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Iran: Der Weg zum islamischen Faschismus

Gary Sick, der amerikanische Präsidentenberater für iranische Angelegenheiten unter Ford, Carter und Reagan, sieht es so: Im Iran hat die Machtergreifung der Revolutionsgarden stattgefunden. Alles hier lesen:

Needless to say, it also provides tangible benefits to very specific groups: the leader himself, who is thus promoted to a position not simply as first among equals but as the equivalent of an absolute monarch; the top leadership of the Revolutionary Guards, whose profitable dominance of all aspects of the government’s operations is guaranteed; and the conservative, politically minded clergy, who want a true theocracy with no meddling by those who are not properly anointed. The objective, quite simply, was to remove the “republic” from the Islamic republic.

This is a formula for the kind of militarized and nationalist corporate state under a single controlling ideology that is not dissimilar to fascist rule in an earlier day. Like fascism, it defines itself not only in terms of its own objectives but even moreso by what it opposes: liberalism, individualism, unfettered capitalism, etc. There is no need to push the definition too far, since fascism tended to be specific to a particular time and set of historical circumstances. But the resemblance in nature and practice seems to justify use of the term.

Regardless of what one calls it, this perspective helps to illuminate some puzzling aspects of the current circumstances. Why did the regime resort to such a frantic manipulation of the vote when it was entirely possible that Ahmadinejad would have made a respectable showing—or possibly even have narrowly won—a fair election, and when the opposition in any event was devoted to the concept of the Islamic republic as it existed? The answer may be that the corporate entity saw this election as one of the final steps in cementing its absolute control. Accepting the Islamic republic as it is and not as they wanted it to be was simply unacceptable. The emergence of a relatively mild reformer—or even a substantial reformist vote—would undercut the kind of absolute authority that they were getting ready to assert. It would, in a word, complicate the coup that they were in the process of carrying out.

Why have they taken such drastic and brutal action against their own people and why have they been so determined to blame everything on outsiders? Because any hint of compromise or doubt would have suggested that their level of support among the Iranian people was far short of their own self-defined (and largely self-delusional) pretenses of absolute popular support for absolute theocratic corporate rule.

 

Zur Kritik der arabischen Vernunft

Herzliche Einladung zu einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, am Mittwochabend dieser Woche:

Der bedeutendste arabische Vernunft- und Gesellschaftstheoretiker, Mohammed Abed al-Jabri (geb. 1935) ist in Deutschland nahezu unbekannt. Warum wurde das Werk al-Jabris bisher in Deutschland ignoriert? Eine Übersetzung auch nur eines seiner über 30 Werke und Aufsätze ins Deutsche, gab es bis vor kurzem nicht. 1995 machte die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy den Verleger Reginald Grünenberg mit dem Werk von Mohammed Abed al-Jabri bekannt. Seitdem verfolgt Grünenberg das Projekt al-Jabris Hauptwerk auf Deutsch zu verlegen.
Aber erst Anfang 2009 konnte eine Einführung auf Deutsch herausgegeben werden. Dieses Buch ist Grundlage für die Veranstaltung des Zentrums Moderner Orient, Haus der Kulturen der Welt und des Perlen Verlags.

Mohammed Abed Al-Jabri Foto: Verlag
Seit über vierzig Jahren arbeitet der marokkanische Philosoph Mohammed Abed Al-Jabri an einer umfassenden und kritischen Reflexion des Niedergangs der arabischen Kultur. Sein Hauptwerk Naqd al-‚aql al-‚arabî, zu Deutsch: Kritik der arabischen Vernunft, erschien von 1984 bis 2001 in vier Bänden und löste von Marokko über Ägypten bis in die Golfstaaten kontroverse Diskussionen aus. Al-Jabri ist im besten Sinne ein ‚public intellectual’. Er will die rationale intellektuelle Tradition im islamischen Denken, die er insbesondere im arabischen Westen tradiert sieht, stärken. Hierzu greift er auf die Werke des andalusischen Aristoteleskommentators Averroes/Ibn Rushd zurück.
Mohammed Abed Al-Jabri absolvierte nach der Koranschule eine Schneiderlehre, wurde   anschließend Volksschullehrer sowie Übersetzer und begann 1958 ein Philosophiestudium in Damaskus. 1970 promovierte er mit einer Dissertation über Ibn Khaldun. Sein Wirken ist  besonders einflussreich, da Al-Jabri Inspektor und Bildungsplaner für die Ausbildung von Philosophielehrern in Marokko war. 1973 gab er das Buch „Einblick in die Probleme der  Schulausbildung“ mit einer Sammlung seiner Artikel heraus. Bis 1981 war er politisch in der oppositionellen ‚Union Nationale des Forces Populaires’ engagiert. Heute ist Al-Jabri Professor emeritus für Philosophie und islamisches Denken an der Universität Mohammed V. in Rabat, wo er bis 2002 unterrichtete. Im Dezember 2008 erhielt al-Jabri den Preis für freies Denken der Ibn Rushd Stiftung in Karlsruhe. Viele andere Preise hat er abgelehnt, etwa 1989 den Saddam-Hussein-Preis oder 2002 den Gaddafi-Preis für Menschenrechte.

Einführung: Stefan Weidner (Journalist, Autor), Moderation: Jörg Lau (DIE ZEIT). Mit Sonja Hegasy (Zentrum Moderner Orient, Berlin), Gudrun Krämer (Islamwissenschaftlerin, FU Berlin), Vincent von Wroblewsky (Philosoph und Übersetzer)

 

Der Geburtsfehler der Islamkonferenz?

Christopher Caldwell schreibt in seiner Kolumne in der Financial Times über die Deutsche Islam Konferenz, ihr Grundansatz sei geeignet, die Diversität der Muslime in Deutschland – die gerade in der hier bereits erwähnten Studie des BAMF festgestellt wurde – zu missrepräsentieren: eben gerade weil sie mit dem Ziel antrete, eine einheitliche Vertretung der Muslime zu generieren, die dann als Ansprechpartner des Staates dienen könne:

Muslims, whether they are one community or several, have certain shared values they can be expected to pursue – and are entitled to pursue – in the public sphere. A lot of important political questions today, from gay marriage to sexual education, revolve around how deeply religious principles ought to inform public law. How diverse, politically speaking, will German Muslims be?

While Mr Schäuble’s Islam Conference can be applauded as a gesture of welcome, its focus on the diversity of Muslim communities is beset with contradictions. If Islam in Germany is as diverse as the BAMF report says, then why is a big national initiative the right way to deal with it? And what is the desired outcome?

A conclave such as the Islam conference tends to elevate the invitees to semi-official status as community representatives. This gives them a strong incentive to forge a “Muslim community” where none existed. The lesson of decades of such conferences from the US civil rights movement is that they make the groups they deal with less diverse.

Ich habe hier schon gelegentlich ähnlich argumentiert, dass es irreführend sei, die Einwanderer aus überwiegend islamischen Ländern in Europa schlichtweg als „Muslime“ zu verbuchen. Dies bleibt auch ein Problem der neuen Studie: So haben wir nun auf einmal rechnerisch eine Million mehr „Muslime“ als gedacht – weil noch weitere Einwanderungsländer berücksichtigt wurden. Wie ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe: Wir produzieren so Tag für Tag mehr „Muslime“.

Was nun die DIK angeht, kann man Caldwell insoweit Recht geben, als der ursprüngliche Ansatz ein deutsch-korporatistischer war: Wir schaffen eine islamische Kirche (ohne das freilich je so zu nennen).
Glücklicherweise hat man aber von Anfang an nichtorganisierte und nicht fromme Muslime (tja, das gibt es) hinzugenommen, um die Vielfalt darzustellen und die Debatten u n t e r Muslimen hineinzuholen.
Und unterdessen ist man von dem Ziel einheitlicher Repräsentanz gründlich abgekommen: In der Regierung strebt das niemand mehr an, der KRM (Koordinationsrat der Muslime) kann die Funktion nicht erfüllen, und unter den beteiligten Muslimen gibt es – siehe die Abschlusserklärung – viel zu viel Streit. Insofern trifft die Kritik Caldwells nicht zu.
Es war ein wichtiger Prozess, den man durchlaufen musste. Es wird keine Einheitsrepräsentanz des Islam in Deutschland geben. Mit bestimmten Gruppen – das weiss man jetzt – kommt man nicht weiter. Ditib muss sich reformieren und öffnen, wenn sie eine Rolle spielen will. Die säkularen oder Kulturmuslime (Necla Kelek, Ezhar Cezairli et al.) sind ein anerkannter Faktor der Debatte, ebenso liberale Gläubige wie etwas Seyran Ates – und das ist eine große Leistung, denn: Wo auf der Welt ist das so?

 

Der Protest im Iran geht weiter

Eine Szene von gestern bei der Ghoba Moschee in Teheran, wo eine Trauerfeier für die Opfer der Unruhen abgehalten wurde (zu der Mussawi aufgerufen hatte, aber nicht selber erschien). Die Menge ruft „Oh Hussein. Mir Hussein.“ Ersteres bezieht sich auf den schiitischen Märtyrer Hussein, den Enkel des Propheten. Zweites auf den unterlegenen Kandidaten Mir Hussein Mussawi.

 

Teheran: Brutalität geht weiter

Immer noch werden Demonstranten von bewaffneten und behelmten Milizen malträtiert. Aufnahmen angeblich von gestern (Datum nicht prüfbar):

 

Der politische Islam blüht und gedeiht

Mitblogger C. Sydow (selber Mitbetreiber eines lesenswerten Nahost-Blogs) widerspricht der Analyse von Mshari Al-Zaydi:

Ich denke nicht, dass sich der politische Islam im Niedergang befindet.

Die angeführten Hinweise sind für mich nicht schlagkräftig.

Die Hizbollah hat bei den Wahlen im Juni alle Parlamenssitze, für die sie kandidiert hat, gewonnen. In den mehrheitlich von Schiiten bewohnten Wahlkreisen im Südlibanon erhielt sie etwa 90% der abgegebenen Stimmen.

Dito Palästina: Die Hamas hat die letzten Wahlen 2006 deutlich gewonnen.

In Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Land, sind die Muslimbrüder die stärkste Oppositionsgruppe. Bei freien Wahlen würden sie vermutlich die größte Parlamentsfraktion stellen.

Wichtiger aber ist noch: Man kann den Erfolg islamistischer Bewegungen nicht allein an Wahlergebnissen messen. Ihr oberstes Ziel ist eine (Re-)Islamisierung der Gesellschaft. Diese erreicht sie zuerst über Predigten und die Indoktrinierung der Bevölkerung. Wahlen sind für das Ziel der Islamisierung nur einer von mehreren Wegen. Schaut man sich die gesellschaftliche Entwicklung in vielen arabischen Ländern oder auch in Pakistan an, scheint mir der Islamismus unverändert unverändert auf dem Vormarsch zu sein.

 

Der politische Islam im Niedergang?

Mit Prognosen über den Niedergang politischer (oder ökonomischer) Formationen soll man vorsichtig sein: Wie lange ist nicht schon angeblich der Kapitalismus moribund? Und hinkt und humpelt doch von einem Sieg zum nächsten.
Auch der politische Islam ist schon gelegentlich für sterbenskrank erklärt worden, wie etwa von Gilles Kepel, dem französischen Extremismusexperten. Das war im Jahr 2000, und was dann kam, ist bekannt.
Doch nun sieht der Meinungsredakteur Mshari Al-Zaydi von der saudischen Zeitung Asharq Alawsat einige Indizien für eine Krise des politischen Islamismus in den arabischen Ländern: Die Wahlen im Libanon (mit der Schlappe für Hisbollah), die Wahlen in Kuwait (wo Muslimbrüder und Salafis Rückschläge erlitten und erstmals 4 Frauen ins Parlament gewählt wurden), die Wahlen im Irak (wo die Fundamentalisten bei den Provinzwahlen ebenfalls Verluste erlitten) – und schließlich die Ereignisse im Iran. Zwar seien alle Kandidaten, die gegen Ahmadinedschad antraten seien, „legitime Kinder des Ajatollah Chomeini“. Doch die Menschen, die sich mit Mussawi identifizierten, hätten offenbar weiter gehende Ziele:
Let us go back to what’s happening in Iran; we all know that Hossein Mousavi, Mehdi Karroubi and Mohsen Rezaee are legitimate products of the Khomeini womb. They have never spoken out against the constitution of the Islamic Republic, which was blessed by the author of the ‘Islamic Government: Governance of the Jurist,’ Ayatollah Ali Khomeini.

Mshari Al-Zaydi Foto: Asharq Alawsat

So how can anyone say that Mousavi represents a revolution against the Islamic Revolution? What are the features of this counter-revolution on the conceptual level? Does Mousavi use a language that is based on an ideology that differs to Ahmadinejad and Khamenei, not to mention of course Mehdi Karroubi or former AGIR Chief Commander Mohsen Rezaee? In fact, Mousavi repeatedly states that he is a staunch supporter of Khomeini legitimacy. Perhaps this is the way to understand the latest developments in Iran through the characters of the protest leaders, most prominently Mousavi, or perhaps not. The Iranian masses, the men, the women and the youth, are driven by much stronger motives than those of Mousavi and his associates. Mousavi is merely a symbol around which the masses can unite.
Am Ende will sich Al-Zaydi nicht zu einer klaren Prognose durchringen – aber man spürt die Hoffnung, dass der Aufschwung der Radikalen gebremst sein könnte.

 

„Mein Deutschland“ versteht ihr nicht

Mitblogger Mattes gibt zu Bedenken:

“Mein Deutschland” ist kein geographischer sondern ein sozialer Ort.

Er ist dort wo die Erfahrungen der Menschen nicht von Politik, Erziehung, Unterhaltung, Kommunikation oder Kunst dominiert sind. Die Menschen beschäftigen sich hier damit, wie man Maschinen und Softwaresysteme entwirft und baut, wie man eine Produktions- oder Logistikkette organisiert oder wie man Geschäfte führt.

Diese Menschen sehen auf das was Sie schreiben und was die Politik tut aus dem Blickwinkel Ihrer Erfahrung, und die (Perspektive) unterscheidet sich in deutlich von Ihrem Softskilluniversum.

Wenn in der Technik ein Fehler passiert, ist hinterher meistens klar, wer verantwortlich ist und was er falsch gemacht hat. Das bedingt eine gewisse Abneigung gegen unkontrollierte Experimente. Ein Bauingenieur wird keine Elemente ohne baurechtliche Zulassung verbauen, ein Chemiker keine ungeprüften Rohstoffe in eine hunderte Millionen teure Produktionsanlage einspeisen.

Eine meiner Aufgaben ist es, Experten zusammen zu bringen um technische Probleme zu lösen. Glauben Sie ernsthaft, ich könnte mich in dieser Rolle verhalten wie unsere Politiker? Welche Reaktion würden Sie von mir erwarten wenn jemand zu mir kommt und sagt: “Ich möchte gerne Mitglied dieses Teams werden, denn die Leute in dieser Truppe haben die beste Arbeit. Ich kann zwar nichts, was ihr brauchen könnt und eigentlich will ich auch gar nicht Teil des Teams werden, aber nehmt mich, gebt mir alle Rechte und dann sehen wir schon wie es weitergeht”. Alleine die Vorstellung ist absurd!

Das Problem dabei ist, dass die Menschen, denen es geht wir mir, sich Ihnen, der Presse, den Meinungsmachern und Multiplikatoren, nicht verständlich machen können, denn sie beherrschen den Jargon nicht und haben in Ihren Kreisen keine “credibility”.

Ich unterstelle Schäuble, dass er die besten Absichten hat, aber er hat keine Vergleichswerte, er experimentiert und die Menschen sehen das.

Sie sehen, dass ihr Arbeitgeber Deutschkurse organisiert und sogar die Kosten tragen wil,l und die Kurse werden mangels Teilnahme abgesagt.
Sie hören, dass im Semester des Ältesten unter fast 200 Studenten (naturwissenschafliches Fach) kein einziger Türke ist, und fragen sich, wo die Bereicherung herkommen soll.
Sie stellen mit frustrierter Überraschung fest, dass der Wert von Omas Häuschen in der Altstadt rapide verfällt. weil es inzwischen in einem halben Ghetto liegt.
Inzwischen kennt selbst in den Kleinstädten jeder Fälle von angedrohter oder ausgeübter Gewalt im unmittelbaren Umfeld.

Dadurch dass man irgendwelche Thesen oder Hoffnungen gebetsmühlenartig wiederholt, kann man diese Menschen gegen die wahrgenommenen Fakten nicht überzeugen.

Übrigens erhöht man auch nicht seine Glaubwürdigkeit, indem man sich von irgendwelchen Scheichs düpieren lässt, am wenigsten bei den Scheichs selbst.