Lesezeichen
 

Thilo Sarrazin antwortet

Dr. Thilo Sarrazin schreibt mir in einem Leserbrief zu meiner Analyse des Streits um seine Äußerungen:

Martin Spiewak und Jörg Lau mögen bitte „Die fremde Braut“ von Necla Kelek, „Der Multikulti-Irrtum“ von Seyran Ates und Arab Boy von Güner Balci lesen. Necla Kelek und Seyran Ates haben übrigens meinen Aussagen öffentlich zugestimmt.

Im übrigen hatte ich gar nicht das Gefühl, als ich das Interview gab, eine besondere Zivilcourage zu besitzen, insofern gebe ich Jörg Lau recht. Im Nachhinein bin ich allerdings über meine Naivität erstaunt.

Zum „Fall out“ des Interviews zählen: Der Versuch mich aus der Bundesbank zu drängen, ein Vergleich mit Hitler und Goebbels durch den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung, ein Parteiausschlussverfahren aus der SPD, Kübel voller Häme aus Teilen der liberalen Presse, bis die massive Leserbriefreaktion zu Besinnung führte. Das halte ich aus, weil ich ausreichend in mir selbst ruhe, materiell gesichert bin und keine weiteren Ämter anstrebe. Wer sonst hält das aus oder setzt sich dem freiwillig aus?

Nachdenklich sollte stimmen, dass ich offenbar ein weitverbreitetes Artikulationsbedürfnis angesprochen habe, das von den Medien und der Politik bisher nicht bedient wurde. Ich sehe hier durchaus einen Systemmangel. Kein Wunder, dass viele „demokratische Diskurse“ über die Köpfe der Beteiligten hinweg gehen.

Mit freundlichen Grüßen,

(Unterschrift)

 

Neues aus der Parallelgesellschaft

Allerdings nicht aus der unsrigen, sondern aus der chinesischen Community New Yorks. Dort wird das traditionelle Kantonesisch abgelöst durch Mandarin, den Dialekt der Mehrheit der Neu-Einwanderer aus China.

Nun lassen selbst Kantonesisch sprechende Eltern ihre Kinder in Mandarin unterrichten, damit diese sich in den New Yorker chinesischen Zirkeln verständigen können.

Alteingesessene Sino-Amerikaner finden sich in ihrem eigenen Viertel nicht mehr zurecht, weil dort Mandarin dominant geworden ist.

Und niemand findet diese Parallelgesellschaft problematisch.

“I can’t even order food on East Broadway,” said Jan Lee, 44, a furniture designer who has lived all his life in Chinatown and speaks Cantonese. “They don’t speak English; I don’t speak Mandarin. I’m just as lost as everyone else.”

Now Mandarin is pushing into Chinatown’s heart.

For most of the 100 years that the New York Chinese School, on Mott Street, has offered language classes, nearly all have taught Cantonese. Last year, the numbers of Cantonese and Mandarin classes were roughly equal. And this year, Mandarin classes outnumber Cantonese three to one, even though most students are from homes where Cantonese is spoken, said the principal, Kin S. Wong.

Some Cantonese-speaking parents are deciding it is more important to point their children toward the future than the past — their family’s native dialect — even if that leaves them unable to communicate well with relatives in China.

Mehr lesen.

 

Was man in Deutschland alles sagen darf

Ich habe für die morgige Ausgabe der ZEIT (Nr.44) eine Seite 3 zu den Weiterungen im Fall Sarrazin geschrieben:

Aus einem Interview in einer wenig bekannten Intellektuellenzeitschrift ist binnen dreier Wochen ein „Fall Sarrazin“ geworden. Der Streit über die Äusserungen des Bundesbankvorstands in „Lettre International“ mutiert zur Debatte über die deutsche Debattenkultur. Es wird mittlerweile genauso leidenschaftlich darüber gestritten, was man hierzulande um welchen Preis sagen darf – wie über die ursprüngliche Frage: ob Sarrazin denn Recht hat mit seinen Behauptungen über Einwanderer in Berlin.
Auch die Leser dieser Zeitung und ihrer Online-Ausgabe sind seit Wochen hoch engagiert in der Analyse des Vorgangs. Seit dem Streit um die dänischen Karikaturen hat es eine solche Welle der Empörung nicht mehr gegeben. In vielen Hundert Beiträgen schält sich ein Deutungsmuster heraus, das sich immer weiter vom Ursprung der Debatte löst. Es lautet etwa so: Einer sagt, was schief läuft im Land mit den „Türken und Arabern“ – und wird dafür bestraft. Man kann einem Mythos beim Entstehen zuschauen: Thilo Sarrazin, einsamer Kämpfer gegen Rede- und Denkverbote.
Zwei Männer haben maßgeblichen Anteil daran: Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden in Deutschland, der behauptete, dass „Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist“. Und Axel Weber, Vorstandschef der Bundesbank, der Sarrazin erst verschwiemelt den Rücktritt nahelegte und ihn dann hinter den Kulissen teilentmachtete – ohne je ein offenes Wort über die Aussagen seines Bank-Kollegen zu wagen, die den Anlass gegeben haben. Nun wird gar behauptet, die Pressestelle der Bundesbank hätte vorab Kenntnis von dem Interview gehabt und Weber hätte Sarrazin somit bewusst ins offene Messer laufen lassen. Wie dem auch sei –  Kramer und Weber lieferten Beispiele dafür, wie man die Diskussionskultur auf den Hund bringen kann: die fast schon bis zur Selbstkarikatur übertriebene Intervention des Zentralratssekretärs und das verdruckste Powerplay des Bankchefs haben mancherorts den Eindruck verfestigt, dass man in Deutschland über bestimmte Dinge nicht mehr reden kann, ohne erst in die rechte Ecke gedrängt und dann in den Senkel gestellt zu werden. Weiter„Was man in Deutschland alles sagen darf“

 

Wenn die Sarazenen kommen

Mit meinem Nachnamen sollte man ja eher vorsichtig sein, wenn es um Namenswitze geht. (Was habe ich nicht schon gelitten seit Grundschultagen!) Aber jetzt muss ich doch noch mal was zum Namen Sarrazin loswerden.
Es wirkt jafast ein bisschen bizarr, dass der Mann, der die „Eroberung durch Geburtenrate“ zum Thema gemacht hat, den Namen jenes Volksstammes trägt, der im Mittelalter zum Inbegriff der christlichen Islampolemik wurde: der Sarazenen nämlich. Einem Schriftsteller würde man eine solche Erfindung nicht durchgehen lassen: zu dick aufgetragen, mein Lieber!

Erhard_Reuwich_Sarazenen_1486

Auf dieser Abbildung aus dem Jahr 1486 sieht man die Tracht der männlichen und weiblichen „Sarazenen“, inklusive Burka und Turban, wie sie von Erhard Reuwich dargestellt wurde.

In Wikipedia gibt es zum Begriff zu lesen:

„Die Bedeutung wurde seit der Spätantike sukzessive erweitert, zuerst auf die übrigen arabischen Stämme der vorislamischen Zeit (Eusebius, Hieronymus), und dann im Laufe der kriegerischen Auseinandersetzungen mit maurischen und arabischen Armeen in Europa auf die islamischen Völkerschaften schlechthin. In dieser erweiterten Bedeutung wurde das Wort seit der Zeit der Kreuzzüge aus dem Griechischen und Lateinischen auch in die europäischen Volkssprachen übernommen.

Der Gebrauch im christlichen Schrifttum war hierbei geprägt von einer die bezeichneten Völker abwertenden, gelehrten Volksetymologie. Bereits bei Hieronymus und Sozomenos, also in vorislamischer Zeit, erscheint die Worterklärung, dass die Agarener (oder Hagarener), die Nachfahren der Hagar, der verstoßenen Sklavin und Nebenfrau Abrahams, sich fälschlich als „Sarazenen“ bezeichnet hätten, um sich als Abkömmlinge der Sarah, der Freien und Ehefrau Abrahams auszugeben und sich dadurch aufzuwerten. Diese Worterklärung, die die Sarazenen als verkappte Agarener, und damit in Anknüpfung an die paulinische Deutung des alttestamentlichen Themas (Gal. 4,21-31) als Angehörige eines von Gott heilsgeschichtlich verstoßenen Volkes deutete, wurde bei den christlichen Autoren des Mittelalters seit dem Aufkommen des Islam zu einem anti-islamischen Topos, der in der europäischen Literatur über die Kreuzzüge und den Islam weitere Verbreitung erlangte.“

Irgendwie doch verdammt lustig, diese Koinzidenz: Der Mann trägt den Namen, mit dem man abwehrend und abwertend die dunkelhäutigen Muslime bezeichnete, die im Zuge des Eroberungsfeldzugs der Mauren nach Europa kamen.

A propos Eroberung durch Geburten: Deutsche in Berlin haben eine Geburtenrate von 1,2 Kindern, Araber und Türken in der Hauptstadt eine Rate von 2 Kindern pro Familie. Die Kollegen vom Stern weisen in ihrer morgen erscheinenden, exzellenten Ausgabe darauf hin, dass die Sarazenen, wenn dies so bleibe, mehrere hundert Jahre für ihr Projekt bräuchten.

Der Stern hat die wesentlichen Aussagen Sarrazins einem Faktencheck unterzogen. So viel kann ich verraten: es bleibt nicht viel übrig. (Vielleicht stellen die Kollegen die Sache ja auch mal online?)

 

Sarrazins Entmachtung: eine fatale Fehlentscheidung

DPA meldet:

„Als Konsequenz aus seinen umstrittenen Äußerungen zur Integration von Ausländern wird Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin weitgehend entmachtet. Der 64-Jährige verliert seine Zuständigkeit für den wichtigen Bereich Bargeld. Künftig ist der SPD-Politiker nur noch für  Informationstechnologie und Risiko-Controlling verantwortlich. Das teilte die Deutsche Bundesbank nach einer Vorstandssitzung am Dienstag in Frankfurt mit. Die Neuverteilung der Aufgaben trete mit sofortiger Wirkung in Kraft.“

Ich finde das töricht, liebe Bundesbank. Hat Sarrazin sich etwa durch seine Äußerungen disqualifiziert, den „Bereich Bargeld“ zu überwachen? Oder hat er sich überhaupt disqualifiziert für irgendein Amt in der Bundesbank?

Wenn er einen Grund gegeben hat, seine Tätigkeit für die Bundesbank in Frage zu stellen, dann soll man ihn gefälligst direkt zum Rücktritt auffordern (nicht so verschwiemelt, wie es der Bundesbank-Präsident Axel Weber getan hat).

Wenn er aber keinen ausreichenden Grund dafür gegeben hat, dann soll man ihn bitte (in seinem Job) in Ruhe lassen und der öffentlichen Debatte vertrauen. Man kann sich übrigens auch an dieser Debatte beteiligen.

Aber nun dieser Versuch, ihn hintenrum auszumanövrieren und zum Schweigen zu bringen! Das wird alle jene bestätigen, die ohnehin der Meinung sind, in Deutschland könne man „bestimmte Dinge nicht mehr sagen“, ohne dafür in den Senkel gestellt zu werden.

Kein einziger namhafter Politiker, der heute Verantwortung hat, hat sich Sarrazin entgegengestellt und sein Interview zerpflückt. Schäuble, Böhmer, Merkel – beredtes Schweigen! Die SPD scheint vollends im Stupor und hat für so was nun echt keine Zeit.

Da wird dem Mann eben – statt eine öffentliche Debatte mit ihm zu führen – auf dem Amtswege der Saft abgedreht.

Tolle Debattenkultur! So bringt man diesen Staat und seine Institutionen in Verruf.

Ich bin, wie bereits gesagt, der Meinung, dass Sarrazin daneben liegt, und zwar nicht nur im Ton! Er spielt kokett „stammtischnah“ mit rechtsradikalem Gedankengut: «Die Türken erobern Deutschland genauso wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.» Das kann und muss man ihm vorhalten und ihn zur Entscheidung zwingen: Nimm das zurück, erkläre Dich, oder nimm Deinen Hut! Oder nimm in Kauf, dass wir Dich degradieren, weil wir Dich nicht feuern können.

Diese Konfrontation hat es aber nicht gegeben.

Sich in der Sache um die Auseinandersetzung zu drücken und Thilo Sarrazin stattdessen kalt abzuservieren ist einfach nur feige. So wird ein Mythos geschaffen: Einer hat’s gesagt, es ist ihm nicht gut bekommen.

Wir brauchen eine freie Debattenkultur in Deutschland, in der Defizite der Integration benannt werden können, ohne dass man in die rechte Ecke gestellt wird. Umgekehrt muss es auch möglich sein, einem Mann in die Parade zu fahren, der sich von seinem eigenen Furor aus der Kurve tragen läßt wie Sarrazin.

Sarrazin hat mit seinem törichten Überspitzungen der Debattenkultur keinen Gefallen getan. Die Bundesbanker machen mit ihrem schleichenden Berufsverbot alles noch schlimmer.

 

Wo Sarrazin Recht hat (und Lau Unrecht)

Meine diversen Texte zum Sarrazin-Interview haben eine Welle von Reaktionen ausgelöst. Manche Leser antworten noch auf dem altmodischen Weg, der unserer „dead tree edition“ entspricht: Leserbriefe trudeln in hoher Zahl ein. Hier einige Proben.

Linus Westheuser, Berlin, schreibt:

Die von der ZEIT gepflegte journalistische Disziplin des Sprechens über Migranten („Unsere Angst“, grillende Ausländer im Tiergarten, etc.) bot schon einige Male Anlass, ungläubig den Kopf zu schütteln; den Vogel abgeschossen aber hat in dieser Hinsicht der Kommentar von Jörg Lau in der letzten Ausgabe.
Als habe es alle kritischen Erkenntnisse zur Konstruktion von Differenz durch Sprache nicht gegeben, wird hier ein weiteres Mal völlig selbstverständlich die Sprecherposition des mal gnädigen mal strengen Richters über Zugang und Ausschluss eingenommen, die von der Hetze der Bild-Zeitung zum Sprachduktus der Ausländerbehörden den deutschen Diskurs über Einwanderung kennzeichnet.
Die im Zentrum dieses Diskurses stehende Verfügungsmacht über Drinnen und Draußen basiert dabei, wie in dem vorliegenden Kommentar, einerseits auf diffusen Zuschreibungen nationaler Art, wie dem reichlich anmaßenden „Wir“, welches in seiner Unspezifiziertheit eine weiße, deutsche  Mehrheitsgesellschaft zu beschwören scheint. Auf der anderen Seite steht der unkritische Bezug auf ökonomische Dominanz, die sich in Äußerungen wie „ein Punktesystem muss her, das formuliert, „wen wir brauchen“ in ihrer Fixierung auf Verwertungsinteressen zeigt. Unbezweifelt bleibt in beiden Logiken, wer der ‚Herr im Hause‘ ist und die Forderungen zu stellen hat.

Die Idee schliesslich, dass das weiße, deutsche „Wir“ in Reaktion auf die Leistung der Migranten, gleichsam als Integrations-Zuckerbrot, soziale Exklusion abbauen werde, ist an Zynismus kaum zu übertreffen. Es wird damit die Schuld für Ausschlussmechanismen den leistungsunwilligen Migranten selbst zugeschoben, sowie die Ausgrenzung in letzter Instanz als soziales Disziplinarinstrument legitimiert.
Es ist hier dieselbe Selbstgefälligkeit des Mächtigen am Werk, wie in der Feststellung, dass Migranten „vor allem durch Moscheenneubauten und den Kampf [!] für Gebetsräume in Schulen“ auf sich aufmerksam machen; eine Verdrehung, die geflissentlich einseitiges migrantisches Handeln mit einer einseitigen deutschen Aufmerksamkeit verwechselt.
Schon auf individueller Ebene ist es bedauerlich bis unerträglich, wenn ein offenbar gebildeter Mensch seine eigene Position so wenig hinterfragt. Die Lizenz jedoch, die eigene Unreflektiertheit auf der Titelseite eines intellektuellen Leitmediums ausbreiten zu können, macht dies zum Symptom eines weitaus schwerwiegenderen Problems, das zu benennen längst überfällig ist: Die deutsche Debatte über Einwanderung ist bestimmt von einem zunehmend unbekümmerteren Ethnozentrismus, in welchem die Äußerungen Laus sich mit denen Sarrazins trefflich überschneiden.
Nur ein Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, anstatt Migranten in wöchentlichen Gesprächen „unter Deutschen“ wieder und wieder mit Zuschreibungen zuzukleistern, einmal eine oder einen aus der so markierten Gruppe selbst zu Wort kommen zu lassen?“

Joachim Hosemann aus Mayen hingegen schreibt:
Sehr geehrte Damen und Herren,

als Zeitabonnent und Kenner der Berliner Verhältnisse ärgerte mich, dass Sie das Sarrazin-Interview zu brennend heißen Problemen mit türkisch-arabischen Immigranten nicht brachten, es aber im Sinne der Gutmenschen lau kommentierten. Weiter„Wo Sarrazin Recht hat (und Lau Unrecht)“

 

Warum Einbürgerung (für manche) leichter werden muss

Im Kommentarbereich auf ZEIT.de schreibt „green 2010“ zu meinem Sarrazin-Artikel:


Ich bin Ausländer, in Deutschland geboren, zur Schule gegangen, Abitur gemacht und studiert, sprich: Deutschland hat viel Geld und Zeit in mich investiert. Ich würde mich als voll integriert einstufen.

Zwei Jahre nach meinem Studium bin ich ins Ausland gegangen. Vorher war ich aber bei der Einbürgerungsbehörde, weil ich mich vor der Ausreise einbürgern lassen wollte. Da hieß es, wenn ich während der Antragsstellung ins Ausland ziehe, würde mein Antrag automatisch abgelehnt.

Im Klartext: Der deutsche Staat lässt mich (und damit seine wertvolle Investition) einfach so von dannen ziehen (sowie Abertausende von Chinesen und Afrikanern jedes Jahr), ohne auch nur die leiseste Anstrengung zu unternehmen, mich für sich zu gewinnen. Ich könnte nun den Rest meines Lebens für andere Volkswirtschaften produktiv sein und ihnen die Früchte der deutschen Investition zukommen lassen – was ich nicht vorhabe. Aber kann man sich das vorstellen? Der deutsche Staat versucht nicht einmal, seine Investition zu sichern, selbst wenn diese es selbst beantragt!

Gewiß, man kann niemanden zwingen, in Deutschland zu bleiben. Aber indem man ausländischen Akademikern die deutsche Staatsbürgerschaft anbietet, erhöht man sicher die Wahrscheinlichkeit, dass diese in Deutschland bleiben oder irgendwann zurückkehren. Ich darf nach meiner Rückkehr übrigens mindestens 3 Jahre warten, bis ich einen Einbürgerungsantrag stellen darf.

So wird das nix, Deutschland.

 

Wir brauchen (doch) keine Einwanderer

Mitblogger jmb schreibt zu meinem Sarrazin-Leiter:

Ich kenne die Situation in den Berliner Jobcentern. Es gibt dort auch genug türkisch-, arabisch-, oder russischstämmige Akademiker unter den Langzeitarbeitslosen. Oft ist die Qualifikation gut, Studium an deutschen Hochschulen, etc.- aber das Deutsch hat “Erkan und Stefan”- Niveau. Auf den bestimmten Artikel wird gerne verzichtet, wie es in Berlin im alltäglichen Umgang im Migrantenumfeld schon fast üblich geworden ist. Natürlich haben sie auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Wie sind sie durch ein Studium in Deutschland gekommen? Wie haben sie Hausarbeiten, Prüfungen und Referate geschrieben? Da haben die Prüfer ein Auge zugedrückt. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wäre es uns denn lieber, wenn die muslimischen Migranten erfolgreicher wären? Ich als z. zt. arbeitsloser deutscher Ingenieur muß sagen: Nicht wirklich. Im Einzelfall freue ich mich natürlich für jeden, der einen Job bekommt, es waren durchweg nette Menschen, allein schon deswegen, weil sie meist – im Gegensatz zu den Deutschen – über eine großen Familienzusammenhang verfügen, so daß die Arbeitslosigkeit einen geringeren Stellenwert in ihrem Leben einnimmt, sie sind dadurch lockerer und selbstbewußter. Besser als in den Herkunftsländern ihrer Eltern geht es ihnen hier allemal. Aber gesamtgesellschaftlich: Was ist gewonnen, wenn wir die wenigen in Deutschland vorhandenen qualifizierten Arbeitsplätze an mehr Zugewanderte vergeben? Ich glaube nicht an das Märchen, daß die Einwandererkinder “unsere Rente bezahlen”, wie uns immer eingeredet wird. Der zunehmend kleine Kuchen “Arbeit” kann eben nicht auf beliebig viele Menschen verteilt werden.

 

Was Sarrazins Interview bedeutet

Mein Leitartikel aus der ZEIT von morgen, Nr .42, S.1.:

Erst hat er gepoltert, dann hat er sich entschuldigt: Thilo Sarrazin, der Haifisch im Karpfenteich der Berliner Politik, hat wieder eines seiner berüchtigten Krawall-Interviews gegeben. In schnoddrigem Ton dozierte er über die Missstände des Einwanderungslandes Deutschland, wie sie sich in Neukölln und Berlin-Mitte verdichten: Schulversagen, Importbräute, aggressiver Machismo und das Versacken auch der dritten Generation – vor allem von Mi­gran­ten türkischer und arabischer Herkunft – in staatlich alimentierten Parallelgesellschaften.
Es ist eine Errungenschaft, über diese Dinge unverklemmt und ohne Hass debattieren zu können. Deutschland übt erst seit ein paar Jahren den freieren, konfliktfreudigen Blick auf die selbst verschuldeten Folgen fehlgesteuerter Einwanderung und verweigerter Integration: Ja, es muss möglich sein, über die unterschiedlichen Integrationserfolge verschiedener Gruppen zu reden, über Geschlechterrollen, Familienstrukturen und religiöse Prägungen, die dabei den Ausschlag geben.
Falls Thilo Sarrazin, in den Vorstand der Bundesbank gewechselter ehemaliger Berliner Finanzsenator, dazu einen Beitrag leisten wollte, ist er allerdings spektakulär gescheitert. Mit maßlosen Zuspitzungen hat er der Integrationsdebatte – und sich selbst – einen Tort angetan. Eine »große Zahl von Arabern und Türken in dieser Stadt« habe, meint Sarrazin, »keine produktive Funktion außer für den Obst- und Gemüsehandel«. Was soll dieser Hohn über kleine Selbstständige, die schuften, damit die Kinder es einmal besser haben? Wir sollten feiern – wie man es im Einwanderungsland USA tut –, dass diese Menschen lieber arbeiten, als von Transferleistungen zu leben. Sarrazin räumt ein, dass »nicht jede Formulierung in diesem Interview gelungen war«. Mehr als das: Er kokettiert auch mit rechtsradikalen Denkfiguren: »Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate.« Nun wird sein Rücktritt aus dem Bundesbank-Vorstand gefordert. Zurücktreten muss er nicht. Aber es sollte ihm zu denken geben, dass die NPD in Sachsen ihm höhnisch das Amt des Ausländerbeauftragten anträgt.
Sarrazin hat mit seinem Interview das Dokument einer gesellschaftspolitischen Wasserscheide vorgelegt. Wer die fünf eng bedruckten Seiten in Lettre International liest und zugleich die Regierungsbildung verfolgt, steht verblüfft vor der Tatsache, dass ein prominenter SPD-Mann am rechten Rand entlanggrantelt, während die konservativ-liberalen Koalitionäre über einer modernen Integrationspolitik brüten. Das ist die eigentliche Bedeutung des Sarrazin-Interviews: Die Sozialdemokratie hat das Zukunftsthema Integration an die ideologisch flexiblere andere Seite abgegeben. Sarrazin war sieben Jahre lang in einer Regierung, die beinahe nichts gegen die weitere Verwahrlosung und ethnische Se­gre­ga­tion in der Hauptstadt getan hat. Und nun bramarbasiert er apokalyptisch über »Unterschichtgeburten« und die »kleinen Kopftuchmädchen«, wie es früher die Rechte getan hat.
Währenddessen haben die Konservativen ihren Frieden mit dem Einwanderungsland gemacht, ohne die Augen vor den Problemen zu verschließen – und denken schon ganz pragmatisch über ein Integrationsministerium auf Bundesebene nach. Sie wollen Deutschland nicht mehr abschotten, sondern zu einer »Auf­stei­ger­repu­blik« umbauen – so der CDU-Politiker Armin Laschet –, in der Chancengerechtigkeit und Leistungswille vor Herkunft gehen.

Das ist das integrationspolitische Motto der ­Mitte-rechts-Koalition für das Einwanderungsland Deutschland. Die CDU kann dabei glaubwürdig führen, gerade weil sie früher die Partei des Leugnens und Verdrängens war. Sie kann all jene mitnehmen, denen der Wandel zu schnell geht. Die wirtschaftsnahe FDP kann, getrieben vom wachsenden Fachkräftemangel, den Bewusstseinswandel befördern: Wir brauchen eine gestaltende Einwanderungspolitik. Die Konsequenzen der verfehlten Gastarbeiterpolitik früherer Jahrzehnte gilt es jetzt anzupacken.
Und dazu wird es eines veritablen New Deal mit den Migranten bedürfen. Man könnte es auf diese Formel bringen: größere Aufnahmewilligkeit gegen mehr Engagement und Eigenverantwortung. Also: Wir werden euch schneller als Teil dieses Landes akzeptieren, wenn ihr euch mehr reinhängt. Was die türkische Gemeinschaft angeht, läuft es auf Fragen dieser Art hinaus: Statt es zur Ehrensache zu machen, gegen Sprachnachweise beim Ehegattennachzug zu streiten – wie wäre es mit einem Kampf für besseren Deutschunterricht? Wann fangt ihr an, nicht vor allem durch Moscheeneubauten und den Kampf für Gebetsräume in Schulen, sondern durch Leistung auf euch aufmerksam zu machen?
Wir müssen Einwanderer künftig aussuchen: Ein Punktesystem muss her, das formuliert, wen wir brauchen. Die Einbürgerung aber muss erleichtert werden, und zwar abhängig von Fortschritten bei der Integration: Warum sollen erfolgreiche Migranten acht Jahre lang auf ihren Pass warten? Die sogenannte Mehrheitsgesellschaft muss sich fragen lassen, warum es so verteufelt schwer ist, hierzulande dazuzugehören – selbst wenn man erfolgreich ist. Wie hieß es doch im Wahlkampf: Leistung muss sich lohnen.
Schwarz-Gelb sucht ein Projekt. Unbescheidener Vorschlag: nach Eingliederung der Vertriebenen und Wiedervereinigung nun die Integration der Neudeutschen – eine »dritte deutsche Einheit« (Laschet), das wäre doch was.

 

Mythos Einwanderungsland

Weil manche Mitblogger hier gerne behaupten, es gebe eine ungebremste Einwanderung nach Deutschland, ein paar Fakten. Dies hier sind die letzten Ausländerzahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: Seit 2002 gibt es danach jedes Jahr leicht rückläufige Zahlen. Der Ausländeranteil stagniert seit einem Jahrzehnt bei knapp unter 9 Prozent.

Bild 1

Eine andere grafische Darstellung im Zeitverlauf der Bundesrepublik macht den Aufwuchs sichtbar – und das Abflachen auf dem Niveau bei knapp über 7 Millionen.

Bild 2

Quelle.