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Kunst auf der Fleetinsel

Saisoneröffnung in den Galerien der Neustadt – im Doppelpack mit dem Kontorhausviertel. Es gilt: Sehen und gesehen werden und dabei sogar Kunst besichtigen.

Der große Rundumschlag: Während in der Admiralitätstraße die Galerie Conradi postinformelle Malerei von Sven Neygenfind zeigt, Dorothea Schlüter die Einzelausstellung Color Fields der Berliner Künstlerin Gabi Steinhauser und das Westwerk einer Manège à Trois (Abb.: Inge Pries) eine Plattform bietet, öffnen an diesem Abend ebenso Galerien im Kontorhausviertel und am Klosterwall – Robert Morat, Flo Peters oder Mikiko Sato starten in die neue Saison.

Ganz arge Kunstfetischisten widmen sich lieber an ruhigeren Tagen den Arbeiten, wenn der Trubel sich gelegt hat. Zur Eröffnung läuft ja doch immer jemand durchs Bild, getrieben von der Unruhe, anderswo könnte die noch wichtigere Veranstaltung sein. Für alle anderen gilt: Sehen und gesehen werden zum kollektiven Auftakt.

Text: Georg Kühn

 

„How To Change The World“

Aus einer Aktion von Hippie-Journalisten, Wissenschaftlern und Co. ging Greenpeace hervor. Diese Dokumentation erzählt die Gründungsgeschichte der NGO.

Greenpeace sind ja so etwas wie die alten Hasen des Umweltschutzes – kennt jeder und findet jeder unterstützenswert (außer man leitet einen Ölkonzern oder jagt Delfine). Aber wie war das früher, in den wilden Anfängen der Organisation? Die Dokumentation How To Change The World von Jerry Rothwell erzählt die Gründungsgeschichte der Non-Profit-Organisation, als kanadische Hippie-Journalisten, Fotografen, Musiker, Wissenschaftler und amerikanische Wehrdienstverweigerer 1971 mit ihrem Fischkutter in eine Testzone vor der Küste Alaskas schipperten, um den Abwurf einer Atombombe zu verhindern. Wie sie von der Küstenwache in den Hafen zurückgedrängt wurden. Wie sich aus der Keimzelle eine weltweite Bewegung formierte und mit halsbrecherischen Aktionen, bejubelt und verteufelt, für eine bessere Welt einsetzten. Gezeigt wird die Dokumentation im Studio Kino – wunderschöne Bilder und hassfördernde Episoden wechseln sich ab, nicht die Fiktion, sondern die Realität ist es, die uns im Kino nachhaltig bewegt.

Text: Lena Frommeyer

 

Rachel Sermanni

Im Mojo Jazzcafé wird es ganz still am Mittwoch und so soll es auch sein, denn die Musik der Folksängerin raubt sicher allen den Atem.

Stille, von jetzt auf gleich. Das kann passieren, wenn Rachel Sermanni auf die Bühne kommt, ihre Folksongs auf der Gitarre spielt und dazu singt. Die Schottin schafft es, ihr Publikum mit offenen Mündern dastehen und staunen zu lassen, eben sofort zu berühren. Zuletzt geschehen beim australischen Woodford Folk Festival – und da waren nicht weniger als 10.000 Menschen vor Sermanni, die sich vielleicht fragten: Was muss eine erlebt haben, um solch umwerfend wunderbare Lieder zu kreieren? Und die Schottin mit den italienischen Wurzeln ist mit 23 Jahren wahrhaftig noch jung, betrachtet man die Tiefe und Reife ihrer Lieder. Wer selbst einmal ins Schweigen und Schwärmen geraten möchte, dem sei das Mojo Jazzcafé mit ihr am Mittwoch ans Herz gelegt.

Text: Erik Brandt-Höge

 

Ein Abend für Edmund White

„City Boy“ erzählt vom Leben des schwulen Autors im New York der 1970er Jahre – die Lesung findet im Toom Peerstall statt.

Stephen Crane war ein Schriftsteller des Naturalismus, der Ende des 19. Jahrhunderts gelebt hat. Stephen Crane war gleichzeitig so etwas wie der James Dean seiner Zeit. Im Alter von 28 Jahren aber hatte die Tuberkulose schon seine Lungen befallen. In seiner Wahlheimat Sussex vegetierte er vor sich hin, gepflegt von seiner Lebensgefährtin und ehemaligen Bordellchefin Cora Taylor. Nur die Kur im Schwarzwald konnte noch helfen.

Der Roman Hotel de Dream setzt am letzten Tag des jungen Cranes an und ist eine Art multipler Liebesroman und ein Statement für die Macht, aber auch die Nöte der Literatur. Sein Verfasser Edmund White feierte gerade seinen 75. Geburtstag.

Der Verlag Männerschwarm brachte kürzlich sein neuestes Werk heraus. City Boy erzählt vom Leben des schwulen Autors im New York der 1970er, als die Stadt noch kriminelles Drecksloch und gleichzeitig El Dorado junger Kreativer und Homosexueller war. Zur Feier der deutschen Ausgaben und weil der Verlag die neue Reihe Ein Abend für… startet, werden eben diese Bücher jetzt bei einer Lesung präsentiert.

Text: Andra Wöllert

 

Fee Reega

Ein zerbrechliches Wesen mit Netzschmuck im Haar singt in der Hasenschaukel makabere und intime Geschichten aus dem bittersüßen Diesseits.

Diese Fee findet viele Label für ihr Schaffen, etwa Soft Punk oder Problem Folk und gelegentlich finden sogar folkloristische Passagen statt. Getragene Lieder in der sinisteren Stimmung des frühen Cohen und mit ebensolcher Intonationsunschärfe lassen tief in die Seele dieses Elfenwesens schauen. Düstere Geschichten von Freitod, Blut und Alkohol zeugen vom „Aus-den-Fugen-Geraten“ ihres Lebens, vom dem sie sagt, dass es Teil ihres Musikmachens ist. So heißt ihr Motto: Konzentrier dich aufs Überleben! Ihre narrative Form und ihr entrücktes Auftreten sind berührend aus der Zeit gefallen und könnten so auch vor 100 Jahren stattgefunden haben, aber wen kann das wundern bei einer Fee, die in ebenso entrückter Kulisse auftritt, eben in der Hasenschaukel.

Text: Georg Kühn

 

Wortpicknick im Park

Planten un Blomen schmaust kulturell: Ella Carina Werner und Sören Ingwersen lesen aus ihren Romanen, begleitet von Agata Paulinas Gesang und Gitarrenspiel.

Die zwei Journalisten und Autoren Ella Carina Werner (Bild) und Sören Ingwersen haben ganz eigene Zugänge zur Musik: Während Ingwersen unter anderem Libretti für Kinder- und Jugendopern schreibt, verarbeitet Werner die Traumata, die ihr der Bauchtanz-Trip ihrer Mutter in den späten Achtzigern bescherte. Da hilft der Autorin das komische Talent, ihre Texte wurden schon in der Titanic veröffentlicht, der autobiografische Roman Die mit dem Bauch tanzt wird derzeit vom ZDF verfilmt. Den musikalischen Rahmen bildet die Songwriterin Agata Paulina. Deutsche Texte voller Märchen und Sehnsucht, dazu ihr virtuoses Gitarrenspiel zwischen Folk und Bossa. September ist dieses Jahr der letzte Wortpicknick-Termin im Park, dabei wurde die Vielfalt der Hamburger Autoren-, aber auch der Songwriterszene gezeigt. Sitzgelegenheit mitbringen, Eintritt frei!

Text: Georg Kühn

 

Harbour Front

Wenn im Uebel & Gefährlich, auf der Cap San Diego oder in der Laeiszhalle gelesen wird, muss Hamburg wieder im Bücherwahn sein.

Die ehemalige Schauspielerin Julia Jessen beschreibt in ihrem bemerkenswerten ersten Roman Alles wird hell ein ganzes Frauenleben; der erste Roman von Kristine Bilkau (Foto), Die Glücklichen, handelt dagegen gleich von einer ganzen Generation, den heutigen 30-Jährigen. Die beiden in Hamburg lebenden Schriftstellerinnen bestreiten am 10. September gemeinsam den ersten Abend des diesjährigen Debütantensalons im Nochtspeicher. Aber schon einen Tag zuvor ist das Harbour Front Literaturfestival in vollem Gange. Auf der Cap San Diego liest am Mittwoch um 21 Uhr Merle Kröger aus ihrem Mittelmeer-Thriller Havarie. Diese Veranstaltung ist noch nicht ausverkauft. Neben den Neulingen sind hochkarätige internationale Autoren oder andere Prominenz mit eigenem Buch in alle erdenklichen Locations der Stadt geladen. So liest Technopionier Westbam im Uebel & Gefährlich oder Pulitzerpreisträger Richard Ford in der Laeiszhalle. Ein Monat Literatur pur an der Waterkant.

Text: Angela Kalenbach / Andra Wöllert

 

12 Hähne für St. Pauli

Von Ale bis Zwickel, von der Avocado bis zum Zitronengras – die Schankwirtschaft beherrscht das Alphabet des Bieres nebst asiatisch und lateinamerikanisch inspirierten Snacks.

Es ist schummrig in der Schankwirtschaft, wie es sich für eine Bierkneipe auf dem Kiez gehört. Doch spätestens, wenn Rauchbier und Tamarinden-Pork-Ribs statt Astra und Salzstangen aufgetischt werden, wird klar, dass die Dinge hier anders laufen. Die Schankwirtschaft ist der neueste Streich des Teams um Maximilian Marner, der nach dem Brausturm Bierverlag und dem Fachgeschäft Beyond Beer ein drittes Standbein rund um sein Lieblingsgetränk aufgebaut hat.

An zwölf Zapfhähnen werden stets wechselnde Biere aus aller Welt ausgeschenkt, vom fränkischen Kellerbier über amerikanische IPAs bis zur im Holzfass gereiften Spezialität aus Belgien. Moderate Einstiegspreise ab 2,90 Euro pro Drittelliter sorgen dafür, dass nicht nur Biersnobs angezogen werden, doch für ein paar Euro mehr bekommt auch diese Zielgruppe auf ihre Dosis an hochalkoholischen Gourmetgebräuen. Herausragend ist die Beratung am Tresen. Dazu gibt es asiatisch und lateinamerikanisch inspirierte Snacks aus der Küche, die einen aromatischen Gegenspieler zu den flüssigen Hopfenbomben bilden.

 

„Bad Labels“

Gartenzwerge mit Hitlergruß – zwei Künstler tarnen ihre Gemeinheiten in ansprechender Hülle und stellen das in „Hamburgs neuem Ort für Design“ aus.

„Designxport informiert, kommuniziert und kooperiert. Ein großes Netzwerk vieler Einzelkämpfer, 14.000 Designer arbeiten in Hamburg.“ So liest man in der Selbstbeschreibung von Hamburgs neuem Ort für Design. Würde nicht so offensichtlich auch der kritische Diskurs bei diesem Unterfangen im Vordergrund stehen, könnte man meinen, dieses Institut wäre hilflos von der Stadt gegründet worden, um bei der sagenumwobenen Kreativwirtschaft dabei zu sein.

Kunst wird auch gezeigt. Beispielsweise die Ausstellung Bad Labels. Die beiden Künstler – Hörl, der Lehrer, und Remmers, sein Schüler – brechen in ihren Objekten und Skulpturen die dekorative Harmlosigkeit etwa von Gartenzwergen mit dem Hitlergruß (Ottmar Hörl). Oder sie collagieren Markenlogos bis zur Satire (Jens-Ole Remmers). Auf der Grenze von Design und bildender Kunst lässt sich so manches trojanisches Pferd entlangschieben.

Text: Georg Kühn

 

Scale Models

Khalil Rabah hat ein realitätsfernes Airline-Büro, eine Redaktion, ein Museum und Co. kreiert – Alltägliches, das es in Palästina nicht gibt.

Bekanntes verdrehen, umdeuten, infrage stellen und neu interpretieren: Der in Jerusalem geborene Künstler Khalil Rabah schafft Erlebnisräume wie ein imaginäres Büro der Fluggesellschaft United States of Palestine Airlines in London. Flüge buchen ist zwar nicht möglich, aber auf die Reise gehen in ein Land zwischen Fantasie und Realität. Auch eine Kunstinstitution, eine Tageszeitungsredaktion, ein Museum für Natur- und Völkerkunde oder ein Architektenbüro hat Rabah eingerichtet – alltägliche Einrichtungen, die es in Palästina nicht gibt, wo er mittlerweile lebt. Sein Airline-Büro und eine Miniatur-Variante des Museums zeigt der Künstler im Kunsthaus Hamburg in seiner Ausstellung Scale Models. Und im passenden Museumsshop gibt es Olivenbäumchen und Ansichtskarten von palästinensischen idyllischen Städtchen. Ausstellungseröffnung ist am Montagabend, angucken kann man sich die Werke bis zum 1. November.

Text: Andra Wöllert