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Feindschaft als letzte Freiheit

Recht hat, wer Erfolg hat. Gut ist, was laut ist. Die Werte unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens werden gerade zerstört. Wir schauen seelenruhig zu.

Populismus: Feindschaft als letzte Freiheit
© Riccardo Botta//EyeEm

Seit geraumer Zeit befinden wir uns in einer Phase enormer Zuspitzungen. Überall und ständig verhärten sich die Fronten. Als wären wir in eine Beschleunigungsspirale geraten, wird der Ton beinahe täglich schärfer. Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Man will einander nicht mehr zuhören, geschweige denn aufeinander eingehen. Reizwörter reichen, um dem Gegner das Wort abzuschneiden, während Einigkeit herrscht unter Gleichgesinnten. Sie befeuern einander mit den technischen Hilfsmitteln sogenannter Schwarmintelligenz. Im Übrigen schafft man Fakten, der Rede vom postfaktischen Zeitalter zum Trotz. Weiter„Feindschaft als letzte Freiheit“

 

Du sollst nicht duckmäusern

Osteuropa war ein Imperium der Feigheit. Der Schriftsteller Michail Bulgakow hat das Aufbegehren dagegen gelehrt. Nun erlebt man in Belarus das Aufblühen des Mutes.

© Maxim Malinovsky/AFP/Getty Images

Meine erste Begegnung mit Michail Bulgakows Roman Der Meister und Margarita hatte ich Anfang der Neunziger, als mein Vater einen Samisdat-Matrizenabzug mit blassen Buchstaben und improvisiertem Wachstucheinband mit nach Hause brachte. Schon auf den ersten Seiten, auf denen zwei sowjetische Schriftsteller, die an Patriarchenteichen Aprikosenlimonade trinken, dem als Ausländer verkleideten Satan einreden wollen, er existiere in Wirklichkeit gar nicht, war mir klar, dass dieser Text mit großer Vorsicht zu genießen ist. Weiter„Du sollst nicht duckmäusern“

 

Schlummernde Schande

Der Kommunismus hat gezeigt, dass die menschliche Natur miserabel und finster ist. Wie jedes totalitäre Regime. Es ist verstörend, die Spuren noch immer zu sehen.

© Maxim Zmeyev/Reuters

Es ist sechsundzwanzig Jahre her, dass der Kommunismus in meiner Heimat zusammenbrach. Seitdem verging eine kleine Ewigkeit, für manche sogar ein ganzes Leben. Die meisten Soldaten, die im ukrainischen Osten bereits gefallen sind, haben den Kommunismus nie erlebt. Ich erinnere mich selbst auch nur dunkel daran. 1991 war ich acht Jahre alt und trug keine Lenin-Abzeichen auf der Brust und keine Pionierhalstücher. Trotzdem zucke ich zusammen, wenn ich die Spuren des Kommunismus, vorwiegend in der Architektur, irgendwo außerhalb der Ukraine erkenne, auf der Karl-Marx-Allee in Berlin zum Beispiel, oder in den kleinen Orten an der Ostsee, oder im kroatischen Rijeka letzten Sommer. So reagieren Menschen, die eine tödliche Infektion überstanden haben. Weiter„Schlummernde Schande“

 

Kein gutes Gefühl

Künstliche Intelligenz ist vielen suspekt. Künstliche Empfindung gilt sogar als bedrohlich. Warum bloß? Unsere Gefühle sind längst so programmiert wie die von Maschinen.

© Kim Kyung Hoon/Reuters

Im Sommer 2013 erlitt meine Großtante Gerda einen Schlaganfall. Sie überlebte. Allerdings blieb ihre gesamte linke Körperhälfte gelähmt. Ihr Sprachvermögen beschränkte sich in dieser Zeit auf einige unartikulierte Laute, die keiner verstand. Trotzdem versicherten die Ärzte, dass „ihre Persönlichkeit“ oder, wie mein Großvater mir am Telefon sagte, „die Gerda“ weiter vorhanden sei beziehungsweise, wieder O-Ton mein Großvater, „da drin“ sei, womit er ihren Körper meinte. Weiter„Kein gutes Gefühl“

 

Mischt euch ein!

Die Oscarnacht kann eine Bühne für politische Statements werden. Das sollte sie auch. Künstler tragen die Verantwortung, der Gesellschaft Impulse zu geben.

Erst die Dankesrede, dann ein politisches Statement
Meryl Streep bei der Verleihung der Golden Globes © Paul Drinkwater/NBC Universal/Getty Images

Bei der diesjährigen Oscarverleihung geht es nicht nur um die Vergabe der Preise. Mit Spannung erwartet wird auch der Moment, wenn die Prämierten ans Mikrofon treten. Geben sie, neben den Dankesworten, auch ein politisches Statement ab? Sollten sie das überhaupt? Die Frage, ob Künstler sich ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten, wird seit jeher diskutiert. Tragen sie gar die Verantwortung dafür? Wir haben diese Frage dem Schriftsteller Norbert Niemann und der Schriftstellerin Lucy Fricke gestellt, die sie in einem Pro und Kontra diskutieren.

 

Öffentliche politische Stellungnahmen in der Form, wie sie nicht erst heute, sondern seit Jahrzehnten immer mehr gängige Praxis geworden sind, bereiten mir schon lange Unbehagen. Vor bald zwanzig Jahren fing ich an, diese Praxis – gleichfalls öffentlich – zu kritisieren. Es ging mir dabei allerdings nie darum, die Rolle der Schriftsteller und Künstler als öffentliche Intellektuelle grundsätzlich infrage zu stellen. Im Gegenteil wollte ich stets ihre nach meiner Überzeugung essenzielle Bedeutung für jede offene Gesellschaft verteidigen. Denn meine Kritik zielte gerade auf jene Mechanismen und Automatismen der politischen Meinungsbildung und des Verhaltens, die das öffentliche Argumentieren, nicht zuletzt auch das selbstkritische Nachdenken, zugunsten einer Anstiftung zur rein emotionalen Solidarisierung mit bestimmten Positionen – und seien sie noch so richtig und begrüßenswert – an den Rand drängten. Weiter„Mischt euch ein!“

 

Schwingt keine großen Reden!

Bei der Oscarverleihung wird man sie sicher wieder hören: politische Statements der Künstler. Das sollten sie sich lieber sparen. Was zählt, sind allein die Filme.

Oscarverleihung: Schwingt keine großen Reden!
Szene aus dem Film La La Land © Studiocanal Filmverleih

Bei der diesjährigen Oscarverleihung geht es nicht nur um die Vergabe der Preise. Mit Spannung erwartet wird auch der Moment, wenn die Prämierten ans Mikrofon treten. Geben sie, neben den Dankesworten, auch ein politisches Statement ab? Sollten sie das überhaupt? Die Frage, ob Künstler sich ins politische Tagesgeschäft einmischen sollten, wird seit jeher diskutiert. Tragen sie gar die Verantwortung dafür? Wir haben diese Frage dem Schriftsteller Norbert Niemann und der Schriftstellerin Lucy Fricke gestellt, die sie in einem Pro und Kontra diskutieren.

 

Auf der diesjährigen Berlinale fiel eines auf: Je missratener der Film, desto politischer die Pressekonferenz, und umgekehrt. Zwei Beispiele: Richard Gere spielt eine blasse Nebenrolle in dem Wettbewerbsbeitrag The Dinner. Ein Film, der sich fast schon beeindruckend verrenkt in dem, was er alles erzählen will, und an jedem losen Ende zerfasert. Weiter„Schwingt keine großen Reden!“

 

Denken bis zur Schmerzgrenze

Zweifel kann etwas Produktives sein. Die derzeit grassierende Billigversion des Bedenkens ist aber allzu selbstgewiss. Sich selbst zu hinterfragen, gehört unbedingt dazu.

© Peter Lloyd/unsplash.com (https://unsplash.com/@plloyd)

„Das möcht‘ ich mal bezweifeln“ ist ein Partysatz. Man streckt die Beine, sagt’s, und erledigt ist die Sache. Niemand ist vor den Kopf geschlagen. Ein nettes kleines Selbstbild entsteht zudem, die Spiegelung lacht von der Front des edelmetallischen Kühlschranks: als reflektierter, cooler, nicht dominanter oder auf Einmischung drängender Zeitgenosse hat man sich gezeigt. Ein wenig arrogant? Aber nein. Wenn der andere möchte, könnte er nachfragen. Dann sagte man vielleicht mehr. Weiter„Denken bis zur Schmerzgrenze“

 

Lachen über Politikclowns

Trump, Le Pen, Höcke. Dummheit und Ressentiment allerorten. Man will sich gar nicht ausmalen, wie dieser rechte Albtraum weitergeht. Vielleicht ist Humor eine Lösung.

Der amerikanische Wrestler Sam Adonis mit einer Trump-Flagge © Edgard Garrido/Reuters

Trump ist zum Friseur gegangen! Davon bin ich heute Morgen schweißgebadet aufgewacht. „Ich kann nicht mehr, jetzt wird man schon bis in die Träume von diesem Wahnsinn verfolgt!“ Schreiend bin ich durch die Wohnung. Sammy, mein kleiner Sohn, ist erschrocken, obwohl er wie immer Kopfhörer aufhatte, ich muss ziemlich laut gewesen sein. Weiter„Lachen über Politikclowns“

 

Wer schmarotzt, zahlt Strafe

Der Staat unterstützt Bedürftige. Nicht so in Belarus. Die „Parasitensteuer“ verpflichtet Arbeitslose jetzt, extra Abgaben zu zahlen. Ein Rückfall in finstere Zeiten

Straßenverkäuferin in Zhytkavichy, Belarus © Viktor Drachev/AFP/Getty Images

Am 13. Januar 1964 wurde der Schriftsteller Joseph Brodsky wegen Parasitentums verhaftet. Nach dreiwöchiger psychiatrischer Begutachtung wurde er zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt und mit mehreren Schwerverbrechern in eine Strafkolonie überführt. 1991, in den letzten Monaten der UdSSR, löste das Gesetz „Über den Beschäftigungsstand der Bevölkerung“ den sowjetischen Parasiten-Ukas ab und legalisierte den Arbeitslosenstatus. Weiter„Wer schmarotzt, zahlt Strafe“

 

Helden der Freizeit!

Nicht immer nur kaufen! Selber machen. In der DDR beherrschte man diese Kunst. Deshalb wurden dort auch die größten Erfindungen gemacht: der Rollkoffer etwa oder Alf.

Copyright: dpa

Als DDR-Bürger musste man in der Lage sein, Materialien fantasievoll umzudeuten, um aus den Dingen, die man zur Verfügung hatte, die Dinge herzustellen, die man brauchte. Heute noch kann man auf Reisen durch den Osten eine große Vielfalt an selbst gebauten Gartenzäunen bewundern (sehr oft mit Variationen einer Sonne). Weiter„Helden der Freizeit!“