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Muslime und Evolution

Wir kennen alle die Berichte über die Wissenschaftsfeindlichkeit der Evangelikalen in den USA. Wie bizarr auch immer deren Gefechte wider die Evolutionstheorie, die wahr Herausforderung für die wissenschaftliche Weltsicht liegt nicht im „Bible Belt“ der Vereinigten Staaten, sondern in der Breite der öffentlichen Meinung in der islamischen Welt.

Eine Erhebung aus den Jahren 1996-2003 zeigt die wachsende Popularität des Kreationismus in der islamischen Welt. Das Sample für die Türkei scheint mir mit etwas über 700 Befragten ein wenig zu klein, um wirklich zuverlässig zu sein. Aber immerhin bekommt man hier einen Einblick. Schockierend sind die Zahlen für Indonesien und Malaysia, und auch die für Ägypten.

Warum ist Kasachstan relativ wissenschaftsfreundlich? ich vermute, das ist ein Erbe der Sowjet-Zeit.

Ansonsten: finster, finster.

Quelle.


 

Ende einer Dienstfahrt – zum Tod von Horst Tappert

Ich kann es mir nicht verkneifen, zum Tod des Derrick-Darstellers hier ein Stück aus meiner ersten Zeit bei diesem Blatt wieder zu veröffentlichen. Es wurde geschrieben, um das Ende der legendären Serie vor 10 Jahren zu bedenken. Auszüge:

Für unsereinen aus der Generation Golf – im steten Flackern der ersten erschwinglichen Farbfernseher herangewachsen (die so stolze Namen trugen wie Rubens, Goya und Rembrandt) – hat die Welt des Herbert Reinecker den Charakter einer unhintergehbaren Wirklichkeit: „Derrick“ war immer schon da. Als „Der Kommissar“ wiederholt wurde, nahmen wir verdutzt zur Kenntnis, daß Assistent Harry Klein bereits ein Leben vor „Derrick“ geführt hatte. Fritz Wepper hatte nämlich auch schon dem Kommissar Keller als Hilfssheriff gedient, in jenen unvordenklichen Tagen des Schwarzweißfernsehens. Wer mit der deutschen Fernsehunterhaltung aufgewachsen ist, hat nolens volens eine starke Dosis Reinecker aufgesogen. Zum Lebenswerk des ewigen Quotenchampions gehören Meilensteine des kollektiven Gedächtnisses wie die „Winnetou“-Serie und die Edgar-Wallace-Filme („Der Hexer“). Jene Enthüllungsjournalisten, die Reinecker vor Jahren seine alten Propagandaschriften aus dem „Dritten Reich“ („Jugend in Waffen“, „Panzermänner an die Front!“) vorhielten, glaubten damit auch seine späteren Arbeiten für Kino und Fernsehen treffen zu können. Sie sind dem Irrtum erlegen, man könne diesem Autor irgendwelche zweifelhaften Kontinuitäten nachweisen. Es ist aber gerade das eigenartig Chamäleonhafte seiner zweiten Karriere, das ihn so bemerkenswert macht. Sein Werk nach dem Krieg steht – vom schönfärberischen Widerstandsdrama „Canaris“ (1954) über klamme Softpornos wie „Unter den Dächern von St. Pauli“ (1969) bis zur Utopie des kollektiven Freizeitparks auf dem „Traumschiff“ – ganz und gar im Zeichen des Abschieds vom jugendlichen Idealismus der „Pimpfenwelt“ (1940), für die er einst getrommelt hatte. Reineckers Leben ist ein langer Abschied von der Hoffnung auf „Die große Wandlung“ (1938), die er als junger Mann propagiert hatte. Man kann zeigen, daß sich die Erfindung Derricks in diese Absetzbewegung einfügt.

An Reineckers größtem Erfolg hat die Kritik in zweieinhalb Jahrzehnten immer wieder ihre Instrumente erprobt. Schon die erste Sendung, am 20. Oktober 1974, wurde heftig verrissen. Aber wie zum Hohn der Kommentatoren stieg die Serie um so höher in der Gunst des Publikums, je mehr die Fernsehkritik auf der Fadheit der Figuren, der Spannungslosigkeit der Handlung, der Öde des ewig gleichen Münchner Milieus herumritt. Der unaufhaltsame Aufstieg „Derricks“ zu einem weltweiten Fernseherfolg – am Ende in nahezu hundert Ländern – wurde von der ohnmächtigen Presse zunächst wütend, dann ironisch und schließlich resigniert zur Kenntnis genommen. Umberto Eco, sonst nicht um erhellende Analysen populärer Mythen verlegen, erklärte schließlich Derricks Beliebtheit aus seiner Durchschnittlichkeit.

Mit solchen Tautologien können wir uns nicht zufriedengeben. Zu unserer bundesrepublikanischen Welt der siebziger und achtziger Jahre gehört Reineckers Figur, ob es uns paßt oder nicht, wie die Tele-Knabberbar, der autofreie Sonntag, Afri-Cola und die funktionale Differenzierung. Wir haben ihn immer belächelt, wir haben Witze gerissen über sein Haarteil, die ölig glänzende proletarische Entenschwanzpomadenfrisur. Aber wenn er im Herbst vorläufig von uns geht, werden wir ihn vielleicht doch noch vermissen. Zeit für eine Bilanz.

Es ist höchst bezeichnend, wie das Ende für die Serie sich im letzten Herbst ankündigte. Nicht der Autor wollte nämlich die Sache beenden, sondern sein Hauptdarsteller, Horst Tappert. Die Serie sei ihm zu „philosophisch“ geworden, bekannte er in mehreren Interviews. In der Tat hatte Reinecker seit Jahren die ohnehin meist ziemlich spannungsfreien Plots nur mehr als Vorwand benutzt, um seinen Helden Leitartikel über die Entfremdung des Menschen, die allgemeine Verrohung der Gesellschaft und die Eitelkeit allen Strebens aufsagen zu lassen. Der Oberinspektor hatte immer noch oft in den Villen des Münchner Vororts Grünwald zu ermitteln; aber die konkreten Leidenschaften der Legion von Lehrer-Triebtätern, Drogen-Jugendlichen, Unternehmer-Vätern, der ehebrecherischen Frauen, schmierigen Witwenmörder und Huren mit Herz durften ihn am Ende weniger und weniger interessieren. Derricks Fälle waren immer blassere Illustrationen der transzendentalen Obdachlosigkeit des modernen Menschen. In Reineckers eigenen Worten, anläßlich seines Achtzigsten geäußert: „Schöner wohnen außen? Schöner wohnen innen muß man. Innen schön wohnen ist ein Problem dieser Zeit, die es allen zunehmend schwerer macht, sich wohl zu fühlen. Mir geht es um Aufklärung, um Seinsmitteilungen. Heidegger hat in einem Seminar gesagt: ,Die Atombombe ist ja längst explodiert, und zwar ganz lautlos, es ist die Entwurzelung der Menschen und im Zusammenhang damit zunehmende Entfremdung.'“ Weiter„Ende einer Dienstfahrt – zum Tod von Horst Tappert“

 

Muslimische Intellektuelle gegen Kulturrelativismus

Wer sagt, dass die UN nichts taugen? Zum Gedenken an 60 Jahre Erklärung der Menschenrechte fand in Genf ein Forum statt, an dem auch Wole Soyinka aus Nigeria und Shirin Ebadi aus Iran teilnahmen. Der Schriftsteller und die Anwältin sind beide Nobelpreisträger (er 1986 für Literatur, sie bekam 2003 den Friedensnobelpreis). Und beide nahmen kein Blatt vor den Mund über den Status der Menschenrechte in islamischen Ländern:

Nobel laureates from Iran and Nigeria used a United Nations forum on Wednesday to condemn hardliners in power in some Muslim countries, and rulers of the world’s last communist states, as gross abusers of human rights.

The two, Iranian lawyer Shirin Ebadi and Nigerian writer Wole Soyinka, also insisted that human rights as set out in the 1948 U.N. Declaration, were universal and could not be limited on the basis of culture or religion.

„Some people believe that the Declaration’s principles are based on Western standards and are not compatible with national or religious culture. Most non-democratic Islamic governments use this reasoning,“ declared Ebadi.

In the Muslim world today, said Soyinka, „the fanatical, absolutist truth enforcers of our time“ were responsible for bloodshed among different Islamic groups and suppression of ideas not in line with their own.

Ebadi and Soyinka also criticised the United States‘ reaction to the September 2001 attacks in New York and Washington, saying the Bush administration had used them to violate rights by invoking national security.

But — to a degree that surprised many diplomats and rights activists used to more cautious and bland speeches from U.N. platforms — they each focused separately on Islamic countries and on practices in some Muslim communities elsewhere.

„I was flabbergasted. I never expected to hear such forthright talk here,“ said one representative of a non- governmental organisation who has been active at the U.N. in Geneva for 30 years.

Soyinka, Nobel Literature laureate in 1986, said the „cultural relativism“ many argue has become dominant in the U.N. meant that non-Muslims „are asked to accept such barbarities as honour killings as justified by tradition.“

This stance — which critics say many governments in the West are adopting to avoid upsetting vocal religious and especially Muslim minorities — is evoked „to undermine or dismiss the universal nature of human rights,“ he said.

Ebadi, who won the Nobel Peace Prize in 2003 for promoting the rights of women and children in Iran and is at odds with its government, said Muslim dictatorships used religion to underpin their own power.

The views of „enlightened Muslims“ were dismissed, and any criticism of human rights violations and oppression of the people „is treated as criticism of religion itself and human rights defenders are accused of heresy,“ she said.

„They say: ‚Our culture does not permit the exercise of dissent, or of other views — end of discussion,“ said Soyinka. „‚Our culture, they tell the world, is different and our traditions sacrosanct‘.“

Und darum müssen wir solche mutigen Menschen unterstützen, die ihr Leben riskieren um universale Werte zu verteidigen.

Ein Reuters-Bericht hier.

(Dank an Freespeech)

 

Barack Obama plant Rede in einer islamischen Hauptstadt

Nach einem Bericht der Chicago Tribune will Barack Obama früh in seiner Amtszeit eine Rede in einer Hauptstadt der islamischen Welt halten.

Er werde die Gelegenhgeit nutzen, Amerikas Bild in der Welt zu erneuern, und besonders in der islamischen Welt, sagte der kommende Präsident der Tribune:

„I think we’ve got a unique opportunity to reboot America’s image around the world and also in the Muslim world in particular,“ Obama said Tuesday, promising an „unrelenting“ desire to „create a relationship of mutual respect and partnership in countries and with peoples of good will who want their citizens and ours to prosper together.“

Obama bemühte sich aber gleichzeitig klarzumachen, dass damit kein Nachgeben gegenüber Terroristen verbunden sein werde:

Obama said the country must take advantage of a unique chance to recalibrate relations around the globe, through a new diplomacy that emphasizes inclusiveness and tolerance as well as an unflinching stand against terrorism.

„The message I want to send is that we will be unyielding in stamping out the terrorist extremism we saw in Mumbai,“ Obama said, adding that he plans to give a major address in an Islamic capital as part of his global outreach.

Sehr gute Idee. Fragt sich nur, wo das große Palaver stattfinden soll? In Badgad ja wohl kaum. Damaskus auch nicht. Teheran fällt vorerst aus. Ankara ist (noch) säkular, also nicht „islamisch“.

Dubai? (zu speziell, zu klein) Doha? (dito)

Also Kairo? (schwieriger Partner) Islamabad? (dito) Riad? (au weia)

Algier? Tunis? Tripolis? Khartum? Rabat? (alle wiederum auch sehr spezielle, problematische  Fälle)

Also vielleicht Kuala Lumpur? Oder Djakarta?

Im übrigen will er, wie es bei seinen Vorgängern Brauch war, alle drei Namensteile bei seiner Vereidigung benutzen. Er wird also als Barack Hussein Obama eingeschworen werden – mit dem Mittelnamen, den seine Gegner versuchten, als Indiz seines heimlichen Muslimseins auszulegen.

 

Der Scheich und der Händedruck

Scheich Tantawi, Oberhaupt der al-Azhar-Universität in Kairo, hat Schimon Peres die Hand geschüttelt, bei einem UN-Treffen im November.

Nun wird ihm diese menschliche Geste zum Verhängnis. In Ägypten rufen führende Zeitungen ihn zum Rücktritt auf.

Tantawi hat sich bereits auf die (schwache) Linie zurückgezogen, er habe den Herrn gar nicht erkannt, der ihm da in New York die Hand entgegengestreckt habe. (Wenn das stimmt, dann sollte der Scheich wirklich zurücktreten!) Welch eine Demütigung.

Mohammed Sayed Tantawi

Es ist eine schändliche Vorstellung: der Scheich fährt zum „interreligiösen Dialog“ nach New York und drückt dem Staatsoberhaupt eines Nachbarstaates, zu dem Ägypten Beziehungen hat, die Hand – und die Folge ist ein Kesseltreiben der fanatisierten Öffentlichkeit.

Israelische Quellen sagen, Tantawi sei auf Peres zugekommen, und es habe eine sehr gute, ernsthafte Unterhaltung gegeben.

Was einen irritierenden Schluß nahelegt: das Problem sind vielleicht gar nicht mal die Scheichs und Muftis und Ajatollahs, sondern die breite Öffentlichkeit der islamischen Welt.

Aus einem Bericht der BBC:

Senior Egyptian politicians regularly meet with Shimon Peres.

Egyptian President Hosni Mubarak played host to the Israeli president just two months ago.

But Sheikh Tantawi, say commentators, is the leader of Sunni Islam and by shaking the hand of the Israeli president, he’s seen as normalising relations with Israel while at the same time associating himself with the Egyptian regime, which is deeply unpopular in many quarters.

 

Verhaftung des iranischen Bloggers bestätigt

Die Familie von Hossein Derakhshan (aka Hoder) hat jetzt seine Verhaftung durch die iranischen Behörden bestätigt.

Bisher hatte es keine offizielle Bestätigung der Verhaftung gegeben. Darum waren im Internet Verschwörungstheorien ventiliert worden, es könne sich um eine Inszenierung handeln, womöglich sogar durch das vermeintliche Opfer.

Die Familie hat seit dem ersten November, an dem er offenbar verhaftet wurde, vier Mal mit Hossein sprechen können. Seit 13 Tagen jedoch ist sie ohne Nachricht.

Ein Bericht der kandadischen Zweitung Globe and Mail hier.

Die Facebook-Seite für seine Freilassung hier.

 

Die feinen Unterschiede im Hass…

Alan Posener zum Streit um Antisemitismus und Islamophobie:

In Arras, Nordfrankreich, sind am Vorabend des muslimischen Opferfests auf einem Soldatenfriedhof Hunderte von Gräbern muslimischer Gefallener von Neonazis geschändet worden.  Wie schon im April 2007 und im April 2008 wurden die Gräber der Soldaten, die für Frankreich ihr Leben ließen, mit Hakenkreuzen und den Worten “Heil Hitler” beschmiert. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy fand die richtigen Worte, als er von einem “widerlichen Rassismus” sprach, der sich gegen die muslimische Gemeinschaft Frankreichs richte. Ob man nun diesen widerlichen Rassismus Islamophobie nennt oder Islamfeindschaft oder Muslimfeindschaft oder Antiislamismus oder was auch immer: die Urheber dieser Tat haben mit ihren Hakenkreuzen und dem Slogan “Heil Hitler” klar gemacht, dass sie für die feinen Unterschiede im Hass gegen die eine wie die andere Gruppe wenig Gefühl haben…

Mehr hier.

 

Indische Muslime gegen den Terror

Es hat einige kleinere Demonstrationen von indischen Muslimen gegen den Terrorismus gegeben, wie die NYT berichtet:

The cluster of banners all around him, held aloft by marchers, seemed to bear out his point. Some read “Our Country’s Enemies are Our Enemies,” others, “Killers of Innocents are Enemies of Islam.” A few declared, in uncertain grammar, “Pakistan Be Declared Terrorist State.”

There were also slogans defending against the charge often made by right-wing Hindus that Muslims constitute a fifth column, easily exploited by terrorists. “Communalist and Terrorist are Cousins,” one sign read.

Ein Autor des Blogs „Indian Muslims“ findet, das ist nicht genug:

The terrorists must have definitely had some form of local support to get such precise details about their target. They could have got it either through criminal gangs, corrupt people in India or through radicals in our own community. A muslim in India, has the same responsibility to protect his country as any other citizen. Not burying the terrorists is not good enough. Here is a list of things they should have done or at least should do from now on.

1. As attacks took place one after another in various cities, Muslim leaders and imams should spend enough time to calm the hatred and distrust between the two communities. It is not enough to give fatwas that suicide is haraam in Islam. We should educate muslims that hindus are our neighbours and that in spite of certain events we should not carry hatred for another Indian. We have more to lose than gain due to such animosity. Even at a family level, we should spend time to educate those radicals who have hatred for non-muslims. “They are kafrs, they will go to hell anyways”, is not what you teach your kids. After all it is Allah who decides our fate. Weiter„Indische Muslime gegen den Terror“

 

Hass gegen Muslime in Frankreich

Auf einem Friedhof in Nordfrankreich sind über 500 Gräber muslimischer Kriegsveteranen (WW I) vandalisiert worden. Hakenkreuze und anti-islamische Parolen wurden auf die Grabsteine gesprüht, nicht zufällig wohl zum Beginn des (Opfer-) Festes Eid al-adha, an dem Muslime die Gräber ihrer Angehörigen besuchen.

Das ist eine zunehmend abstossende Seite an Europa: die rechtsradikale Entdeckung der islamischen Religion als Merkmal des ganz anderen, nachdem der antisemitische Rassismus nicht mehr mehrheitsfähig ist.

Bericht hier.