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Andenken an eine verbotene Demo

Während wir noch auf die endgültige Entscheidung zur Brüsseler Demo warten, gibt es bereits passende Andenken – für alle, die im Geiste dabei gewesen sein werden, selbst wenn der Marsch nie stattgefunden haben sollte. Bizarr:
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Brüsseler Bürgermeister: Warum die Anti-Islamisierungs-Demo verboten werden muss

Bei den Kollegen des „Watchblog Islamophobie“ finde ich diese Übersetzung eines Textes von Freddy Thielemans aus „de Standaard“. Der Brüsseler Bürgermeister begründet hier sein Verbot einer Demo am 11. September.
Die Islamophobie-Mahner halten Thielemans Gründe für überzeugend. Sie liegen falsch! Ich finde im Gegenteil, dass die ganze Fragwürdigkeit des Verbotes hier noch einmal richtig deutlich wird.
Thielemans schliesst schon aus dem Datum, an dem die Demonstration stattfinden soll, dass eine Vermengung von Islamismuskritik mit einer Ablehnung des Islams als Ganzes und der Muslime als solche gegeben sei.
Erstens: Islamismuskritik und Ablehnung des Islams als Ganzes müssen erlaubt sein, und sehr wohl auch ihre „Vermengung“. Man kann das kritisieren, aber selbstverständlich darf jedermann den Islam ablehnen, weil er etwa meint, dieser sei von Islamismus nicht zu unterscheiden. Wo leben wir denn?

Zweitens: Es gibt kein sinnvolleres Datum für eine solche Demo als den 11.9.

Drittens: Wenn bei dieser Demo xenophob oder rassistisch gegen unbescholtene Muslime agitiert würde, müsste die Polizei eben mit voller Härte zuschlagen. Bürgermeister Thielemans stünde als dann korrekter Law-and-order-Mann da. Wo ist das Problem? Kann er wirklich derart viel Gefahr im Verzug geltend machen, dass man es darauf nicht ankommen lassen kann?

Ich sehe es einfach nicht, und Thielemans‘ Text belegt es auch nicht. Stattdessen flüchtet er sich in merkwürdige Islam-Exegese und behauptet, es gebe seines Wissens „im Islam keine einzige religiöse Regel, die sich in gleicher Weise aufdrängt“ wie die frühere katholische Einflussnahme auf die öffentliche Ordnung.
Da fragt man sich denn doch, wo dieser Mann eigentlich lebt.
Fatal auch die Schwäche seiner Vorwürfe an die Organisatoren: Sie würden behaupten, dass „Islam und Demokratie“ nicht zusammengehen. Ist das etwa eine vollkommen absurde Behauptung? Es ist bisher eine Tatsache in weiten Teilen der islamischen Welt. Darf man das in Brüssel nicht mehr thematisieren?
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Freddy Thielemans, Brüsseler Bürgermeister

Auch scheint es Herrn Thielemans verwerflich, dass die Organisatoren „nicht an einen gemässigten Islam glauben“. Ist das etwa die Voraussetzung für die Genehmigung einer Demo? Haarsträubend. Die Überzeugung, der gemäßigte Islam sei möglich, läßt sich doch nicht zum Kriterium für die Ausübung eines Grundrechts machen!

Hier Thielemans Text – ein Tiefpunkt für die liberale Demokratie in Europa:

„Ich habe mich entschlossen, die Demonstration am 11. September “gegen die Islamisierung Europas” zu verbieten. Das Verbot einer Demonstration ist eine Verwaltungshandlung, die zu den Befugnisssen des Bürgermeisters gehört. Genauso ist es meine Aufgabe, Sicherheit und öffentliche Ordnung im Gebiet der Gemeinde sicherzustellen. Falls Entscheidungen, die ich fälle, nachteilige Folgen haben,

Seit 2001 habe ich ungefähr 3.500 Demonstrationen genehmigt und diese ist erst die sechste, die ich verbiete. Es ist eine solche Ausnahme für mich, eine Demonstration zu verbieten, dass dies ein Grund ist, meine Entscheidung öffentlich zu erläutern, umsomehr, als sie aus den unterschiedlichsten Gründen kritisiert wurde.

Die zuständigen Abteilungen der Polizei haben den Antrag auf Genehmigung der Demonstration geprüft und empfingen dazu unter anderem die Organisatoren. So konnten sie sich einen deutlicheren Eindruck verschaffen von den Absichten der Organisatoren, den Absichten und Rahmenbedingungen, die zu erwartenden Demonstrationsteilnehmer und die Reaktionen, zu denen eine solche Demonstration führen kann…

Aus dieser Prüfung wurde deutlich, daß diese Demonstration drohte, die öffentliche Ordnung zu stören und die Sicherheit von Sachen und Personen in Gefahr bringen konnte. Meine Entscheidung stützt sich auf den Bericht der Polizei.

Einige erstaunt das. Man beruft sich auf die Meinungsfreiheit und auf das Recht seine Überzeugung zu äussern. Lassen Sie mich dazu anmerken, dass es um die Meinungsfreiheit überhaupt nicht geht. Die Betroffenen sind hierin übrigens sehr geschickt und finden hierfür bei einer großen Anzahl von Medien Gehör.
Das Demonstrationsrecht findet da seine Grenze, wo Ruhe und Ordnung gestört werden. Hier sind für mich drei Punkte wichtig:

Zuerst und vor allem die Entscheidung, eine solche Demonstration auf einem symbolträchtigen Datum wie dem 11. September stattfinden zu lassen. Die Bedeutung hiervon ist natürlich, die terroristischen Aktivitäten von Islamisten einerseits zu vermengen mit dem Islam als Ganzes und allen Muslimen andererseits.

Darüberhinaus pflegen die wichtigsten Führer bestimmter Organisationen, die zu dieser Demonstration aufrufen, einen Diskurs – auch schriftlich – der diese ungerechtfertigte Vermischung bestätigt. Sie behaupten unter anderem, daß

“Islam und Demokratie nicht zusammengehen”,

und daß sie

“nicht an einen gemäßigten Islam glauben. Die Muslime werden temporär so tun als ob, aber das ist der schöne Schein. Sie schaffen eine Nebelwand um uns in die Irre zu führen.“

Mitglieder und Sympatisanten dieser Organisationen sind im Allgemeinen für ihr wenig friedliebendes Verhalten während solcher Veranstaltungen bekannt.

Was für meine Entscheidung keine Rolle gespielt hat, aber was ich doch in Erinnerung bringen will, ist, daß die gefährliche Mischung, mit der die Organisatoren der Demonstration uns konfrontieren, von der Art ist, daß sie zu Diskriminierung und Hass aufruft in Bezug auf Muslime, und dass sich das mittlerweile ausbreitet auf jeden, der kulturelle Bindungen an den Islam hat.

Diese Anstiftung zu Diskriminierung und Hass, die wir durchgehend als Rassismus und Fremdenhass bezeichnen, wird verboten durch eine große Anzahl internationale Verträge und wird sowohl durch unsere Gesetze als auch durch die europäische Gesetzgebung strafrechtlich verfolgt. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt Taten wie diese verurteilt.

In einem Urteil vom 21. April 2004, das später durch das Hohe Kassationsgericht bestätigt wurde, stellt das Berufungsgericht in Gent auf der Basis eines gleichartigen Amalgams in einem Urteil gegen eine politische Partei (Vlaams Blok), dass diese

wissentlich und willentlich zum Hass auf bestimmte Bevölkerungsgruppen anstiftet, nicht alleine wegen ihrer Nationalität, sondern zugleich wegen ihrer Abstammung (Lokalisation ihres Herkunftslandes, gegenseitige kulturelle Verbundenheit, die kriminogen sein soll, wegen ihrer Religion, ihrer Sitten, ja sogar Aussehen und Kleidung. Dies ist eine gesetzlich verbotene Form von Diskriminierung.

Persönlich stört es mich nicht, daß man an einer Religion Kritik übt. Das Recht auf Gotteslästerung ist in einer nichtkonfessionellen Demokratie ein Zeichen von Freiheit und Toleranz. Doch darf das nicht so weit gehen, daß Männer und Frauen um ihrer Überzeugungen und ihres Engagements willen der schlimmsten Verbrechen verdächtigt werden.

In unserer Gesellschaft haben wir uns einen langen Kampf geliefert, um zu erreichen, daß bestimmte Verhaltensregeln, die mit dem katholischen Glauben verbunden waren, nicht mehr als bürgerliches Gesetz jedem aufgezwungen werden konnten. Meines Wissens gibt es im Islam keine einzige religiöse Regel, die sich in gleicher Weise aufdrängt. Und nichts wird mich dazu bringen, zu beschließen, daß eine breite Mehrheit unserer muslimischen Bevölkerung hiernach fragen könnte.
Lassen wir zum Schluss nicht vergessen, daß Brüssel immer ein Beispiel für Toleranz und Offenheit gegeben hat für jeden, der hier lebt oder hier Zuflucht gefunden hat. Verschiedenheit, Kompromiss, Toleranz und das Abweisen der Extreme sind immer noch die Fundamente der Brüsseler Identität. Ich kenne meine Mitbürger: sie werden nicht wollen, daß ihre Stadt sich zur Haupststadt des Hasses auswächst.
Ich überlasse es jedem selber, hierüber weiter nachzudenken und sich auf der Basis dieser kurzen Reflexion eine eigene Meinung zu bilden. Für die Organisation der am 11. September geplanten Demonstration “gegen die Islamisierung von Europa” steht meine Meinung fest: sie findet nicht statt.

 

Darf man in Brüssel gegen die „Islamisierung Europas“ demonstrieren?

Morgen wird in Brüssel ein Gerichtsbeschluss über eine islamkritische Demo erwartet, die der Bürgermeister Freddy Thielemans verboten hat.
Thielemans hat Sicherheitsbedenken gegen die zum 11. September angemeldete Demo angeführt. Nicht etwa, dass er die Veranstalter (SIOE – Stop the Islamization of Europe) und die Demonstranten selbst für gefährlich hält. Er glaube vielmehr, sagte er, sie könnten mit ihrer Demo gegen die „Islamisierung Europas“ Gegenreaktionen provozieren.
Diesen Vorgang in der europäischen Hauptstadt kommentiert heute Daniel Schwammenthal im „Wall Street Journal„.
Ich finde Schwammenthals Kommentar korrekt, auch wenn ich die Veranstalter und ihre Unterstützer für eine Horde von ziemlich zwielichtigen Anti-Islam-Hysterikern halte, darunter etwa von deutscher Seite der bekannte Herr Ulfkotte mit seinem „Pax Europa“-Verein.
Hier Kernzitate aus Schwammenthals Kommentar:

„Yet you don’t have to sympathize with the speakers to believe in free speech. Beyond that, banning the protest partly out of fear of violent reactions from Muslims would seem to bolster the protesters’ point. If Muslim radicals decide the level of debate about Islam in Europe, doesn’t it show that “Islamization,” the erosion of traditional European liberties, is a reality? Mr. Thielemans did not address that irony. He said instead that he’s not only worried about Muslims reacting violently to a SIOE march. “A number of democrats announced that they’d react too,” he said, along with “NGOs that are in favor of peace and integration.” It’s difficult to see how people who threaten to disrupt a demonstration can be called “democrats” or “in favor of peace.” Pressed on the point that the organizers should not be limited in their democratic rights due to what their opponents might do, Mr. Thielemans eventually agreed. In fact, if the counterprotesters were his only worry, he said, he’d probably let the demonstration go ahead. What really concerns him, the mayor said, is the possibility of violent racists infiltrating the protest, mingling among peaceful demonstrators and provoking and attacking foreigners. The mayor says that police have discovered extremist Web sites calling on their followers to join the protest and cause trouble.

Unfortunately, many demonstrations contain the possibility of turning violent and some in the end do so. It is the job of the police to nip such violence in the bud and arrest troublemakers. The pre-emptive strike of banning the entire protest seems justified only if the threat to public safety is significant.

Of course, the mayor is responsible for public security. If a controversial demonstration that he approved a permit for were to turn violent, he would be held responsible.

Yet freedom of speech, particularly controversial speech, is also a treasured good in a democracy. In this instance, moreover, any immediate threat to public security perhaps should be weighed against a potential long-term threat to peace. Among other things, banning the SIOE demonstration will embolden Muslim radicals by suggesting that violence, or the fear of it, is the way to manipulate freedom lovers. Arguably, a ban may also undermine faith among ordinary people that their concerns about radical Islam can be voiced, and addressed, in a democratic fashion. Perhaps the court will consider this at tomorrow’s hearing.“

Das ist sehr richtig: Der Bürgermeister und seine Sicherheitskräfte sind dafür zuständig, eine friedliche Demonstration auch (und gerade) zu kontroversen Themen zu ermöglichen. Gegen die „Islamisierung“ Europas zu protestieren, muss möglich sein, und natürlich auch mitten in der europäischen Hauptstadt.

Ich würde zu dieser Demo allerdings nicht gehen. Mit Leuten, die so für sich werben, möchte ich nichts zu tun haben:

 

Haider: Moscheen und Minarette verbieten

Der Landeshauptmann von Kärnten, Jörg Haider, hat am Sonntag angekündigt, er werde ein Bauverbot für Moscheen und Minarette erlassen.
Kann er das denn?
Ja, er kann, und zwar über das Baurecht.
Haider will im Gemeindeplanungsgesetz festlegen, dass solche Bauten eine „Störung des Ortsbildes“ seien. So solle einem „Krieg der Kulturen“ vorgebeugt und „radikalislamischen Tendenzen“ gewehrt werden.
Natürlich will Haider das Gesetz dann gerne auf ganz Österreich ausgeweitet sehen.
Kärnten soll „zum europäischen Vorreiter im Kampf gegen den radikalen Islamismus und dem Schutz unserer westlich geprägten Leitkultur“ werden.
Na klar!
Und natürlich ist es super sinnvoll, diesen Kampf in Kärnten zu beginnen, im Süden der Alpenrepublik, in einem Bundesland mit ca 11.000 Muslimen (etwa so viel wie in einer einzigen Kreuzberger Strasse also, weniger als 2 % der Kärntner Bevölkerung, allerdings verteilt auf 9 Tausend Quadratkilometer), in einer Provinz, die mit radikalen Muslimen bisher überhaupt keine Probleme hat.
Es gibt zwar auch überhaupt keine Bauanträge für Moscheen mit Minarett. Aber das ist ja das Tolle, das Visionäre an der Haider-Inititative: Wehret den Anfängen, noch bevor sie anfangen!

In Spittal, wird berichtet, haben Muslime ein bestehendes Gebäude gekauft, in dem sie einen Gebetsraum errichten wollen. Der Bürgermeister sieht es gelassen: Es gebe bereits Gebetsräume in Spittal, sagt der Gerhard Köfer (SPÖ), die „gut funktionieren“. „Gut funktionieren“! Es wäre doch gelacht, wenn sich daraus nicht ein zünftiger kleiner Kulturkampf machen liesse!

 

Darf Ihr Kind einen Muslim heiraten?

Diese Frage hat die Financial Times einem repräsentativen Samplein Europa und USA durch ein Meinungsforschungsinstitut vorlegen lassen.
In Grossbritannien sind 36 % dagegen, in Frankreich 19 %, in Italien 29 %, in Spanien 20 %, in Deutschland 39 %, in den Vereinigten Staaten 40 %.
Auf die Frage, ob Muslime eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen, antworteten mit „Ja“ in Grossbritannien 38 %, in Frankreich 20 %, in Italien 30 %, in Spanien 23 %, in Deutschland 28 % und in USA 21 %.
Auch interessant das Ergebnis auf die Frage, ob Muslime „zum Gegenstand von unberechtigter Kritik und Vorurteilen geworden“ seien: GB 39 %, F 51 %, I 49 %, E 34 %, D 40 %, USA 47 %.
Und schließlich die Frage, ob man muslimische Freunde habe: GB 38 %, F 69 %, I 32 %, E 27 %, D 37 %, USA 28 %.

Weitere Ergebnisse hier.

 

Neue Pläne für die Kölner Moschee

Die geplante Kölner Moschee soll jetzt andere Minarette und eine neue Kuppelgestalt bekommen. Der Architekt der in Ehrenfeld entstehenden Moschee, der Kirchenbaumeister Paul Böhm, gab dies gestern zusammen mit dem Bauherrn – der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) – bekannt.

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Die neuen Minarette sehen weniger türkisch aus. Böhm vermeidet die typische Spitze mit der umlaufenden Galerie (von der früher der Muezzin rief). Statt dessen setzt er jetzt auf zwei halbrunde, abstrakte Türme, die sich nach oben auf eine asymmetrische, fast pflanzenhafte Weise zuspitzen. Die Kuppel über dem Gebetsraum hat zwar weiterhin Anklänge an die Weltkugel, wie schon im ersten Entwurf. Aber sie besteht jetzt aus einer losen, transparenten Konstruktion aus Schalenelementen. Auch hier sind Abstraktion und Auflösung der klassischen Moschee-Stilsprache die Tendenz.

Man kann dies als Zugeständnis an die Welle der Kritik lesen, mit der die Kölner Moscheebauer in den letzten Wochen konfrontiert wurden. Das Gebäude nimmt die traditionalistische religiöse Symbolik ein wenig zurück. Es ist nicht mehr so sehr „ein Stück Türkei in Deutschland“, sondern ein Vorbote des „deutschen Islam“, den der Innenminister fordert. Es zeigt Willen zur Modernität, zur Offenheit und Transparenz, ohne sich dabei unkenntlich zu machen.

Ob so das Gift aus der Kölner Debatte, die längst eine nationale geworden ist, genommen werden kann? Bei der Höhe der Minarette – 55 Meter – und der Kuppel – 34,5 Meter – machen Böhm und Ditib keine Kompromisse.

Damit stellen sie sich gegen einen Antrag der Kölner CDU, die jüngst auf einem Parteitag die Reduktion der Minarette gefordert hatte. Das ist richtig so: Die Union hat keinen Grund, die Minaretthöhe zu kritisieren – außer den, dass sie irgendeinen symbolischen Sieg über die Ditib braucht, um ihren rechten Rand einzubinden. Der Kampf um die Minarette ist eine lachhafte Stellvertreterdebatte.

Weder ästhetisch noch städtebaulich gibt es ernsthafte Argumente gegen die Minarette. Sie werden von mehreren Gebäuden im Viertel überragt, darunter das Uni-Hochhaus und der Fernsehturm mit 234 Metern.

Der neue Entwurf hat eine interessante Pointe: Im Gegenwind einer oftmals ängstlichen und ressentimentgeladenen Kritik verabschiedet die Ditib sich – jedenfalls was die Formensprache angeht – immer mehr von einem altmodischen und hergebrachten Islambild. Die von ihr geplante Moschee läuft dem theologisch eher konservativen Islam, der in ihr gepredigt und gelebt werden wird, ästhetisch meilenweit voraus. Das spricht dafür, dass unsere Konflikte um die Integration des Islam in Deutschland, so häßlich sie manchmal sein mögen, auch eine modernisierende Wirkung haben können.

Die Ehrenfelder Moschee wird gebaut werden, vielleicht mit weiteren Modifikationen. Der Bauherr sollte aber nicht denken, dass die Sache zuende ist, wenn man endlich das lästige Planungsverfahren hinter sich hat.

Wenn diese Moschee gebaut wird, warten noch viele weitere Herausforderungen auf Ditib: Es ist natürlich nicht damit getan, einen Bau mit transparenter Symbolik hinzusetzen, wenn die Organisation selbst nach alles andere als durchschaubar ist. Ditib, heute noch der lange Arm des Religionsministeriums in Ankara, muss sich langfristig von der Türkei lösen und sich auf eigene Beine stellen. Sonst wird es nie eine Akzeptanz in Deutschland geben.

Wer mit einer Moschee wie dieser den Anspruch erhebt, hier dazuzugehören, muss dies auch durch Bildungsarbeit, durch offene Debatten und durch Gastfreundschaft gegenüber der nichtmuslimische Bevölkerung im umliegenden Viertel beweisen.

 

Die Wiederkehr der politischen Theologie

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Mark Lilla, einer der besten Kenner der europäischen Ideengeschichte, veröffentlicht dieser Tage ein Buch, das einen fälligen Perspektivenwechsel versucht: The Stillborn God. Religion, Politics and the Modern West.
Ich habe 2003 eine Stellungnahme von Mark Lilla vor dem drohenden Irak-Krieg für DIE ZEIT übersetzt, die sich heute als eine der hellsichtigsten Äusserungen von Intellektuellen aus jenen erregten Tagen erweist.
Eine Kurzfassung des Buchs ist im aktuellen New York Times Magazine zu lesen. Der Essay bietet sehr schönes Material für unsere Debatte:
Lilla schlägt vor, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass das Zeitalter der politischen Theologie vorbei sei.
Der Westen ist nicht der Normalfall mit seiner „Great Separation“ zwischen menschlichen und göttlichen Dingen – sondern die welthistorische Ausnahme, das große, gewagte – und für die meisten Menschen auf der Erde irrwitzig gewagte – Experiment. Es gibt keine historische Notwendigkeit für den Rest der Welt, uns auf diesem Weg zu folgen. Wir sind die unwahrscheinliche Ausnahme. Und wir können es uns nicht leisten zu warten, bis die anderen unserem Beispiel folgen (wozu sie ohnehin keine Lust zu haben scheinen). Wir brauchen einen modus vivendi zum Leben in einer Welt (oft in einer Gesellschaft) mit Menschen, die die Anprüche der politischen Theologie keineswegs absurd finden. Und vielleicht kann es uns helfen, diesen modus zu finden, wenn wir uns der Unwahrscheinlichkeit der westlichen Entwicklung bewusst werden, indem wir zurückgehen zu den Religionskriegen, zu Hobbes, zu Rousseau, zur „liberalen Theologie“, zum politischen Messianismus – also zu den Höhen und Tiefen unserer eigenen politischen Theologie. Das tut Lilla in seinem Essay und in seinem Buch.

Ein paar Zitate:

„So we are heirs to the Great Separation only if we wish to be, if we make a conscious effort to separate basic principles of political legitimacy from divine revelation. Yet more is required still. Since the challenge of political theology is enduring, we need to remain aware of its logic and the threat it poses. This means vigilance, but even more it means self-awareness. We must never forget that there was nothing historically inevitable about our Great Separation, that it was and remains an experiment. In Europe, the political ambiguities of one religion, Christianity, happened to set off a political crisis that might have been avoided but wasn’t, triggering the Wars of Religion; the resulting carnage made European thinkers more receptive to Hobbes’s heretical ideas about religious psychology and the political implications he drew from them; and over time those political ideas were liberalized. Even then, it was only after the Second World War that the principles of modern liberal democracy became fully rooted in continental Europe.

And so we find ourselves in an intellectual bind when we encounter genuine political theology today: either we assume that modernization and secularization will eventually extinguish it, or we treat it as an incomprehensible existential threat, using familiar terms like fascism to describe it as best we can. Neither response takes us a step closer to understanding the world we now live in.

It is a world in which millions of people, particularly in the Muslim orbit, believe that God has revealed a law governing the whole of human affairs. This belief shapes the politics of important Muslim nations, and it also shapes the attitudes of vast numbers of believers who find themselves living in Western countries — and non-Western democracies like Turkey and Indonesia — founded on the alien principles of the Great Separation. These are the most significant points of friction, internationally and domestically. And we cannot really address them if we do not first recognize the intellectual chasm between us: although it is possible to translate Ahmadinejad’s letter to Bush from Farsi into English, its intellectual assumptions cannot be translated into those of the Great Separation. We can try to learn his language in order to create sensible policies, but agreement on basic principles won’t be possible. And we must learn to live with that.

Similarly, we must somehow find a way to accept the fact that, given the immigration policies Western nations have pursued over the last half-century, they now are hosts to millions of Muslims who have great difficulty fitting into societies that do not recognize any political claims based on their divine revelation. Like Orthodox Jewish law, the Muslim Shariah is meant to cover the whole of life, not some arbitrarily demarcated private sphere, and its legal system has few theological resources for establishing the independence of politics from detailed divine commands. It is an unfortunate situation, but we have made our bed, Muslims and non-Muslims alike. Accommodation and mutual respect can help, as can clear rules governing areas of tension, like the status of women, parents’ rights over their children, speech offensive to religious sensibilities, speech inciting violence, standards of dress in public institutions and the like. Western countries have adopted different strategies for coping, some forbidding religious symbols like the head scarf in schools, others permitting them. But we need to recognize that coping is the order of the day, not defending high principle, and that our expectations should remain low. So long as a sizable population believes in the truth of a comprehensive political theology, its full reconciliation with modern liberal democracy cannot be expected.

But if we cannot expect mass conversion to the principles of the Great Separation — and we cannot — we had better learn to welcome transformations in Muslim political theology that ease coexistence. The best should not be the enemy of the good.

In the end, though, what happens on the opposite shore will not be up to us. We have little reason to expect societies in the grip of a powerful political theology to follow our unusual path, which was opened up by a unique crisis within Christian civilization. This does not mean that those societies necessarily lack the wherewithal to create a decent and workable political order; it does mean that they will have to find the theological resources within their own traditions to make it happen.“

Amen!

 

Wir haben aus Türken Muslime gemacht

Ein absolut notwendiger Zwischenruf der Pädagogin Sanem Kleff und des Islamismus-Experten Eberhard Seidel in der taz von heute:

„Seit dem Herbst 2004 wurde die seit Jahrzehnten schwelende Integrations- und Türkendebatte tatsächlich hemmungslos religionisiert, sprich: islamisiert.

Beging ein kurdischer Ehemann einen Ehrenmord, wurde nicht über kurdische Stammestraditionen diskutiert, sondern das Verbrechen direkt aus dem Koran abgeleitet. Wurden 15-Jährige Mädchen aus anatolischen Dörfern zwangsverheiratet, sprach man nicht mehr über dörflich-patriarchale Traditionen, sondern über die vermeintliche Legitimation durch den Islam. Meldeten in islamistischen Gruppen organisierte Eltern ihre Kinder mit standardisierten Formularen vom koedukativen Sportunterricht ab, galt die Aufmerksamkeit nicht dem Einfluss islamistischer Organisationen, sondern ganz allgemein der Rolle der Frau im Islam. Und standen die Defizite von Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen türkischen Familien auf der Agenda, fand man auch dafür, anders als bei den noch weniger erfolgreichen italienischen Schülern, die Erklärung in ihrer Religion.“

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Sanem Kleff (Mitte) und Eberhard Seidel (2. von rechts) bei der Verleihung des Preises „Botschafter der Toleranz im Jahr 2004 Foto: Christian von Polentz/ Transit Berlin

„Die Türken haben eine erstaunliche Karriere hinter sich. Nachdem sich die Deutschen ihre Türken in den Achtziger- und Neunzigerjahren vor allem entlang völkischer und ethnischer Kriterien und Zuschreibungen konstruierten und daraus Unverträglichkeiten ableiteten, liegt heute ein neues Türkenbild vor. Unbesehen sozialer Schichtung, religiöser Differenz und unterschiedlicher Traditionen sind die Türken inzwischen als homogen-religiöse Gruppe definiert. Ihr gemeinsamer Nenner: der Islam. Der wiederum basiert auf dem Koran, einer offenbar gewalttätigen Schrift, die unvereinbar ist mit dem Grundgesetz. Das zwingende Ergebnis der Pauschalisierungen und Zirkelschlüsse lautet: Jeder, der sich zum Islam bekennt und sich nicht explizit von der Religion distanziert, ist Verfassungsfeind.“

 

Dekadenz als Exportschlager

Karsten Fischer schreibt im Merkur:

„Dekadenz« könnte den nachhaltigsten Exportschlager des Abendlandes ausmachen, mit dem ihm der Sieg im Kampf der Kultur(kritik)en sicher wäre.“

Fischer plädiert dafür, dass der Westen den Dekadenzvorwurf der Fundamentalisten annehmen und umdrehen muss: Unsere so genannte Dekadenz ist unsere Stärke.

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Karsten Fischer  Foto: Privat

Zitat aus dem lesenswerten Essay:

„Der Sinn der Dekadenzexportstrategie bemißt sich vielmehr nach dem Anwurf Sayyid Qutbs, die freie Welt führe ihren Kampf häufiger mit Zungen, Stiften und Wohltätigkeitsorganisationen als mit Waffen. Genau diesen Kampf um kulturelle Sublimierung muß die westliche Welt führen und gewinnen. Als Ergebnis dieser besonderen Form »auswärtiger Kulturpolitik« in der Weltgesellschaft wäre dann mit John Lennons Imagine anzuzielen, daß auch außerhalb der westlichen Welt die Maxime individuellen Glücksstrebens lautet: »nothing to kill or die for«. Wie jeder erfolgreiche Export beginnt indessen auch derjenige westlicher Dekadenz mit heimischen Voraussetzungen. Denn was die derzeitige Misere des Abendlands ausmacht, ist ihr Changieren zwischen der Scylla eines reaktionären Einstimmens in okzidentalistische Dekadenzvorwürfe und der Charybdis eines politisch korrekten relativistischen Multikulturalismus. Die richtige Antwort auf diese beiden entgegengesetzten Formen kleinmütiger Selbstverleugnung ist das entschiedene Eintreten für eine reflektierte Dekadenz, wie es einem konventionellen Begriffsverständnis nur als Paradoxie erscheinen kann.

Ist das dann sinnvollerweise überhaupt noch Dekadenz zu nennen? In der politischen Semantik hat Begriffsrealismus keinen Sinn, und so reicht es zur Bejahung dieser Frage, daß die Feinde von Freiheit und individuellem Glücksstreben den Dekadenztopos wählen. Rhetorische Auseinandersetzungen lassen sich nicht durch defensive Zurückweisung von Etikettierungen gewinnen, sondern nur durch die offensive Erlangung der Deutungshoheit über Begriffe. Gegen Verleumdung gibt es kein anderes Mittel, erst recht nicht interkulturell, denn hierfür gilt eine Einsicht der römischen Dekadenzexperten: »semper aliquid haeret« – es bleibt immer etwas hängen. Also muß die Semantik von Dekadenz affirmativ gewendet werden. Wir sind die Gesellschaft, vor der uns fundamentalistische Eiferer immer gewarnt haben!“