Ende Dezember und Anfang Januar habe ich immer meine Portfolio-Wochen. Da martere ich mein Hirn, lese Studien über Studien und frage mich, wie ich mein Geld im Neuen Jahr wohl am besten umschichte, um weiter ruhig schlafen zu können. Hier die Quintessenz: Risiko reduzieren! Aktienquote zurück auf neutral, Anleihen untergewichten, Cash übergewichten und vielleicht ein bisschen (mehr) Gold zukaufen.
So ertragreich und ruhig wie es derzeit an den Finanzmärkten ausschaut, wird es nicht mehr lange bleiben. In Amerika und in Euroland muss sich die Herde der Anleger an einen neuen Notenbanker gewöhnen. Dies- und jenseits des Atlatiks treten die mächtigsten Zentralbanker ab. In Amerika geht Maestro Alan Greenspan Ende diesen Monats und in Euroland tritt Ende Mai Otmar Issing, der heimliche Chef des EZB ab. Greenspan hat seit 1987 die Märkte bewegt, Issing immerhin seit 1990, als er in Diensten der Bundesbank trat und schon damals für die zweitwichtigste Währung der Welt als Chefökonom zuständig war.
Zur Zeit herrscht die beste aller möglichen Welten. Das Wachstum ist kräftig, die Inflation moderat. Die Zinsen sind niedrig, die Unternehmensgewinne hoch. Die Volatilität verschwindend gering. Und im abgelaufenen Jahr haben alle Anlageklassen Kursgewinne beschert: Rohstoffe, Emerging Markets, Small- und Large-caps, Technologie- und Dividendentitel und sogar Anleihen.
Dieses Szenario hatte ich vor einem Jahr ungefähr so kommen sehen, zumindest bis ins dritte Quartal 2005 hinein. Ich hielt vor einem Jahr steigende Aktienkurse und steigende Anleihekurse in Euroland und vor allem Deutschland für wahrscheinlich. Damals dachte ich, die Aktien sollten von der unheimlichen Margenausweitung hiesiger Unternehmen zu Lasten der Arbeitnehmerlöhne profitieren. Und die Renten von der damals aus meiner Sicht noch drohenden Deflation. Daneben hatte ich als Absicherung auf Rohstoffe gesetzt, weil ich an die Chinastory geglaubt habe. Bevor ich chinesische Aktien kaufe, kaufe ich lieber Rohstoffe, so dachte ich.
Im dritten Quartal vergangenen Jahres musste ich mich neu positionieren. Denn entweder es gibt Deflation, dann sind Aktien nix, oder es gibt Wachstum, dann sind Anleihen nix. Im Oktober habe ich das Deflationscamp verlassen und ein Teil der langlaufenden Anleihen verkauft. Gut möglich, dass die Deflationsdebatte dieses Jahr wieder kommt, wenn die Euroland-Inflation in Richtung ein Prozent marschiert (was passieren dürfte, wenn der Ölpreis nicht auf 80 Dollar das barrel steigt). Aber das wäre dann Disinflation und würde mich nicht jucken. Das Wirtschaftswachstum dürfte in Euroland und speziell in Deutschland stark genug sein, um damit fertig zu werden.
Warum ich trotz des positiven Inflationsausblicks empfehle, Anleihen unterzugewichten? Weil ich nach langen Hin und Her das Zinsrätsel von Alan Greenspan jetzt wie folgt löse: Es ist nicht die überbordende Zentralbankliquidität (ein Argument, das ich nie verstanden habe), es ist auch nicht die Saving Glut (eine These, die der künftige Fed-Chef Bernanke vertritt), sondern es sind die mageren Investitionen (so schreibt es der IWF). Seit drei Jahren investieren die großen europäischen Konzerne laut Morgan Stanley weniger als sie abschreiben! Das ist eine völlig abnormale Situation im Kapitalismus – es ist dem Crash der Jahre 2000/2001 und den vorangegangenen Überinvestitionen geschuldet. Wenn die Unternehmen zu Sparern werden, dann funktioniert das System nicht mehr richtig. Dann können entweder die Haushalte nicht mehr sparen oder aber die Staaten müssen sich kräftig verschulden. Kein Wunder, dass die Zinsen niedrig sind, wenn es kaum Nachfrage nach Kredit gibt.
Doch genau das ändert sich gerade. An der Börse werden wieder die Unternehmen mit Kursgewinnen belohnt, die auf Wachstum setzen, die zukaufen oder ihre Investitionen hochfahren. Das war vor einem Jahr noch ganz anders. Da waren die Unternehmen gefragt, die möglichst viel Geld an ihre Aktionäre ausgeschüttet haben. Damit dürfte mittelfristig auch das unheimlich niedrige Renditeniveau am Anleihemarkt der Vergangenheit angehören. Zuerst werden es die Spreadprodukte zu spüren bekommen, also die Corporates, Highyields und Emerging Market Anleihen. Hier erwarte ich eine schwächere Entwicklung.
Bei den Staatsanleihen habe ich mich im Oktober von einem Teil langen Laufzeiten getrennt. Ab einem Renditeniveau von 3,80 oder 4 Prozent für die zehnjährige Bund mache ich mir Gedanken über einen Wiedereinstieg.
Die Aktien, die ja letztes Jahr extrem gut gelaufen sind, werden auf neutrales Niveau gestellt, sprich auf den Anteil, den jeder im Risiko stehen möchte. Durch die extremen Kursgewinne ist die Aktienquote größer geworden als geplant und wird jetzt wieder zurechtgestutzt. Die Gewinne wandern in den Geldmarktfonds. Ich halte weiterhin deutsche Aktien wegen der schwachen Gewerkschaften und der öffentlichen Meinung, dass die deutschen Löhne zu hoch sind, für die beste Wette. So schnell werden hier die Margen nicht schrumpfen!
In den letzten Wochen wurde oft argumentiert, dass deutsche/europäische Aktien weiter gut laufen werden, weil sie noch immer günstig seien. Das Kursgewinnverhältnis (KGV) liege für den MSCI Europe bei rund 15, was historisch betrachtet sogar etwas unterhalb der durchschnittlichen Bewertung liege. Was mich an dieser optimistischen Betrachtung stört: Aktien sind gut bezahlt, sie sind keine Schnäppchen mehr wie vor drei und vor eineinhalb Jahren. Ben Funell, der Stratege von Morgan Stanley, weist auf einen interessanten Punkt hin: Europäische Aktien seien nur dann günstig bewertet, wenn man den laufenden Return on Equity (ROE) beim KGV in den Nenner packe. Zur Zeit verdienen die großen europäischen Konzerne eine Eigenkapitalrendite von 16 Prozent (Wahnsinn). Historisch liegt dieser Wert dagegen bei 12 Prozent. Und mit 12 Prozent gerechnet beträgt das KGV 20. So hoch war es seit 1974 nur in den Jahren 1996 ff. Erinnern Sie sich noch, was der große Alan Greenspan 1996 zum Aktienkursniveau gebrummelt hat? „Irrationaler Überschwang“. Genau.
Wenn man davon ausgeht, dass 16 Prozent Eigenkapitalrendite übertrieben hoch sind, 12 Prozent so schnell nicht drohen, weil „China, Globalisierung, Osteuropa“ die Löhne noch etwas in Schach halten werden, dann landen wir vielleicht bei 14 Prozent ROE. Dann sind die Aktien ordentlich bezahlt und die Kurssteigerungen nur noch im Einklang mit dem nominalen Wachstum der Volkswirtschaft zu erwarten – ganz im Sinne der Theorie.
Zum Thema Gold. Die vergangenen Jahre habe ich beim Jahresausblick immer ziemlich gezittert. Ich habe Crashs gesehen, Turbulenzen und Paniken befürchtet. Wir waren ja auch ab und an nah dran, aber es ist immer alles gut gegangen (Danke, Alan). Dieses Jahr zittere ich überhaupt nicht. Ja, ich bin fast geneigt zu schreiben, dass die Weltwirtschaft 2006 das rebalancing in Ansätzen hinbekommen könnte. Die Nummer zwei (Japan) und drei (Deutschland) der Weltwirtschaft wachsen wieder ordentlich, China, seit neuestem die Nummer vier, wächst weiter stürmisch, die ölexportierenden Länder geben ihre Petromilliarden im Westen aus und Amerika darf langsamer wachsen, ohne dass das die Weltwirtschaft belastet. Gleichzeitig verringert sich das Leistungsbilanzdefizit der Amerikaner. Das wäre zu schön um wahr zu sein. Deshalb ist es genau dieser Optimismus in meinem Kopf, der mich Gold kaufen lässt.
Wenn das Ich Optimist wird, schwant dem Überich Böses! Daher bin ich trotz des schon kräftig gestiegenen Goldpreises geneigt, zwei bis drei Prozent in Gold zu investieren. Als Absicherung gegenüber meinem Optimismus. Jim O’Neill, der globale Chefvolkswirt von Goldman Sachs begründet seine erstmalige Empfehlung für Gold so: „the ‚hedge to have when you’re not quite sure what you’re hedging against’“.