Verkehrte Welt: Die eigene Angst richtet sich nicht auf das Erwachen von Gewaltbereitschaft irgendwo anders, sondern paradoxerweise auf die emotionale Ablehnung aller Gewalt hier bei uns.
Oktober 2014
Opole: Gestern im Kino gewesen, in Miasto 44 (Stadt 44). Junge Leute im Warschauer Aufstand. Patriotismus, jugendlicher Übermut, erste Liebe – und dann: das Schlachten; eine ganze Generation wird in den Straßenkämpfen ausgelöscht. Die Willkürlichkeit dieses Gemetzels trifft mich ins Gedärm. Das Erschütternde ist aber, wie ich bald begreife, nicht die Sinnlosigkeit des Krieges selbst, sondern die Angst, dass nur wir Europäer vielleicht derart reflektieren, was Krieg ist. Anderswo auf der Welt hingegen die Verherrlichung des Krieges, des Tötens, des Enthauptens desjenigen, den man im Namen welcher Sache auch immer als Feind betrachtet, nicht aber als Mensch. Verkehrte Welt: Durch unser geschichtlich gewachsenes Bewusstsein und unseren Pazifismus werden wir mitfühlend, und dadurch wiederum ein leichtes Ziel. Meine Angst richtet sich also nicht auf das Erwachen von Gewaltbereitschaft irgendwo anders, sondern paradoxerweise auf die emotionale Ablehnung aller Gewalt hier bei uns. Weiter„Tagebuch des allmählichen Untergangs (3)“
Notizen einer sorgenvollen Existenz: Was, wenn der IS tatsächlich an Einfluss gewinnt? Was, wenn die Gesellschaft keinen Platz mehr für Literatur hat? Was, wenn das Internet uns fremdbestimmt?
September 2014
Angefangen, Jurjew zu lesen, Die russische Fracht. Was für ein Ton, was für ein
Irrsinn der Sprache, was für eine Größe von der ersten Seite an. Wir müssen für diese große russische Literatur, die wir als Geschenk bekommen, auch den Preis zahlen, den Größenwahn auf dem Weltparkett, die Gewalt, in der die Russen zu Hause sind, im Schönen wie im Hässlichen. Weiter„Tagebuch des allmählichen Untergangs (2)“
Aus dem Leben gegriffen, das sagt sich so leicht. Wie findet ein Schriftsteller Inspiration zwischen all diesen Terrornachrichten? Matthias Nawrat schreibt für uns ein Journal.
September 2014
Geträumt, ich sei mit L. in einem Land gewesen, auf der Flucht entweder, oder in dem Land war man von vornherein verdächtig. Bei der Einreise stellte ich im Zug fest, dass ich mir keinen Pass und keine Zugtickets ausgedruckt hatte, in diesem Moment sah man schon den Grenzbeamten zwischen den Sitzreihen näher kommen. Ich fragte L., ob sie ein Blanko-Exemplar eines Passes bei sich hätte. Ich erinnere mich, dass man diese Sachen, die man für den Aufenthalt in jenem Land dringend benötigte, in einem großen, extra für diesen Zweck aufgestellten Automaten hätte ausdrucken müssen, der die Identitäten in seinem Inneren verwaltete. Der Grenzbeamte kam näher, aber L. hatte für mich nichts ausgedruckt.