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Puh, doch kein Weltkrieg!

Ich habe für die morgige Ausgabe mit einigen Kollegen in Brüssel, Iran, Moskau, Tel Aviv und Washington eine Titelgeschichte geschrieben. Daher die Zurückhaltung hier. Verzeihung.
Der Artikel handelt von dem ungeheuerlichen Vorgang eines amerikanischen Geheimdienstberichts, der den US-Präsidenten de facto  als Lügner und Kriegshetzer dastehen läßt, während er seinen weltpolitischen Konkurrenten – Achmadinedschad und Putin – Recht gibt in deren Darstellung des „iranischen Problems“. Eine Ungeheuerlichkeit, wie gesagt, die einen Amerika wieder lieben läßt.

– Ein Geheimdienst betreibt Selbstkritik vor der Weltöffentlichkeit.

– Die kriegsmüden Militärs und die ihrer Instrumentalisierung überdrüssigen Spione fallen dem eigenen Präsidenten in den Arm.

– Der gesamten Iran-Politik der Bush-Regierung wird der Teppich unter den Füßen weggezogen.

– Mehr noch: Wer braucht ein Raketenabwehrsystem, wenn es kein Bombenprogramm gibt.

– Der Dritte und der Vierte Weltkrieg werden einfach abgesagt.

– Bush ist am Ende, finito, kaputt.

– Der Erzfeind, angeblich ein apokayptisches Irrenregime, wird zurückgestuft zu einer regionalen Mittelmacht, die auch nur im Rahmen ihrer Rationalität ihre Interessen verfolgt und auf Anreize anspricht.

– Militärs und Geheimdienste setzen auf Diplomatie.

Sagenhaft. Mehr morgen im Print an einem Kiosk Ihres Vertrauens.

 

Rice: Ich verstehe die Palästinenser – wegen meiner Kindheit in Alabama

Erstaunlich, was da alles nach oben kommt über Annapolis:

Condoleezza Rice hat arabischen Teilnehmern  hinter verschlossenen Türen gesagt, sie verstehe das Leiden der Palästinenser, weil es sie an ihre Jugend im segregierten Süden der USA erinnere.

Aber auch die Angst der Israelis vor dem Selbstmordterror weckt bei ihr Erinnerungen.

Bericht hier.


 

Bushs Kehrtwende in Annapolis

Annapolis – Bescheidenheit war bisher keine Tugend der Bush-Regierung. Doch vor der Nahost-Friedenskonferenz in Annapolis waren der Präsident und die Aussenministerin manchmal bemüht, den Anspruch so weit herunterzudefinieren, dass es schon fast ans Absurde grenzte. Von einem „Gipfel“ durfte längst nicht mehr die Rede sein. Annapolis, hieß es, sei nur ein „Meeting“.
Das kontrastierte merkwürdig mit der Tatsache, dass Monate damit verbracht worden waren, jene Delegationen aus 49 Ländern nach Washington einzuladen, die am Montag und Dienstag das politische Leben und den Verkehr in der amerikanischen Hauptstadt lahmlegten.
Hinter der strategischen Bescheidenheit steckte die allzu berechtigte Angst vor einem Scheitern auf offener Bühne. Bis zuletzt war unter Druck von Condoleezza Rice an einer gemeinsamen Erklärung der Israelis und der Palästinenser gearbeitet worden. Zugleich bemühten sich die Spin Doctors des Weissen Hauses, die Erwartungen an eine solche Erklärung so weit wie möglich herunterzuschrauben.
Sie ist dann doch gelungen, zu allgemeinem Erstaunen, denn sie enthält eine Festlegung beider Seiten, auf die schon nicht mehr zu hoffen war. Am Dienstagmittag trat Präsident Bush sichtlich erleichtert und stolz mit Abbas und Olmert vor die Kameras und verkündete die Bereitschaft beider Seiten zu sofortigen Verhandlungen über „alle offenen Fragen“ – also Terrorismus, israelische Siedlungen, Grenzen eines palästinensischen Staates, Status Jerusalems und Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge – und zwar in der Absicht, bis zum Ende 2008 eine Übereinkunft zu erreichen. Die Steuerungskomittees aus beiden Parteien soll schon am 12. Dezember 2007 zum ersten Mal tagen. Olmert und Abbas umarmten sich zwar nicht, aber es gab doch einen herzlichen Händedruck.
Das taktische Erwartungsmanagement der Amerikaner ist aufgegangen. Dass es zu einer gemeinsamen Erklärung gekommen ist, die ein Datum nennt, an dem der Prozeß sich wird messen lassen müssen, ist „zwar noch kein Durchbruch“, wie Aussenminister Steinmeier in Washington sagte, „aber eine gute Grudlage für die schwere vor uns liegende Arbeit“. Es gibt nun zwar keinen klaren Zeitplan, aber doch ein Limit für Verhandlungen, das durch das Ende der Amszeit Bushs gegeben ist. Die Israelis waren vor Annapolis strikt gegen eine solche Festlegung.
In Annapolis ist kein einziges Problem des Friedensprozesses auch nur in Umrissen gelöst worden, wie alle Beteiligten zugestehen. Vielleicht war es aber auch weise, das gar nicht erst zu versuchen. Denn weder Abbas noch Olmert wären stark genug, ihren Völkern jetzt schon die schmerzhaften Zugeständnisse abzuverlangen – Aufgabe des Rückkehrrechts hier, Aufgabe eines Teils Jerusalems und vieler Siedlungen dort – , ohne die ihr Einverständnis am Ende null und nichtig wäre. Eine substantiellere gemeinsame Erklärung als die in Annapolis gefundene Formel – so paradox ist die Lage – könnte beide gefährden, weil sie dann von ihren jeweiligen Extremisten zuhause als Verräter und Ausverkäufer abgestempelt würden.
Die Riesen-Inszenierung von Annapolis drehte sich nicht um die strittigen Endstatusfragen, sondern eigentlich nur um ein Commitment für kommende Verhandlungen. So bot sich das seltsame Schauspiel einer Konferenz mit Rekordbeteiligung – von der arabischen Welt bis nach Senegal, Griechenland und Brasilien – von der alle Beteiligten eifrig versicherten, sie selbst sei gar nicht so wichtig wie der durch sie angestoßene Prozeß.
Annapolis aber war, wie es jetzt scheint, keineswegs nur eine Art Meta-Ereignis, eine Konferenz über die Unmöglichkeit einer Konferenz. So hatten es abgebrühte Beobachter wie jener israelische Delegierte erwartet, der Annapolis sarkastisch zur „Mutter aller Gruppenfotos“ erklärte. Zweifellos sei es auch darum gegangen, die finstere Nahost-Bilanz von Bush und Rice aufzuhellen, war in der deutschen Delegation zu hören. Aber die verbreitete zynische Lesart der Konferenz laufe Gefahr, betonten deutsche Diplomaten, dass ein veritabler Politikwechsel durchs Wahrnehmungsraster falle.
Noch vor wenigen Monaten, sagte der deutsche Aussenminister Steinmeier in Washington, wäre es undenkbar gewesen, dass Olmert und Abbas auch nur diesen ersten Schritt gehen würden. Nun haben sie Verhandlungen eröffnet, flankiert und unterstützt von „Staaten, die nicht einmal diplomatische Beziehungen miteinander unterhalten“ (Steinmeier). Steinmeier machte sich in Washington für den „Post-Annapolis-Prozess“ stark. Am Dienstagnachmittag gelobte er in seiner Rede für die deutsche Seite Unterstützung bei der Gestaltung des „Follow-Up“.
Annapolis, so sieht es Steinmeier, hat sich schon im Vorfeld der Konferenz positiv ausgewirkt. Das zeige die Freilassung palästinensischer Gefangener durch Israel und „eine spürbare aber noch nicht ausreichende Verbesserung in den palässtinensischen Gebieten“. „Noch nie habe ich so viel Willen zum Erfolg gesehen wie hier“, sagte Steinmeier in Washington. Deutschland will helfen, die palästinensischen Sicherheitskräfte besser auszustatten und auszubilden. Die Deutschen prüfen bereits Wirtschaftshilfe-Maßnahmen für die palästinensischen Gebiete, wie etwa die Entwicklung eines Industrieparks im nordpalästinensischen Dschenin.
Neben der überraschenden Einigung in letzter Minute regt vor allem die Teilnahme der Syrer die politische Phantasie an, noch so eine Undenkbarkeit, die in letzter Minute kurzerhand umgestoßen wurde.
Steinmeier verfolgt seit Jahren das Ziel, Damaskus einzubinden und hat sich dafür harsche Kritik eingefangen. Wenn er die Einladung der Syrer nach Annapolis als Sieg der pragmatischen Vernunft über die Freund-Feind-Logik der früheren Bush-Politik lobt, dann ist darin auch ein wenig Eigenlob enthalten. Steinmeier kann sich durch die Wende der Amerikaner zu Recht bestätigt fühlen, hat er doch schon für die Einbeziehung Syriens plädiert, als dies noch tabu war. Aus Washington – und auch aus dem Kanzleramt – hatte es seinerzeit massive Kritik an seiner Reisediplomatie nach Damaskus gegeben. Er sei aber „niemals naiv“ an die Syrer herangegangen, sagt er heute mit sichtlicher Genugtuung. Die deutschen Damaskusbesuche waren keine Umarmungsstrategie, sondern Tests der syrischen Bereitschaft, Teil einer Lösung des Nahostkonflikts statt nur Teil des Problems zu sein, heißt es in der deutschen Delegation. Die Entsendung des syrischen Vizeaußenministers nach Annapolis wird als Zeichen gedeutet, dass Damaskus immerhin darüber nachdenke, „ob sein Glück auf Dauer an der Seite Teherans liegen kann“, sagt ein deutscher Diplomat. Der Aussenminister liest die syrische Gesprächbereitschaft auch als Signal an die Hamas, dass die Putschisten von Gaza sich ihrer syrischen Freunde nicht allzu sicher sein sollen.
Für Steinmeier hat es auch einen innenpolitischen Nebeneffekt, dass die Amerikaner nun die syrische Karte spielen wollen – er sieht in dem Umdenken von Rice und Bush einen Beleg für die Richtigkeit seiner Haltung, dass die Aussenpolitik „mehr dürfen und mehr versuchen“ muss, Gespräche mit „schwierigen Partnern“ inklusive. Ein Schelm, wer darin ein Echo der Debatte zwischen Steinmeier und Merkel um den Umgang mit Chinesen und Russen erkennt.
Es sei bei den arabischen Teilnehmern sehr positiv aufgenommen worden, sagte Steinmeier an der Kaimauer der Naval Academy, daß Olmert nicht nur zum eigenen Volk geredet habe, sondern „sehr verständnisvolle Worte für das Leiden der Palästinenser gefunden“ habe. Es könnte „ein Signal der Hoffnung für die Region ausgehen“, sagt der Aussenminister. Für den geborenenen Pathos-Feind Steinmeier ist das schon hart an der Grenze: Von einem wirklichen Durchbruch, schiebt er denn auch gleich nach, könne man aber erst dann reden, „wenn wir bei den Grundproblemen echte Fortschritten auf beiden Seiten sehen“.
In Wahrheit aber ist Annapolis ein höchst riskanter Versuch, dieses Kalkül hinter sich zu lassen. Die nach Syrien ausgestreckte Hand ist ein Indiz dafür. Ein anderes liegt darin, dass an die Stelle jener unerfüllbaren Vorbedingungen – „totales Ende des Terrors“, „völliger Baustop in den Siedlungen“, die beiden Seiten immer wieder als bequeme Ausrede fürs Nichtstun dienen konnten, jetzt sofortige, voraussetzungslose Verhandlungen über die Kernfragen treten sollen. George W. Bush hat in letzer Minute etwas Erstaunliches getan: Er hat sein politisches Schicksal mit einem neuen Friedensprozess verbunden, der mit der Logik seiner bisherigen Nahostpolitik bricht.

 

Unfreiheit als Entwicklungschance? Willkommen im postdemokratischen Zeitalter!

Blühende Zeiten für Länder mit politischer Unfreiheit und ökonomischer Freiheit: Sie haben die höchsten Wachstumsraten. Sie fahren besser als Länder mit sowohl ökonomischer als auch politischer Freiheit, wie dieses Schaubild zeigt:

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Kevin Hassett vom American Enterprise Institute (einflußreicher republikanischer Think Tank), folgert daraus:

„The chart tells a striking story: the countries that are economically and politically free are underper­forming the countries that are economically but not politically free. For example, unfree China had a growth rate of 9.5 percent from 2001 to 2005. But China was not the whole story—Malaysia’s GDP grew 9.5 percent from 1991 to 1995, Singapore’s GDP grew 6.4 percent from 1996 to 2000, and Russia’s grew 6.1 percent from 2001 to 2005.

The unfree governments now understand that they have to provide a good economy to keep citizens happy, and they understand that free-market econ­omies work best. Also, nearly all of the unfree nations are developing countries. History shows they grow faster, at least for a while, than mature nations. But being unfree may be an economic advantage. Dictatorships are not hamstrung by the preferences of voters for, say, a pervasive welfare state.

So the future may look something like the 20th century in reverse. The unfree nations will grow so quickly that they will overwhelm free nations with their economic might. The unfree will see no reason to transition to democracy.“

Bemerkenswert: Das American Enterprise Institute ist eine Kaderschmiede der Neocons, die Demokratisierung auf die Agenda der amerikanischen Regierung gesetzt hatten. Der Backlash geht weiter.

 

Was dient den Interessen des Westens: Demokratisierung oder Autokratie?

Unser Kolumnist Joschka Fischer sieht in seiner ersten Montagskolumne Parallelen zwischen dem späten Schahregime und der Herrschaft des Generals Musharraf. Der Westen sei dabei, den Fehler zu wiederholen, auf die „demokratische Modernisierungsalternative“ zu setzen statt die Autokratie aus Angst vor regionaler Destabilisierung zu stützen:
„Heute wie damals war die fehlende Legitimation des Regimes dessen größte Schwäche; heute wie damals hat der Westen das Regime unterstützt, anstatt rechtzeitig auf eine demokratische Modernisierungsalternative zu setzen und zu ihrem Aufbau über die Jahre hinweg beizutragen; heute wie damals hatte er überhaupt kein Verständnis für die historische Kraft eines revolutionären Nationalismus in diesen Ländern, der sich zudem religiös aufgeladen hat; und heute wie damals wird der Westen und vor allem Amerika von einer wachsenden Mehrheit in diesen Ländern als die Kraft gesehen, die jene ins Wanken geratenen Regime mit mangelnder Legitimation an der Macht hält. Antiamerikanismus und der Hass auf den Westen wird dadurch zu einer weiteren Antriebsfeder eines revolutionären Nationalismus, und genau dies geschieht gegenwärtig ebenfalls in Pakistan.“

Die Gegenposition zu Fischers Plädoyer für die Demokratisierung Pakistans findet sich bei John Bolton, dem ehemaligen UN-Botschafter der Bush-Regierung, heute einer ihrer schärfsten Kritiker von rechts:
On the foreign policy crisis of the day, the state of emergency in Pakistan, Mr. Bolton argued that Mr. Bush was naïve to call on Pakistan’s president, Gen. Pervez Musharraf, to hold elections. He said elections in Pakistan would risk instability — perhaps even an Islamic government with a nuclear arsenal.
“While Pervez Musharraf might not be a Jeffersonian democrat, he is the best bet to secure the nuclear arsenal,” he said.

Interessante Wendung: Europäer setzen diesmal auf Demokratisierung, während Amerikaner auf Stabilität pochen.

 

Christianismus auf dem Vormarsch

Pat Robertson, einer der mächtigsten Tele-Evangelisten Amerikas, unterstützt die Kandidatur Rudy Giulianis, ehemals Bürgermeister von New York und nach heutigem Stand Favorit der Republikaner auf die Präsidentschaftskandidatur.

Da rüttelt sich eine Mannschaft zusammen, die einen wirklich das Fürchten lehren kann. Giuliani hat den Erz-Neocon Norman Podhoretz, den schärfsten Apologeten eines kommenden Krieges gegen Iran, zu seinem aussenpolitischen Berater gemacht.

Und nun nimmt er auch noch den Christianisten Robertson an Bord. Einen schlimmen Quacksalber und Scharlatan, der sich als „Faith Healer“ betätigt hat, der behauptet hat, er habe Hurricans durch Beten davon abgehalten, amerikanische Küsten zu verwüsten. Ein schlimmer Homophober, ein Ultrareaktionär mit eigenem Medienkonzern. Die amerikanischen Kommentatoren werten dies als einen Coup Giulianis, der wegen seiner Befürwortung des Rechtes auf Abtreibung und schwuler Lebensgemeinschaften Probleme hat, die „social conservatives“ im evangelikalen Lager auf seine Seite zu ziehen. (Giuliani selbst ist mehrmals geschieden, auch das zieht nicht richtig gut in diesem Lager.)

Mich frappiert an diesem verrückten Paar vor allem eines: Robertson war einer der fiesesten Hassprediger nach 9/11. Er scheute nicht davor zurück, in dem Massenmord der Dschihadisten eine Strafe Gottes für Amerikas Dekadenz (Abtreibung, Homosexualität) zu sehen – ganz ähnlich wie die Hassprediger auf der anderen Seite. Christianisten und Islamisten – Brüder im Geiste. Währenddessen stapfte Giuliani als Bürgermeister der attackierten Stadt durch die Trümmer und tröstete die Hinterbliebenen der Opfer, die Robertson verhöhnte.

Und nun finden sich die beiden, weil Robertson in Giuliani den besten Mann sieht, was „the defense of our population from the blood lust of Islamic terrorists“ angeht? Giuliani, der bereits gesagt hat, er würde im Zweifelsfall auch Nuklearwaffen gegen Iran einsetzen, um Iran an dem Erwerb einer Atombombe zu hindern, tut sich mit Ayatollah Robertson zusammen: zum Gruseln.

Dies ist Robertsons 9/1-Theodizee: „We have allowed rampant secularism and occult, et cetera, to be broadcast on television. We have permitted somewhere in the neighborhood of 35 to 40 million unborn babies to be slaughtered in our society. We have a Court that has essentially stuck its finger in God’s eye and said, ‚We’re going to legislate you out of the schools, we’re going to take your Commandments from off the courthouse steps in various states, we’re not going to let little children read the Commandments of God, we’re not going to let the Bible be read — no prayer in our schools.‘ We have insulted God at the highest levels of our government. And, then we say ‚why does this happen?‘ Well, why its happening is that God Almighty is lifting His protection from us.“

Und so redet er über Schwule:

 

Crawford – Angela Merkels Goslar?

Aus der ZEIT Nr. 46, S. 4:

In Zeiten wie diesen sind die lockeren Termine die schwierigsten. Die Prairie Chapel Ranch, auf der Angela Merkel dieses Wochenende verbringt, ist George Bushs bevorzugte Bühne zur Selbstdarstellung als hemdsärmeliger Durchschnittsamerikaner, als jovialer Gemütsmensch im Flanellhemd. Aber allzu viel inszenierte Lässigkeit wird es diesmal nicht geben, und zwar nicht nur, weil Angela Merkel mit Männlichkeits-Accessoires wie Mountainbike, Angelrute und Kettensäge nichts anfangen kann.
Gelassenheit würde dieser Tage bei George Bush bizarr wirken. Allein wie die Agenda für das Treffen sich von Tag zu Tag verändert, zeigt den rapiden Einflussverlust der amerikanischen Au­ßen­po­li­tik. Vor einer Woche noch schien klar, dass man vor allem über Iran und Afghanistan zu reden hätte. Nun hat sich nach der kriegsbereiten Türkei auch noch Pakistan auf die Tagesordnung von Merkel und Bush geputscht: Kann man vereint Er­do­ğan von einem Einmarsch in den Nordirak abbringen und Musharraf zurück auf den Weg zu Rechtsstaat und Demokratie bugsieren?
Angela Merkel trifft in Crawford einen amerikanischen Präsidenten, gegen den gerade zwei der wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus den Aufstand proben. Auf das pakistanische Problem, das ihre letzten Reisen gewissermassen umkreist haben, ist sie gut vorbereitet: In Indien und Afghanistan hat sie aus erster Hand erfahren, dass deutsche Interessen berührt sind, wenn Pakistan ins Chaos abgleitet. Das Scheitern der amerikanischen Strategie – Musharraf zu einem Deal mit Benasir Bhutto und zu weiterer Demokratisierung zu drängen – wirft die Frage auf, ob es überhaupt eine deutsche Pakistanpolitik gibt, jenseits von Entwicklungspolitik und Geheimdienstzusammenarbeit. Es führt nicht weit, Bush die Widersprüche seiner Demokratisierungs-Agenda vorzuhalten, die derzeit nirgends so dramatisch zutage treten wie in Pakistan. Auch in Berlin weiß niemand einfache Antworten auf die Frage, ob wir mehr auf die mutigen Anwälte oder auf die Generäle setzen sollen, um radikale Islamisten von der Bombe fernzuhalten.
Eine Privatbesuch auf der Ranch ist die höchste Form der Anerkennung, die George W. Bush zu vergeben hat. Hier zu nächtigen bleibt den ganz Großen und unter ihnen den »engsten Freunden« vorbehalten. Nach Tony Blairs Abgang sind allerdings nicht viele Freunde geblieben. Nicolas Sarkozy, der sich aggressiv um die Blair-Nachfolge als besonderer Freund der USA in Europa bewirbt, ist zwei Tage vor Merkel in Washington. Sarkozy wird warm empfangen, weil man ihn als Übersetzer amerikanischer Wünsche sieht. Doch ins Allerheiligste wird diesmal nur Merkel vorgelassen. In Berlin deutet mancher diese Regie schon als Zeichen, dass die anfängliche Euphorie über den hibbeligen Hyperpräsidenten allmählich verfliegt und Washington sich auf seine verlässlichen Partner in Europa besinnt.
Die merkwürdige Beklommenheit, die über diesem Freundschaftsbesuch liegt, kommt aber paradoxerweise genau daher. Crawford war ursprünglich nur die Revanche für Trinwillershagen in Vorpommern – wo der amerikanische Präsident letztes Jahr auf Merkels Einladung Spanferkel genossen hat. Doch ungeplant ist dies eine wichtige Reise geworden, vielleicht die wichtigste Reise bisher für Merkel. Der Blitzbesuch in Afghanistan stand schon im Vorzeichen des Treffens. Er war nur teils ans Heimpublikum in Deutschland gerichtet. Die Kanzlerin hat in Masar-i-Scharif auch den wachsenden amerikanischen Verdacht zu widerlegen versucht, sie wolle sich das unpopuläre Thema vom Leib halten. Zugleich konnte sie erwartbaren Forderungen vorbauen, mehr Truppen zu schicken und sich im umkämpften Süden zu engagieren. Aus Kabul sprechend und mit einer schusssicheren Weste angetan, sagt sich so etwas überzeugender.
Iran wird zweifellos die eigentliche Probe für das deutsch-amerikanische Verhältnis. Die Kriegsrhetorik des Präsidenten, aber auch mancher Kandidaten für seine Nachfolge, beunruhig in Berlin längst auch in der Wolle gefärbte Atlantiker. Merkel hat Kanzler Schröder seinerzeit für sein Nein zum Irakkrieg auf dem Goslarer Markt kritisiert. Es gehe nicht darum, sich herauszuhalten, sondern Einfluss zu behalten, um einen Krieg zu verhindern.
Ob sie heute Schröder anders sieht? Von der Kanzlerin wird erwartet, hinter verschlossenen Türen keinen Zweifel daran zu lassen, dass sie einen Krieg und selbst begrenzte Militärschläge gegen Iran ablehnt. Sie werde die Betonung auf die unkalkulierbaren Folgen für die Region legen, sagt ein Berater. Es wäre das erste Mal, dass George Bush sich davon beeindrucken ließe. Merkel wird dabei bleiben, dass die Geschlossenheit des Sicherheitsrates, inklusive Chinesen und Russen, die meiste Aussicht bietet, die Iraner zu beeinflussen. Aber sie wird auch signalisieren, dass bei weiterer iranischer Blockade Sanktionen außerhalb des UN-Rahmens infrage kommen. Am Ende lautet Merkels Wette: Wenn man die Amerikaner durch die Geschlossenheit des Westens von einem Abenteuer abzuhalten vermag, werden auch die Iraner beeindruckt sein.
Merkel wird ihr Verhältnis zu Bush neu justieren müssen. Nicht so weit entfernt wie Schröder, nicht so eng wie Sarkozy – die Kanzlerin beherrscht die Kunst, sich zu bekennen, ohne zu brüskieren. Aber entscheiden muss sie sich doch.

 

Funktioniert Abschreckung gegen Iran?

Zwei profilierte aussenpolitische Denker führen stellvertretend die amerikanische Debatte über Krieg gegen Iran: der Ur-Neocon Norman Podhoretz sieht ein „neues München“ heraufziehen, Fareed Zakaria von „Newsweek“ glaubt, Abschreckung ist auch gegen Irans Theokratie möglich.

 

Wo sind die Atomkraftgegner – wenn es um iranische Atomkraft geht?

Timothy Garton Ash schreibt heute einen kämpferischen Artikel im Guardian zur Irankrise: Die Europäer – und das sind in diesem Fall die Deutschen – müssen endlich glaubhaft Druck auf Iran ausüben, damit ein Krieg verhindert werden kann. Guter Punkt:

„A quarter of a century ago millions of people flooded through the streets of Bonn, London and Rome to protest against the deployment of American nuclear missiles – and even against civilian nuclear power. („Atomkraft? Nein, Danke.“) Now a fissiparous, unstable and increasingly militarised Islamic regime, whose president has called for Israel to be removed from the map, is deliberately proceeding towards the threshold where it could, if it chose, swiftly take the last step to having a nuclear weapon. Among the probable consequences would be a nuclear arms race in the Middle East, with Sunni Muslim powers such as Saudi Arabia deciding they need their own.Where are the German, British or Italian intellectuals and peace activists raising the alarm about this? Where have all the demos gone?“

„It will also require more effective pressure. If the pressure is not to be military, it can only be economic. The US has now done almost all it can economically, including frightening European banks off financing trade with and investment in Iran, but it does not itself have a major commercial relationship to withhold. Europe does. According to the European commission, 27.8% of Iran’s trade last year was with the EU, making it the country’s biggest trading partner. One third of Iran’s imports came from the EU. Italy was its biggest single European trading partner, while Germany remains by far the largest European exporter to the Islamic republic.

Many of these exports are supported by export credit guarantees, which become all the more important as private banks pull out. Germany has cut back on new export credit guarantees to Iran in recent years, after a guarantee-backed export boom between 2000 and 2005, but the total amount of current guarantees remains relatively stable and very significant. Britain has a current exposure of some £350m. The responsible senior official in the German economics ministry told me yesterday that Germany’s total commitment is around €5bn (about £3.5bn) – 10 times as much. Italy also has a large sum guaranteed. Here is our big European stick, which we should brandish as we continue to talk softly.“

Mehr hier.

 

Die Rede vom „Islamofaschismus“ als Kriegsvorbereitung

Paul Krugman in der New York Times:

Mr. Podhoretz, the editor of Commentary and a founding neoconservative, tells us that Iran is the “main center of the Islamofascist ideology against which we have been fighting since 9/11.” The Islamofascists, he tells us, are well on their way toward creating a world “shaped by their will and tailored to their wishes.” Indeed, “Already, some observers are warning that by the end of the 21st century the whole of Europe will be transformed into a place to which they give the name Eurabia.”

Do I have to point out that none of this makes a bit of sense?

For one thing, there isn’t actually any such thing as Islamofascism — it’s not an ideology; it’s a figment of the neocon imagination. The term came into vogue only because it was a way for Iraq hawks to gloss over the awkward transition from pursuing Osama bin Laden, who attacked America, to Saddam Hussein, who didn’t. And Iran had nothing whatsoever to do with 9/11 — in fact, the Iranian regime was quite helpful to the United States when it went after Al Qaeda and its Taliban allies in Afghanistan.

Beyond that, the claim that Iran is on the path to global domination is beyond ludicrous. Yes, the Iranian regime is a nasty piece of work in many ways, and it would be a bad thing if that regime acquired nuclear weapons. But let’s have some perspective, please: we’re talking about a country with roughly the G.D.P. of Connecticut, and a government whose military budget is roughly the same as Sweden’s.