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James Joyce’s Molly

Selbstbehauptung und Widerstand: Die österreichische Schauspielerin Chris Pichler ist als Molly Bloom im Monsun Theater zu Gast.

Den einen gilt James Joyce’ Roman Ulysses als unlesbares Machwerk, den anderen als geglücktes Experiment, das zu Weltliteratur wurde. Beschrieben wird darin ein gewöhnlicher Tag im Leben des Dubliners Leopold Bloom. Das als Monolog der Molly Bloom berühmt gewordene Schlusskapitel ist Legende, ein Gedankenstrom zwischen Wachsein und Traum. Während sie nachts im Bett liegt, wird Leopold Blooms Frau von einer Nebenfigur zur Hauptperson des Romans, zu einem gnadenlosen Gedankenspeer, und setzt sich im retrospektiven Erleben stolz und unversöhnlich mit der Welt auseinander. Das Gefühl des Seins im Hier und Jetzt, so bewies es James Joyce in seinem Buch, weiß die Literatur durchaus zu vermitteln. Die mit dem ORF-Hörspielpreis als beste Schauspielerin des Jahres ausgezeichnete Österreicherin Chris Pichler ist als Molly Bloom zu Gast im Monsun Theater. Sie gibt dem Monolog Stimme und Gestalt. Mit ihrer Interpretation nähert sie sich der klassischen Vorlage als moderne Frau und zeigt, dass mit ein wenig Humor Weiblichkeit und Selbstbehauptung kein Widerspruch sein müssen.

Text: Reimar Biedermann

 

The Buttshakers

Soul, Rock, Rythm und verdammt viel Stimme – die französische Band bringt das Molotow zum Beben.

„Bei Oma in der Küche liefen früher Aretha Franklin und Tina Turner“, erzählt The-Buttshakers-Sängerin Ciara in Interviews und man kann sich gut vorstellen, dass Oma alle Hände voll zu tun hatte mit einer Enkelin, die laut singend durch die Küche hopste. Chiara Thompson ist ein Energiebündel mit Soulstimme, eine Musikerin, die ihr Publikum um den Finger wickelt. Vielleicht kommt daher der Name der französischen Formation, in dem weniger die Aufforderung als mehr die unweigerliche Konsequenz eines energetischen Konzertabends mitschwingt. Oder eben mitshaket. Die musikalische Grundlage bildet dabei Rythm ’n‘ Blues, der Mal zum Nothern Soul und Mal zum Garage-Rock abgleiten, aber im Kern ungehobelt und zielsicher den Hintern in Bewegung versetzt. The Buttshakers vollführen live eine dreckig-rockige Ehrung der großen Soul-Stimmen der letzten Jahrzehnte.

 

„Spirit“

Brüder im Geiste: Sidi Larbi Cherkaoui und Seburo Teshigawara präsentieren ihre Tanzstücke „Noetic“ und „Metamorphosis“ auf Kampnagel.

Der eine hat multikulturelle Wurzeln und begann seine Tanzkarriere mit Hip-Hop von der Straße. Der andere genoss eine traditionelle Ballettausbildung samt künstlerischer Allround-Bildung. Dennoch erscheinen der flämisch-marokkanische Sidi Larbi Cherkaoui und der Japaner Seburo Teshigawara wie Brüder im Geiste: Spirit heißt der Doppelabend übergreifend, für den die beiden Weltstars des zeitgenössischen Tanzes unterschiedliche Beiträge liefern. Cherkaouis Noetic überträgt das kosmische Ordnungsprinzip auf bewegte Individuen; in Metamorphosis legt Teshigawara eine Bühnenlandschaft aus tanzenden Menschenkörpern an, die als Metapher für das Leben schlechthin gesehen werden kann. Gemeinsamer Nenner der beiden ist die schwedische Göteborgs Operans Danskompani, ein fortschrittliches Ballettensemble, mit dem die zwei Werke in sehr unterschiedlichen choreografischen Handschriften entstanden.

Text: Dagmar Ellen Fischer

Metamorphosis, a part of Spirit (2014) from GöteborgsOperan on Vimeo.

Noetic, a part of Spirit (2014) from GöteborgsOperan on Vimeo.

 

Graphic Novel

Max Mönch, Alexander Lahl und die Illustratorin Kitty Kahane stellen ihr neues Buch „Treibsand“ vor. Moderation: Friederike Moldenhauer und Tina Uebel.

Weniger ist mehr – der Yachtclub konzentriert sich in seiner Dezember-Ausgabe auf ein einziges Werk, das umso mehr zu sagen hat. Diesmal an der Reihe: Treibsand: Eine Graphic Novel aus den letzten Tagen der DDR von Max Mönch, Alexander Lahl und der Illustratorin Kitty Kahane. Der Protagonist Tom Sandman kommt 1989 aus China zurück, wo er als Korrespondent Zeuge eines Massakers wurde. Zu Hause in New York verlässt ihn seine Freundin, sein Aquarium wird zum Kriegsschauplatz, und sein Chef, überzeugter Antikommunist, schickt ihn direkt ins nächste Krisengebiet: Berlin. Begleitet von üblen Zahnschmerzen und wüsten Träumen reist Sandmann in ein untergehendes Land. „Die Dramaturgie ist packend und fantasievoll, die Bildsprache tiefgründig und allegorisch, die sensible Farbgebung trägt zur Wirkung bei,“ urteilte Tip Berlin. Skipper an diesem Abend sind, wie immer bei Yachtclub-Events, Lektorin Friederike Moldenhauer und Schriftstellerin Tina Uebel.

 

„Patong Girl“

Eine Mittelstandsfamilie verbringt das Weihnachtsfest in Thailand. Der Sohn verliebt sich … Regisseurin Susanna Salonen und Darsteller kommen zur Vorführung.

So hatte sich Mutter Schröder (Victoria Trauttmansdorff) den Weihnachtsurlaub in Thailand nicht vorgestellt: Statt im Sterne-Hotel wird die Familie in einer Pension untergebracht, dann stellt sich heraus, dass es in Phuket auch außerhalb der Regenzeit ganz ordentlich gießen kann, der sexuell entwöhnte Gatte starrt den schlanken Thai-Mädchen hinterher, und schließlich schleppt Sohn Felix auch noch eine thailändische Freundin an. Klar, dass für Mutter Schröder das Mädchen eigentlich nur eine Prostituierte sein kann. Patong Girl führt in ein interessantes – weil vertrautes – Milieu, in einen gebildeten, sich vorurteilslos wähnenden Mittelstand, dessen Angehörige sich auf Reisen nicht mit dem Resort begnügen, sondern auch Land und Leute kennenlernen wollen, und dort schrecklich deplatziert sind. So wie es Kataloge für alle Destinationen gibt, existiert auch ein informeller Katalog der interkulturellen Missverständnisse. Genüsslich und nicht ohne Komik blättert Patong Girl ihn auf. Die Regisseurin Susanna Salonen, in Finnland geboren und aufgewachsen in Lübeck, kommt vom Dokumentarfilm. Sie hat in Tokio als Hostess gearbeitet, auf Phuket war sie Tauchlehrerin. Das kommt ihrer deutsch-thailändischen Co-Produktion sehr zugute. Bei allem Sinn für Exotik entsteht ein Eindruck von Authentizität. Das macht Patong Girl zu einem Film, der in jedes Reisenecessaire gehört.

 

Wie wird das Jahr 2071?

Klimaforscher Chris Rapley wirft einen Blick in die Zukunft. Für seine Prognosen inszenierte Regisseurin Katie Mitchell einen Performance-Vortrag.

Das Jahr 2071 liegt noch exakt 57 Jahre in der Zukunft. Die meisten von denen, die diesen Text hier lesen, werden dann wohl nicht mehr leben – im Gegensatz zu unseren Kindern und Enkelkindern. Der britische Wissenschaftler Chris Rapley hat als Professor für Klimaforschung am University College London die Zukunft der Erde fest im Blick. Er rechnete aus, dass im Jahre 2071 sein erster Enkel so alt sein wird wie er jetzt selbst jetzt. Und die Welt mit Sicherheit eine andere. Toller Stoff für die Bühne. Die britische Regisseurin Katie Mitchell entwickelte dafür gemeinsam mit dem Autor Duncan Macmillan eine Präsentationsform – eine Mixtur aus Performance und Vortrag. So erhält Chris Rapley einen Rahmen, um Fragen zu beantworten, die wir uns wohl alle stellen: Was macht der Klimawandel mit der Erde? Wie und wann wird sich die Welt verändern? Was können oder müssen wir heute tun? Oder ist es bereits zu spät? Nach der Uraufführung am Royal Court Theatre London ist die Inszenierung nun im Schauspielhaus zu Gast. Die Vorführung ist in englischer Sprache, wird aber mit deutschen Übertiteln für ein breites Publikum verständlich gemacht.

Text: Miriam Mentz

 

Dukes of Hamburg

Outfit, Sound und Equipment – diese Band lebt die sechziger Jahre. Das Molotow wird zur Zeitkapsel und rauscht für einen Abend in die Beat-Vergangenheit.

Gäbe es ein MTV Cribs Hamburg-Edition, gerne würden wir einmal zu Hause bei den Dukes of Hamburg vorbeischauen und überprüfen, wie weit ihre innige Liebe zu den 1960er Jahren geht. Würden wir in ihren Häusern Teakholz-Formmöbel vor grellen Tapeten vorfinden? Sitzsäcke neben Kugellampen? Das wäre keine Überraschung. Diese Band lebt zumindest diese Episode der menschlichen Kulturgeschichte recht konsequent auf der Bühne. Ihr Sound, ihre Outfits, ihr Equipment – alles ist groovy aufeinander abgestimmt, selbstredend auch die Songauswahl. Die Lords, Rattles, Pretty Things und Easybeats, eben all jene Bands, die in Gedanken an diese Zeit im Gedächtnis aufflackern, finden hier ihre Huldigung. Da lässt es sich für einen Abend schnell vergessen, dass wir bereits im nächsten Jahrtausend angekommen sind und die Dukes of Hamburg eigentlich aus Bielefeld kommen. Support: The Viceroyes.

Text: Miriam Mentz

 

Mary Jane Insane

Die Hamburgerin schreibt Songs über New York, Monsterkämpfe und Schlaflosigkeit. Mit Folk-Musikerin Kristina Jung spielt sie in der Hasenschaukel.

Mary Jane Insane schreibt Songs, die Geschichten erzählen. Nicht irgendwelche Geschichten, die an den Haaren herbeigezogen und in Verse gestopft werden, sondern solche, die sie selbst gerade bewegen. Musik als Eigentherapie kann für den Zuhörer böse enden. Beispielsweise wenn der Songwriter sich andauernd in einem matschigen Sumpf der Gefühle befindet und ständig auf der Stelle tritt. Im Falle von Mary Jane Insane spiegelt sich in ihren Text viel Sonnenschein, ab und zu eine Wolke und ihre innige Liebe zur Stadt New York. Ihre Erlebnisse mit Monstern singt sie uns vor und teilt Weltrettungsfantasien mit ihren Zuhörern. Die passenden Melodien spielt sie mit Gitarre, Ukulele, Glockenspiel, Melodica und Looper ein. Live steht der Hamburgerin mit hessischen Wurzeln die Folk-Musikerin Kristina Jung zur Seite. Lasst die Mädels auf die Bühne, die Songs müssen raus!

Text: Miriam Mentz

 

The Tiger Lillies

Mit dem britischen Trio finden schaurige Clowns, Chansons und quietschende Instrumente den Weg auf die Bühne des Uebel & Gefährlich.

Eine Säge singt, dann setzt der traurige Clown mit kratzender Stimme ein und singt Geschichten von den schwarzen Seiten des Lebens, von Krieg, Aussichtslosigkeit und Rausch. Gelegentlich hebt er ironisch die Augenbraue, greift abwechselnd zu Banjo, Akkordeon und Ukulele. Seine Mitmusiker schunkeln wissend mit ihm, bedienen allerlei Instrumente und wiederholen hier und da bassig-summend die Zeilen des Clowns. Living Hell! The Tiger Lillies könnten einem Alptraum entsprungen sein. Stattdessen sind sie das Konstrukt eines Künstlerkopfes, wie ihn Martyn Jacques auf seinen Schultern trägt. Er gründete das Trio 1989. Seitdem haben The Tiger Lillies unzählige Alben veröffentlicht, die sich konzeptuell mal mit Hamlet, den Sieben Todsünden oder dem Zirkusleben auseinandersetzen. In Wien begleiteten sie kürzlich die Musicalversion von Georg Büchners Woyzeck. Ihr jüngstes Album A Dream Turns Sour widmeten sie dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ein Glück, dass die Tiger Lillies mit ihrem britischen Humor jedem tragischen Moment zumindest einen klitzekleinen komischen Hut aufsetzen.

Text: Miriam Mentz

 

The Toasters

Am Montagabend stattet eine der dienstältesten Ska-Punk-Bands aus New York City dem Molotow einen Besuch ab.

Sollte man jemals eine Biografie über die New Yorker Ska-Punk-Band The Toasters in Angriff nehmen, muss für das Kapitel Mitglieder der Band besonders viel Platz eingeplant werden. Welche Kombo kann schon von sich behaupten, 40 ehemalige Mitstreiter plus sieben aktuelle Musiker zu zählen? Immerhin, eine Person hat die gesamten 33 Jahre der Bandgeschichte durchgehalten: Robert Hingley, seines Zeichens Frontmann. Anfang der 1980er war er von England in die USA umgesiedelt, um dort mit den neu gegründeten Toasters die dritte Ska-Welle anzuschieben, in deren Wogen sich dann auch Bands wie The Slackers, Spicy Roots, Skaos oder No Sports einen Namen machten. 16 Alben veröffentlichte die Band seitdem und drehte etliche Runden durch Europa und Nordamerika. Man könnte meinen, dass nach so einer Zeit irgendwann die Puste und Spielfreude aufgebraucht sind. Weit gefehlt – die Luft geht hier immer noch höchstens dem Publikum im Pogo-Pulk aus.