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Warum die Islamkonferenz auch ohne den „Zentralrat der Muslime“ auskommt

Am kommenden Montag will Innenminister Thomas de Maizière die zweite Rundes der Deutschen Islam Konferenz feierlich im Berliner Palais am Festungsgraben lancieren. Heute ließ der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) verkünden, der für ihn reservierte Stuhl werde leer bleiben. Was soll eine DIK ohne den ZMD?

In Wahrheit steht nicht der Sinn der Islamkonferenz in Frage, sondern die Legitimation des so genannten „Zentralrats“. Denn andere, teils größere, Verbände nehmen weiter teil – wie etwa die türkische Ditib, die Aleviten, der Verband Islamischer Kulturzentren und der Verband bosnischer Muslime. Ausserdem dabei: eine hochkarätige Auswahl von 10 nicht organisierten Muslimen, darunter Theologen, Islamwissenschaftler, Anwälte und andere zivilgesellschaftliche Akteure.

Der pompöse Name „Zentralrat“ – in Anlehnung an den Zentralrat der Juden gewählt – war immer schon Anmaßung. Nichts ist „zentral“ an der Schirmorganisation, die schätzungsweise kaum zehn Prozent der hiesigen Muslime vertritt (nach  Studien, auf die sich das Innenministerium beruft, sogar nur maximal 3 Prozent) . Auf der Führungsebene dominieren deutsche Konvertiten wie der Vorsitzende Ayyub Axel Köhler, im Hintergrund agieren zwielichtige Figuren wie der ehemalige Chef der „Islamischen Gemeinde in Deutschland“, Ibrahim El Zayat, der im Verdacht steht, der Muslimbruderschaft anzugehören.Was von Köhlers Führungsstil zu halten ist, zeigte sich im Jahr 2007, als er  El Zayat einfach mit ins Plenum der Islamkonferenz einschleuste, gegen den Willen der deutschen Behörden.

Der ZMD kann keineswegs für die Mehrheit der Muslime in Deutschland sprechen. Er ist ein Relikt aus der Zeit, als der deutsche Staat und die Medien sich wenig auskannten mit den hier lebenden Muslimen. Man suchte händeringend Ansprechpartner, und da kam man bei flüchtigem Googlen eben immer auf den ZMD mit seinen wenigen sprechfähigen Köpfen: Nadeem Elyas, Ayyub Axel Köhler, Aiman Mazyek.

Diese Zeit ist vorbei – und zwar dank der Islamkonferenz. Der Islam in Deutschland hat angefangen, selbst sprechen zu lernen: Aus den türkisch dominierten Verbänden sind einige Köpfe hervorgegangen, die kompetent und eloquent Rede und Antwort stehen können – Bekir Alboga von der Ditib, Ali Ertan Toprak für die Aleviten zum Beispiel.

Immer mehr „Kulturmuslime“ melden sich zu Wort, weil sie sich nicht von den stockkonservativen Verbänden vertreten fühlen. Marokkaner, Bosnier und Iraner haben eigene Persönlichkeiten, die für die Vielfalt des Islams hierzulande stehen. Und auch die vielen Stimmen – sehr oft Frauen -, die sich kritisch mit dem islamischen Erben befassen,  sind hier zu nennen: von der frommen Schiitin Hamideh Mohagheghi über liberale Sunniten wie Lamya Kaddor oder Hilal Sezgin bis zu radikalfeministischen Kritikerinnen wie Seyran Ates und Necla Kelek reicht das Spektrum. Untereinander sind sich manche spinnefeind – aber das zeigt ja gerade, dass Deutschland im realen Pluralismus des islamischen Lebens in Europa angekommen ist.

Wir haben in der aktuellen Nummer der Zeit ein Interview mit drei neuen Teilnehmerinnen der Islamkonferenz. Alle drei sind nicht organisiert. Sie reden unverkrampft über ihren Glauben, über die Mißstände und das Schöne an der islamischen Spiritualität. Ihre Familien stammen aus Marokko, dem Iran und Bosnien. Sie sind unterschiedlich stark religiös, eine von ihnen trägt Kopftuch, die anderen nicht – und doch kann man sehr gut miteinander reden. Sie sind alle auf ihre eigene Art Musliminnen – und sie gehen nicht in die Moscheen der Männer. Diese Frauen sind die Zukunft des Islam in Deutschland.  Nicht die wichtigtuerischen Herren in den Verbänden. Der Innenminister tut recht daran, ihnen eine Stimme zu geben in der Konferenz. Ein reiches Stimmengewirr hat die Verbände an den Rand gedrückt – und das ist gut so!

Natürlich leiden die (meist) Herren darunter, dass ihre Vereine nicht umstandslos als quasi-Kirchen anerkannt werden (obwohl sie auch immer wieder behaupten, genau das wollten sie vermeiden, weil es unmuslimisch sei). Und nur so ist die beleidigte und unpolitische Aktion des ZMD jetzt zu verstehen:

„Die DIK II ist in der jetzigen Form ein unverbindlicher Debattier-Club. Der ZMD wird unter diesen Bedingungen an der DIK II nicht teilnehmen“, heißt es in der Pressemitteilung.

„Die DIK ist und bleibt eine von der Bundesregierung verordnete Konferenz. Der Staat versucht sich über die Selbstorganisation der faktischen islamischen Religionsgemeinschaften hinwegzusetzen. …

Das BMI ist nicht bereit im Rahmen der Islamkonferenz zusammen mit den legitimierten muslimischen Organisationen und den Vertretern der Länder im Rahmen einer Arbeitsgruppe einen Fahrplan zu entwickeln, der zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft führt.“

Die Islamverbände können nicht als Religionsgemeinschaften im vollen sind der deutschen Verfassung  anerkannt werden. Sie haben keine direkten Mitglieder. Ihre Repräsentationsstrukutren sind wenig transparent und demokratisch. Sie haben keine theologische Kompetenz, um als Partner des Staates bei der Entwickung von Curricula helfen zu können. Teilweise (Ditib) hängen sie viel zu sehr vom Ausland ab. Sie müssten sich neu aufstellen, um das zu erreichen. Der Koordinierungsrat der Muslime war kein Aufbruch in diese Richtung, sondern einfach nur eine weitere Dachorganisation über schon bestehenden Dachorganisationen.

Vielleicht ist das ganze Aufhebens um den Köperschaftsstatus ohnehin eine Sackgasse: Denn die dringenden Bedürfnisse der Muslime hierzulande – Religionsunterricht und Imamausbildung, Lehrstühle für islamische Theologie – kann man auch unterhalb dieser rechtlichen Schwelle regeln. Erfolgreiche Feldversuche – etwa in Niedersachsen – weisen in diese Richtung.

Der ZMD hat sich verzockt. Er wollte dem Innenminister eine rechtliche Aufwertung abtrotzen, ohne sich selbst vorher zu reformieren. Thomas de Maizière ist darauf nicht hereingefallen. Sein Ansatz, die Islamkonferenz pragmatischer zu gestalten, ist richtig: Islamunterricht und Imamausbildung beschleunigen, über Geschlechtergerechtigkeit reden, Islamfeindlichkeit und Islamismus als Zusammenhang debattieren. Das ist ein gutes Programm. Es läßt sich auch ohne den Zentrarat der Muslime bearbeiten. Vielleicht sogar besser.

 

Migranten gegen Einwanderung

Interessante Reportage aus Luton, 50 Meilen nordwestlich von London, einen Tag vor der Wahl in Großbrittanien, in der New York Times:

Einwanderung ist eines der wichtigsten Themen für die Wähler. Alle Parteien versprechen eine Limitierung der Einwanderungszahlen, die in den letzten Jahren besonders nach oben geschnellt sind durch die (ost)europäische Freizügigkeit. Und so stehen nun in Luton Menschen aus Bangladesch und Pakistan gegen die Polen, die dort in den vergangenen Jahren auf den Arbeitsmarkt gedrängt sind.

Gegen Einwanderung sind nicht mehr bloß die Weißen aus der Unterschicht wie in früheren Jahren, sondern auch Menschen wie Mr. Qurban, der vor der Moschee von Bury Park fogendes sagt:

“I think this country is coming overpopulated, too many people coming in from everywhere, especially Europe,” Mr. Qurban said, as fellow worshipers nodded in assent. In particular, he said, thousands of Poles in Luton were taking jobs from the children and grandchildren of a previous generation of immigrants like himself, those who arrived from Pakistan in one of Britain’s early waves of migration in the 1960s.

 

Die Grenzen der Politik

Ein super interessanter Aufsatz von David Brooks in der New York Times über die Grenzen der (Integrations- und Sozial-)Politik:

„Roughly a century ago, many Swedes immigrated to America. They’ve done very well here. Only about 6.7 percent of Swedish-Americans live in poverty. Also a century ago, many Swedes decided to remain in Sweden. They’ve done well there, too. When two economists calculated Swedish poverty rates according to the American standard, they found that 6.7 percent of the Swedes in Sweden were living in poverty.

In other words, you had two groups with similar historical backgrounds living in entirely different political systems, and the poverty outcomes were the same.

A similar pattern applies to health care. In 1950, Swedes lived an average of 2.6 years longer than Americans. Over the next half-century, Sweden and the U.S. diverged politically. Sweden built a large welfare state with a national health service, while the U.S. did not. The result? There was basically no change in the life expectancy gap. Swedes now live 2.7 years longer.

Again, huge policy differences. Not huge outcome differences…“

 

Aygül Özkan: „Nicht die Ministerin der Türken“

Ein kluger Kommentar heute in der türkischen Tageszeitung „ZAMAN“ über Aygül Özkans Vereidigung:

Ismail Kul gießt etwas Wasser in den Wein der türkischen Begeisterung über „unsere erste Ministerin“: «Wir dürfen die Sache nicht übertreiben. Aygül Özkan ist nicht die Ministerin der Türken. Sie ist die Ministerin, die die CDU gewählt hat und die die gesamte Bevölkerung des Bundeslandes vertreten muss. Vielleicht wird sie sogar härter zu unseren Menschen sein als viele ihrer deutschen Kollegen: vielleicht wird sie sich königlicher als der König fühlen. Zweitens ist es kein Verdienst der türkischen Community. Genauso, wie es nicht das Verdienst der schwarzen Bevölkerung der USA war, dass Obama Präsident wurde. Nun gilt es nicht auf die Ministerin zu schauen, sondern darauf, was sie tut. Ihre Leistung müssen wir uns anschauen. Und was noch wichtiger ist: Der Blick in den Spiegel. Wenn wir uns an diese Reihenfolge halten, werden wir einen guten Weg gehen. In diesem Sinne wünschen wir Aygül Özkan in ihrem neuen Amt viel Erfolg».

 

Tariq Ramadan endlich im Gelobten Land

Tariq Ramadan hatte nach Jahren des Banns endlich Gelegenheit, sich einem amerikanischen Publikum vozustellen – in New York bei der Cooper Union. Die Gründe für den Bann habe ich hier erklärt, und hier habe ich mich früh (2004) dagegen ausgesprochen, weil ich die Angst vor diesem Mann immer ein falsches Signal fand, das ihn nur größer macht als er ist.

Ich habe selbst zwei Mal mit Ramadan in Berlin öffentlich debattiert und feststellen müssen, dass er sehr gut aufzutreten weiß und geschickt argumentiert – aber am Ende eben doch kein Mann zum Fürchten ist.

Nun darf ich mich mit meiner Argumentation gegen das Einreiseverbot voll bestätigt fühlen: Ramadans Auftritt in New York war gut besucht und doch alles andere als eine Sensation: Der Prediger hat sich selbst entzaubert. George Packer, der mit Ramadan auf dem Podium saß, hat in seinem „New Yorker“-Blog über den Auftritt geschrieben:

Ramadan seemed wrong-footed in those opening remarks. He didn’t have a sense of where he was, of his American audience. It was as if he were speaking to disaffected young second-generation immigrants in a working-class mosque in Lille or Leicester, which is how he spends much of his time. Multiple identities, the value of diversity—not exactly news in this city, in this country. Many of his sentences amounted to buzz words strung together, without reaching a point. It seemed a missed opportunity: his first address in America since becoming an international figure, and he hadn’t prepared, hadn’t thought it through.

Once Ramadan sat down, and the panel and audience got involved, he became much sharper. Hearing him talk for an hour and a half, you realized what he is and isn’t. He is not a philosopher, or an original thinker. He has been cast in that role by recent historical crises and his own ambition—the role of someone whom large numbers of people turn to for insight on a vast range of issues, from the Islamic texts to globalization, from unemployment in France to women’s rights. What he has to say about most subjects is garden-variety European leftism. When questions of Islam and Muslims join the debate, his stance is that of a reconciler: he wants to make it possible for young Muslims to affirm their religious faith as an identity while fully participating as citizens of secular democracies. That’s his main project, an important one, and it’s where he is at his best: as a kind of preacher to confused, questing young Muslims who want to know how to live, where they fit in. And because American Muslims are not a large and disenfranchised and angry minority in this country, I don’t think this calling leaves him with very much to say to audiences here. An American Tariq Ramadan would likelier be talking to groups of young blacks or Hispanics.

So ist es. Und darum erübrigen sich Einreiseverbote ebenso wie hysterische Entlarvungen dieses Predigers als Mann mit einer doppelten Agenda (wie zuerst auf Französisch vorgelegt von Caroline Fourest, dann auf Englisch von Paul Berman in der New Republic). In New York „Diversität“ und multiple Identitäten zu preisen, heißt Eulen nach Athen tragen. Und im Gegenzug  gilt: Wenn sich die Europäer eines Tages beruhigt haben werden über diese unvermeidlichen Tatsachen, wird auch Ramadans Plädoyer in Europa „not exactly news“ sein. Hannes Stein kommt in seiner Rezension des Auftritts von Ramadan auf die Sache mit dem Mufti von Jerusalem zurück, der Hitler unterstützt hatte und seinerseits von Ramadans Großvater Hassan Al-Banna unterstützt worden war. Es wäre allerdings zu wünschen, dass Ramadan sich eindeutig zu dieser Geschichte des islamischen Antisemtismus verhält. Er ist kein ernst zu nehmender Philosoph oder Intellektueller (Theologe auch nicht), so lange da Zweideutigkeiten bestehen. Historische Klarheit ist eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit.

Aber die NS-Geschichte des Muftis ist nicht wirklich entscheidend für das Phänomen Ramadan. Für seine Hauptanhängerschaft unter jüngeren Muslimen hat er die Funktion eines Versöhners: Er verspricht, es sei möglich, am islamischen Glauben festzuhalten und dennoch voll an den modernen Gesellschaften des Westens partizipieren zu können. Im gleichen Maße, wie dieses Versprechen zu einer Selbstverständlichkeit in unseren Gesellschaften wird, wird sich das Faszinosum Tariq Ramadan erledigt haben. Amerika ist da weiter – nicht zuletzt wegen einer anderen Einwanderungspolitik, was die islamische Welt angeht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

(Der Auftritt Ramadans als Audiodatei hier auf der Website des amerikanischen PEN. GRRRAUENHAFT die Einlassungen der „Feministin“ auf dem Podium, die allen Ernstes die Frauenquote des iranischen Parlaments als Indiz anführt, dass es mit der Unterdückung der Frauen im Islam doch nicht so schlimm sein können. Aua!)

 

Warum ich nie Deutsche sein will

Das erklärt Mitbloggerin Cucumis in diesem Beitrag:

Irgendwie muss ich lachen wenn ich diesen Beitrag und die ganzen Kommentare dazu lese.

Vor allem finde ich es echt mutig, solche Beiträge zu schreiben, denn das offenbart ja eigentlich nur, wie “unwissend” die Menschen sind. Und DIE sollen Politik machen-Ja, uns allen viel Glück!

Also, die Muttersprache zu erlernen ist die Basis, auf der die zweite Sprache aufbaut. Quasi die Unterkellerung eines Hauses – muss für die Stabilität da sein.
Vor allem verstehe ich solche Zitate wie “So what!” nicht, wenn es um die DEUTSCHE Sprache geht. Also die Schauspielerin hat so gut Deutsch gelernt, dass sie nicht “rein” Deutsch reden kann. Vermischt mehrere Sprachen und ich bin mir sicher, dass sie auch mal Türkisch und Deutsch vermischt. Ein Hoch auf solche “Besserwisser”!!

In mehreren Projekten, die ja auch VOM STAAT GEFÖRDERT werden, geht es darum, dass die Kinder die Muttersprache, und die ist und bleibt TÜRKISCH, zuerst erlernen sollen. Und jetzt soll mir eine daher kommen und sagen: “Nein, dann bringt man es nicht weit!”
Das ist witzig und absurd!

Vor allem finde ich es ja so toll, dass die Menschen, die in dem Beitrag erwähnt werden genau nach irgendwelchen Stereotypen gewählt werden. Herr Öger, dem der Kragen platzt, junge Menschen mit Käppis, Frauen mit Locken. Ah, wunderbar!

Ich sag Ihnen mal was, ich komme selber aus einer Familie mit Migrationshintergrund. Wir sind 4 Geschwister. Die eine ist Dipl.Pädagogin, die eine Rechtsanwältin, die eine Lehrerin und ich studiere gerade Psychologie. Ich habe zuerst Türkisch gelernt und bin regelrecht dankbar dafür. Ich spreche besser Deutsch als manche Deutsche und nein, meine Eltern sind nicht irgendwelche Akademiker oder so. Ganz normale “Gastarbeiter”.

Also, geht es doch!!!!

Die Integrationspolitik ist doch nichts als eine Lüge, um bei den Wahlen mehr Stimmen zu kriegen. Wenn zuvor noch unser tollen Banker sagt “Kein Kindergeld für Migrationskinder mit schlechten Noten”, kann es nicht sein, dass man ein Ganzes bilden will! Die Segregation fängt doch in den Kindergarten an.

Außerdem, nur weil ich in Deutschland lebe, bin ich noch lange keine Deutsche. Werde ich auch nicht sein. Das ist genauso als würde man aus einer Hose eine Jacke machen wollen! Geht einfach nicht.
Vor allen Dingen, wieso auch??
Reichen den deutschen Staatsbürgern etwa die eigene Jugend nicht mehr??
Der demographische Wandel ist ja allen bekannt!

Ich lebe in Deutschland, zahle meine Steuern und tu alles, was “Deutsche” auch tun. Aber eine Deutsche bin ich nicht..War ich nie..und werde ich auch nie sein!…

 

„Träumt ihr türkisch?“ – mit Sigmar Gabriel im Moscheenland Ruhr

Die ausführliche Version meiner Reportage aus der aktuellen ZEIT:

Die Fahne seht man schon von weitem. Mondsichel und Stern auf flammendem Rot. Vor der Buer Merkez Moschee an der Horststraße in Gelsenkirchen steht Ümit Cibir, eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballmütze auf dem Kopf. Ein paar seiner Freunde hat er mitgebracht, auch sie tragen Hiphop-Klamotten und haben ihre Haare mit großen Mengen Gel zu gewagten Skuplturen aufgetürmt.
Eine Weile haben sie schon ausgeharrt an diesem Freitagmittag. Sie warten auf Sigmar Gabriel, den SPD-Vorsitzenden und seinen Bus voller parteinaher Promis. Und natürlich auf die mitreisenden Kameras der Journalisten. Als die Expedition endlich verspätet auftaucht, spannt Ümit mit seinem Kumpel Mohammed zur Begrüßung die Fahne auf. In den Busfenstern prangen Plakate: “Wir zeigen den Rechten die Rote Karte! SPD.”
Ümit und sein Freund zeigen den Linken die Rote Fahne. Es ist freilich die türkische, und das schafft ein Kommunikationsproblem. Denn Sigmar Gabriel ist unterwegs um zu betonen, dass die türkischen Einwanderer und ihre Kinder “hier in NRW dazugehören” und “dass wir nicht zulassen werden, dass diese Typen einen Keil zwischen uns treiben”.
“Diese Typen”, das sind die rechtsextremistischen Hetzer von der Initiative “pro NRW”, die an diesem Wochenende überall im Ruhrgebiet “Mahnwachen” vor Moscheen abhalten und einen “Sternmarsch” auf die neue Duisburger Moschee veranstalten, die größte in Deutschland. Denen will man mit dieser Aktion die Show stehlen. Die Kameras sollen nicht nur die Krakehler zeigen, die ein Minarettverbot auch in Deutschland fordern und biedere Nachbarschaftsmoscheen wie diese hier als “Brutstätten des Terrorismus” hinstellen. An deren Stelle soll Sigmar Gabriel zu sehen sein, Gemütsmensch, Nachbar und Parteichef, der mit den Menschen ohne Furcht und Vorurteile redet, ein Mann, der durch seine schiere Präsenz und Offenheit Zusammenhalt schafft. Ein guter Plan.
Doch so eine riesige türkische Fahne ist da nicht wirklich hilfreich. Sie macht das gewünschte Bild kaputt. Ümit und Mohammed wird das auch gleich deutlich werden.
Gabriel hat kaum den Bus verlassen, da ist er schon federnden Schritts bei den Jungs: “Merhaba. Warum steht ihr hier mit der türkischen Fahne? Seid ihr keine Deutschen? Gehört ihr hier nicht dazu?” Damit haben sie nicht gerechnet. Verlegenes, sprachloses Grinsen unter der Basecap. “Ich bin gleich wieder da, will nur eben die Demonstranten da hinten begrüßen”, versetzt Gabriel und läßt die beiden Verdutzten stehen. Er marschiert zu einer Gruppe von Jusos und Falken, die an der nächsten Ecke lautstark gegen “Rechtsextremismus und Rassismus” demonstrieren. Als er zum Eingang der Buer Merkez Moschee zurückkehrt, leuchtet es ihm schon schwarzrotgold entgegen. Ümit und sein Freund halten jetzt eine deutsche Fahne in den Händen: “Wow. Ihr seid ja pfiffig. Da können wir ja noch was lernen. Kommt mit rein”, sagt Gabriel im Vorbeigehen. Allgemeines Gelächter, in das schließlich auch Ümit und Mohammed einstimmen.

Gabriel mit seinem Tross in der Buer Merkez Moschee Foto: JL
Wenn der SPD-Chef dieser Tage ein “Zeichen gegen die Rechten” setzt, indem er durch die Moscheen des Ruhrgebietes tourt, dann ist das natürlich auch Teil Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen – sechs Wochen vor dem Sonntag, an dem es der Spitzenkandidatin der SPD, hannelore Kraft, vielleicht sogar gelingen könnte, Schwarz-Gelb in Düsseldorf von der Macht zu vertreiben. Frau Kraft ist folgerichtig an mehreren Stationen der Reise ebenfalls dabei. Die Sozialdemokratie hat die Muslime nach Jahren ratlosen Schweigens wiederentdeckt. Integrationspolitik ist unterdessen Unionsterritorium geworden, im Bund durch Islamkonferenz und Integrationsgipfel, in NRW durch den umtriebigen Minister Laschet. Es geht also auch um die Rückeroberung eines Themas.
Aber mit dem Zeichensetzen ist das nicht so einfach dieser Tage. Wo auch immer der Moscheentourist Gabriel hinkommt an diesem Freitag – immer ist einer schon da, den er nicht auf der Rechnung hatte. Ob in in Oberhausen, Mühlheim oder Essen-Katernberg: Überall muss Gabriel die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan aus der ZEIT kommentieren, türkische Gymnasien seien ein Mittel gegen die Integrationsdefizite vieler junger Türkischstämmiger. Und nur wer seine Muttersprache beherrsche, könne auch Deutsch lernen.

In Mühlheim kommen Hannelore Kraft und Peter Maffay dazu (rechts mit Krawatte Vural Öger) Foto: JL

Kaum hat er am Morgen die Haci Bayram Moschee in Oberhausen betreten, geht es schon los. Es ist eine kleine, bescheidene Hinterhofmoschee, in die der Tross hier einfällt. Die mit ornamentalen Kacheln verkleidete Gebetsnische mag in Richtung Mekka weisen, doch die Debatte hat sofort Ankara zum Ziel. Herr Yildirim, der Generalsekretär desMoscheeverbandes Ditib – ein Ableger des Religionsministeriums der Türkei – möchte sich lieber nicht zu Erdogans Meinungen äußern. “Wir gehören zu Deutschland, wir schätzen den Rechtsstaat” – mehr ist dem Funktionär nicht zu entlocken. Da können Gabriels mitreisende türkische Promis nicht mehr an sich halten. Die Schauspielerin Renan Demirkan sagt, ihr eigenes Türkisch sei zwar “nur radebrechend”: “So what! Mein Deutsch ist gut, das war meinen Eltern wichtig, und darum habe ich es zu etwas gebracht. Ich will dass die Kinder diese Sprache lernen, damit sie sich sichtbar machen können und mitmachen können in dieser Gesellschaft, die ich so liebe.” Weiter„„Träumt ihr türkisch?“ – mit Sigmar Gabriel im Moscheenland Ruhr“

 

Bremst der Wohlfahrtsstaat die Integration?

Siegfried Kohlhammer, ein singulär freier Kopf seit vielen Jahren, an dessen islamdiskurskritisches Buch aus den 90ern ich meine meistgebloggte Kategorie hier angelehnt habe, hat im neuen MERKUR mal wieder zugeschlagen.

Kohlhammer ist nach Jahren in Berlin leider wieder nach Japan zurückgegangen, von wo aus er aber immer wieder einen kühlen Blick zurück auf die europäischen Verhältnisse wagt. Ich bin durch seinen Umzug in den Besitz einer exzellenten und beeindruckend durchgearbeiteten Bibliothek von islamwissenschaftlichen Werken gekommen. Traurig bleibt es trotzdem, dass Kohlhammer nicht von Berlin aus die Debatte mit bestimmt.

Aber sein Text sollte genügend Stoff zur Debatte liefern. Auszug:

Niemals zuvor in der Migrationsgeschichte hat es einen derartig hohen Grad an materieller, rechtlicher und ideologischer Unterstützung der Migranten von staatlicher und nichtstaatlicher Seite gegeben wie im heutigen Europa, und Deutschland nimmt dabei einen der Spitzenplätze ein. Seit Jahrzehnten werden hier erhebliche Summen für Integration ausgegeben, in die Sprachprogramme allein sind Milliardenbeträge investiert worden. Schon die Gastarbeiter in den sechziger Jahren waren von Anfang an arbeits- und sozialrechtlich gleichgestellt, erhielten also Tariflohn, Arbeitslosengeld und -unterstützung, Kinder- und Wohnbeihilfe, BAFÖG, ärztliche Betreuung – das volle Programm. Das hatte denn auch zur Folge, dass das (1973 eingestellte) Gastarbeiterprogramm zwar für die Privatwirtschaft, auf deren Druck es eingeführt worden war, einen Erfolg darstellte, nicht aber gesamtwirtschaftlich, da die Folgekosten die Gewinne schließlich übertrafen. Generell gilt in Europa, dass die Migranten insgesamt den Wohlfahrtsstaat mehr kosten, als sie zu ihm beitragen. Eine Lösung der Probleme Europas durch mehr Migranten, wie sie die EU wünscht, ist eher unwahrscheinlich.

Während früher den Einwanderern selbst die Last der Integration auferlegt wurde – und sie funktionierte in der Regel, auch ohne Sozialhilfen und Wohlfahrtsstaat und Antidiskriminierungsgesetze –, gilt heute Integration immer mehr als in die Verantwortung des Staates fallend. Und doch sind die Ergebnisse insgesamt immer dürftiger. »Nie zuvor in der Geschichte der Migration gab es so viel Rücksichtnahme und Planung. Doch die Ergebnisse waren dürftig.« (Laqueur) Das hatte unter anderem zur Folge, dass der Anteil der Erwerbstätigen unter den Migranten stetig sank und eine Lebensplanung auf der Grundlage von Sozialhilfe möglich wurde. So machen etwa die Muslime in Dänemark 5 Prozent der Bevölkerung aus, nehmen aber 40 Prozent der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in Empfang – und andere Länder weisen ähnliche Missverhältnisse auf. »Die Muslime in Europa erhielten mehr wohlfahrtsstaatliche Leistungen als jede andere Gruppe irgendwo und irgendwann.« (Bawer). Omar Bakri Mohammed, Gründer der islamistischen Hizb ut-Tahrir in England, lebte mit seiner Familie von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in der Höhe von circa 2000 Pfund im Monat. »Der Islam erlaubt mir, die Leistungen des (wohlfahrtsstaatlichen) Systems in Anspruch zu nehmen. Ich bin ohne Einschränkungen anspruchsberechtigt. Ohnehin lebt ja der größte Teil der Führerschaft der islamischen Bewegung von Sozialhilfe.«

Überall in Europa, wo eine nennenswerte Zahl muslimischer Zuwanderer sich niedergelassen hat, stößt man auf dieselben Probleme – und es scheint dabei keine Rolle zu spielen, ob die Muslime aus Pakistan oder aus der Türkei kommen, aus Algerien oder aus Bangladesch. Diese Probleme scheinen alle ihren Grund in der zunehmend misslingenden Integration zu haben, wobei gerade auch die zweite und dritte Generation, die traditionell die Integration schaffte, nicht besser integriert sind. Deutlich zeigt sich dies an den ethnischen Kolonien vieler Städte.(7)

Das ist ein zentraler Punkt: Wer hat die Verantwortung für Integration? Der Staat oder primär die Migranten selber?

Bei einem Moscheebesuch mit Sigmar Gabriel in Gelsenkirchen ergab sich letzten Freitag eine interessante Debatte. Es ging um die Schulen, an denen 80 oder mehr Prozent Migranten konzentriert sind. Eine junge Frau meldete sich, Alev Aksu, die sich als Alevitin vorstellte:  “Sorry. Mir kann keiner erzählen, dass die schlechten Bildungserfolge daran liegen, dass achtzig Prozent Türken in einer Klasse sind. Was spricht denn für ein Selbstbild aus so einer Aussage? Wenn wir zuviele auf einem Haufen sind, lernen wir nicht mehr? Es wird genug getan für die Bildung in diesem Land. Alle Chancen sind da. Aber wenn ich den Lehrer nicht respektiere und mich daneben benehme, kann es eben nichts werden. Setzt euch auf den Hintern und lernt!”

Es ist eben nicht so, dass die Migranten selber blind für die Zusammenhänge wären. Wir brauchen mehr Alev Aksus, die den Mund aufmachen.

(Tip: tati, Bakwahn)

 

Wilders Erfolg: Holland ist kein Modell

Natürlich ist das zunächst mal nur eine Koinzidenz. Aber vielleicht steckt ja etwas mehr in dieser Parallelität der Ereignisse:

In Holland gewinnt Geert Wilders mit seiner one-issue-Partei grosse Anteile der Wählerschaft in Almere und Den Haag. Die PVV nennt sich „Partei für die Freiheit“, hat aber eigentlich nur ein Thema: Die Muslime sind unser Unglück. Vor allem wegen des Versagens der etablierten (ehemaligen) Großparteien – Sozis und Christdemokraten – wächst der Nimbus des islamfeindlichen  Rechtspopulisten.

Zur gleichen Zeit in Deutschland: Innenminister de Maizière verkündet, wie hier bereits vorab berichtet, er werde die Deutsche Islamkonferenz fortsetzen. Die ganze Sache wird nun aber praktischer angegangen, weshalb zum Beispiel staatlicherseits mehrere Oberbürgermeister von Städten mit hohem Migrantenanteil dabei sein werden. Auf der Seite der Verbände wird auf den Islamrat verzichtet, eine Briefkastenfirma von Milli Görüs. (Der hatte die Chuzpe, am Tag vor der Verkündigung dieser Nachricht von sich aus auf die Mitarbeit zu verzichten. Nachdem man vorher behauptet hatte, ohne den Islamrat sei es keine Islamkonferenz mehr: sehr lustig!) Die feministischen Kritikerinnen Kelek und Ates werden zwar nicht mehr im Plenum dabei sein, aber de Maizière sagte gestern, er werde sie und andere als persönliche Berater mit dazuziehen.

Und noch eine weitere Nachricht von gestern, während unsere Nachbarn Wilders wählten: Die islamistischen „Sauerlandbomber“ erhielten hohe Haftstrafen zwischen 5 und 12 Jahren. Zwar hatten sie noch keine konkrete Anschlagsplanung gemacht. Aber die abgehörten Absprachen und das beschaffte Material ließen auf einen Anschlag von der Größe der Madrider oder Londoner Mordtaten schließen. Richter Breitling stellte fest, dass wir tiefe Einblicke in Radikalisierungsprozesse der Szene bekommen haben, aber mit unseren Erkenntnissen über die islamistische Gefahr erst am Anfang stehen.

Manche Kommentatoren von Wilders‘ Erfolg – wie etwa der früher eigentlich zurechnungsfähige vernünftige Kollege Rainer Haubrich in der WELT – wollen nun herbeischreiben, dass Holland uns voraus sei. Die Niederländer seien einfach schon weiter in ihrer Wahrnehmung der islamischen Gefahr. Und darum werde etwas ähnliches wie der Wildersche Erfolg auch hier möglich sein.

Ich glaube, es ist umgekehrt: Deutschland ist Europas Modell im Umgang mit dem Islam. Dialog und Sanktion, Gefühl und Härte – ohne Gegensatz, sondern im Einklang für das Ziel einer offenen Gesellschaft mit Zusammenhalt. Die Radikalen isolieren, verfolgen und verurteilen, den anderen die Hand ausstrecken. So einfach ist das.

 

Neustart der Islamkonferenz – ohne Kritiker?

Wer hätte gedacht, dass die Einbürgerung des Islams zu einer Prestigesache für christdemokratische Innenminister werden würde. Aber so ist es: Thomas de Maiziere will die Deutsche Islamkonferenz, Lieblingsprojekt seines Vorgängers Schäuble, fortführen – allerdings weder mit den gleichen Schwerpunkten, noch mit den gleichen Beteiligten. Unter anderem sollen die Islamkritikerinnen Necla Kelek und Seyran Ates beim »Neustart« (de Maiziere) nicht mehr dabei sein.
Wird nun, nach drei Jahren knisternder Konflikte um Kopftücher, Moscheebauten und Schwimmunterricht, auf Weichwaschgang geschaltet? Knickt der Minister, fragt mancher, vor den konservativen bärtigen Herren von den Islamverbänden ein, die schon lange von den feministischen Quälgeistern erlöst werden wollen?
Dem widerspricht, dass de Maiziere auch den Vertreter des konservativsten Verbandes, Ali Kizilkaya vom »Islamrat«, nicht wieder einlädt. Und auch die eher taffen Sprüche des Ministers lassen keinen Kuschelkurs ahnen: Er würde radikale Imame rausschmeißen, hat er im Interview mit der ZEIT gedroht. Die Muslime selbst müssten die »Haupttrennlinie zwischen dem friedlichen Islam und dem gewalttätigen Islamismus ziehen«, forderte er.
Im übrigen: Kizilkaya hat alle wesentlichen Beschlüsse der Konferenz nicht mitgetragen. Und Necla Kelek hat die Islamkonferenz von der anderen Seite her für »gescheitert« erklärt. Sehr überrascht können beide nicht sein, dass die Karawane jetzt ohne sie weiterzieht. Die Konflikte zwischen Islamkritikern wie Kelek und Verbandsvertretern hatten zuletzt etwas Rituelles: »Eurer Islam ist nicht integrierbar!« stand gegen »Ihr seid gar keine Muslime!«
Es ist richtig, dass de Maizière diesen nicht sehr zielführenden Schlagabtausch nicht fortsetzt. Die Konferenz ist dennoch nicht gescheitert. Im Gegenteil: Sie war die mutigste Tat der Großen Koalition. Sie brachte einen Realitätsschock, an dem wir uns noch lange abarbeiten werden, wie unsere nicht enden wollenden Debatten zeigen.
Deutschland hat sich mit der Konferenz das Instrument einer lernenden Gesellschaft geschaffen: Die Mehrheit hat Bekanntschaft mit der Stimmenvielfalt des Islams gemacht – von säkular-feministisch bis neoorthodox bekopftucht. Nicht nur die Mehrheit übrigens: Auch die Muslime selber haben die Buntheit ihres Glaubens zur Kenntnis zu nehmen gelernt. Weder die frauenbewegten Kritkerinnen noch die säuerlichen älteren Herren können heute noch alleine beanspruchen, für »den Islam« zu sprechen. Sichtbar wurden außerdem: Kulturmuslime, die zwar nie in die Moschee gehen, aber wollen, dass ihre Kinder etwas über den Glauben der Väter lernen; deutsche Konvertiten, die oft viel konservativer sind als geborene Muslime; Aleviten, Ahmadis, Schiiten, und sogar muslimische Atheisten. Was will de Maiziere nun mit dem Instrument anfangen? Er sieht sich mehr als Zusammenhaltsminister denn als Sicherheitssheriff. Aber wie entsteht »Zusammenhalt«?
Nicht durch Sonntags- oder Freitagspredigten, das hat die Islamkonferenz gezeigt, sondern durch angst- und hassfrei durchstandene Konflikte. Konflikte sind nicht nur unvermeidlich in einer religiös bunteren Gesellschaft: Klug eingehegt und moderiert, können sie ein Medium der Integration sein.
Es ist gut, dass der neue Minister nun alles praktischer angehen will. Drei Felder interessieren ihn besonders: Religionsunterricht, Geschlechtergerechtigkeit und Islamismus. Er will mehr Praktiker auf dem Podium sehen als bisher ­ in Sachen Religionsunterricht, Imamausbildung, Koedukation, Förderung von Einwanderern im Staatsdienst. Recht so: Doch das Bild dürfen nicht mehr die türkisch dominierten Verbände bestimmen. Sonst entsteht der Eindruck, Deutschland verhandele mit der Türkei (oder deren Mittelsmännern) über die Integration der eigenen Bürger.
Die Konferenz braucht mehr unabhängige muslimische Intellektuelle mit theologischer Kompetenz. Dass Navid Kermani nicht mehr dabei sein soll, wie jetzt gestreut wird, wäre darum unverständlich. Unter den hiesigen Muslimen gibt es keinen zweiten freien Kopf wie den Deutsch-Iraner.
Konkretion ist gut. Aber es wäre falsch, den Debattenmotor Islamkonferenz stillzulegen, um bei der notwendigen Anpassung der deutschen Friedhofsordnung an islamische Begräbnissitten vorwärts zu kommen. Wir brauchen den Streit, eher noch mehr davon: Dass in Deutschland radikale Islamisten vom muslimischen Mainstream isoliert sind und wir (bisher), anders als unsere Nachbarn, keine erfolgreichen islamfeindlichen Rechtspopulisten haben, ist auch ein Verdienst der  Islamkonferenz.