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Was die DDR für Marwas Tod kann

Fragt sich die Vorsitzende der säschsischen Landtagsfraktion der Grünen, Antje Hermenau, in einem bedenkenswerten Stück (ebenfalls in der heutigen taz).

Die DDR-Tradition der Abschottung von Einwanderern hat ein unheilvolles Erbe hinterlassen, meint sie. Und man muss die Grünen wirklich dafür leiben, dass sie solche Fragen stellen, denen sich alle anderen gerne verweigern wollen: Hat die Fremdenfeindlichkeit im Osten etwas mit dem sozialistischen Staat zu tun?

Als 1989 die Mauer fiel, lebten etwa 192.000 Ausländer in der damaligen DDR. Viele von ihnen waren Arbeitsmigranten, in der DDR ‚Vertragsarbeiter‘ genannt. Sie waren über staatliche Abkommen ins Land gekommen. Das SED-Regime achtete streng darauf, dass sie nach der vereinbarten Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Während sie in der DDR lebten, wohnten sie abgeschottet in Heimen, über die Einzelheiten der Abkommen mit ihren Herkunftsländern war bei der Bevölkerung wenig bekannt.

Ein Miteinander zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung, das über demonstrative Gastfreundschaft hinausging, war nicht vorgesehen. Bestehende Ressentiments und fremdenfeindliche Übergriffe, die es sehr wohl gab, wurden tabuisiert und geheim gehalten. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es keine Normalisierungsprozesse zwischen Eingeborenen und Eingewanderten.

Dieses Erbe der Vergangenheit ist auch heute noch in Ostdeutschland gegenwärtig. Auch 20 Jahre nach der Wende gibt es ausreichend Anzeichen, dass die Vorstellung, Migrantinnen und Migranten seien nicht Teil dieser Gesellschaft, sondern eine Gruppe von ‚Besuchern‘ auch weiterhin verbreitet ist.(…)

Was in Sachsen und Ostdeutschland fehlt, ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem DDR-Erbe sowie eine realistische Analyse zur Situation der Einwanderer in Ostdeutschland.

Die Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, der Tod von Jorge Gomondai in Dresden 1991 oder aber auch die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen 1993 hätten Anlass sein müssen, eine eigene ostdeutsche Debatte zu Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit und den Umgang mit Migrantinnen und Migranten in breite gesellschaftliche Schichten zu tragen.

(…)

Auch die politisch Verantwortlichen tragen zu einem Zerrbild bei, wenn sie in Veranstaltungen über den Islam hauptsächlich über die Gefahr von Terrorismus reden, statt über in Ostdeutschland tatsächlich bestehende Herausforderungen und Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund zu diskutieren.

Der Mord an Marwa el-Sherbini hat auch etwas anderes deutlich gezeigt: Dass diese Frau hervorragend gebildet war, Deutsch sprach und das deutsche Rechtssystem nicht nur anerkannte, sondern sich ihm sogar anvertraute, hat sie nicht vor der schrecklichen Gewalttat bewahrt. Auch wenn sie schon bald nach Ägypten zurückkehren wollte, entsprach sie fast dem konservativen Wunschbild der „Integration“. Das hat sie nicht geschützt. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in Sachsen den Menschen, die von vielen als „Fremde“ wahrgenommen werden, den Respekt entgegenbringen, auf den jeder, wirklich jeder Mensch Anspruch haben muss – unabhängig von Herkunft oder Religionszugehörigkeit.

 

Multikulturalismus marschiert – im Fussball

Die Herald Tribune macht einen guten Punkt zu dem zauberhaften Sieg der deutschen U21 (4:0) über England am letzten Montag (hat meinen Abend gerettet). Der Artikel trägt den gewöhnungsbedürftigen Titel: „Das multikulturelle Deutschland marschiert“.

„Mesut Özil is the team’s most creative player. Sami Khedira wore the captain’s armband. Gonzalo Castro was a key goal scorer. Jerome Boateng, Dennis Aogo, Ashkan Dejagah, Fabian Johnson and Änis Ben-Hatira were all in the squad.

All had a choice: to play for Germany, where most of them were born or learned their soccer, or to represent the lands of their fathers.“

Und sie entschieden sich für Deutschland, zu unserem Nutzen.

Oliver Bierhoff sagt es richtig:

„There will be some who suggest that Germany may simply have hit on a particular group of emerging talents at the one time. Olivier Bierhoff, general manager for Germany’s national teams, thinks it is more significant than that.

‚It goes to show the integrative character of football,‘ Bierhoff said. ‚Its nice to see how these players devote themselves to Germany. The German team should be a home for them.'“

 

Der Geburtsfehler der Islamkonferenz?

Christopher Caldwell schreibt in seiner Kolumne in der Financial Times über die Deutsche Islam Konferenz, ihr Grundansatz sei geeignet, die Diversität der Muslime in Deutschland – die gerade in der hier bereits erwähnten Studie des BAMF festgestellt wurde – zu missrepräsentieren: eben gerade weil sie mit dem Ziel antrete, eine einheitliche Vertretung der Muslime zu generieren, die dann als Ansprechpartner des Staates dienen könne:

Muslims, whether they are one community or several, have certain shared values they can be expected to pursue – and are entitled to pursue – in the public sphere. A lot of important political questions today, from gay marriage to sexual education, revolve around how deeply religious principles ought to inform public law. How diverse, politically speaking, will German Muslims be?

While Mr Schäuble’s Islam Conference can be applauded as a gesture of welcome, its focus on the diversity of Muslim communities is beset with contradictions. If Islam in Germany is as diverse as the BAMF report says, then why is a big national initiative the right way to deal with it? And what is the desired outcome?

A conclave such as the Islam conference tends to elevate the invitees to semi-official status as community representatives. This gives them a strong incentive to forge a “Muslim community” where none existed. The lesson of decades of such conferences from the US civil rights movement is that they make the groups they deal with less diverse.

Ich habe hier schon gelegentlich ähnlich argumentiert, dass es irreführend sei, die Einwanderer aus überwiegend islamischen Ländern in Europa schlichtweg als „Muslime“ zu verbuchen. Dies bleibt auch ein Problem der neuen Studie: So haben wir nun auf einmal rechnerisch eine Million mehr „Muslime“ als gedacht – weil noch weitere Einwanderungsländer berücksichtigt wurden. Wie ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe: Wir produzieren so Tag für Tag mehr „Muslime“.

Was nun die DIK angeht, kann man Caldwell insoweit Recht geben, als der ursprüngliche Ansatz ein deutsch-korporatistischer war: Wir schaffen eine islamische Kirche (ohne das freilich je so zu nennen).
Glücklicherweise hat man aber von Anfang an nichtorganisierte und nicht fromme Muslime (tja, das gibt es) hinzugenommen, um die Vielfalt darzustellen und die Debatten u n t e r Muslimen hineinzuholen.
Und unterdessen ist man von dem Ziel einheitlicher Repräsentanz gründlich abgekommen: In der Regierung strebt das niemand mehr an, der KRM (Koordinationsrat der Muslime) kann die Funktion nicht erfüllen, und unter den beteiligten Muslimen gibt es – siehe die Abschlusserklärung – viel zu viel Streit. Insofern trifft die Kritik Caldwells nicht zu.
Es war ein wichtiger Prozess, den man durchlaufen musste. Es wird keine Einheitsrepräsentanz des Islam in Deutschland geben. Mit bestimmten Gruppen – das weiss man jetzt – kommt man nicht weiter. Ditib muss sich reformieren und öffnen, wenn sie eine Rolle spielen will. Die säkularen oder Kulturmuslime (Necla Kelek, Ezhar Cezairli et al.) sind ein anerkannter Faktor der Debatte, ebenso liberale Gläubige wie etwas Seyran Ates – und das ist eine große Leistung, denn: Wo auf der Welt ist das so?

 

Muslime und Sexualkunde

Aus der neuen Studie über muslimisches Leben in Deutschland, die heute vom Innenministerium veröffentlich wird:

Diese Grafik macht deutlich, dass wir jahrelang über ein absolutes Scheinproblem geredet haben: Es gibt keine nennenswerte Nichtteilnahme von muslimischen Schülern am Sexualkunde-, Schwimm- und Sportunterricht.

Nichtteilnahme an Klassenfahrten – mit 8,7 Prozent auch nicht sehr bedeutend, wird mit „sonstigen Gründen“ (nicht mit der Religion) begründet. Es dürften also traditionelle Sittlichkeitsvorstellungen eine Rolle spielen.

In anderen Worten: Diese Thema können wir getrost vergessen.

 

Drei Muftis in zwei Tagen: Wolfgang Schäuble internationalisiert den Dialog mit den Muslimen

(Aus der ZEIT Nr. 27 vom Donnerstag, 25. Juni 2009)

Kairo, im Juni
Das Smartphone des Großmuftis vibriert, er nimmt den Anruf an und beginnt hinter vorgehaltener Hand vernehmbar zu plaudern. Der deutsche Innenminister – Ehrengast bei diesem Dinner mit islamischen Würdenträgern – schaut kurz irritiert auf den Nil und fährt dann fort, andere Teilnehmer mit Fragen zu löchern: Wie stark sind die Muslimbrüder wirklich? Schützt der Staat die christliche Minderheit? Wie kooperiert die Regierung mit den theologischen Fakultäten?

Der Nil in Kairo, südwärts      Foto: Jörg Lau
Ägyptens Mufti Ali Gomaa hat unterdessen sein Gespräch beendet und tippt nun eine SMS. Neben ihm sitzt Großscheich Tantawi von der Al-Azhar-Universität, höchste Autorität des sunnitischen Islams. Doch auch er spricht ins Handy, und so verbringt der deutsche Innenminister den Rest des Dinners neben zwei plaudernden Turbanträgern, die offenbar durchaus Interesse am Dialog haben – nur nicht mit ihm.
Wolfgang Schäuble ist 3000 Kilometer weit geflogen, um das Gespräch mit den Muslimen zu internationalisieren. Er sucht in den Herkunftsländern dieser für Deutschland noch immer neuen Religion nach Partnern für das Projekt, das ihm zur politischen Lebensaufgabe geworden ist: die Einbürgerung des Islams in Deutschland. Schäuble wirbt in Alexandria, Kairo und Damaskus auch für seine Islamkonferenz.
Vor allem aber will er verstehen: Der Aufruhr in Iran treibt ihn um, bei dem Hardliner wie Reformer die Sprache des politischen Islams benutzen. Werden diejenigen sich durchsetzen, die Islam und Demokratie für kompatibel halten? Oder wird der militärisch-theologische Komplex der Islamischen Republik Iran die Reformer niederwalzen? Und wie geht es mit dem moderaten Islamismus der türkischen AKP weiter? Wird sich daraus ein glaubensbasierter, aber pragmatischer Konservatismus entwickeln wie in der euro­päischen Christdemokratie?

Landschaft mit Ministerkolonne Foto: Jörg Lau
Dass Entwicklungen in weit entfernten Ländern Rückwirkungen auf die deutsche Dis­kus­sion um den Islam haben werden, ist Wolfgang Schäuble nur allzu bewusst. In Kairo und Damaskus fragt er: Was tut ihr gegen die Radikalisierung der Jugend? Wie entwickelt ihr die Theologie weiter? Wie stellt ihr euch die Rolle des Islams in einer globalisierten Welt vor?
Es kommt an diesem Wochenende ernüchternd wenig zurück. Drei Muftis in zwei Tagen, neben den beiden Ägyptern noch ein Syrer, hinterlassen beim deutschen Innenminister das Gefühl: Bei diesem Kampf sind wir allein. Auf die arabischen Gelehrten kann er nicht bauen. Verkehrte Welt: Wer dem deutschen Innenminister zuhört, wie er die Würdenträger mit seinen besorgten Nachfragen wachzurütteln versucht, erwischt sich bei der Frage: Wer ist hier eigentlich der Obermufti? Wer macht sich mehr Gedanken um die Zukunft des Islams?
Gleich nach dem Dinner mit Nil-Blick rast Schäubles Kolonne zur Universität Kairo, wo der Minister eine Rede über das »Miteinander der Religionen« hält – unmittelbar gegenüber dem Saal, in dem 18 Tage zuvor der amerikanische Präsident eine Rede an die »muslimische Welt« gerichtet hat. Schäuble bemüht sich zwar, schon aus Gründen der Fallhöhe, nicht im gleichen Genre anzutreten. Er spricht über seine Erfahrungen mit der Islamkonferenz und über seine Vision für ein gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben der Religionen in Deutschland. Doch für viele unter den etwa 300 Zuhörern ist er in diesem Moment auch ein weiterer Repräsentant des Westens, der sich um Entspannung und Abrüstung im Krieg der Kulturen bemüht. Dass so eine »bedeutende Persönlichkeit«, wie die Moderatorin mehrmals betont, hierher gekommen ist, um sich der Debatte zu stellen, wird mit Genugtuung aufgenommen. Wie die Welt sich doch verändert hat: Ein Innenminister macht Außenpolitik. Die lange geforderte »Weltinnenpolitik« beginnt mit kleinen Schritten.
Und plötzlich, in dem stuckge­schmückten Foyer der Kairoer Universität, bekommt Schäuble doch noch die Debatte, die ihm die telefonierenden Muftis schuldig blieben: Ein ägyptischer Säkularer hält es für einen Fehler, dass der Staat überhaupt mit der Religion kooperiere. Eine Feministin sorgt sich um die Rechte der Frauen, wenn die konservativen Gläubigen mitbestimmen dürfen. Und eine Teilnehmerin mit Kopftuch fragt misstrauisch: Wollen Sie einen deutschen Islam schaffen, Herr Minister?

Der Innenminister trifft den Stellvertreter seines syrischen Kollegen   Foto: Jörg Lau

Nein, repliziert Schäuble. Er wolle überhaupt keinen »Islam schaffen«. Er sei bloß für die Rahmenbedingungen zuständig, unter denen die Muslime sich dann selbst entfalten müssten.
Das ist die politisch und juristisch korrekte Antwort. Aber sie ist nicht ganz aufrichtig. Denn natürlich geht es dem Minister um ebendies: die Förderung eines deutschen, eines europäischen, eines moderneverträglichen, westlichen Islams. Das ist eine Lehre der Nahostreise des Innenministers, die er so natürlich niemals aussprechen wird: In der islamischen Welt gibt es herzlich wenige brauchbare Partner für diese Entwicklung. Wenn man von zwei modernen theologischen Fakultäten der Türkei in Ankara und Istanbul absieht, muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass die Reform des Islams ein langwieriger europäischer Kraftakt sein wird. Diese Reise macht das schmerzlich klar. In der Kairoer Uni sagt Schäuble, es sei jetzt »Zeit zu handeln«, sonst würden »die anderen« weiter die Religion missbrauchen, »um die Welt zu zerstören«. Großer Beifall.
Schäubles doppelte Mission, wie er sie in Kairo entfaltet, ist folgende: Wir Europäer, sagt er, müssen uns daran gewöhnen, dass die Religion, die wir als politischen Faktor schon abgehakt hatten, wieder sichtbarer geworden ist – und dies vor allem durch die muslimische Präsenz auf unserem Kontinent. Und die Muslime müssen, wenn sie die Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften erreichen wollen, ohne Vorbehalt ihren Frieden mit Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten machen.

Omajadenmoschee in Damaskus     Foto: Jörg Lau
Schäuble sagt den Satz immer wieder, mit dem er seinerzeit die Islamkonferenz eröffnet hatte: »Der Islam ist ein Teil Deutschlands.« Wenn man sich in einigen Jahren zu vergegenwärtigen versucht, was die Große Koalition eigentlich zustande gebracht hat, werden diese sechs schlichten Worte dazugehören: Sie haben eine Zeitenwende im deutschen Selbstverständnis eingeläutet. Der Minister weiß das, und er ist unverholen stolz darauf. Er genießt die Verwirrung seiner Beobachter, dass der Autor dieser Worte derselbe Schäuble sein soll, der einst gegen die doppelte Staatsangehörigkeit polemisiert und die populistische Kampagne Roland Kochs gegen den »Doppelpass« unterstützt hatte.
Aber ist es wirklich derselbe? Ist das einfach nur konsequent, wie er selbst zu glauben scheint: Wer die Integration will – so die innere Logik, die den Schäuble des Jahres 2000 mit dem von heute verbindet –, darf sich eben nicht scheuen, Einwanderern die Loyalitätsfrage vorzulegen und eine Entscheidung für dieses Land abzuverlangen. Und darum sei er eben auch heute noch gegen die doppelte Staatsangehörigkeit.
Mag sein. Aber als Unterstützer einer hässlichen Kampagne wie seinerzeit kann man sich ihn eben einfach nicht mehr vorstellen. Und das spricht dafür, dass irgendetwas Grundlegendes passiert sein muss, ein auch für ihn selbst überraschender, unabgeschlossener Lernprozess.
Als er 2005 zum zweiten Mal Innenminister wurde, waren gerade die Bomben in Londoner U-Bahnen explodiert. Die Pariser Banlieue brannte, und kurz darauf starben Menschen wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen. Während die Rechte vielerorts in Europa mit antiislamischer Rhetorik reüssierte, startete Schäuble mit der Islamkonferenz ein gesellschaftliches Experiment: Entspannungspolitik im Inneren, gegen den populistischen Strom der Zeit.

Freundlich grüßen Vater und Sohn Assad. Flughafen Damaskus    Foto: Jörg Lau

Wolfgang Schäuble ist stolz darauf, dass Rechtspopulisten in Deutschland kaum Chancen haben, mit Hetze gegen Moscheebauten und Kopftücher Stimmen zu gewinnen. Dass »Pro Köln« es nicht vermochte, die Domstädter gegen die geplante Großmoschee zu agitieren, schreibt er nicht zu Unrecht auch seiner Politik gut. In seiner eigenen Partei seien die Abwehrreflexe rückläufig: Klar könne man auch dort Menschen finden, erklärt er, die erst mal eine Abwehrhaltung einnehmen – »Muslime, uuh!« –, aber in Wahrheit seien die Leute in seinen Parteiversammlungen stolz, dass die Union bei dem Thema heute führe. Luftherrschaft über den Stammtischen bedeute, für klare Luft zu sorgen, »nicht sich dem Mief anzupassen«. Die Leute wollen vielleicht ja gar nicht, sinniert der Minister, »dass wir ihnen nach dem Mund reden«. Sie wollen Führung, sagt er verschmitzt. Wer mag, darf diesen Satz wohl auch auf andere Politik­bereiche beziehen.
Auf dem Rückflug von Damaskus, nach einem weiteren enttäuschenden Gespräch mit dem dortigen Großmufti, macht Wolfgang Schäuble schon Pläne für die nächsten vier Jahre. Weil wir auf die Scheichs und Muftis nicht zählen können, brauchen wir schnell eine richtige islamische theologische Fakultät in Deutschland. Er werde Druck machen, dass sich ein Bundesland der Sache annehme, sagt er. Der Innenaußenminister nun auch noch als Bildungsminister?
Deutschland hat noch kein Inte­grationsministerium, aber einen Integrationsminister in einem ganz wörtlichen Sinn: Er hält die widerstreitenden Pole in der Konferenz zusammen, die islamkritischen Feministinnen und die konservativen Herren von den Verbänden, die ihn gleichermaßen respektieren. Und er kann auch die skeptischen Teile der deutschen Mehrheit integrieren, vielleicht gerade weil er selber früher harte Töne angeschlagen hat. Und weil er auch das Inbild des harten Sicherheitsministers abgibt. In der Islamkonferenz, so hat es Navid Kermani als Teilnehmer formuliert, müssten »die Beteiligten gewissermaßen stellvertretend für ihre Gesellschaft lernen, wie kompliziert es sich mit den Identitäten verhält«. Das gilt ganz offensichtlich auch für ihren Erfinder.

 

Weniger Einbürgerungen in Deutschland

Die Einbürgerungszahlen in Deutschland gehen zurück. Das ist keine gute Nachricht, weil sich erwiesen hat, dass Eingebürgerte weniger Integrationsprobleme haben als solche Einwanderer, die in ihrer Herkunftsnationalität verharren. Ob (und inwieweit) die Einbürgerung dabei wirklich ursächlich ist – oder ob sie vielmehr einen Integrationswillen abrundet, der ohnehin schon zur besseren Eingliederung geführt hat – , ist gar nicht so wichtig: Möglichst flächendeckende Einbürgerung der Menschen nichtdeutscher Herkunft hierzulande, die dauerhaft bleiben wollen, ist das richtige politische Ziel.
Die Bundesregierung hat das immer wieder unterstrichen, zuletzt erst durch eine Begrüßung exemplarischer Neubürger im Kanzleramt durch Angela Merkel.
Und auch dieser Tage, da die neuen Zahlen vorliegen, bekennt Maria Böhmer, die Staatsministerin für Integration: „Sagen Sie Ja zu Deutschland und nutzen sie die Vorteile einer Einbürgerung.“

Die Bundesregierung unterstützt einbürgerungswillige Ausländer, so Böhmer: „Wir haben die Möglichkeiten zur Einbürgerung erleichtert. Wer gut Deutsch spricht und integriert ist, kann jetzt bereits nach sechs statt nach acht Jahren Aufenthalt in Deutschland eingebürgert werden. Auch die Ergebnisse des Einbürgerungstest belegen: Wir bauen keine Hürden bei der Einbürgerung auf“, betonte Böhmer. So hätten im ersten Quartal dieses Jahres fast 99 Prozent der Teilnehmer den Einbürgerungstest bestanden. „Mehr als eine halbe Million Menschen haben sich seit 2005 entschieden, in den Kursen die deutsche Sprache zu erlernen. Das ist ein großer Erfolg“, betonte Böhmer. Um mehr Einbürgerungen zu erreichen, müssten sich beide Seiten – Zuwanderer und Einheimische – anstrengen und einbringen.

Die Migranten sollten Sprache als Voraussetzung und Bildung als Schlüssel für Integration ansehen. Die Einheimischen müssten die Vielfalt der Menschen in unserem Land verstärkt als Chance begreifen. „Besonders für die Einbürgerungsbehörden gilt: Sie müssen sich flächendeckend zu wirklichen Service-Stellen und Integrationsagenturen entwickeln. Denn die Potenziale der Migranten sind oft ein verborgener Schatz, den es zu heben gilt“, erklärte die Staatsministerin

Halten wir fest: Die Staatsministerin preist die „Vielfalt als Chance“ und preist die deutsche Staatsangehörigkeit an wie sauer Bier. Sie nennt die „Potenziale der Migranten“ einen „verborgenen Schatz“ – was angesichts der teils desaströsen Zahlen im Integrationsbericht ja wohl mehr als wohlwollend ist.
Und nun kommt die Antwort der türkischen Verbände.
„Rückgang der Zahl der Einbürgerungen ist alarmierend!“ schreibt die „Türkische Gemeinde in Deutschland“ in einer Pressemitteilung.
„Seit 1990 sind die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit immer weiter erschwert worden. Wir haben bereits früh auf die Gefahr des Rückgangs der Einbürgerungsanträge hingewiesen und deutliche Kritik geübt“, erklärte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat.

„Bis auf das im Jahr 2000 eingeführte halbherzige Geburtsortprinzip wurden immer größere Barrieren aufgebaut. Diese betreffen unter anderem Erschwernisse in Bezug auf den Deutsch-Test, die nachhaltige Überprüfung des Lebensunterhaltes und der Einführung des Einbürgerungstests“, sagte Kolat weiter.

99 Prozent der Teilnehmer bestehen den Einbürgerungstest – aber Kenan Kolat möchte ihn dennoch als eine abschreckende Hürde hinstellen! Das ist nichts als nationalistische Demagogie.

Weiter: „Die politischen Parteien können ihrem verfassungsmäßigen Auftrag, den Willensbildungsprozess zu fördern, bei der nichtdeutschen Bevölkerung nicht nachkommen, erklärte die Türkische Gemeinde in Deutschland, da sie diese Gruppe nicht als Wähler/innen ansehen.“

Das ist ganz offensichtlich nicht richtig. Frau Böhmer macht auf eine fast schon nicht mehr würdige Weise Werbung für die deutsche Staatsangehörigkeit.

Weiter: „Die Bundesregierung ist aufgerufen, dieser negativen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Ein demokratischer Rechtsstaat kann sich nicht leisten, dass über 7 Millionen Menschen mit minderen Rechten dauerhaft hier leben.“

Unfasslich: Wie wäre es, wenn sich der Türkische Bund darum kümmern könnte, die Reserven der Türken gegen die deutsche Staatsangehörigkeit abzutragen, statt sich in Stimmungsmache gegen die Regierung zu ergehen?
Welch ein Bild von den eigenen Leute muss man eigentlich haben, wenn einem immer nur einfällt, dass die Schwellen gesenkt werden müssen?

Ins gleiche Horn stößt der Vorsitzende des Türkischen Bunds Berlin Brandenburg, Safter Cinar:

„Eine Politik, die die Menschen mit Migrationshintergrund immerfort als Problemverursacher darstellt und laufend rechtliche Verschärfungen umsetzt, darf sich nicht darüber wundern, dass die Betroffenen sich nicht anerkannt fühlen und ihr Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft zurückgeht.“

Hinzu komme noch die von der Rot-Grünen-Regierung abgeschaffte Möglichkeit der Mehrstaatigkeit als Hindernis, so Çınar.

Die Erklärung der Staatsministerin und Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Prof. Böhmer, sie wolle weiter für Einbürgerung „werben“, kommentierte Çınar: „Einbürgerung ist kein Vollwaschmittel, dessen Verkaufszahlen durch bessere Werbung gesteigert werden kann.“ Solange die Staatsbürgerschaft als ‚Krönung der Integration‘ definiert werde und nicht als ‚Motor bzw. Motivation der Integration‘ begriffen wird und die Integrationserfolge nicht anerkannt werden, werde durch Werbung alleine keine Steigerung zu erzielen sein, so Çınar weiter.

Also: Man übergießt die Bundesregierung, die in die deutsche Staatsbürgerschaft einlädt, mit Hohn. Statt die Zurückhaltung der eigenen Leute beim Erwerb des deutschen Passes als Problem anzuerkennen und selber Abhilfe zu schaffen.

p.s. Hier sind die Zahlen für die Türken (Quelle: Türkische Gemeinde, aufgrund der Daten des Statistischen Bundesants)

EINBÜRGERUNGEN IN DEUTSCHLAND

(Türken)

Jahre             Zahl der Einbürgerungen

1972 – 182
1973 – 272
1974 – 374
1975 – 225
1976 – 280
1977 – 257
1978 – 317
1979 – 312
1980 – 399
1981 – 534
1982 – 580
1983 – 853
1984 – 1.053
1985 – 1.310
1986 – 1.492
1987 – 1.184
1988 – 1.243
1989 – 1.713
1990 – 2.034
1991 – 3.529
1992 – 7.377
1993 – 12.915
1994 – 19.590
1995 – 31.578
1996 – 46.294
1997 – 42.240
1998 – 59.664
1999 – 103.900
2000 – 82.861
2001 – 76.573
2002 – 64.631
2003 – 56.244
2004 – 44.465
2005 – 32.661
2006 – 33.478
2007 – 28.861
2008 – 24.449
Gesamtzahl der Einbürgerungen – 785.924

 

Im Bett mit meiner Cousine

Exzellenter Artikel über Männer als Opfer von Zwangsheirat in der taz:

„Im Bett mit meiner Cousine, das ging einfach nicht.“ Sogar an Selbstmord habe er damals gedacht.

Die Zwangsverheiratung von Männern ist in Deutschland kein Thema. Opfer von Zwangsehen sind immer jung und weiblich – nicht zuletzt wegen der sogenannten Ehrenmorde, über die berichtet wird, hat sich dieses Bild in der Öffentlichkeit eingebrannt. Und weil die Medien die islamische Männerwelt als einen Parallelkosmos, in dem Möchtegern-Casanovas und raubeinige Unterdrücker leben, zeigen, passt der muslimische Mann als Opfer nicht in die Integrationsdebatte. „Weil sie immer stark sein sollen, führen viele Männer ein Doppelleben oder ersticken gar unter der großen Last, die Ehre der Familie tragen zu müssen“, sagt Kazim Erdogan…

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Deutschland behandelt türkische Kinder „wie Königskinder“

Aus gegebenem Anlass veweise ich auf ein Interview des Ditib-Dialogbeauftragten Bekir Alboga mit Hürriyet vom 11. 8. 2007. (Quelle)

Es widerlegt die gerne aufgestellte Behauptung, der Mann betreibe Doppelzüngigkeit, Taqiya etc. Ich halte diese Äusserungen zur Deutschland für einen Segen. So etwas brauchen wir noch viel öfter.

H.: Wie alt sind die Kinder?

B.A.: Unser ältester Sohn ist 19 Jahre alt. Er wird nächstes Jahr, so Gott will, das Gymnasium abschließen. Hatice ist 16 Jahre alt. Auch sie ist auf dem Gymnasium. Ibrahim ist zurzeit 14 Jahre alt und in der Realschule. So Gott will wird er auch auf das Gymnasium wechseln. Unsere drei Kinder werden, so Gott will, alle die Universität besuchen.

H.: Die Zukunft ihrer Kinder sieht vielversprechend aus.

B.A.: Wir haben von der ersten Generation eine geistige Aufgabe übernommen. Nach einer gewissen Zeit werden wir den Stab unseren Kindern übergeben. Damit sie diesen Stab tragen können, müssen wir dafür sorgen, dass sie geistig und materiell gut ausgestattet sind. Mit ihren Deutsch- und Türkischkenntnissen, mit dem Wissen über die türkisch-islamische Kultur und der Kultur der Gesellschaft, in der sie leben, damit, dass sie ihre Zunge beherrschen lernen, diese Gesellschaft nicht als Unwesen betrachten, nicht als Feind sehen, aber auch damit, dass sie ihre eigene Gruppe noch ein Schritt Vorwärts bringen, versuchen wir ihnen ein Fundament zu schaffen.

H.: Die in Deutschland Geborenen und Aufgewachsenen haben bessere Chancen als wir.

B.A.: Wenn ich die Chancen gehabt hätte, die sie haben, wäre ich jetzt ordentlicher Professor. Unsere jüngeren Geschwister, die diese Zeilen lesen, mögen wissen, dass die Möglichkeiten, die sie haben, früher Königskindern oder Kindern aus sehr reichen Familien vorbehalten waren. Sie mögen wissen, dass die Möglichkeiten, die sie haben, Möglichkeiten sind, die in der Welt eine Bedeutung haben. Sie leben in einem Land erster Klasse und haben die Möglichkeiten von den Vorteilen dieses erstklassigen Landes zu profitieren. Sie mögen dies als einen großen Segen Gottes verstehen, sollen dankbar sein und davon profitieren. Außer türkisch und deutsch sollten unsere Kinder noch andere Sprachen lernen, denn es gibt vieles, was wir dieser Gesellschaft geben können. Auch kulturell können wir viel beitragen, aber um dieses zu leisten, ist es notwendig, diese Gesellschaft und ihre Kultur gut zu kennen und zu respektieren.

 

Wer kein Deutsch lernt, ist ein schlechter Muslim

Zwei Meldungen aus türkischen Tageszeitungen von heute:

DITIB: SPRACHE LERNEN IST RELIGIÖSE PFLICHT

„Es ist unsere religiöse Pflicht, die Sprache zu erlernen“, ist auf der Titelseite der TÜRKIYE über Aussagen des DITIB-Vorsitzenden Sadi Arslan zu lesen. Der Chef der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) hat auf einer Veranstaltung in Köln darauf hingewiesen, dass „die Erlernung der Sprache der Menschen, mit denen man zusammenlebt, ein Gebot des Propheten“ sei. Damit erwerbe man auch automatisch einen Verdienst an der Religion, so Arslan.

KOLAT GEGEN DAS WORT „INTEGRATION“

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland kündigte an, das Wort „Integration“ aus seinem Wortschatz zu streichen. Dieses Wort sei „nicht definiert“ und unbestimmt. Konkreter sei der von ihm angestrebte Begriff der „Partizipation“ und die Forderung nach gleichen Rechten. Kolat erklärte außerdem bei einer Veranstaltung in Stuttgart:  „Das Wort Integration findet bei den Migranten selbst keine Akzeptanz mehr. Denn es ist mittlerweile erwiesen, dass die Integrationspolitik Deutschlands zu nichts führt.“ (Sabah)

Hochinteressant: Der Vetreter des türkischen Staates, der Botschaftsrat Arslan, der hier in Deutschland für Ankara die Ditib-Moscheen beaufsichtigt, spricht vom Sprachenlernen – der Voraussetzung für jede Integration – als „religiöser Pflicht“ und führt gar den Propheten an.

Hingegen gibt der säkulare Sozialdemokrat Kolat den Trotzigen und streicht „Integration“ aus seinem Wortschatz, weil – das ist das Beste! – die „Integrationspolitik Deutschlands zu nichts führt!

Deutschland hat versagt, wenn die Türken hierzulande am schlechtesten abschneiden bei der Schule und am Arbeitsmarkt – so die eine Botschaft.

Ihr seid schlechte Muslime, wenn ihr kein Deutsch lernt – so die andere, entgegengesetzte Botschaft.

Was meine Intuition bestätigt, dass wir in Deutschland mehr Integrationsprobleme durch einen störrischen und bornierten türkischen Nationalismus haben als durch die islamische Religion, so wie Ditib sie vertritt. Ja, dass die Religion hier auch ein Integrationsfaktor sein könnte, wenn mehr solche Predigten gehalten würden wie die von Sadi Arslan.

 

Fatih Akin: „Vielen ausländischen Eltern war Bildung egal“

Ein interessantes Interview mit Fatih Akin auf Sueddeutsche.de. Fast so interessant ist aber die Aufmachung, die die Kollegen zuerst gewählt hatten. Während der Filmemacher nüchtern nach Gründen auf beiden Seiten für die Misere vieler Migrantenkinder in Deutschland sucht, suggeriert der Titel des Interviews etwas ganz Eindeutiges: „Lehrer haben mit Vorsatz Biographien zerstört“ steht da zu lesen. Und zwar haben sie dies angeblich getan, indem sie türkische Kinder einfach aussortierten.

Es gibt in der Tat ein Problem mit schlechter Förderung von Migrantenkindern im deutschen Schulsystem. Aber Akin selbst ist ja ein Gegenbeispiel. Und entsprechend vorsichtig äußert er sich auch dazu: 

„sueddeutsche.de: Hatten Sie den Eindruck, dass Kinder mit ausländischem Hintergrund benachteiligt wurden?

Akin: Dieses Argument höre ich in der Bildungsdebatte häufig. Es heißt, ausländische Kinder werden von vorneherein nicht auf ein Gymnasium geschickt, sondern aussortiert. Bei uns traf das glücklicherweise nicht zu. Aber meine Mutter hat mir ständig Horrorgeschichten erzählt von deutschen Lehrern, die Kinder auf die Sonderschule geschickt haben – einfach, weil sie die Sprache nicht gut genug beherrschten. Ich will gar nicht wissen, wie viele Biographien da mit Vorsatz zerstört worden sind.“ 

Wohlgemerkt: Er hat es nicht selber so erfahren, im Gegenteil. Seine Mutter hat ihm „ständig Horrorgeschichten erzählt“ über die Verdrängung türkischer Kinder auf die Sonderschulen. Und dann läßt er es suggestiv offen – er wolle „gar nicht wissen“, wie viele Biographien zerstört worden seien. Daraus wird also der Website-Aufmacher (heute, 14.45h): Deutsche Lehrer zerstören vorsätzlich Biographien türkischer Kinder! 

Ich finde das ziemlich ätzend, liebe Kollegen!  

Genauso offenbar einige Leser, nach deren Protest soeben die Überschrift geändert wurde (heute, 14.52h) : „Meine Eltern wußten, wie wichtig Bildung ist“.

Bravo: passt schon viel besser. Das Internet ist doch manchmal ein Klassemedium. Wenn uns im Print eine falsche Überschrift passiert, liegt sie eine Woche lang peinlich herum.

In diesem Fall zeigt sich: Manchmal verstehen die Leser besser was man sagt, als man selbst.

Zurück zum Interview:

„sueddeutsche.de: Was ist da schiefgelaufen?

Akin: Ich glaube auch hier, dass es an den Eltern gelegen hat. Sie haben nicht reagiert, als bei den Kindern der Abstieg begann. Sobald eine Mutter sieht, dass die Leistung ihres Kindes abfällt, ist das ein Alarmzeichen. Sobald ein Schüler eine Fünf bekommt, müssen Eltern analysieren, was schiefläuft und wie sie helfen können. Meine Freunde von damals hatten nicht das Glück wie ich, dass sie Eltern hatten, die den Wert der Bildung verstanden haben.

sueddeutsche.de: Also gibt die Bildung der Eltern den Ausschlag?

Akin: Ja, außerdem ihre Herkunft und ihr soziales Netzwerk. Vielen ausländischen Eltern war die Bildung ihrer Kinder relativ egal – weil sie annahmen, sie würden irgendwann wieder in die Türkei zurückkehren. Meine Eltern haben auch so getickt. Bis ich Abitur gemacht habe, glaubten sie immer noch, dass wir später gemeinsam in ihrem Geburtsland leben würden. Die heutige, dritte Generation der Einwanderer-Kinder hat dieses Problem nicht mehr. Trotzdem schotten sich manche ab.“

Und schließlich lobt Akin den evangelischen Religionsunterricht, denn er freiwillig besucht hat. Der Interviewer fragt, ob er dort missioniert worden sei: 

„Nein, ich habe nie Propaganda zu hören bekommen. Im Gegenteil: Ich habe vieles über meine eigene Religion, über den Islam gelernt – aus einem christlichen Kontext heraus. Diese positive Erfahrung hing natürlich auch mit den Lehrern zusammen. Aber es hat mir gezeigt: Ein Teil des Bildungssystems funktioniert.“

Sage ich doch!