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Warum Europa eine neue Einwanderungswelle braucht

Stefan Theil, Europakorrespondent des Magazins Newsweek, hat eine Titelgeschichte geschrieben, die ins Herz unserer Debatten zielt: „Europas Wahl: Entweder Immigration nach amerikanischem Muster betreiben und profitieren oder sich davor verschließen und wie Japan enden“.

Die Zahlen, die Theil nennt, sind alarmierend. Europa zieht 85 % der unqualifizierten Migranten weltweit an, aber nur 5 % der hoch qualifizierten. Der Familiennachzug verstärkt das Problem noch, und man kann ergänzen: das Bildungswesen ebenso. Der Ausweg daraus ist nicht die Verrammelung der Festung Europa, die ohnehin nicht funktionieren würde, sondern eine rationale und aktive Einwanderungspolitik.

Aber jeder Politiker, der sich heute pro Einwanderung profilieren wollte, müsste suizidal sein. Eine fatale Falle:

For decades, most European countries have kept immigrants at the margins—making it exceedingly difficult for professionals and skilled workers to enter while letting in unskilled guest workers and refugees to take low-rung factory jobs that have long since moved to Asia. With many labor markets locked against newcomers, immigration also shifted to illegal channels. As a result, in the early 2000s, Europe, according to the commission, attracted 85 percent of the world’s unskilled migrants but only 5 percent of the highly skilled ones—while the United States, by contrast, snagged some 55 percent of this more desirable catch. Because immigration works largely through existing networks—immigrants bring in their families and attract peers—such past mistakes will shape things for decades, says Thomas Liebig, an immigration specialist at the OECD in Paris.

All this stands in sharp contrast to countries such as Canada, Australia, and the United States, which have adopted smarter immigration policies and enjoyed an immediate payoff. At the onset of the economic crisis, Ottawa briefly considered slashing immigration quotas. In the end, however, it decided to do the opposite and grab a bigger share of highly educated migrants with such measures as fast-track residency for skilled arrivals. As a result, though they have lost some ground recently, immigrants to Canada are still twice as likely to hold doctorates or master’s degrees as native Canadians.

Europe needs to follow this lead and recognize that avoiding the problem won’t solve anything. This is not to say that the concerns of politicians in London, Paris, or Berlin are unfounded. Statistics show that immigrants in countries such as Germany, for example, commit more crimes (though not because they’re foreigners but because they’re more likely to be poor and uneducated). But erecting a wall against them won’t work; it will only shift more migration into uncontrolled conduits. Unlike Japan, Europe is no defendable, homogenous island. It is surrounded by the exploding populations of Africa and the Middle East. Its huge existing immigrant populations will continue to find ways to bring in family members even if governments try to stop them.

Europe’s leaders should therefore start by publicly making the case both for continued immigration and better integration, explaining to their constituents how newcomers strengthen a country and are especially critical to the continent. Skilled workers are vital to keeping European businesses and public services running. And contrary to popular fears, they usually don’t increase the risk of native unemployment. They are also the first to lose their jobs in a downturn, and hence act as a buffer for the rest of the population.

A smart policy would redouble integration efforts, making sure the downturn doesn’t cause Europe’s minority populations to fall further behind. Sweden has been one of the few countries worldwide recently to increase spending on such programs, such as language and vocational training, and more states should follow its lead. Second, governments should shift immigration policies to make Europe more attractive to skilled migrants by opening the door in professions where shortages exist, by cutting red tape that makes it difficult to get foreign diplomas recognized, and by persuading more of the foreign students at European universities to stay. And third, governments should seek to decrease welfare dependency, possibly by limiting access by migrants.

(Aber wie macht man das? Limiting access – ohne gegen die Verfassung zu verstossen?)

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Auf die Eltern kommt es an

Super interessantes Porträt des neuen Rektors der Uni Gießen, des 36 (!) jährigen Joybrato Mukherjee in Cicero, von Vanessa de L’Or. Über seinen Werdegang vom Sohn indischer Migranten zum jüngsten Universitätspräsidenten Deutschlands sagt der Mann etwas Kluges:

Für Mukherjee ist vielmehr entscheidend, dass schon die erste Generation sich integriert. „Auf die Haltung der Eltern kommt es an“, meint der Wissenschaftler. „Sie müssen ihren Kindern vermitteln, dass sie nicht in einer feindlichen Umgebung aufwachsen und dass die andere Kultur keinesfalls minderwertig ist. Erst wenn das der Fall ist, kann die Bildung ein Schlüssel sein. Und dann ist die Sprache natürlich das A und O.“

Der Werdegang Mukherjees ist in der Tat mehr als bemerkenswert. Nach dem Abitur wollte er zunächst Musik studieren, bevor er sich für Anglistik, Biologie und Erziehungswissenschaften entschied, als Lehramtsstudium. Damals spielte er viel Blockflöte – „konzertantes Niveau, kein Gepiepse“. Mit 29 Jahren bereits wurde er zum Professor für Anglistik an die Universität Gießen berufen, die dem CHE-Forschungsranking zufolge zu den beiden ersten Adressen Deutschlands in diesem Fachgebiet gehört. Schon knapp sieben Jahre später wählte man ihn zum Präsidenten.

Er scheint ein sinnfälliges Beispiel dafür zu sein, dass man die leicht verschlissene Multikulti-Idee auch im Sinne eines kosmopolitischen Denkens interpretieren kann: die nicht deutsche Herkunft als Chance statt als Handicap. Schließlich: Joybrato Mukherjees erste Worte waren Bengalisch, sein Forschungsobjekt ist die englische Sprache, am meisten zu Hause aber fühlt er sich, wenn er deutsch spricht und schreibt.“

Nimmt man die von mir oben fett geblockten Sätze Mukherjees, so ist das doch vielleicht die schönste Zusammenfassung unserer Erkenntnisse der Integrationsdebatte in a nutshell.

 

Warum Deutschland keinen Wilders braucht

In Holland wird die Implosion der politischen Mitte womöglich bald zu einer Regierungsbeteiligung des blonden Bannerträgers des liberalen Rassismus in Europa führen. Deutschland hat und braucht keinen Wilders, wie sich an zwei bemerkenswerten Interviews des Wochenendes zeigen läßt: Der kluge konservative CSU-Mann Alois Glück und der SPD-Innensenator von Berlin Erhart Körting, haben sich bei zu dem Zusammenleben mit Muslimen hierzulande geäußert. Und es ist beispielhaft, wie sie dabei Sorgen und Probleme der Integration einer für Deutschland neuen Religion aufnehmen, ohne Ressentiments zu bedienen:

WELT ONLINE : Herr Glück, Sie haben einen guten Einblick in die islamische Community in Deutschland. Ist zwischen Katholiken und Muslimen eine Kooperation, wenn nicht gar Allianz in ethisch-moralischen Fragen denkbar?

Glück : In Teilen des Islam sehe ich eine solche Kooperationsbereitschaft. Aber es gibt noch Erklärungsbedarf: etwa zu Fragen unserer Verfassung, der Trennung von Staat und Religion, der Freiheit des Religionswechsels, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, und zur gleichen Würde der Frau.

WELT ONLINE : Gleiche Würde, das sagen auch Muslime, was freilich noch nicht Bereitschaft zur vollen Gleichberechtigung bedeutet.

Glück : Das ist auch ein kultureller Prozess. Jüngste Untersuchungen in Deutschland zeigen die große Bandbreite der Einstellungen des Islam. Als grobe Orientierung kann man sagen: Je stärker Muslime säkularisiert sind, umso mehr schätzen sie unsere Verfassungs- und Gesellschaftsordnung. Seien wir ehrlich: Auch wir haben einen kulturellen Prozess durchgemacht. Ich kenne noch die geschlossenen Gesellschaften der 50er- und 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in denen die Gleichberechtigung der Frau nicht voll akzeptiert wurde. Das gilt auch für Teile unserer Kirche.

WELT ONLINE : Sehen Sie in den Islam-Verbänden Ansätze einer Hinwendung zu einem europäischen, vielleicht deutschen Islam?

Glück : Es gibt niemanden, der für das Ganze sprechen kann, das ist ein unglaublich schwieriges Problem. Wir sehen große Spannungen etwa zwischen Sunniten und Schiiten. Wir haben, was unsere Verfassung betrifft, eine große Zustimmung beispielsweise bei den Aleviten, aber auch anderen Gruppen. Die Verbände sind aber noch stark geprägt vom Islam der Herkunftsländer. Es ist ganz dringlich, dass wir zu Ausbildungen in Deutschland kommen, auch, was die Imame angeht. Es gibt nach meiner Erfahrung viele Muslime, die unsere Kultur bejahen und zugleich ihren Glauben leben. Es ist ein großer Unterschied, ob in eine Ditib-Moschee ein Imam kommt, der einige Jahre hier ist und dann wieder in die Türkei zurückkehrt, oder ob es Menschen sind, die sich hier entwickelt haben. Das ist eine der großen Zukunftsaufgaben, die wir aber nicht ohne die Muslime lösen können.

WELT ONLINE : Das heißt, die Verbände sollen einbezogen werden?

Glück : Wir können sie nicht ausschalten, müssen aber wissen, dass sie, wie die Untersuchungen zeigen, eben nicht den ganzen Islam vertreten. Auch wenn wir immer wieder Enttäuschungen erleben sollten, müssen wir mit konstruktiven Kräften kooperieren. Und wir müssen die tief verwurzelten Ängste in unserer Bevölkerung ernst nehmen.

WELT ONLINE : Leidet die deutsche Gesellschaft an Islamophobie? Der Berliner Historiker Wolfgang Benz hat Parallelen zum Antisemitismus gezogen.

Glück : Die Parallele halte ich für falsch. Solche Vergleiche verbieten sich. Es gibt eine Angst, die vielfältige Ursachen hat: die Türken vor Wien, der Terrorismus durch fanatische Muslime, Angst vor Überfremdung. Es gibt viele Anfragen an die Muslime. Es geht nicht nur um den guten Willen unsererseits, es geht auch um die Integrationsbereitschaft der Muslime in eine Gesellschaft, die christlich-abendländisch geprägt ist. Zu ihr gehören Toleranz und Freiheit der Religionsausübung in all ihren Formen. Insofern ist es auch kein Widerspruch, die kulturellen Prägungen unseres Landes durch das Christentum zu betonen und gleichzeitig offen zu sein für ein ehrliches Zusammenleben mit den Muslimen ?

WELT ONLINE : … was in islamischen Ländern die umgekehrte Wirklichkeit ist ?

Glück: … aber wir nicht zum Maßstab unseres Handelns machen dürfen. Wir dürfen nicht wegen einer solchen Wirklichkeit in anderen Ländern oder des Verhaltens einer Minderheit hierzulande die Werte unseres Grundgesetzes relativieren.

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Und Körting im Tagesspiegel:

„Wir sind ein hochtechnisiertes Land, in dem Sie nur dann einen guten Lebensstandard erwirtschaften können, wenn Sie über sehr viel Bildung und Ausbildung verfügen. Es mag für den Einzelnen noch funktionieren, wenn er sagt, ich bin es gewohnt, mit wenig auszukommen und lasse mir von Vater Staat helfen. Aber spätestens an den Kindern versündigen sich diese Leute. Seinen Kindern das zuzumuten, was man selbst aus Palästina oder anderswo kennt, ist nicht in Ordnung. Sie grenzen damit ihre Kinder von der Gesellschaft ab. Wer nicht bereit ist, das Bestmögliche für seine Kinder zu tun, muss damit rechnen, dass sie kriminell werden und abdriften.


Wie kommt es, dass in der Öffentlichkeit immer von Türken und Arabern die Rede ist, wenn es um Integrationsprobleme in Berlin geht? Machen andere Gruppen keine Schwierigkeiten?

Es gibt eine europäische Kulturidentität, die Integration erleichtert. Diese Identität haben beispielsweise Italiener, Spanier, Polen, in Teilen auch Russen und Ukrainer. Höchstwahrscheinlich auch Menschen aus Ankara und Istanbul. Bei Leuten aus Mardin, im Osten der Türkei, gibt es diese Kulturidentität schon nicht mehr, weil sie dort in einer Welt leben, die sich in vielen Bereichen sehr von unserer unterscheidet. Und deshalb sind bei diesen Menschen mehr Anstrengungen erforderlich, um Integration zu erreichen, als bei anderen.

Es heißt aber doch oft, Vietnamesen seien in Deutschland am besten integriert. Die haben mit der europäischen Kultur kaum Berührungspunkte, wenn sie herkommen.

Das hat wiederum nichts mit der Kultur zu tun, ebenso wie bei Chinesen, Armeniern oder anderen kleinen Gruppen. Zuwanderer, die zahlenmäßig nicht in großen Communities leben, sind stärker gezwungen sich zu integrieren, wenn sie überleben wollen.

Die türkische Regierung erklärt, es leben in 118 Ländern rund 5 Millionen Auslandstürken, davon über zwei Millionen allein in Deutschland. Ist die große Zahl ein Nachteil für ihre Integration?

Nachteil klingt immer so negativ. Ich würde sagen, je größer die Gruppe ist, desto größer müssen die Integrationsanstrengungen sein. Die große Gruppe hat einen Vorteil: Die Menschen fühlen sich emotional gebunden und sicher. Der Nachteil ist, dass große Gruppen schnell ein Eigenleben entwickeln, mit eigenen Geschäften, Gaststätten, Ärzten etc. Das Phänomen gibt es nicht nur in Bezug auf Türken, sondern auch Araber in Neukölln und manche Russen in Marzahn-Hellersdorf. Das Paradebeispiel sind junge Menschen aus der Türkei, die in Deutschland in eine türkische Familie einheiraten und hier keinerlei Bedürfnis entwickeln, Deutsch zu lernen. Sie können so weiterleben wie in der Türkei. Diese Situation erschwert die Integration in der Gesamtgesellschaft.

Sie haben vor kurzem in einem Interview gesagt, dass wir auch deshalb ein Problem mit Integration haben, weil sich der türkische Staat noch immer politisch verantwortlich fühlt und einmischt. An anderer Stelle sagten Sie, „das hat keine konkreten Auswirkungen auf die hier lebenden Türken“. Was stimmt nun?

Zu sagen, die Türkei ist schuld an unseren Integrationsproblemen, wäre viel zu verkürzt. Aber auch der türkische Staat muss akzeptieren, dass die Menschen aus der Türkei, die hier leben, Auswanderer sind. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass einige türkische Politiker eine Vormundschaft für türkische Bürger beanspruchen. Kritisch wird es, wenn einige vermitteln, „ihr seid zwar ausgewandert, aber eigentlich gehört ihr noch zur Türkei und werdet überall schlecht behandelt außer bei uns“. Das ist desintegrativ.

 

Endlich: Die Schweiz hat ihr fünftes Minarett

Guillaume Morand, Inhaber einer Schuhladenkette nahe von Lausanne, hat einen Fabrikschlot zum Minarett umbauen lassen, um seinem Unmut über das Schweizer Referendum Ausdruck zu verleihen.

Somit verfügt die Schweiz nun über fünf Minarette. Ob man Herrn Morand zwingen wird, es wieder abzureißen?

Herr Morand ist kein Muslim. Was die Frage aufwirft: Ist es ok, wenn Nichtmuslime Minarette zu nichtreligiösen Zwecken errichten? Und wenn ja, warum?

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Minarettverbot – Krise des Liberalismus?

Themenvorschlag: siehe Überschrift. Ist vorerst nur so eine Intuition, dass sich in dem Vorschlag, die Verfassung der Schweiz durch ein Verbot zu ergänzen, Türmchen an Moscheen zu bauen, die Krise des Liberalismus in Europa zeigt.

Denn: Wir kritisieren den Islam doch (seit Jahren, auch hier) im Namen des liberalen Rechtsstaats. Wir sind ja skeptisch, was die Integrierbarkeit dieser Religion in unsere Werte- und Rechtsordnung angeht, weil wir im Islam Defizite beim Verständnis der individuellen Freiheitsrechte erkennen, Defizite bei der Gleichbehandlung der Geschlechter, Defizite bei der Religionsfreiheit etc.

Allerdings bringt diese Kritik im Namen des Liberalismus immer mehr problematische Zuckungen des Antiliberalismus zum Vorschein. Überall soll verboten, erzogen und reglementiert werden.

Und es wird massiv herumfantasiert über die Einschränkung der Rechte einer Minderheit.

Den Koran verbieten. Gebete auf Arabisch verbieten. Schächten verbieten. Minarette ab einer bestimmten Höhe verbieten. Ach was, alle Minarette verbieten. Zwangsehen verbieten. Ach was, auch arrangierte Ehen verbieten. Kopftücher verbieten. Befreiung vom Schwimmunterricht und von der Sexualkunde verbieten. Burka verbieten. Moscheebauten verbieten. Und so weiter. Noch Vorschläge?

Kann es sein, dass der westliche Liberalismus sich selbst aufgibt, weil er seiner Kraft und Attraktivität nicht mehr vertraut? Das wäre doch ein ziemliches Paradox, dass diejenigen, die sich in eine Notwehrsituation gegenüber dem Islam hineinfantasieren und im Namen des Liberalismus gegen ihn zu kämpfen glauben, eben jenen Liberalismus leichtfertig aufgeben?

In ganz Europa gibt es schon diese Parteien, deren sog.  Liberalismus sich auf zwei Punkte konzentriert: Staatsfeindlichkeit (Steuern runter!) und Islamfeindlichkeit (Koran verbieten etc.). Nur Deutschland hat so etwas (noch) nicht. Und ich sage: zum Glück.

Also: Wie wäre ein liberaler Umgang mit der Herausforderung Islam möglich, der ohne Selbstaushöhlung auskäme?

 

Wo man Minarette verbietet

Braucht ein Land mit 4 (!) Minaretten ein Gesetz gegen den weiteren Bau solcher Türme?  Ist es überhaupt statthaft, ein Sonder-Gesetz gegen bestimmte religiös motivierte Bauformen zu erlassen? Gibt es in der Schweiz etwa kein Baurecht, in dem alles Nötige ohnehin geregelt ist?

Das sind alles ebenso naheliegende wie sinnlose Fragen. Denn der siegreichen Initiative zum Minarettverbot geht es ja gar nicht um dieses spezielle Bauwerk. Und dass ein Europäischer Gerichtshof die Sache wahrscheinlich stoppen wird, ist den Initiatoren um die SVP natürlich sehr recht: Wieder einmal wäre bewiesen, dass Europa schlecht für die Schweizer ist, weil es ihre Souveränität einschränkt.

Sie haben die Volksabstimmung ja gerade so formuliert, dass sie quer zu den obigen Fragen das Unbehagen am Islam und an den Fremden im Lande abfragt: Ein Minarett, so die Suggestion, ist ja eben nicht einfach Teil einer üblichen Sakralarchitektur, sondern Symbol einer mit den schweizerischen Werten nicht vereinbaren Ideologie namens Islam. Letztlich heißt das: Islam ist keine Religion, sondern eine politische Idee, die zurückgewiesen werden muss und mit allen Mitteln bekämpft werden darf. Für den Islam gilt die Verfassung nicht, gilt das Religionsprivileg nicht, gilt die Religionsfreiheit nicht.

Das ist die radikale Kampfansage, die in dem Volksbegehren steckt.

Es gibt sicher Leute, die diese Botschaft verstehen werden. Dann beginnt eine andere Debatte.

 

Helmut Schmidt verteidigt Sarrazin

Schmidt: „Wenn er sich ein bisschen tischfeiner ausgedrückt hätte, hätte ich ihm in weiten Teilen seines Interviews zustimmen können.

(…)

di Lorenzo: Und was soll es bringen, alle Türken pauschal anzurempeln und so hässliche Ausdrücke zu gebrauchen wie »Kopftuchmädchen produzieren«?

Schmidt: Ich hätte diese Ausdrücke sicherlich nicht gebraucht. Nach einem langen Gespräch, das umgangssprachlich geführt wurde, hätte ein Redakteur an drei oder vier Stellen Korrekturen vornehmen müssen. Das hat offenbar keiner getan.“

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Es geht immer um Gewalt

Mitbloggerin Miriam berichtet folgendes von der Integrationsfront:

Ich habe gestern einen Workshop zum Thema Respekt durchgeführt mit einer ethnisch bunt gemischten Gruppe von Hauptschülern (14 J.), darunter Albaner, Iraker, Italiener, Russen, Polen und ein paar Deutsche. Die Wortführer waren Jungs albanischer, irakischer und italienischer Herkunft – keine Schlägertypen , aber gut informiert über “die Szene”. Für drei Stunden ging die Post ab. Ehre, Ficken, Jungfräulichkeit, Schlampen, Schlagen, Schwule, Opfer, Bozkurt, Black Jackets, Knast und “mein Vater will nicht, dass ich wie mein Bruder/Cousin werde”: Alles kam zur Sprache. Ich war total beeindruckt von ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit und ihrer Fähigkeit, die normativen Erwartungen ihrer jeweiligen Kultur und die Gesetze der Straße zu artikulieren. Schwer beeindruckt hat mich ihre Bereitschaft, sich auf meinen Ansatz einzulassen, dass diese Regeln und Gesetze in Albanien, im Irak, in Anatolien oder Sizilien zwar funktional sein mögen, aber in Deutschland kontraproduktiv und GG- bzw gesetzeswidrig seien, und dass man hier andere Lösungsansätze braucht. Und auch dass die Überwindung der Tradition der Preis dafür sei, dass man in diesem Land leben darf.

Es war eine total zivilisierte und respektvolle Debatte, die den Vergleich mit anderen Workshops, die ich für Sozialpädagogen, Lehrern oder Mentoren durchgeführt habe nicht zu scheuen braucht. Im Gegenteil: Es war mit das Spannendste, was ich je erlebt habe. Aber die ganze Zeit ging es letztlich um Gewalt: Gewalt als Mittel der Konfliktlösung, Gewalt als legitimes und notwendiges Erziehungsmittel, Gewalteinsatz, um die Ehre der Familie zu verteidigen, Gewalt gegen Töchter und Schwester, die sich wie Schlampen benehmen, Gewalt gegen deutsche “Opfer” (nicht gegen Nazis, denn die können sich wehren), Gewalt auf dem Fußballplatz.
Und dann beklagte sich ein junger, sehr sympathischer Italiener, dass er und sein Kumpel von zwei deutschen Jungs angemacht worden seien und sich gekloppt hätten, und dann sei die Polizei gekommen und hätten den Ausländern die Schuld gegeben. “Klar ist das unfair. Aber wundert dich das?”, habe ich ihn gefragt? Ich holte die Lokalzeitung vom Vortag aus meiner Tasche heraus und zitierte: 1. junger Frau das Handy geraubt; Täter vermutlich Südländer; 2. 49-Jähriger auf dem Fußgängerweg zwischen zwei am Rande der Stadt liegenden Dörfer von einer mit Messer und Pistole bewaffneten Gruppe junger Männer überfallen und ausgeraubt. Täter vermutlich Osteuropäer.” Und dann fragte ich ihn: “Und wer hat letztens den deutschen Jungen auf dem Sommerfest halb tot geschlagen?” “Die XY-Gang”. Und wer gehört dazu? “Kurden, Russen, Kroaten, Bosnier.”. “Und du wunderst dich, dass man annimmt, dass ihr angefangen habt?”. “Naja, eigentlich nicht.”

Ich habe die Jungs, die die Mitglieder der XY-Gang alle gut kennen, gefragt, warum diese Jungs (13 – 17 Jährige) sich trauten in ein anderes (eher bürgerliches) Viertel zu gehen und vor den Augen vieler deutscher Erwachsener sich einen deutschen Jungen zu schnappen und ihm so übel zuzurichten, dass jeder Knochen im Gesicht gebrochen wurde. Die einmütige Antwort lautete: ” Es war ein Skater, die sind alle Opfer. Und die XY-Gang hat die Black Jackets hinter sich.“

Zum Schluss mussten sie mir recht geben, dass man sich nicht wundern kann, wenn “die Deutschen” – und nicht nur die Skater mit den blöden Opferhosen – anfangen zu zittern, wenn eine Gruppe Jungmänner mit Migrationshintergrund auf sie zukommt, und dass die Polizei automatisch annimmt, die mit Migrationshintergrund seien schuld. Und dass die Deutschen aus ihrem Viertel ausziehen und nur Ausländer zurückbleiben. Und dass es keine deutschen Spieler mehr gibt in ihrem (ehemals) deutschen Fussballverein. Die Jungs haben sogar die Polizei in Schutz genommen und gemeint nicht alle Polizisten seien ausländerfeindlich oder so. Viele seien echt in Ordnung. Die Kids sind auch in Ordnung, und mit 14 “noch zu haben”. Und wenn die deutsche Gesellschaft sie nicht “holt”, dann werden es Typen wie die Black Jackets, die angeblich fleißig am Rekrutieren seien, es womöglich tun. Und dann wird es noch schwieriger, als Deutschtürke bei Sixt ein Auto zu mieten.

 

Sixt antwortet auf Diskriminierungsvorwürfe

Soeben errreicht mich über Konstantin Sixt folgende Stellungnahme der SIXT AG zu den auf der „Achse des Guten“ erhobenen Vorwürfen, ein türkischer Kunde sei beim Versuch ein Auto zu leihen diskriminiert worden:

„Stellungnahme der Sixt AG
Sixt ist als internationaler Mobilitätsdienstleister in mehr als 100 Ländern weltweit tätig. Wir sind ein weltoffenes Unternehmen, das seinen Erfolg dem Vertrauen von Kunden auf der ganzen Welt verdankt. Auch die mehr als 3.000 Mitarbeiter von Sixt gehören vielfältigen Nationalitäten und Kulturen an. Seit vielen Jahren sind Toleranz und Respekt gelebte und prägende Bestandteile unserer Unternehmenskultur.


Selbstverständlich bieten wir unsere Dienstleistungen allen Kunden ungeachtet ihrer nationalen Herkunft an. In der Autovermietung folgen wir dabei der branchenüblichen Regelung, wonach Kunden zur Anmietung eines Fahrzeugs einen gültigen Führerschein und einen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegen müssen.


In aller Regel handelt es sich dabei um Dokumente aus einem Land.
An einer Vermietstation von Sixt hat ein türkischer Kunde bei der Fahrzeuganmietung nicht Dokumente eines einzigen Landes, sondern einen deutschen Führerschein und einen türkischen Personalausweis vorgelegt. Diese ungewöhnliche Kombination hat bei unseren Mitarbeitern Verwunderung ausgelöst. Dennoch hätte der Kunde auf dieser Basis selbstverständlich ein Sixt-Fahrzeug erhalten müssen. Unsere Mitarbeiter haben in dieser Situation falsch und unangemessen reagiert und dem Kunden kein Fahrzeug übergeben. Daraus sind dem Kunden erhebliche Unannehmlichkeiten entstanden. Wir bedauern diesen Vorfall sehr und haben uns bei dem Kunden in aller Form entschuldigt.


Zugleich weist Sixt mit Nachdruck den Vorwurf der Diskriminierung zurück. Diese Unterstellung entbehrt nicht nur im vorliegenden Fall, sondern in allen anderen Geschäftsabläufen von Sixt jeder Grundlage.“