Lesezeichen
 

Der Bernd-Lucke-Plan: Rezept für ein Desaster

Wie ich höre macht in Berlin ein Insolvenzszenario von Bernd Lucke und Harald Hau die Runde, das kürzlich in der FAZ vorgestellt wurde. Die beiden Ökonomen schlagen vor, statt immer neue Rettungsschirme aufzuspannen die Banken zu rekapitalisieren, damit sie Staatsinsolvenzen verkraften.

Eine zwangsweise Rekapitalisierung gefährdeter Banken könnte die Rettungsfonds für hochverschuldete Euroländer ersetzen. Die deutschen Steuerzahler käme dies wesentlich günstiger. Die Bundesregierung sollte diesen Schritt tun.

Die Bundesregierung – das wird die Leser dieses Blogs nicht überraschen – sollte diesen Schritt nach meiner Ansicht nicht tun. Er würde im Desaster enden. Der Plan wird nicht aufgehen, weil er auf falschen Annahmen beruht. Noch einmal Lucke und Hau:

Wir unterstellen im Folgenden, dass private Gläubiger 50 Prozent ihrer Forderungen auf griechische und portugiesische Staatsschulden abschreiben müssen, während Irland, Italien und Spanien trotz der Insolvenz noch 75 Prozent des Schuldendienstes leisten.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wir schulden nicht nur Griechenland um, sondern auch noch Irland, Spanien und Italien. Und das geht einfach so. Die Investoren werden brav ihren Haircut akzeptieren, die frisch kapitalisierten Banken schreiben die Verluste ab und danach kehrt Europa wieder fröhlich an den Kapitalmarkt zurück.

Das funktioniert vielleicht im Elfenbeinturm der Universität, aber nicht an den Kapitalmärkten. Wer Griechenland umschuldet, spielt schon mit dem Feuer. Wer den Zahlungsausfall von Spanien und Italien – ein Land mit ausstehenden Anleihen im Wert von rund 1600 Milliarden Euro – will, der legt einen Flächenbrand, der Europa verwüsten wird.

Denn die Folgeeffekte – Ausfall von Credit Default Swaps, Bilanzlücken bei den Versicherungen, eine globale Vertrauenskrise – werden nicht zu kontrollieren sein. Die Investoren werden sich komplett zurückziehen. Wer, liebe Professoren, übernimmt dann die Refinanzierung? Und wenn die Italiener schon einmal beim Default sind, warum sollen sie nicht gleich 60 oder 70 Prozent wegstreichen.

Wertlose Forderungen müssen abgeschrieben werden und irgendjemand muss die Verluste tragen, wird man nun einwenden (Catherine Hoffmann tut das heute in der Süddeutschen). Wertlos ist eine Forderung aber nur, wenn das betreffende Land wirklich insolvent ist. Und Italien ist zwar eine Bananenrepublik aber nicht insolvent. Und ich würde argumentieren, dass das mindestens auch für Spanien, Irland und Portugal gilt. Diese Staaten haben Liquiditätsprobleme.

Was Lucke und Hau nicht begreifen: Wer solvente Länder umschuldet, der schafft ein Problem, das nicht existieren würde, wenn es gelänge, die Märkte endlich wieder von der Solvenz zu überzeugen, so dass sie diese Staaten weiter finanzieren. Mit anderen Worten: Je größer der Schuldenschnitt, desto größer das Loch, dass wir mit unseren Steuergeldern füllen müssen. Der Rettungsschirm dagegen kostet nichts, wird verdienen sogar daran, weil die Kredite mit Zinsen zurückgezahlt werden. Wer das nicht glaubt, der frage beim IWF nach, der seit einigen Jahrzehnten ganz gut von der Liquiditätshilfe lebt.

Ja aber die Griechen, wird es jetzt heißen, die sind doch insolvent. Mag sein, und in diesem Fall ist tatsächlich die Frage, wer die Verluste nimmt. Mein Position ist, dass sie der Steuerzahler nehmen soll, weil ich glaube, dass eine Pleite sehr teuer werden wird. Darüber kann man streiten. Aber Italien in den Bankrott zu schicken – das ist der Auftakt für den Untergang Europas.

 

Der Irrweg der Bankenretter

Die Kollegen von FT Alphaville bringen es auf den Punkt.

 Put bluntly there’s no amount of capital that will protect the region’s banks against a multi sovereign default.

Deshalb ist der Strategieschwenk im Kampf gegen die Euro-Krise ein Fehler. Sichern wir die Staaten, dann löst sich das Bankenproblem in Luft auf.

 

Ist Griechenland gar nicht pleite?

In der EU scheint es inzwischen Konsens zu sein, dass die Griechen pleite sind und deshalb einen massiven Schuldenschnitt benötigen. Nun ist das mit Staatsinsolvenzen so eine Sache. Es lässt sich schwer feststellen, wann ein Land objektiv nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden zurückzuzahlen. William Cline vom renommierten Peterson Institute for International Economics in Washington hat sich die Zahlen noch einmal angeschaut und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Griechenland ist überhaupt nicht bankrott.

The results here suggest instead that Greece can manage its sovereign debt under the new package so long as it meets the fi scal adjustment targets. So far the evidence is that Greek political leaders are willing to take the extensive and unpopular measures necessary to do so.

Ein zentraler Punkt in der Analyse von Cline ist die Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoverschuldung. In Europa ist das Konzept der Bruttoverschuldung üblich. Sie misst schlicht die Verbindlichkeiten des Staatssektors. Wenn ein Staat beispielsweise eine Bank mit Verbindlichkeiten von 100 Milliarden Euro übernimmt, steigt die Bruttoverschuldung um 100 Milliarden Euro.

Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass der Staat ja auch Vermögenswerte übernimmt, die wieder zu Geld gemacht werden können. Die Nettoverschuldung rechnet solche Effekte gegeneinander auf. In der Regel spielt das keine große Rolle, es gibt aber Ausnahmefälle. Japan beispielsweise hat nach Daten des Internationalen Währungsfonds eine Bruttoverschuldung von 220 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist die Zahl, die in den Medien immer wieder genannt wird. Die Nettoverschuldung des Landes aber liegt bei nur 117 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – unter anderem dürfte das daran liegen, dass der japanische Staat Eigentümer der Post ist, die in dem Land ein wichtiger Anbieter von Finanzdienstleistungen ist. Wie auch immer: 117 Prozent ist schon weit weniger dramatisch als 220 Prozent und das könnte ein Grund dafür sein, dass die Japaner mit ihren Schulden gut leben können.

Cline zufolge ist auch Griechenland so ein Ausnahmefall. Ein Großteil des vom IWF im Juli vorhergesagten Anstiegs der Verschuldung auf 172 Prozent des BIP sei darauf zurückzuführen, dass die griechische Regierung mehr Geld in ihre Banken und den Aufbau eines Vorrats an Sicherheiten für den geplanten Anleihetausch im Rahmen der auf dem letzten EU-Gipfel vereinbarten Privatsektorbeteiligung stecken müsse. Würde man diese Verbindlichkeiten mit dem dadurch erworbenen Vermögen gegenrechnen, läge die Schuldenquote um 33 Prozent niedriger.

Cline simuliert nun die Entwicklung der griechischen Nettoverschuldung unter der Annahme, dass die im Juli vereinbarten Vorgaben eingehalten werden.

In the central baseline through 2020 after the July 2011 package, gross debt peaks at 175 percent of GDP in 2012, then falls to 113 percent by 2020; net debt falls from 121 percent of GDP in 2011 to 69 percent by 2020.

Die Nettoverschuldung Griechenlands liegt also im Jahr 2020 bei 69 Prozent der Wirtschaftsleistung – Griechenland stünde besser da als der Durchschnitt der sieben führenden Industrienationen heute, die im Mittel eine Nettoverschuldung von 73 Prozent des BIP haben. Die Zinslast fällt von 7,2 Prozent des BIP in diesem Jahr auf 5,2 Prozent in 2020.

Voraussetzung ist, dass die Griechen einen strengen Konsolidierungskurs fahren. Doch wenn das Land die Privatisierungen vorantreibt, wäre nach Schätzungen von Cline ein Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen von 4,4 Prozent des BIP im Jahr ausreichend. Das ist hart, aber machbar.

Nun ist es wie immer in der Ökonomie: Man kann auch zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Aber Clines Zahlen sind durchaus interessant – und sie sollten all jenen eine Lehre sein, die mit der Insolvenz schnell bei der Hand sind.

 

Unser Rösler

Eines muss man Philipp Rösler lassen: Es mit der Schlagzeile „Rösler legt Regeln für die Staateninsolvenz vor“ auf die Titelseite und die Aufschlagseite des Wirtschaftsteils der FAZ zu schaffen, obwohl doch nach monatelangen Verhandlungen bereits Regeln für Staateninsolvenzen aufgestellt und in einen völkerrechtlichen Vertragsentwurf wurden, nämlich den für jedermann öffentlich zugänglichen Entwurf für eine Vertrag zur Einrichtung  des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der derzeit Gegenstand intensivster Abstimmungsprozesse innerhalb der EU ist – unter diesen Umständen also den Eindruck zu erwecken, man habe da das ganz große Ding entdeckt:  Respekt!

 

Demokratielehrstunden

Da gab es am Freitag ein bisschen Theater auf einer Konferenz der EU in Warschau mit ihren östlichen Nachbarn. Die EU-Politiker wollten den Herrschaften in Baku, Kiew, Minsk, Eriwan usw. beibringen, wie man Demokratie richtig macht. In dieser Beziehung gelten die Kerle östlich des Bug und der Karpaten als etwas unterentwickelt. Wenn sie nicht spuren, kriegen sie CIA-gesponserte Blumenrevolutionen an den Hals. Das hat schon den um die Demokratie in der Sowjetunion so verdienstvollen Eduard Schewardnadse in Tiflis das Präsidentenamt gekostet.

Mit dem Herrn über das weißrussische Flachland, das einst von deutschen Truppen auf dem Hin- und dem Rückweg zwei Mal dem Erdboden gleich gemacht worden war, einem gewissen Alexander Lukaschenko, wollten die Regierungen ähnlich umgehen. Er ist nicht wie Wladimir Putin Vorsteher eines so großen und mächtigen Landes wie das nichtweiße eigentliche Russland. Aber er ließ sich auch nicht wegmobben – jedenfalls bisher nicht. Zur EU-Demokatielehrstunde wurde der Bösewicht schon gar nicht eingeladen. Stattdessen trafen sich die EU-Demokraten mit der Opposition und erinnerten damit Lukaschenko daran, wie man im Notfall auch mit nicht genehmen Potentaten etwa in Libyen umgehen kann.

Dieser Lukaschenko erfrechte sich, nun nicht einmal seine Diplomaten zur Warschauer Konferenz zu schicken. Ein Eklat.

Dabei hätte alles pädagogisch und demokratietheoretisch wertvoll laufen können. Die Herren und Damen hätten nur ein wenig Deutschlandfunk oder BBC oder Corriere della Sera oder FAZ gemeinsam hören und lesen sollen. Da hätten sie hören und lesen können, wie gelebte Demokratie in der EU funktioniert. Weiter„Demokratielehrstunden“

 

Warum Bankenrekapitalisierung nicht immer der beste Weg ist

Kantoos hat sich in die Debatte um die von Christine Lagarde angestoßene Bankenrekapitalisierung eingeschaltet und meine These kritisiert, es sei sinnvoller, die Staaten zu retten als die Banken. Eine Rekapitalisierung mit öffentlichen Mitteln, so argumentiert er, sei keine Rettung, weil die Bankaktionäre verwässert würden und somit das Risikokapital zur Verlustabdeckung herangezogen wird, wie es auch sein sollte.

Eine erzwungene Rekapitalisierung (oder in manchen Fällen schlicht Abwicklung) von Banken ist der erste sinnvolle Vorschlag seit langer Zeit (den ich schon im Frühjahr 2010 angewendet hätte), und ich hoffe sehr, dass die deutsche Regierung sich dies auf die Fahnen schreibt.

Ganz ähnlich sieht das Holger Steltzner heute in der FAZ:

Einige Länder brauchen für einen Neuanfang einen harten Schuldenschnitt. Das setzt voraus, dass nicht nur südeuropäische Banken, sondern auch Finanzinstitute aus Frankreich oder Deutschland genügend Kapital haben, um die Verluste tragen zu können. Mit einer Rekapitalisierung der europäischen Finanzinstitute kann die Ansteckungsgefahr gebannt und die Erpressbarkeit von Regierungen und der Zentralbank reduziert werden. Nur darüber kann die Staatsschuldenkrise gelöst werden. Dieser Weg ist für den Steuerzahler viel günstiger als der Rettungsfonds.

Ich bestreite nicht, dass eine Rekapitalisierung der Banken  – die dann ja einen Schuldenschnitt in Portugal, Irland, Griechenland und massive mark-to-market Verluste in Italien und Spanien aushalten können müssen  – eine mögliche Lösung der Krise ist. Ich frage mich aber: Ist es die günstigere, in einer Situation, in der die Kosten jeder Form der Rettung steigen, je mehr Investoren wir vertreiben? Ist sie kontrollierbar angesichts der Folgen, die eine Massenpleite in Europa für die Weltkonjunktur und den Ruf der Gemeinschaft am Kapitalmarkt haben wird ? Und ist die Währungsunion mit eingebautem Pleiterisiko, die sie hervorbringen würde, wünschenswert?

Ich würde keine der Fragen mit einem klaren Ja beantworten und deshalb bin ich nicht überzeugt. Kantoos hat Recht:  In dem Maße, in dem es sich um eine Solvenzkrise handelt, muss irgend jemand den Schaden bezahlen. Aber ich halte es für günstiger, diesen Schaden die Staaten tragen zu lassen (die sich das Geld dann ja über Steuern bei den Profiteuren abholen können) als den Anleihemarkt in Brand zu setzen. Und ich glaube, dass wir es abgesehen vielleicht von Griechenland nicht zwingend mit einem Solvenzproblem zu tun haben – und ein Liquiditätsproblem lässt sich durch Brückenfinanzierung lösen ohne das Kosten anfallen.

 

 

Schützt die Staatsanleihe

Ich war am Donnerstag bei einem Briefing von Joachim Fels, Chefvolkswirt bei Morgan Stanley. Ich bin mit Fels nicht immer einer Meinung, er ist aber einer der wenigen Bankökonomen, die ich respektiere und schätze, weil er sich eine eigene und meistens gut fundierte Meinung erlaubt. In diesem Briefing entspann sich eine interessante Debatte: Was ist eigentlich eine Staatsanleihe? Weiter„Schützt die Staatsanleihe“

 

Rettet die Staaten und nicht die Banken

Der Bundestag hat dem EFSF zugestimmt. Jetzt ist die Frage, was wir mit dem Geld anstellen. Seit einigen Wochen ist das Argument zu hören, man möge doch statt der Staaten die Banken retten. Was damit gemeint ist: Wir rekapitalisieren die Banken, damit sie einen Zahlungsausfall verkraften können. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die Wertberichtigungen in den Büchern der europäischen Banken durch die Staatsschuldenkrise (wohlgemerkt nicht den Rekapitalisierungsbedarf) auf 200 Milliarden Euro.

Die Ursache ist schnell benannt, denn wie der IWF schreibt:

Nearly half of the €6,500bn stock of government debt issued by euro area governments is showing signs of heightened credit risk. 

Es ist klar, dass die Banken auf Basis dieser Markterwartungen ziemlich viel Geld bräuchten, damit  ihnen wieder vertraut wird – und dass Christine Lagarde deshalb massive Rekapitalisierungsprogramme fordert. Damit aber zäumen wir das Pferd von hinten auf. Denn es droht eine Situation, in der zwar die Staaten pleite, aber die Banken wohl kapitalisiert sind. Sieht so kluge Politik aus?

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ziel der Politik muss es sein, die Staatsanleihen zu stabilisieren, damit Staatsschulden in der industrialisierten Welt wieder als eine sichere Anlage gelten. Sei es durch Inflation, durch Rettungsschirme, durch institutionelle Reformen oder durch Sparmaßnahmen – und wahrscheinlich wird es eine Kombination aller vier Maßnahmen sein.

Wenn das gelingt, muss auch kein frisches Geld in die Banken gesteckt werden. Und weil man jeden Euro nur einmal ausgeben kann, sollte sich die Politik jetzt voll auf die Lösung der Staatsschuldenkrise konzentrieren. Der Rest ergibt sich dann von selbst.

 

 

Stecken Sinn und Schlesinger unter einer Decke?

Vielleicht haben sich einige schon gewundert, warum Hans-Werner Sinn immer wieder Schützenhilfe von Helmut Schlesinger erhält. Schlesinger war schließlich Präsident der Bundesbank und die Bundesbank – genau wie die Europäische Zentralbank – hat bekanntlich erhebliche Bedenken an der Methodik von Sinns Target-2-Analysen angemeldet.

Nun ist mir zu Ohren gekommen, dass Schlesinger der geistige Vater der Target-Debatte ist. Angeblich hat Schlesinger bei einem Treffen des wissenschaftlichen Beirats beim Wirtschaftsministerium – in dem beide Mitglied sind – auf den Anstieg der deutschen Target-Forderungen aufmerksam gemacht und Sinn hat sich dann des Thema angenommen – mit den bekannten Ergebnissen.

Das ist nicht verwerflich, um das gleich zu sagen. Aber es würde die ungewöhnliche Allianz erklären.