Lesezeichen
 

Mit dem radikalen Islam verhandeln?

 

Aus der ZEIT von morgen:

Es ist schon atemberaubend, wem auf einmal alles Gespräche angeboten werden: Mit den »moderaten Taliban« will Obama reden. Ohne »pragmatische« Teile von Hamas könne es keinen Frieden geben, sagen 14 angesehene Ex-Diplomaten. Die Briten sprechen jetzt offiziell mit dem »politischen Flügel« Hisbollahs. Amerikanische Senatoren eruieren beim Autokraten Syriens die Möglichkeit eines Friedens mit Israel. Und dann hat sich der amerikanische Präsident in einer spektakulären Videobotschaft an Iran gewandt, jenes Land, in dem immer noch Kundgebungen mit dem Ruf »Tod Amerika« enden. 

Obama, der die Wähler und die Welt mit seinem Idealismus gewann, offenbart sich außenpolitisch als radikaler Realist. In kaum sechzig Tagen hat er die herrschende Maxime der amerikanischen Politik seit 9/11 gekippt: Keine Verhandlungen, keine Gespräche mit dem politischen Islam. Ihr seid entweder für uns oder für »die Terroristen«. Und die bekämpfen wir mit Bomben, nicht mit Worten. Doch nun sind (fast) alle, für die bislang Kontaktsperre galt, gesuchte Gesprächspartner.

Denn eine große Ernüchterung hat eingesetzt. Die Bestandsaufnahme ergibt folgendes Bild: Der radikale Islam ist bis auf Weiteres ein Machtfaktor vom Maghreb über den Nahen Osten bis Pakistan. Die Islamisten haben Macht über die politische Einbildungskraft der Muslime gewonnen. Unsere Interventionen haben ihren Einfluss nicht gebrochen. Eher im Gegenteil. Der Islamismus lässt sich nicht wegbomben – weder aus Afghanistan noch aus Gaza. Er verschwindet auch nicht durch Modernisierung und Säkularisierung. Und es macht sich der nagende Zweifel breit, ob dies gerade wegen unserer Präsenz im Herzen der islamischen Welt so ist. Was tun? Rückzug? Raus, bloß raus?

Es darf keine schwarzen
Löcher mehr geben

In der vernetzten, globalisierten Welt wäre das eine fatale Option, wie der Fall Afghanistan zeigt: Denn der 11. September ist ja gerade dadurch möglich geworden, dass wir die Afghanen mit den Taliban allein gelassen hatten, nachdem sie die Sowjetunion besiegt hatten. Dass so etwas nicht wieder passieren darf, dass es keine schwarzen Löcher der Staatlichkeit mehr geben darf, ist unterdessen der Minimalkonsens darüber, was der Westen in Afghanistan erreichen muss. Alle anderen leuchtenden Ziele in dem kriegsgeplagten Land – Demokratie, Menschenrechte, Bildung – werden längst immer weiter abgedimmt. Und wenn Barack Obama nun gar von Abzugsplänen zu reden beginnt, liegt ein Hauch von Defätismus in der Luft.  Weiter„Mit dem radikalen Islam verhandeln?“

 

Obama: „Geschwätzigkeit mit böser Absicht“?

Der Revolutionsführer Khamenei hat bei eine Ansprache in Mashad auf Obamas Gesprächsangebot reagiert. Hier der Bericht von der deutschsprachigen Version seiner Website:

Das Oberhaupt der Islamischen Revolution wies dann auf den Amtsantritt des neuen Präsidenten und der neuen Regierung in den USA hin und fügte hinzu: „Sie sagen wir haben die Hand nach Iran gestreckt und wir sagen, wenn die USA unter dem Samthandschuh eine Gusseisenhand versteckt haben sollten, würde diese Maßnahme keine Bedeutung und keinen Wert haben.“
Der geehrte Ayatollah Khamenei deutete dann auf das Vorgehen der amerikanischen Verantwortungsträger bei der Entsendung einer Gratulationsbotschaft an das iranische Volk hin und fügte hinzu: „Man hat selbst in dieser Gratulationsbotschaft das iranische Volk als Anhänger des Terrorismus bezeichnet, die nach Atomwaffen streben. Ist das denn eine Gratulation oder die Fortsetzung derselben Vorwürfe?“
Er wies dann auf die Verhandlungsfrage und die neue Devise des neuen US-Präsidenten – das heißt auf „Wandlung“-  hin und fügte hinzu: „Wenn es sich etwas abgesehen von einem kleinen Teil eurer Rhetorik geändert hat, zeigt es uns. Hab ihr eurer Feindschaft gegen das iranische Volk ein Ende gesetzt? Die Guthaben Irans freigesetzt? Die Sanktionen annulliert? Der bedingungslosen Verteidigung des zionistischen Regimes ein Ende gesetzt?“
Das geehrte Oberhaupt der Islamischen Revolution hob ferner hervor: „Wandlung sollte nicht Geschwätzigkeit mit ungesunder Absicht sein. Wenn ihr die Absicht hegt, dieselben vorigen Ziele lediglich mit Politik und Taktik zu ändern, stellt dies eine List und keine Wandlung dar. Und wenn ihr eine wahre Wandlung vorhabt, sollt ihr sie praktisch zeigen.“

Der geehrte Ayatollah Khamenei fügte als Zusammenfassung seiner Ansprache hinzu: „Solange die amerikanische Regierung die Methoden, Politiken, Maßnahmen und feindseligen Orientierungen der vergangenen 30 Jahre verfolgt, wird auch unser Volk dasselbe Volk der vergangenen 30 Jahre sein, das Tag für Tag stärker, stählerner und erfahrener geworden ist.“

Was bedeutet dieser schneidende und unbeugsame Ton? Es handelt sich um den Versuch, bei einem möglichen Dialogprozess eine günstige Ausgangsposition einzunehmen. Es ist die Eröffnung eines Gesprächs durch einen Mann, dessen Spruch überliefert wurde: „Wenn die Amerikaner in Teheran eine Botschaft eröffen, haben wir verloren.“

Khamenei hat bei seiner Rede die üblichen „Tod Amerika“-Sprüche der Masse zu beruhigen versucht. 

Ich denke, Roger Cohen hat eine realistische Deutung des Vorgangs in der IHT

The hard part has just begun. Iran’s supreme leader, Ayatollah Ali Khamenei, responded to Obama with a scathing speech at the country’s holiest shrine in Mashad, recalling every past U.S. misdeed, describing prerevolutionary Iran as „a field for the Americans to graze in,“ and demanding concrete steps — like a lifting of sanctions — rather than words.

View all that as an opening gambit. Khamenei also quieted the crowd when it began its ritual „Death to America“ chant and he said this: „We’re not emotional when it comes to our important matters. We make decisions by calculation.“

That’s right: The mullahs are anything but mad. Calculation will demand that Iran take Obama seriously.

The country’s oil revenue has plunged, its economy is in a mess, its oil and gas installations are aging. It has deepening interests in a stable Iraq and an Afghanistan free of Taliban rule. 

 

Obamas Rede an Iran – ein Fehler?

„Weblog Sicherheitspolitik“ meint:
„Die Rede war vermutlich kontraproduktiv. Sie mag für westliche Zielgruppen sehr positiv erscheinen, weil sie das eigene Bedürfnis bedient, zur “guten”, toleranten, nicht-konfrontativen und verhandlungsbereiten Seite zu gehören. Politisch hat die Rede aber wohl eher Schaden angerichtet:

– Die Hardliner im Iran können der Bevölkerung nun erklären, dass sie die USA mit ihrer Strategie in die Knie gezwungen haben. Konzessionsorientierten Kräften wird man vorhalten, dass diese iranischen Interessen geschadet hätten. Obama hat die Hardliner gestärkt. Man schwächt Hardliner nur, indem man ihnen Erfolge verweigert.
– Die iranische Führung muß nun davon ausgehen, dass sie von amerikanischer Seite keine ernsthaften Maßnahmen gegen ihr Atomwaffenprogramm mehr zu befürchten hat. Warum sollte sie darauf verzichten? Weil Obama so lieb ist?
– Der Iran wird also mittelfristig über Atomwaffen verfügen. Danach wird die iranische Führung dafür sorgen, dass diese Investition sich lohnt: Eine aggressivere Politik am Persischen Golf, neue Bündnisse mit den Golfstaaten, Ende der amerikanischen Präsenz, iranische Hegemonie über den Golf, iranische Kontrolle des Ölpreises. Wieder werden die Hardliner erklären können, dass ihre Politik das beste für den Iran bewirkt hat. Und was werden die gestärkten Hardliner, ausgestattet mit Atomwaffen und Kontrolle über den Ölpreis, als nächstes unternehmen?“
Mehr hier.

 

Mit Hisbollah und Hamas reden?

Roger Cohen ist dafür:

Of course it’s desirable that Hamas recognize Israel before negotiations. But is it essential? No. What is essential is that it renounces violence, in tandem with Israel, and the inculcation of hatred that feeds the violence.

Speaking of violence, it’s worth recalling what Israel did in Gaza in response to sporadic Hamas rockets. It killed upward of 1,300 people, many of them women and children; caused damage estimated at $1.9 billion; and destroyed thousands of Gaza homes. It continues a radicalizing blockade on 1.5 million people squeezed into a narrow strip of land.

At this vast human, material and moral price, Israel achieved almost nothing beyond damage to its image throughout the world. Israel has the right to hit back when attacked, but any response should be proportional and governed by sober political calculation. The Gaza war was a travesty; I have never previously felt so shamed by Israel’s actions.

No wonder Hamas and Hezbollah are seen throughout the Arab world as legitimate resistance movements.

It’s time to look at them again and adopt the new British view that contact can encourage Hezbollah “to move away from violence and play a constructive, democratic and peaceful role.”

The British step is a breakthrough.

Die Briten hatten nämlich angekündigt, mit dem politischen Arm der Hisbollah reden zu wollen. Jahrelang hatte man dies verweigert – mit der Begründung, Hisbollah sei eine Terrororganisation und sonst nichts. Nun versucht man zwischen der politischen Bewegung (die Teil der libanesischen Regieurng ist) und der Terrorgruppe zu unterscheiden. Überall der gleiche Versuch – bei den Taliban, bei Hamas, beim Iran und bei Hisbollah – die rationalen Elemente von den fanatischen zu unterscheiden und die feinen Risse auszunutzen, um die Bewegungen zu spalten. Richtig so: Das ist nichts als die Wiederkehr der Politik, so lange wir uns dabei keinen Illusionen hingeben. 

Für den Fall Iran würde dieser Neuansatz bedeuten: Wir geben die Strategie „regime change“ auf und drängen nur noch auf Verhaltensänderung.

 

Iran nicht verteufeln, sondern fordern

Aus einem Text meines Kollegen Michael Thumann, Nahostkorrespondent der ZEIT:

Es ist deshalb entscheidend, dass sich der Westen nicht der neokonservativen Verteufelung Irans anschließt. Auch die deutsche Regierung ist darin schon viel zu weit gegangen. Im Gegenteil sollte Berlin die USA und Israel ermuntern, Irans reale Sicherheitsbedürfnisse und Einkreisungsängste ernst zu nehmen. Lange Listen von Vorbedingungen müssen einer neuen Offenheit weichen. Umfassende Gespräche der Amerikaner mit Teheran sollten Irans Rolle in Afghanistan und am Golf ebenso betreffen wie Bilaterales und das Palästina-Problem. Und natürlich das iranische Atomprogramm in Abstimmung mit den UN.

Iran muss den Eindruck gewinnen, ernst genommen zu werden und nicht verdammt. In diesen Gesprächen wird man dann schnell feststellen, woraus Teheran in den letzten Jahren seine größte Kraft zog: aus der Konfrontation.

Ich stimme zu.

 

Hossein Derakhshan in Israel

Hossein Derakhshan sitzt immer noch im Iran ein, ohne offizielle Anklage. Wer diesen Bericht des israelischen Fernsehens über seinen Besuch im Land sieht, kann sich ungefähr denken, warum. So einen unberechenbaren Freigeist erträgt das regime nicht, selbst wenn er am Ende sehr freundlich schrieb.

 

Lernen, mit dem radikalen Islam zu leben

Ich habe heute eine Reihe von Texten gelesen, die mich zum Grübeln bringen. So viele, dass ich nocht lange nicht mit dem Grübeln fertig bin. Doch das Gute an diesem Medium hier ist ja, dass man die Begrübelungsgrundlage verbreitern kann, indem man andere dazu einlädt, an de eigenen unfertigen Gedanken teilzuhaben und mitzudenken.

Erstens stach mir dieser Bericht von Press TV ins Auge, in dem behauptet wird, das State Department betrachte sie russische Zusammenarbeit mit den Iranern am Atomkraftwerk Bushehr als im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes erlaubte zivile Aktivität. Es wird der Sprecher des Aussenminsiteriums Robert Wood zitiert (den ich noch aus seiner Zeit als Sprecher der Berliner US-Botschaft kenne): 

Robert Wood said during a Wednesday press briefing that the trial start-up of the Bushehr nuclear plant in southern Iran is in the realm of peaceful use of nuclear energy. 

Und dann wird geschlußfolgert: Wood’s remarks indicated that Washington’s apparent approval was because fuel arrangements for the nuclear facility were made with Russia. 

Was bedeuten würde, dass die russische Kooperation mit Iran positiv gesehen wird, weil sie als Argument dazu herhalten kann, dass die Iraner keine eigene Anreicherung brauchen (ausser für Waffenzwecke, was Iran ja zu verfolgen bestreitet).

Das ist doch eine erstaunliche neue Position zu dem ganzen Iran-Russland-Atom-Komplex!

Zweitens las ich einen leidenschaftlichen Text von Roger Cohen in der Herald Tribune, in dem dieser sich wegen eines Reihe von Reportagen aus Iran gegen die Vorwürfe verteidigt, er habe sich von Regime  einseifen lassen, was seine milde Sicht des Landes beweise.

Unmittelbarer Anlass für diese Selbstverteidigung: Cohens Äusserungen zur Lage der Juden im Iran, die dort nach seiner Schilderung besser leben als in den meisten arabischen Ländern. (Läßt sich wohl kaum bestreiten.)  Nun geht Cohen in die Vollen und wendet sich in seiner neuen Kolumne gegen die Dämonisierung des Iran. Vor allem die dauernden Vergleiche des Iran mit dem Nazi-Staat weist er zurück, und zwar sehr zu Recht:

I was based in Berlin for three years; Germany’s confrontation with the Holocaust inhabited me. Let’s be clear: Iran’s Islamic Republic is no Third Reich redux. Nor is it a totalitarian state.

Munich allowed Hitler’s annexation of the Sudetenland. Iran has not waged an expansionary war in more than two centuries.

Totalitarian regimes require the complete subservience of the individual to the state and tolerate only one party to which all institutions are subordinated. Iran is an un-free society with a keen, intermittently brutal apparatus of repression, but it’s far from meeting these criteria. Significant margins of liberty, even democracy, exist. Anything but mad, the mullahs have proved malleable.

Das ist wichtig, bei aller Kritik an der iranischen Unterdrückung von Regime-Gegnern, Andersgläubigen und Frauen im Sinn zu behalten.

Und drittens beeindruckt mich ein neuer Essay von Fareed Zakaria in Newsweek mit dem Titel „Learning to live with radical Islam“. Zakaria sagt, wir müßten unterscheiden zwischen Islamisten, deren Agenda für die Durchsetzung der Scharia in ihren Gesellschaften wir zwar ablehnen mögen, die unsere Sicherheitsinteressen aber nicht gefährden, und denen, die sich als Teil eines globalen Dschihad gegen den Westen sehen.

In den letzten Jahren haben wir eine Perspektive eingeübt, in der diese Unterscheidung nicht gemacht wurde. Ja, es wurde geradezu zum Dogma, dass es unmöglich sei, zwischen verschiedenen Formen und Graden des Islamismus zu unterscheiden. Am Ende laufe alles aufs Gleiche hinaus.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der radikale Islamismus nicht verschwinden wird und nicht besiegt werden kann, wenn wir alle Islamisten in einen Topf werfen.

Wir müssen neue Prioritäten setzen: Unsere Hauptaufgabe ist es, den Bin-Ladenismus zu besiegen. Und in diesem Kampf sind nicht die moderaten Muslime (oder Ex-Muslime) unsere wichtigsten Verbündeten, sondern diejenigen Radikalen und Fundamentalisten, die sich nicht dem Dschihad gegen uns verschworen haben. 

Der „Surge“ im Irak hat aufgrund solcher Teufelspakte funktioniert, und in Afghanistan wird man ähnliche Koalitionen schmieden müssen, auch hier mit Gruppen, die uns zuwider sind. Es geht darum, die lokalen Militanten von den globalen Dschihadis abzuspalten und sie einzubinden in eine Lösung der Probleme des Landes. Zakaria zitiert David Kilcullen, den ich hier vorgestellt habe: 

„I’ve had tribal leaders and Afghan government officials at the province and district level tell me that 90 percent of the people we call the Taliban are actually tribal fighters or Pashtun nationalists or people pursuing their own agendas. Less than 10 percent are ideologically aligned with the Quetta Shura [Mullah Omar’s leadership group] or Al Qaeda.“ These people are, in his view, „almost certainly reconcilable under some circumstances.“ Kilcullen adds, „That’s very much what we did in Iraq. We negotiated with 90 percent of the people we were fighting.“

Für unsere einheimische Debatte über Islam und Radikalismus hat das auch Folgen: Wir müssen aufhören, auf Kopftücher und Burkinis zu starren, als sei erst dann Hoffnung in Sicht, wenn diese Markierungen religiöser und kultureller Differenz verschwunden sind.

Es wird ganz einfach nicht passieren, ob es einem passt oder nicht. 

Und wir müssen darum auch jede Form der Thematisierung vermeiden, die suggeriert, es gebe ein Kontinuum zwischen Kopftuch und Sprengstoffgürtel. 

Zakaria endet mit diesen Worten, die ich nur unterschreiben kann: 

We can better pursue our values if we recognize the local and cultural context, and appreciate that people want to find their own balance between freedom and order, liberty and license. In the end, time is on our side. Bin Ladenism has already lost ground in almost every Muslim country. Radical Islam will follow the same path. Wherever it is tried—in Afghanistan, in Iraq, in parts of Nigeria and Pakistan—people weary of its charms very quickly. The truth is that all Islamists, violent or not, lack answers to the problems of the modern world. They do not have a world view that can satisfy the aspirations of modern men and women. We do. That’s the most powerful weapon of all.

 

Der Einflussagent: Was Gerhard Schröder wirklich am Iran interessiert

Und noch etwas Kleines aus der Zeit von morgen:
Wollen jetzt nicht alle mit den Iranern reden? Sogar Obama? Warum regen sich dann alle über Gerhard Schröders Wochenendtrip nach Teheran auf? Oder distanzieren sich vorsichtig, wie das Auswärtige Amt: Nein, abgestimmt habe der Ex-Kanzler seinen Iranbesuch nicht. »Angezeigt« habe er seine Reiseabsichten bloß, wie üblich.
Gerhard Schröder sei »weder auf Wunsch noch auf Anregung, noch etwa mit Nachrichten« des Außenministers unterwegs gewesen, heißt es in Berlin. Er habe lediglich, wie alle Elder Statesmen auf heiklen Reisen, ein umfangreiches Briefing über den Stand der bilateralen Beziehungen zur Vorbereitung erhalten. Von einem Plausch mit Mahmud Ahmadineschad hat man ihn offenbar nicht abhalten können, wie die Fotos vom Sonntag zeigten.
Schröder hätte den notorischen Israelhasser nicht treffen sollen, grummelt es in Regierungskreisen. Doch immerhin hat er ja Klartext geredet: Es mache »keinen Sinn«, die historische Tatsache des Judenmords zu leugnen.
Aber Schröder war wohl nicht nach Teheran gekommen, um Ahmadineschad über die Schoah zu belehren. Russischen Medien war es eine Erwähnung wert, dass sein Besuch mit konkurrierenden Gesprächen zwischen der EU und Iran über die geplante Nabucco-Pipeline zusammenfiel, die an Russland vorbei Gas aus Zentralasien (und eines Tages vielleicht aus Iran) nach Europa bringen soll. Die Zeitung Kommersant kommentiert seine Iranreise: »Gasproms Einflussagent in Teheran eingetroffen«. Einflussagent – kein schönes Wort, auch wenn es durchaus lobend gemeint ist: Schröder, vermutet Kommersant, könnte »als langjähriger Freund Russlands« versuchen, die Iraner von Gasproms Südpipeline (South Stream) zu überzeugen, der Konkurrenz zu Europas Nabucco-Projekt. Die Russen sind von Letzterem nicht begeistert, weil es Europa unabhängiger vom Monopolisten Gasprom machen würde. Iran müsste freilich aufhören, an der Bombe zu basteln und Israel zu bedrohen, damit es Gas nach Europa liefern könnte – ganz egal, durch welche Pipeline.

 

Bahai im Iran vor Verurteilung

Aus der ZEIT von morgen.
Wer eine religiöse Minderheit demütigen will, schändet ihre Friedhöfe. Jeder solcher Akt ist barbarisch. Doch innerhalb der letzten Monate haben die Bahai im nordiranischen Qaimshahr gleich viermal zusehen müssen, wie die Gräber ihrer Vorfahren beschädigt wurden. Zuletzt, Ende Januar, kamen Bulldozer und vollendeten das Zerstörungswerk – von offiziellen Stellen geduldet, wenn nicht gar geschickt. Im Schatten der westlichen Sorge um sein Atomprogramm betreibt das Teheraner Regime eine zunehmend radikale Repression gegen die größte religiöse Minderheit im Lande – die etwa 350 000 Anhänger des Bahai-Glaubens. Das Kalkül: Die Welt hat andere Sorgen und wird sich darum nicht für die Rechte einer kleinen Religion verkämpfen.
Vielleicht wird dieses Spiel nicht aufgehen: Letzte Woche hat das Bundeskanzleramt den Geschäftsträger der iranischen Botschaft in Berlin einbestellt und ihm die Sorge der Kanzlerin über einen in Teheran drohenden Prozess gegen Bahai verdeutlicht. Und auch das Auswärtige Amt nutzt jeden Kontakt mit iranischen Stellen, um das Schicksal der Bahai zu beklagen.
Sieben führende Mitglieder des Bahai-Glaubens sollen dieser Tage vor Gericht gestellt werden. Man wirft ihnen »Spionage für Israel« und »Propaganda gegen den iranischen Staat« vor. Seit Monaten wurden die sieben ohne formelle Anklage festgehalten und ihre Anwälte schikaniert. Selbst die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi wird unter den Augen der Behörden drangsaliert und denunziert, seit sie die Aufgabe übernommen hat, die Angeklagten zu verteidigen. Es wurden gar Gerüchte lanciert, Ebadis Tochter sei zum Bahai-Glauben übergetreten. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, droht den geistigen Führern der Bahai die Todesstrafe.
Was reizt die Mullahs so an dieser Religion? Ursprünglich als islamische Reformbewegung in Iran entstanden, hat sich die Gemeinde des Stifters Bahaullah (»Herrlichkeit Gottes«) vom Islam losgesagt und eine Lehre entwickelt, die alle Weltreligionen beerben will. Die Bahai begreifen Mohammed nicht als »Siegel der Propheten«, sondern als eine Stimme der Offenbarung unter vielen. Keine Religion sei »falsch«, alle müssten aus ihrer Zeit heraus begriffen werden. Bahai lehren die Gleichberechtigung von Mann und Frau und lehnen jedes Priestertum ab. Statt der Überlegenheit des islamischen Glaubens über die anderen »Buchreligionen« und der Unantastbarkeit des Korans vertreten sie ein Ideal des religiösen Weltfriedens und glauben an eine unabgeschlossene Offenbarung des Göttlichen in der Geschichte.
In den Bahai begegnet dem schiitischen Klerus eine Form der religiösen Aufklärung, die umso provokanter ist, als sie von innen kommt – aus der Mitte der iranischen Kultur. Von Beginn an wurden die Bahais eben darum als Einflussagenten des Auslands – der Briten, der Russen, der Amerikaner und nun eben Israels – verteufelt. Sie sind ein Ärgernis, weil in ihnen ein anderer Weg aus der islamischen Kultur in die Moderne aufscheint: ohne Ressentiment, ohne Dschihad, ohne Fundamentalismus.
Mit dem heutigen Israel verbindet die Bahai nur der historische Zufall, dass ihr Prophet ins Exil gedrängt wurde und im palästinensischen Akkon – nahe dem heutigen Haifa – starb. Dort befindet sich das Weltzentrum für sechs Millionen Gläubige weltweit – Vorwand für die Teheraner »Zionisten«-Verschwörungstheorie.
In den letzten Monaten haben die Drangsalierungen der Bahai in Iran zugenommen. Sie dürfen nicht studieren, keine Geschäfte führen und sich nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. Es scheint kaum übertrieben, von einer drohenden Vernichtung der Bahai in ihrem Ursprungsland zu sprechen. Es könnte freilich sein, dass die radikalen Kreise im Teheraner Regime, die diese Kampagne vorantreiben, sich verrechnet haben. Denn es wächst auch in der eigenen Öffentlichkeit der Widerstand gegen die Unterdrückung: Über 240 iranische Intellektuelle haben einen offenen Brief geschrieben, in dem sie sich »beschämt« darüber zeigen, dass die Bahai »seit anderthalb Jahrhunderten ihrer Rechte in Iran beraubt werden«.
Durch das beherzte – und diesmal geschlossene – Auftreten der Bundesregierung ist das Schicksal der Bahai zu einem Prüfstein für die Hoffnung geworden, der Westen könne mit Iran einen Neuanfang wagen. Das steckt hinter dem drohenden Satz der Kanzlerin, ohne korrektes Gerichtsverfahren drohe »eine Belastung der Beziehungen der Staatengemeinschaft mit Iran«.
Iran sucht nach internationaler Anerkennung. Das verträgt sich in einer von religiösen Konflikten zerrissenen Welt schlecht mit der Entrechtung einer Minderheit, deren einziges Verbrechen darin besteht, sich vom Islam gelöst zu haben. Im Teheraner Gerichtshof wird darum nicht nur über das Schicksal einer kleinen religiösen Minderheit entschieden werden – sondern auch über die Rolle, die das iranische Regime selbst künftig zu spielen gewillt ist.