sie schrie, zwischen orangefarbenen, sich im Luftzug blähenden Vorhängen. Im Patio wird es kurz hektisch, dann sehr ruhig, die Katzen kommen mit gemächlich langen Schritten in den Garten. Weiter„Die Verschwundenen von Teneriffa“

 

Ein bombiger Sommer

Jedes Jahr flammt sie auf, diese heuchlerische Diskussion über junge Mädchen in Hotpants. Unsere Autorin überrascht sich selbst mit der Lösung: Her mit der Schuluniform! 

Tragt Schuluniform statt Hotpants! – Freitext
© Reuters

Ich schätze den Berliner Hauptbahnhof ganz besonders: Wenigstens die Rolltreppen funktionieren in der Regel. Verlässlich schwebt man auf ihnen in die obere Gleiswelt, direkt unter den unübertrefflich treffenden Werbeschriftzug auf der Westseite des Gleisdaches: „Bombardier“. In Riesenlettern. Ein bombiges Wort, in Berlin und der hiesigen Geschichte am richtigen Platz.

Letzte Woche passierte es dann. Die Bombe wurde – wirklich. Unmittelbar vor meiner Nase schwebte sie auf der Rolltreppe in Gesichtshöhe vor mir. Gehörte, ich sag jetzt mal: einer Amerikanerin. Sie erleben hier die krude Verwendung eines nationalen Klischees, exakt so, wie es in Wirklichkeit vorkommt. Amerikanerin! Reden hörte ich sie nicht, die beiden jungen Frauen ein paar Stufen über mir, jede mit blonden dicken Zöpfen und noch sehr viel dickeren, weißen, perfekt rasierten, im Übrigen aber eben stämmigen, sprich prall gefüllten, halbnackten Beinen. Eine trug Strümpfe bis zum Knie. Helle Spitze. Der Rest: Haut, gefolgt von einem weit oben sitzenden Hosensaum. Sehr weit oben.

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Hier bin ich Gott, hier darf ich sein

Nun also wieder Bayreuth: Während sich Upperclass und Musik-Jetset um den Perlwein versammeln, entdeckt unsere Autorin das Sexuelle an Richard Wagner.

© Reuter/Michaela Rehle
Wagner-Puppen auf dem Grünen Hügel (© Reuters/Michaela Rehle)

Der Fernbus entlässt mich mit 40 Minuten Verspätung vor einer verschlafenen Bäckerei. Ein Spaziergang durch die Nebenstraßen macht es nicht besser: In Bayreuth dämmert nichts, schon gar nicht dämmern die Götter, hier döst alles so vor sich hin. Lieblos aneinander geschobene Nachkriegsbauten, Kleinstadtstraßen, flackernde Dönerbudenschilder, musikalisch unterlegt von Verkehrsrauschen und dem Surren der Ampel.

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Am Beckenrand dieses Sommers

Wie viel Mensch verträgt das Wasser? Es ist heiß und im Freibad ist die Hölle los. Vorsicht beim Reinspringen!

Freibad: Am Beckenrand dieses Sommers
Reuters/Bernadett Szabo

Der Sommer ist nun endlich da mit seiner ganzen Pracht. Es ist so prächtig, dass man seinem Hund, wenn man einen besitzt, das Wasser wegtrinken möchte. Wir stehen, schwitzen, trinken die Hälfte unseres Vorrats. Die Sonne macht weiter. Wir sind nicht die Schlauesten gewesen, wir hätten zwei Stunden eher losgehen sollen. Wir müssen eine Stunde lang warten, bis wir endlich hineinkönnen. Der Mann, der die Eintrittskarten verkauft, sitzt hinter Glas auf einem Drehstuhl und schwitzt nicht. Ich poche mit den Fingern gegen die Scheibe und frage: „Ist das Panzerglas?“ Er grinst und sagt: „Braucht man bei den Temperaturen!“ Weiter„Am Beckenrand dieses Sommers“

 

Wie ich den Bachmannpreis gewann

Unsere Autorin würde nur ungern beim Wettbewerb in Klagenfurt vorlesen. Jetzt hat sie aber als Figur in einem Text den Preis gewonnen. Oder doch als Gottesteilchen?

Wie ich den Bachmannpreis gewann * Freitext
Die Gewinnerin des Bachmannpreises 2015, Nora Gomringer (© ORF)

Schon ihre Mutter hatte der Bossong einst prophezeit: Irgendwann, mein Kind, gewinnst du mal den Bachmannpreis. Demnächst, hat ihr ein Juror vor nicht allzu langer Zeit gesagt, wirst du Bachmannpreisträgerin sein. Erst einmal, meine herzallerliebsten Menschen, gab die Bossong zurück, gehe ich duschen, es ist nämlich zum Verrücktwerden heiß. Weiter„Wie ich den Bachmannpreis gewann“