Gerade ist der Wechselkurs des Euro bei $1,5064 angekommen. Heute morgen stand er noch bei $1,5311. Damit kostet er 5,8 Prozent weniger als am 22. April, als er bei knapp unter $1,60 seinen bisherigen Höhepunkt erreicht hatte. Es sieht ganz nach einem freien Fall aus, zu dem es meist dann kommt, wenn alle Welt auf einen weiter steigenden Kurs gesetzt hat, wenn also vor allem die institutionellen Akteure per saldo long sind, die positiven Nachrichten aber plötzlich ausbleiben. (Netto kann der Markt natürlich nicht long sein). Einige Gründe sprechen dafür, dass der Euro noch weiter abwerten könnte:
– Der Verfall der Rohstoffpreise, vor allem des Ölpreises, führt in den USA zu einem stärkeren Rückgang der Einfuhrpreise als im Euroland, so wie der vorangegangene Anstieg die USA härter getroffen hat als uns. Die amerikanischen Importpreise lagen im Juni um 20,5 Prozent über ihrem Vorjahrswert. Der Anteil der Rohstoffe an den gesamten Einfuhren ist um etwa zwei Prozentpunkte höher als in der Währungsunion. Da die Importe der USA real bereits fallen, während die Exporte zunehmen, wird es von nun an zu einer raschen Verbesserung der amerikanischen Handelsbilanz kommen. Dadurch vermindert sich von dieser Seite her das Angebot an Dollars, was den Greenback an den Devisenmärkten tendenziell stärkt.
– Herr Trichet hat gestern auf der Pressekonferenz durchblicken lassen, dass die Konjunktur hierzulande doch etwas schwächer ist als bislang gedacht, auch wenn er die Journalisten auf die neuen Projektionen, die es erst in einem Monat gibt, vertröstet hat. Die Ausrichtung der Geldpolitik ist jedenfalls insgesamt neutral, was nichts anderes heißt, als dass die Zinsen unverändert bleiben werden.
– Nach den neusten Zahlen vom Donnerstag für die deutsche Industrieproduktion im Juni – und damit für das zweite Quartal – haben wir jetzt die Bestätigung für das, was uns die Frühindikatoren signalisiert hatten, dass es nämlich mit der Konjunktur ziemlich rasch in den Keller geht. Vom ersten auf’s zweite Quartal war es zu einem Rückgang von 6,5 Prozent gekommen (saisonbereinigt, annualisiert). Da das in den anderen EU15-Ländern ähnlich schlecht aussieht, ist ziemlich sicher, dass das reale BIP Eurolands im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal gesunken ist. Wir nähern uns einer Rezession. Da das, in Kombination mit den ohnehin fallenden Rohstoffpreisen, die Inflation dämpfen wird, gehen die Märkte jetzt davon aus, dass es keine Zinserhöhung mehr geben wird. Ich vermute, dass wir irgendwann im ersten Halbjahr 2009 sogar eine Zinssenkung bekommen werden.
– Für den Wechselkurs kommt es natürlich auch darauf an, was sich bei den amerikanischen Zinsen tun wird. Die Notenbank verfolgt eine außerordentlich expansive Politik. Da die Inflation bei 5,0 Prozent (CPI, ggVj) angelangt ist und die Wirtschaft gar nicht so schlecht läuft, gibt es Spielraum bei den Zinsen. Einzelne Notenbankgouverneure plädieren offen dafür, die Fed Funds Rate, die bei nur 2 Prozent liegt, allmählich zu erhöhen. Im zweiten Quartal hatte das reale BIP der USA mit einer Verlaufsrate von 1,9 Prozent zugenommen, während das BIP Eurolands voraussichtlich mit einer Rate von 1 bis 1½ Prozent zurückgegangen ist. Danach könnten sich die USA eigentlich höhere Zinsen leisten, die Zinsdifferenz könnte also schrumpfen, was wiederum dem Dollar weiteren Auftrieb geben könnte.
– Ich weiß nicht, wie wichtig Kaufkraftparitäten sind. Ich hatte kürzlich geschrieben, dass der Euro nach den Berechnungen der OECD bei $1,16 und nach dem Big Mac-Index des Economist bei $1,06 liegen müsste, also von daher ein gewaltiges Abwertungspotential hätte. Niemand nimmt das sonderlich ernst, aber alle haben zumindest im Hinterkopf, dass der Euro nach seiner langen Aufwertungsphase, während der er sich fast im Preis verdoppelt hatte, nun auch einmal leicht eine Weile abwerten könnte, ohne dass man sich wundern müsste.
Diese Argumente sind ziemlich zwingend. Der Euro könnte also vorerst schwach bleiben und demnächst auf vielleicht $1,40 fallen. Aber glaube ich auch daran, dass wir gerade eine Trendwende erlebt haben? Das fällt mir schwer. Hier die Gegenargumente:
– Die langen Dollarzinsen sind um 33 Basispunkte niedriger als die deutschen (3,93 Prozent gegen 4,26 Prozent), trotz der viel höheren US-Inflation und des viel größeren amerikanischen Haushaltsdefizits. Das bedeutet vermutlich, dass die Marktteilnehmer bezüglich der amerikanischen Konjunktur pessimistischer sind. Dazu passen keine steigenden Notenbankzinsen.
– Die Futures-Kontrakte auf die Federal Funds Rate spiegeln die Erwartung, dass die Fed zumindest in diesem Jahr nicht die Zinsen erhöhen wird.
– Der Vermögenseffekt fallender Hauspreise und Aktienkurse hat sich noch nicht nachhaltig auf die amerikanische Konsumnachfrage ausgewirkt – das wird aber noch kommen. Die Anzahl der Kreditausfälle steigt gerade steil an. Die Haushalte bekommen kaum noch Kredit.
– Amerikanische Aktien sind nach wie vor deutlich teurer als europäische; auf der Basis der Gewinne der vergangenen vier Quartale beträgt das KGV beim S&P500 nicht weniger als 25,1, während es beim DAX und dem CAC40 nur 12,6 und 11,4 sind. Auch wenn man die Gewinnschätzungen für 2008 nimmt, bleibt es bei einem großen Abstand. Mit anderen Worten, wie soll es da zu einem Zufluss ausländischen Kapitals in die US-Aktienmärkte kommen, der das nach wie vor große Nettoangebot aus dem defizitären Handel ausgleichen könnte?
– Ich vermute auch, dass es außerhalb der USA einen Überhang an Dollars gibt, den die Anleger wegen des zu hohen „concentration risks“ gern abbauen würden. Eine Erholung des Dollars dürfte daher ab einem bestimmten Punkt Verkäufe auslösen. Insbesondere die Notenbanken in den Schwellenländern sind mit ihren Dollarbeständen nicht gut gefahren. Eine Diversifizierung in den Euro liegt daher nahe.
Das alles sieht mal wieder nach dem „einerseits andererseits“ aus, das ich eigentlich vermeiden möchte. Wie wäre es mit dieser Schlussfolgerung: bis Ende August fällt der Euro auf $1,40, in einem Jahr aber ist er wegen der im Vergleich zu den USA stärkeren europäischen Fundamentals wieder bei $1,60?