Wer bezahlt eigentlich Lau?

Heino Wiese von „Wiese Consult“ ist sauer wegen meiner Berichterstattung zum Thema deutsche Außenpolitik und Russland. So sauer, dass er in einem Editorial seiner Hauspublikation „Hauptstadt-Insider“ gegen mich ausholt und dabei ein paar große Löcher in die Luft schlägt. (Siehe unten.)

Wir haben führenden Sozialdemokraten überhaupt nichts „unterstellt“, sondern schlicht öffentlich zugängliche, unbestrittene Fakten über deren berufliches Engagement für russische Firmen zusammengetragen. Wenn die Aufzählung von Fakten in den Augen von Herrn Wiese  bereits eine „diffamierende“ Wirkung entfaltet, dann wirft das ein Licht auf die Fakten – und auf Herrn Wiese.

Wer hätte je behauptet, dass Russland einen kurzen und leichten Weg zur Demokratie hätte? Niemand glorifiziert die Jelzin-Jahre. Staatlichkeit und soziale Sicherung sind wichtig, hat ebenfalls niemand je bestritten. Aber wenn all das zur Rechtfertigung von heutiger  Regression und Repression herangezogen wird – und das nicht nur vom Regime, sondern auch von vermeintlichen deutschen Russlandfreunden – dann ist was mächtig faul. (Und da bin ich dann doch sehr froh, dass wir begonnen haben, ein wenig drin zu stochern.)

Dass der NSU-Skandal und selbst noch Stuttgart 21 (?) zur Entlastung der russischen Regierung herangezogen werden, wirkt da schon ein bisschen verzweifelt.

Dass deutsche Unternehmen in Russland einen Mittelstand mit hervorbringen, habe ich nie bestritten. Das ist ja auch höchst begrüßenswert. Ich habe immer für mehr Verflechtung geworben. Allerdings bedeutet diese auch automatisch mehr Einmischung und, daraus folgend, eine klare Sprache bei Rückschritten in Sachen Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte. Solche Rückschritte sind übrigens auch nicht im Interesse der deutschen Industrie, scheint mir. Mehr Rechtssicherheit, weniger Korruption, mehr Verantwortlichkeit wären auch gut für die deutsche Wirtschaft, ganz abgesehen davon, dass diese Dinge um ihrer selbst willen erstrebenswert sind.

Den Schluss finde ich putzig. Eine Firma, die damit wirbt, beste Kontakte zum russischen Establishment zu haben, fragt, „wer eigentlich“ Lau für seine „permanente  Negativberichterstattung über Russland“ bezahlt. Das nenne ich Chuzpe.

Hier das Editorial aus dem aktuellen Hauptstadt-Insider:

 

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Heino Wiese (rechts) von Wiese Consult bei der Arbeit. Foto: Wiese Consult

 

Was die Geschichte der Ostpolitik über den Umgang mit Diktaturen lehrt

Dieser Text, den ich zusammen mit Matthias Geis verfasst habe, erscheint in der ZEIT von heute – ein Versuch, die Debatte über Interessen und Werte in der deutschen Außenpolitik in einen historischen Kontext zu stellen:

Die drei Worte fallen ganz am Ende. Der Redner hat sie fett markiert. Er weiß schon, dass sie die Sprache der deutschen Außenpolitik verändern werden. Die Bundesrepublik müsse gegenüber Moskau einem neuen Leitgedanken folgen: statt Abgrenzung, Druck und Konfrontation – »Wandel durch Annäherung«.
Bald ist das fünfzig Jahre her. Am 15. Juli 1963 hielt Egon Bahr in Tutzing an der Evangelischen Akademie die Rede, die zur Grundlage der »Neuen Ostpolitik« Willy Brandts wurde. In seinen drei Worten schnurrte die Entspannungsphilosophie zusammen, der die sozialliberale Regierung Brandt/Scheel von 1969 an im Umgang mit der Sowjetunion und dem kommunistischen Ostblock folgte. Keine andere außenpolitische Idee der jüngeren deutschen Geschichte war so folgenreich.
Sie ist es bis heute: Die aktuelle Debatte über den richtigen Umgang mit Diktatoren und Gewalt-herrschern, über Werte und Interessen, Menschenrechte und Geschäfte ist ohne die Vorgeschichte der Entspannungspolitik nicht zu verstehen. Deutsche Außenpolitiker haben in Zeiten der Blockkonfrontation gelernt, wie man mit »schwierigen Partnern« umgeht. Bis heute stehen sie unter dem Bann dieser Zeit. Ihre diplomatischen Begriffe leiten sich daher ab – Varianten und Schwund-formen der Bahrschen Erfindung: Wandel durch Handel, Wandel durch Verflechtung, Modernisierungspartnerschaft.
Was mussten Brandt und Bahr sich von konservativen Politikern nicht für böswillige Angriffe gefallen lassen – Verfassungsbruch, Ausverkauf deutscher Interessen, ja selbst Landesverrat. Erst in den Neunzigern hat sich überall die Einsicht durch-gesetzt, dass es auch die Neue Ostpolitik war – von den Kanzlern Schmidt und Kohl fortgesetzt–, die den Kalten Krieg überwand, die Mauer durchlöcherte und die Wiedervereinigung ermöglichte.
Heute wollen alle die Idee beerben. Allerdings findet dabei eine klammheimliche Umdeutung statt. Die beiden Elemente werden entkoppelt: An der Annäherung wird festgehalten, selbst wenn kein Wandel in Sicht ist, ja selbst noch dann, wenn einer zum Schlechteren stattfindet. Bahrs Formel fällt verdächtigerweise immer dann, wenn be-gründet werden soll, warum eine offensichtliche Demütigung, ein Vertragsbruch, eine Menschenrechtsverletzung durch einen Partner ohne Konsequenzen bleibt. Eine ursprünglich trickreich-subversive Idee ist in Gefahr, zum Alibi zu werden.
So etwa, wenn Außenminister Guido Westerwelle erklärt, warum man mit Russland trotz Razzien in deutschen Stiftungen unverändert weiter auf Dialog-Programme setzt: »Wandel ist nur über weitere Annäherung und Hinwendung möglich.« Als die Chinesen vor einigen Jahren ein Delega-tionsmitglied Westerwelles, den Schriftsteller Tilman Spengler, zur Persona non grata erklärten, flog er trotzdem hin und erklärte auch dies mit Bahrs Formel. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau beschwört die Notwendigkeit einer Partnerschaft mit Putins und Medwedews Regime allen Rückschritten zum Trotz unter der Überschrift »Wandel durch Annäherung«. Ganz gleich, ob es um Gasgeschäfte mit Aserbaidschan, Panzer für Saudi-Arabien oder um Dialog mit der ägyptischen Muslimbruderschaft geht – für alles muss Bahrs Slogan herhalten. Weiter„Was die Geschichte der Ostpolitik über den Umgang mit Diktaturen lehrt“

 

Warum Syrien nicht in die Hände der Radikalen fallen wird

Letzte Woche war Sadiq Jalal al-Azm in Berlin bei einem Kongress der Ebert-Stiftung. Ich hatte ihn seit Jahren schon sehen wollen. Nun gab der Krieg in Syrien seiner Rede einen besonderen Hintergrund.

Al-Azm ist vielleicht der wichtigste lebende Vordenker der arabischen Liberalen, ein Aufklärer und Streiter gegen autoritäre Herrschaft und gegen die arabische Selbstviktimisierung. Der Sohn einer syrischen Bürgerfamilie, der den „Damaszener Frühling“ von 2000 mit begründete, lebt heute in Beirut. Wie würde er die Rolle des politischen Islams angesichts der jüngsten Ereignisse in der arabischen Welt, und angesichts des Krieges in Syrien beschreiben? Ich gebe im folgenden meine Notizen wieder.

Er begann mit dem Rückgriff auf die Ereignisse seit dem Januar 2011 in Tunesien und Ägypten. Die Revolte bedeutete die Rückkehr der Politik zu den Menschen, und zugleich die der Menschen zur Politik. Denn unter den autoritären Herrschern hatte es keine wirkliche Politik geben können. Die Macht wurde durch die Revolte „aus den Händen der Söhne“ gerissen. Es sollte keine Vererbung der Herrschaft mehr geben, es ging um die Rückkehr des öffentlichen Lebens zum Volk.

Die perfektionierte Unterdrückung in Syrien durch das Sicherheitssytem Assads machte es unmöglich, den Weg der anderen arabischen Länder zur Selbstbefreiung zu gehen.

Aber durch den „Damaszener Frühling“ von 2000-2001, so al-Azm, „haben wir eine Vorbildrolle gespielt, unsere kritischen reformerischen Ideen waren einer der Samen des Wandels“. (Al-Azm war Erstunterzeichner der „Erklärung der 99“ und der „Erklärung der 1000“, in denen syrische Intellektuelle Demokratie und Rechtsstaatlichkeit forderten.)

Aber erst auf dem Tahrir-Platz konnte die arabische Öffentlichkeit die Erfahrung machen, dass wir „nicht mehr einen Führer brauchen, dass die Massen es alleine schaffen können“, die Herrschaft der Autokraten zu stürzen.

Anfangs gab es eine intensive Beteiligung von Frauen am Protest, und es gab keine sexuelle Belästigung, die sonst den Alltag in Kairo vergiftet. In einem kreativen, karnevalistischen Klima stürzte das Regime. Christen waren auch mit dabei, und sie zeigten ihre Kreuze, während daneben muslimische Prediger zum Gebet riefen.

All das wurde angefeuert von den Neuen Medien, die nicht kontrolliert werden konnten vom Geheimdienstsystem.

In Syrien aber war eine solche Entwicklung nicht möglich, weil das Regime mit aller Härte auf die ersten Demonstrationen reagierte.

Es ist irreführend, von einem „Bürgerkrieg“ in Syrien zu sprechen, anders als seinerzeit im Libanon, wo der Begriff treffend war.

In Syrien stehen nicht Kurden gegen Christen, Drusen gegen Sunniten, Sunniten gegen Ismailiten. Dort stand von Beginn an das Regime gegen die Bürger, die sich nicht mehr bevormunden lassen wollen.

Der Extremismus des Assad-Regimes ist unvergleichbar mit der Reaktion der anderen betroffenen autoritären Herrscher der Region. Und die Revolution reagiert darauf ihrerseits extrem.

Es ist wichtig, die Rechte der Minderheiten im Blick zu behalten. Aber im syrischen Fall sind es vornehmlich die Städte, Viertel und Dörfer der sunnitisch geprägten Mehrheit, die beschossen und zerstört werden.

Man tut den sunnitischen Syrern Unrecht, wenn man ihnen unterstellt, sie würden im Zuge der Revolte die Minderheit entrechten.

Syrien droht geopfert zu werden auf dem Altar der Geopolitik. Große Mächte wie Russland und Iran, Saudi-Arabien und Katar spielen ihre Machtspiele. Die arabischen Linken sind ein Teil davon, wenn sie die Rhetorik des „Arabischen Herbstes“ oder „Winters“ übernehmen, der angeblich den „Frühling“ abgelöst habe. Das verzerrt die Wahrheit über die syrische Revolution.

Die Islamisten wollen heute die Gelegenheit nutzen, die Oberhand zu erlangen.

Der politische Islam ist eine entscheidende mobilisierende Kraft. Man muss ihn als politische Ideologie unterscheiden von einer normalen religiösen Praxis.

Es gibt heute eine Mehrzahl von Strömungen, zwischen denen ein Ringen um Deutungshoheit entbrannt ist. Drei Kräfte sind grob zu unterscheiden. Da ist „der Islamismus der Petrodollars“ aus dem Iran und den Golf-Staaten.

Zweitens gibt es die Dschihadisten ohne eigenen Staat (wenn auch mit Unterstützung aus Ölstaaten).

Das ist der Islamismus, der die einst Kaaba besetzt hielt und Saddat ermordete, und der für den 11. September verantwortlich ist. Es predigt einen „nihilistischen Islam“, einen „Islam der Exkommunikation und Explosion“. Von ihm zu unterscheiden, wenngleich auch gewalttätig, ist der Islamismus von Hisbollah und Hamas, in dem Restbestände der (früher säkularen) nationalen Befreiungsbewegungen enthalten sind. Doch haben beide Bewegungen auf der Grundlage ihres Konfessionalismus (schiitisch die Hisbollah, sunnitisch die Hamas) das Motiv der Befreiung ad absurdum geführt.

Drittens gibt es einen politisierten Islam der Mittelklasse, des Basars, der Banken, der Bourgeoisie. Einen Islam der Zivilgesellschaft, der konservativ, aber gemäßigt ist. Er will sozialen Frieden und Stabilität für die Geschäfte der aufsteigenden Klassen. Dieser Islam gibt Grund zu Optimismus, weil er „Exkommunikation und Explosion“ ablehnt. Am deutlichsten sichtbar ist seine Wirkunsgform bisher vor allem in der Türkei, in Form der AKP. Der Verzicht dieser Partei, die frühere islamistische Formationen beerbt, auf zentrale Elemente der Ideologie – keine Wiedererrichtung des Kalifats, keine Schariaherrschaft – ist etwas Neues.

Ob das türkische Modell sich auch in Tunesien durchsetzen wird, unter Führung von Raschid Ghannouchi, wird interessant zu beobachten sein.

Was wir derzeit erleben, ist der Kampf zwischen den drei Linien des politischen Islams. Für die Muslimbrüder wird es entscheidend sein, wie sie sich mit den beiden anderen Islamismen – dem Islam der Petrodollars und dem von „Explosion und Exkommunikation“ auseinandersetzen.

Al-Azms Heimat Syrien, sagte er in Berlin, werde nicht islamistisch. Nach einer Phase des Chaos, ist er sich sicher, werden sich „bei uns die Moderaten durchsetzen“. Der Business-Islam der Bourgeoisie wird sich gegen Dschihadisten und Petro-Islam durchsetzen: „In Syrien hat ein Islam, der Schulen und Universitäten schließt und Frauen die Arbeit verbietet keine Chance.“

Der Moderator schloß mit den Worten an: „Ihr Wort in Gottes Ohr, verehrter Professor.“

 

Warum der Westen seine Werte vertreten muss

Am vergangenen Donnerstag habe ich in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik diesen Vortrag gehalten – als Antwort auf den Direktor des Thinktanks der DGAP, Professor Eberhard Sandschneider. Angeregt durch unsere ZEIT-Debatte zur Außenpolitik wird die DGAP eine Reihe über das Verhältnis zwischen Werten und Interessen in der deutschen Außenpolitik veranstalten. (Wir werden berichten.) Am Donnerstag war die Auftaktveranstaltung.

Ich muss diesen Vortrag mit einer diplomatischen und menschlichen Unmöglichkeit beginnen. Was ich jetzt gleich tun werde, ist wirklich das Letzte. Ich werde mich selbt zitieren.

Verzeihen Sie, aber hier und heute kann ich es mir nicht verkneifen.

Vor nicht ganz zwei Monaten habe ich in der ZEIT geschrieben:

Wie wenig Stabilität taugt, die auf Kosten von Freiheit und Menschenrecht geht, zeigen heute die Eruptionen in den arabischen Ländern. Die fortschreitende Implosion der Staatenwelt des Nahen Ostens stellt auch einen vermeintlichen Realismus bloß, der sich nicht traute, über die Gewaltherrscher hinauszudenken. Das einflussreiche Milieu der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik wäre eigentlich der Ort für solche Reflexionen.

 

Als Journalist hat man nicht oft einen unmittelbaren Effekt mit kritischen Äußerungen. Um so mehr freue ich mich, dass die DGAP mit Herrn Professor Sandschneider den Ball aufgenommen hat und die Debatte weiterführen möchte, sogar mit einer ganzen Reihe von Vorträgen. Statt mir die DGAP-Mitgliedschaft zu kündigen, hat man mich hier eingeladen. Das ist großzügig und zeugt von Sportsgeist.

Und damit in den Ring:

 

Lieber Herr Sandschneider – einerseits sagen Sie: Es gibt neue Wertekonflikte, die sich aus dem Aufstieg neuer Mächte ergeben – und aus deren Anspruch, ihre eigenen Werte durchzusetzen. Der Westen bestimmt nicht mehr die Regeln.

Zweitens sagen Sie aber, es gibt eigentlich keinen Konflikt zwischen unseren Werten und unseren Interessen, das wird nur künstlich von Moralisten hochgespielt, die von Außenpolitik keine Ahnung haben.

Also was denn nun?

Ich finde, die beiden anfangs zitierten Aussagen passen nicht recht zusammen. Und möchte dagegen stellen: Es gibt tatsächlich einen globalen Wettbewerb, in dem unsere Werte – die der freiheitlichen und offenen Gesellschaften, durchaus nicht mehr nur des klassischen alten „Westens“ – herausgefordert und in Frage gestellt werden. Sie können das auf die einfach Frage reduzieren: Wer kommt besser durch die Krise – die freien Gesellschaften, oder die Gelenkten, die zigfach ausdifferenzierten Formen von Tyrannei, die wir heute sehen können?

Ich sehe eigentlich nicht die von Ihnen so häufig beschworene Gefahr des Predigens und Missionierens durch den Westen – sondern eher die einer Verzagtheit – aufgrund von bererchtigten und unberechtigten Selbstzweifeln. Denn: Ob es eigentlich noch legitim ist und erfolgsversprechend, für unsere Idee der Moderne einzutreten – in der wirtschaftliche und gesellschaftlich-politische Öffnung Hand in Hand gehen –, das ist zweifelhaft geworden.

Und selbstverständlich geraten deshalb in der Außenpolitik immer wieder Werte und Interessen aneinander.

Es kann unangenehm, unbequem, teuer sein, sich der Demokratie, den Menschenrechten, dem Rechtsstaat und den Bürgerfreiheiten verpflichtet zu wissen. Es stört manchmal vielleicht die Geschäfte. Nicht so oft, wie suggeriert wird, übrigens, ich komme gleich drauf. Es stört aber womöglich das außenpolitische Geschäft mit den herrschenden Eliten in manchen Ländern, die ihre Gesellschaften nicht öffnen wollen.

Es wird maßlos und strategisch – mit Absicht – übertrieben, welche negativen Konsequenzen eine Politik klarer Worte hat.

Vor allem von denen, die immer sagen: Bitte nicht so laut, bitte nicht auf dem Marktplatz, nicht in den Medien! Dazu ist zu sagen: natürlich sind Marktplatz und Megaphon nicht die erste Wahl! Allerdings ist das ja erstens auch gar nicht der Alltag deutscher Menschenrechtsdiplomatie. Die findet natürlich im Stillen statt. Manchmal aber – zweitens – muss es laut und deutlich sein.

Nehmen wir das letzte Jahr: Laut Ostausschuss der dt. Wirtschaft das bisher erfolgreichste beim Handel mit Russland. Tolle Wachstumsraten, tolle Zufriedenheit! Zugleich hat Deutschland noch nie zuvor so deutliche Worte gefunden für die undemokratische Tendenzen des Regimes Putin. Das Auswärtige Amt hat zwar versucht, eine Resolution des Bundestages im letzten Herbst abzumildern. Zum Glück aber ist das wegen öffentlichen Drucks nicht geschehen, und der Bundestag hat mit breiter Mehrheit Putins Rückabwicklung von Rechtsstaat und Demokratie scharf gegeißelt.

Dessen ungeachtet sind 80 Prozent der deutschen Unternehmen optimistisch, was das kommende Jahr angeht. Eigentlich sollte das nicht zusammenpassen. Diese Entwicklung widerspricht den Appellen zur Leisetreterei, die immer mit dem Argument daherkommen, wir würden uns Zugänge verspielen, wenn wir uns für Bürgerrechte einsetzen.

Wir sollten uns nicht kleiner machen als wir sind.

 

Was heißt das übrigens, dass der Westen nicht länger „die Regeln“ bestimmt, wie Sie ja auch gerade wieder in Ihrem Vortrag ausgeführt haben, Herr Sandschneider? Das ist eine merkwürdige postkoloniale Polemik, mit der oft blanke Interessen der anderen Seite aufgehübscht werden: Wenn man das Copyright nicht akzeptiert, sich übers Patentrecht hinwegsetzt, wenn die Korruption gedeiht, wenn Minderheiten und Andersdenkende unterdrückt werden, wenn Wahlen manipuliert und Medien behindert werden, dann kommt diese Polemik auffällig oft zum Einsatz. Wir sollten diese Propagandamasche unterdrückerischer Regime nicht mitmachen. Es geht in Wahrheit um universalisierte Normen, zu denen sich – jedenfalls auf dem Papier – nahezu alle Staaten bekennen.

 

Beruhen die UN-Menschenrechtskonventionen auf „westlichen Werten“? Warum werden sie dann so breit ratifiziert? Gerhart Baum hat bei uns in der ZEIT vor einigen Wochen noch einmal klar gestellt: „Niemand diktiert der Welt ihre Werte – weder der Westen noch die deutsche Außenpolitik. Die Werte wurden in einem beispiellosen historischen Akt 1949 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen niedergelegt. Das war eine Reaktion auf die Schrecken der ersten Hälfte des dunklen 20. Jahrhunderts. In der Präambel heißt es: ‚Die Verkennung und Missachtung der Menschenrechte hat zu Akten der Barbarei geführt, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben.’“

Betonung: „Gewissen der Menschheit“. Nicht „der westlichen Welt“.

 

Und was soll es heißen, dass die Politik „externer Demokratisierung“ gescheitert sei? Dass deutsche Außenpolitik, wie Sie sagen, zwar besser ist als ihr Ruf, aber immer dann desaströse Ergebnisse zeitigt, wenn sie ihre Wertegebundenheit nach außen kehrt? Mit Sicherheit ist es richtig, die Zielsetzung des Afghanistan-Krieges und des gesamten neuen Interventionismus der letzten 15 jahre einer kritischen Revision zu unterziehen.

Die Politik scheut davor zurück und reagiert mit einer klammheimlichen, nichterklärten Doktrin des Sichraushaltens in Kombination mit einer Lockerung der Waffenexportpolitik – explizit auch an undemokratische Mächte in Spannungsregionen wie Saudi-Arabien.

Ist das die richtige Konsequenz aus einer Ernüchterung beim Interventionismus? Stabilität schaffen mit immer mehr Waffen? Wer kann nach den Ereignissen der letzten Jahre in Arabien noch seine Hand für das Staatsmodell Saudi-Arabien ins Feuer legen?

 

Das neue Selbstbewußtsein der aufstrebenden Länder, das Sie immer wieder betonen, Herr Sandschneider, ist eine gute Sache – da, wo es auf Leistung und Reformbereitschaft mindestens im ökonomischen Bereich beruht, wie vor allem in China, aber auch in Lateinamerika und Afrika. Darüber sollten wir froh sein. Davon haben wir nichts zu berfürchten außer belebender Konkurrenz.

Zu unterscheiden ist davon die postkoloniale Propaganda autoritärer Regime, mit der gesellschaftliche Reformen abgewehrt werden sollen, weil sie schlicht die etablierte Herrschaft gefährden.

Meine Erfahrung ist: Wann immer das kulturrelativistische Argument kommt, dieser oder jener Wert tauge nicht für diese oder jene Kultur, ist meist etwas faul. Es klingt ja nicht grundsätzlich falsch, wenn vom Pluralismus der Lebensformen die Rede ist. Aber es wird natürlich oft strategisch eingestezt, gerade um Pluralismus zu verhindern! Ein Beispiel:

Kürzlich habe ich einen russischen Außenpolitiker getroffen, der im System Putin eine wichtige Größe darstellt. Wir hatten über Syrien, die Eurokrise, das iranische Atomprogramm und die Spannungen mit den USA diskutiert.

Doch richtig lebhaft wurde das Gespräch, als die Rede auf das Gesetz gegen die „homosexuelle Propaganda“ kam, das russischen Schwulen und Lesben ab dem Januar verbietet, über ihre sexuelle Orientierung zu reden.

Sehen Sie, sagte mein Gegenüber, warum regen Sie sich darüber auf? Wir drücken Ihnen in Deutschland doch auch nicht unsere Werte auf? Das ist eine russische Angelegenheit.

Wir haben das Recht, unsere Gesellschaft, unsere Familien, unsere Kinder vor diesen Erscheinungen zu schützen. Das ist nicht gesund für eine Gesellschaft. Wir wollen nicht, dass dieser Lebensstil sich verbreitet, aber wir kommen nicht zu ihnen und greifen Sie an, weil sie ihn dulden.

In Rußland aber haben wir Maßnahmen dagegen ergriffen. Das ist unser Recht. Sehen Sie, der Westen durchläuft gerade eine liberale Revolution – alles wird erlaubt, alle Lebensformen, alle Glaubenssysteme sind gleichwertig. Man kann aber solche Werte nicht importieren. Sie können nicht nach Moskau kommen und uns befehlen, diese liberalen Werte anzunehmen.

Sie im Westen durchlaufen eine liberale Revolution. Russland durchläuft eine konservative Revolution.

 

Das heißt in Wahrheit, ich übersetze das mal, „wir haben das Recht unsere Minderheiten zu unterdrücken, wie es uns passt“.

 

Soll die deutsche Regierung dazu schweigen? Ich glaube, das geht nicht mehr, gerade weil wir immer mehr mit Russland verflochten sind, und weil wir das gerne noch weiter treiben wollen. Russland hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben. Russland will zu Europa gehören, seine Eliten schicken ihre Kinder hier zur Schule, sie kaufen Häuser und legen Geld in Europa an. Wer die Integration und Verflechtung unserer Gesellschaften befürwortet, kann Menschenrechtsverletzungen nicht ignorieren. Und da ist dieser Fall natürlich nur ein Symptom, aber ein wichtiges. Er ist ein Test dafür, ob wir uns und unsere Werte noch ernst nehmen.

 

Aber treten wir noch mal einen Schritt zurück.

 

Ich möchte hier kurz einige Elemente der Polemik gegen „überzogene Werte- und Moralbezüge“ aufgreifen, wie sie – prominent von Ihnen, Herr Sandschneider – immer wieder vorgebracht werden:

 

Erster Vorwurf: Der Westen hält sich nicht an seine eigenen Werte, darum soll er andere nicht belehren.

Ersteres ist leider sehr oft richtig. Das Zweite geschieht kaum noch. Im Gegenteil greift eine merkwürdige Verzaghtheit um sich, die aus westlichem Selbstzweifel gespeist wird: Es steht in Frage, ob unsere Gesellschaften am Ende die leistungsfähigeren sind. Das ermutigt die andere Seite, die Despotie als effiziente Alternative zu verkaufen. Dem muß man entgegentreten.

 

Zweiter Vorwurf: Der Westen missioniert die Welt mit seinen Werten und gibt sie doch für universale aus. Das ist eine Variante eines alten deutschen Vorurteils gegen den Westen, historisch besonders gegen die Briten: Werte sind nur Cover für Interessen. „Sie sagen Christus und meinen Kattun.“ (Fontane) Diese antiwestliche Tradition hat Deutschland in den Abgrund geführt. Ich verspreche mir nichts davon, daran anzuknüpfen.

 

Im Gegensatz dazu wird behauptet, dritter Vorwurf: Wer öffentlich von seinen Werten redet, will sich eigentlich nur selbst bespiegeln. Das kann natürlich vorkommen. Aber manchmal ist es wichtig zu zeigen, wer man ist und wo man steht – auch um der anderen Seite Ernst genommen zu werden. Ich stelle mir vor, dass der russsiche Präsident Putin eine ziemlich nüchtern-robuste Sicht der deutschen Außenpolitik hat: Ihr kritisiert uns zwar für Pussy Riot und für Chodorkowski und die NGO-Razzien, macht aber weiter „Rechtsstaatsdialog“, als wäre nichts passiert – wie verlogen ist das denn? Und ich soll Euch ernst nehmen? Ihr nehmt euch ja selber nicht ernst.

 

Vierter Vorwurf: Wertebezogene Politik wird nur fürs „Schaufenster“ beziehungsweise „die Medien“ gemacht. Das ist nicht auszuschließen, und es kann natürlich im Einzelfall falsch sein. Es kann dann größerer Schaden entstehen als bei einer leisen Vorgangsweise. Aber: Dass Diplomatie bei uns unter Druck steht, sich vor dem heimischen Publikum zu rechtfertigen, ist einerseits lästig für die Politik, kann aber auch eine Stärke sein.

Es gibt der Regierung ein Argument an die Hand: Wir wollen ein gutes Verhältnis, aber wir können euer Verhalten bei unseren Leuten nicht mehr rechtfertigen. Wenn ihr so weiter macht, kommen wir in ernsthafte Schwierigkeiten zuhause. Wir wollen uns für euch einsetzen, aber wir können das immer schwerer verkaufen….

Anders als in Zeiten des Kalten Krieges braucht in der globalisterten Welt von heute jeder schwierige Partner die Gewogenheit der Öffentlichkeit, auch der Öffentlichkeit hier bei uns, und das ist gut so. Darum wollen alle die Olympischen Spiele und die Fussball WM ausrichten. Und darum geht es einigen Lobbyfirmen hier in Berlin, die den Job der Aufhübschung von Autokraten machen, ziemlich prima.

 

 

Fünfter Vorwurf: Wertegeleitete Politik ist irrelevante „Symbolpolitik“ – im Gegensatz zur harten Realpolitik.

Das hat noch nie gestimmt, und es ist heute erst recht nicht wahr. Symbolik ist wichtig. Wenn Symbolpolitik so irrelevant ist, warum waren die Chinesen so verschnupft wegen der Sache mit dem Dalai Lama? Warum ist die israelische Regierung nachhaltig irritiert über eine deutsche Enthaltung vom letzten Herbst, als es um das Upgrade der Palästinenser in die Uno ging? Symbolpolitik ist eine schwierige, harte Sache.

 

Sechster Vorwurf: Werte lassen sich nicht exportieren/ eins zu eins übertragen/ verpflanzen.

Das ist eine Binsenweisheit. Und damit natürlich richtig – und falsch zugleich. Reeducation in Deutschland war offenbar ein Erfolg, Nationbuilding im Irak scheint eher ein Misserfolg zu werden.

Aus dem letzteren in eine Doktrin der Nichteinmischung zurückzufallen, wäre falsch und unzeitgemäß. Die Überdehnung westlicher Politik unter George W. Bush ist eine fatale Tatsache – aber warum soll dafür Amnesty büßen, oder „Memorial“ in Russland?

 

Siebter Vorwurf: Wir brauchen die Autokraten, Nichtdemokraten und Scheindemokraten zur Lösung internationaler Probleme und wegen der Rohstoffe, darum sollten wir lieber schweigen. Wenn wir zu laut sind, fühlen sie sich zurückgewiesen, vertrauen uns nicht mehr und kooperieren nicht mehr.

Ersteres stimmt zweifellos, das zweite nicht. Wir brauchen sie, aber sie uns auch. Auch die andere Seite hat Interessen, die sie an uns bindet. Es ist legitim, dass wir das nutzen.

 

Achter und letzter Vorwurf: Der Westen und auch Deutschland wenden seine Werte nur selektiv an – da, wo es gerade passt und keine negativen Rückwirkungen zu befürchten sind. Er kritisiert schwächere Länder, die sich nicht wehren können, lässt Saudi-Arabien aber zum Beispiel ungeschoren – wegen des Öls und der Bedeutung als „moderate“ Macht in der Region. Weil westliche Werte immer wieder mit doppelten Standards zur Anwendung kommen, sind sie diskreditiert.

Doppelmoral ist in der Tat ein Problem. Zwar wäre es naiv zu glauben, sie ließe sich ganz vermeiden oder durch reine Moralpolitik ersetzen. Das fordert auch niemand! Außenpolitik hat viele Interesssen abzuwägen – Friedenssicherung, Energiesicherheit, Umweltschutz, Wirtschaftsinteressen. Dabei müssen moralische Bedenken oft zurückstehen.

Aber nichts davon, kein einziges Ziel der deutschen Außenpolitik ist langfristig ohne das Drängen auf gesellschaftliche und politische Öffnung zu sichern. Das ist der harte Kern einer realistischen Moralpolitik, um die wir zum Glück endlich streiten.

 

 

 

Mehr als Fressen und Moral: Deutschland braucht eine außenpolitische Strategie

Erfreulicher Weise hat meine Intervention wider die „deutsche Liebe zu den Diktatoren“ eine Debatte ausgelöst, die nicht abreißt. (In der kommenden Ausgabe der ZEIT antwortet Gerhart Baum (FDP) auf Eberhard Sandschneider.) Der folgende Beitrag stammt von Ulrich Speck, einem der anregendsten unabhängigen Köpfe auf dem Feld der außenpolitischen Debatte in Deutschland. Speck war von 2005 bis 2007 auch Zeit Blogger  (Kosmoblog). Er ist außenpolitischer Kolumnist bei der NZZ und bei Carnegie Europe.

Die Deutschen wollen verständlicherweise beides, gut verdienen und gut schlafen. Gut verdienen bedeutet, nach Lage der Welt, auch mit übleren Regimes Geschäfte zu machen. Gut schlafen heißt, dennoch ein gutes Gewissen zu haben.

Fürs Geldverdienen sind die Unternehmen zuständig. Aber auch die Politik. Türen in Russland, China, Kasachstan und anderswo zu öffnen gehört zu den Aufgaben eines Bundeskanzlers, spätestens seit Helmut Schmidt. Die Bundeskanzlerin nimmt Wirtschaftsbosse mit in der Kanzlermaschine und unterzeichnet Verträge, ein schon lange vertrautes Bild. Die Politik kümmert sich um den Rahmen, bildet Vertrauen, schafft Gelegenheiten, gibt Bürgschaften. Die Unternehmen exportieren und investieren. Eine Symbiose, die Deutschland reich gemacht hat – ungeheuer reich.

Weil Deutschland aber nicht nur reich sein will, sondern eben auch Gutes tun in der Welt, spricht die Regierungschefin im Ausland auch die Menschenrechte an, oder trifft sich mit Dissidenten. Und es gibt es sogenannte Dialoge mit mehr oder weniger autokratischen Regierungen, über Menschenrechte und den Rechtsstaat. Das alles ist seit Jahren institutionalisiert – und hat, über einzelne Gnadenakte hinaus, wenig bewirkt. Vieles ist Ritual.

Diese Trennung der Sphären – hier das Geschäft, dort die Menschenrechte, oder, nach Brecht: hier das Fressen, da die Moral – ist auch charakteristisch für die außenpolitische Debatte. Es gibt den moralischen hohen Ton, der von der Außenpolitik fordert, nichts zu tun, was Menschen in anderen Ländern schaden könnte. Und es gibt die Wortführer des Interesses, die sich gegen die moralische Aufladung von Außenbeziehungen wenden. Vor allem mit zwei Argumenten: Erstens, die Amerikaner bemänteln mit Menschenrechten auch nur ihre wirtschaftlichen Interessen, zweitens, wir haben kein Recht, anderen vorzuschreiben, wie sie leben wollen. Das klingt zumindest progressiv.

Die Debatte wird jedoch oft verkürzt geführt. Weder ein rein von Menschenrechtsbelangen noch ein rein von Unternehmensinteressen geprägter Ansatz kann und soll deutsche Außenpolitik anleiten. Beide müssen vielmehr in einen umfassenderen außenpolitischen Ansatz einfließen. Deutschland als Staat hat Interessen, die weder identisch sind mit den kurzfristigen Gewinninteressen von Unternehmen noch mit den Kampf um Freiheitsrechte von Individuen und Gruppen in anderen Ländern. Beides gehört in den Mix, aber Außenpolitik muss weitaus breiter angelegt sein.

Außenpolitik muss vielfältige Interessen abwägen und integrieren. Dazu gehören materielle Interessen: Unternehmensinteressen (Großunternehmen und Mittelstand), langfristige ökonomische Interessen (Energie und Bodenschätze), finanzpolitische Interessen. Dazu gehören auch sicherheitspolitische Interessen: Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Frieden, Sicherheit der Verkehrswege. Aber auch ideelle Interessen wie Einhaltung der Menschenrechte, Gerechtigkeit, Kampf gegen Armut. Weiterhin das Menschheitsinteresse am Erhalt der natürlichen Umwelt. Und nicht zuletzt das Interesse am Erhalt einer Weltordnung, die Deutschland Freiheit, Sicherheit und Wohlstand gebracht hat.

Wie aber lässt sich das alles halbwegs in Einklang bringen? Wie verhindert man, dass sich Außenpolitik nicht im Klein-Klein individueller Akte verliert? Die Antwort lautet: “grand strategy” — eine übergreifende, umfassende Strategie, die die generelle Marschrichtung vorgibt und an der sich die vielen Akteure im Feld der Außenbeziehungen orientieren können. Und die zudem die Verbindung und Abstimmung mit unseren wichtigsten Partnern erleichtert, europäisch und transatlantisch.

Mein Vorschlag für so eine grand strategy ergibt sich aus der Prämisse, dass Deutschland seine Sicherheit, seine Freiheit und seinen Wohlstand einer Ordnung verdankt, die als liberal zu bezeichnen ist: beruhend auf Marktwirtschaft und liberaler, also Freiheit und Sicherheit garantierender Demokratie.

Nach ihrer Schwächephase zwischen den beiden Weltkriegen, als totalitäre Alternativen attraktiver erschienen, hat sich liberale Staatlichkeit mit amerikanischer Hilfe in Europa fest etabliert, nach 1945 im Westen, nach 1990 dann auch in der Mitte und im Westen des Kontinents. Zahlreiche neuen Demokratien sind in der Welt entstanden, in Asien, Afrika und Südamerika.  Deutschland hat, eingebettet in Nato und EU, seine zweite Chance genutzt und ist zu einem der Anker liberaler Staatlichkeit in der Welt geworden.

Das Beispiel Europas, aber auch die Erfahrungen in anderen Weltregionen, die in den letzten Jahrzehnten das Modell liberaler Staatlichkeit übernommen haben, zeigen, dass liberale Demokratie die Erfolgsformel für langfristige Stabilität darstellt. Demokratisch gewählte Regierungen verfügen über ein Maximum an Legitimität, und Minderheiten haben durch den Staat gesicherte Rechte. Nicht Willkür herrscht, sondern der Mehrheitswillen im Rahmen von Gesetzen, die sich Gesellschaften selbst gegeben haben. Individuen und Gruppen genießen Raum für wirtschaftliche Entfaltung. Konflikte werden nicht mit Gewalt ausgetragen, sondern durch Verhandlungen und die Anrufung von Gerichten gelöst. Regierungen sind auch außenpolitisch tendenziell eher bereit, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen; materielle Gewinne spielen eine größere Rolle als Status. Man schaue sich nur die Staaten an, die uns derzeit beunruhigen: Iran und Nordkorea, Syrien, in gewissem Grad auch Russland und China. Alles keine liberalen Demokratien. Von Frankreich, Japan, Australien oder Brasilien hingegen fühlt sich niemand bedroht.

Liberale Demokratie muss man im übrigen auch niemandem aufzwingen. Wenn Menschen aber die Wahl haben, dann entscheiden sie sich eben nur in den seltensten Fällen dafür, autokratische oder diktatorische Regimes einzusetzen, die die natürlichen und menschlichen Ressourcen des Landes zu eigenen, privaten Zwecken unter Einsatz von Gewalt ausbeuten. Niemand lässt sich eben gerne unterdrücken oder in seiner Entfaltung beschneiden. Deutsche sollten das doch eigentlich wissen. Über Jahrzehnte war Ostdeutschland von einem Gewaltregime beherrscht, das seine Bürger nur durch Androhung von Mord an der Grenze zurückhielt. Als die Gewaltandrohung schwächer wurde, entledigten sich die Bürger ihrer selbsternannten Führung und strebten in die Freiheit namens liberale Staatlichkeit. Dass die Propaganda autokratischer Regimes alles daran setzt, die Attraktivität dieses Modells zu negieren, liegt in der Natur der Sache. Man sollte aber, gerade wenn man selbst im Vollbesitz aller Freiheits- und Entfaltungsrechte ist, dieser Propaganda nicht auf den Leim gehen. Der Wunsch, anständig regiert zu werden, ist universal.

In seiner Nachbarschaft betreibt Deutschland bereits ja auch seit Jahrzehnten eine Politik, die auf der Idee der Ausweitung des Geltungsbereichs liberaler Staatlichkeit gründet. Die schrittweise EU-Erweiterung, von Deutschland mitgetragen und gerade nach Osten hin von Deutschland forciert, war immer an die Bedingung geknüpft, dass Kandidaten das Gesamtpaket liberaler Staatlichkeit und marktwirtschaftlicher Ordnung übernehmen. In einer solchen Nachbarschaft fühlt sich Deutschland sicher und stabil – und es entsteht neue Nachfrage für deutsche Produkte.

Deutschland hat ein generelles Interesse an der Ausweitung der Zone liberaler Staatlichkeit: ökonomisch, friedenspolitisch und im Hinblick auf Menschenrechte. Auch das längerfristige Interesse deutscher Unternehmen ist in freiheitlichen Staaten weitaus besser gesichert als in fragilen, immer von Umsturz und Verwerfungen bedrohten Autokratien; in liberalen Staaten stimmen die Rahmenbedingungen für auf Dauer angelegten Warenverkehr. Und auf längere Sicht sind auch die Menschenrechte nur dann in guten Händen, wenn ihre Einhaltung nicht von der willkürlichen Gnade autokratischer Herrscher abhängt, sondern von einem institutionellen Rahmen, der Grund- und Freiheitsrechte garantiert.

Eine außenpolitische Strategie, die am Ziel der Ausweitung des Geltungsbereichs liberaler Staatlichkeit ausgerichtet ist, würde alle Aspekte der bilateralen Beziehungen immer einem Test unterwerfen: Ist das, was wir tun, eher förderlich oder hinderlich für eine langfristige Wandlung hin zu liberal-demokratisch-marktwirtschaftlicher Staatlichkeit? Stützen wir Kräfte und Strömungen, die einen Wandel stärken oder sind wir Teil der Kräfte der autokratischen Beharrung? Mit wem arbeiten wir zusammen, um die Entwicklung des Landes in die Richtung zu fördern, die diesem übergreifenden Interesse entspricht? Führt Annäherung zum Wandel, oder ist mehr Distanz angebracht? An welchen Stellschrauben können wir drehen, um die Entwicklung in diesem Sinne zu befördern?

Deutsches außenpolitisches Handeln in eine solch umfassende Strategie einzubinden würde sie weitaus effektiver und zielgerichteter machen. Die derzeit dominierende Praxis, in der die Interessen von Unternehmen unter der sichtbaren Oberfläche erheblichen Einfluss auf die Außenpolitik ausüben, balanciert durch ein bisschen menschenrechtliche Rhetorik, mag zwar diejenigen, die den massivsten Druck auf die Regierung ausüben, jeweils in gewissem Grad befriedigen. Sie kann aber kein Ersatz für eine echte Außenpolitik sein, die den Gesamtinteressen des Staates entsprechen sollte.

Ulrich Speck ist außenpolitischer Analyst in Heidelberg.

 

Menschenrechtspolitik ist Realpolitik

Hans-Georg Wieck, einer der erfahrensten deutschen Diplomaten, antwortet in dem folgenden Beitrag auf Eberhard Sandschneider von der DGAP. 

Wieck war von 1954 bis 1993 war er Beamter des Auswärtigen Amtes. Er war u. a. Botschafter im Iran, der UdSSR und Indien sowie Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Nordatlantikrat (NATO).

Außerdem war er im Verteidigungsministerium als Leiter des Planungsstabes tätig und leitete von 1985 bis 1990 den Bundesnachrichtendienst (BND).

Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst war er von 1998 bis 2001 Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk, Weißrussland.

In seinem am 28. Februar in der „ZEIT“ veröffentlichten Beitrag „Debatte zur deutschen Außenpolitik: Raus aus der Moralecke“ plädiert Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, „für eine Außenpolitik auf der Grundlage des Machbaren und nicht der Rechthaberei“. Er führt dann aus, dass „die Zeiten vorbei sind, in denen Weltpolitik den Moral- und Wertvorstellungen des Westens folgte“.

 

Das mag sein, aber für alle Mitglieder der Staatengemeinschaft gilt auch weiterhin das vereinbarte Völkerrecht und gelten die vereinbarten politischen Verträge über politische Beziehungen und gegebenenfalls ihre Inhalte, und zwar unabhängig davon, ob es sich um “Staaten des Westens“, um sogenannte Schwellenländer oder um Länder im Entwicklungsprozess handelt.

 

Für einzelne Regionen sind weitergehende Verträge und Abkommen abgeschlossen worden, z.B. mit dem Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Pakts über Höchstgrenzen der konventionellen Truppen und der Waffen in Europa vom 19. November 1990 und mit der von allen Staats- und Regierungs-Chefs der an der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ mitwirkenden Staate n unterzeichneten „Charta von Paris für ein Neues Europa“ vom 21. November 1990.

In dieser Charta „verpflichten“ sich die Staats- und Regierungs-Chefs, „die Demokratie als die einzige Regierungsform unserer Nationen aufzubauen, zu festigen und zu stärken. In diesem Bestreben werden wir an folgendem festhalten: Menschenrechte und Grundfreiheiten sind allen Menschen von Geburt zu Eigen; sie sind unveräußerlich und werden durch das Recht gewährleistet. Sie zu schützen ist vornehmste Pflicht jeder Regierung. Ihre Achtung ist wesentlicher Schutz gegen staatliche Übermacht. Ihre Einhaltung und uneingeschränkte Ausübung bilden die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“.

Auf weiteren vierzehn Seiten des Dokuments werden im Einzelnen die von den Teilnehmerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geteilten politischen Werte der demokratisch verfassten Staaten definiert, seien es freie und faire Wahlen, unabhängige Wahlbeobachtung, Pressefreiheit, Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, vor allem die Unabhängigkeit der Gerichte und eine auf der Initiative und Handlungsfreiheit des Einzelnen beruhende Marktwirtschaft.

 

Nach der Auflösung der Sowjetunion und der Jugoslawischen Föderationen übernahmen die Nachfolgestaaten ausdrücklich die Verpflichtungen aus der Charta von Paris. Jährlich stattfindende Außenministerkonferenzen und in regelmäßigen Abständen vorgesehene Gipfelkonferenzen sollen die Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Werteordnung beobachten und gegebenenfalls mit neuen Vereinbarungen ergänzen. Es handelt sich also um eine zwischen den Teilnehmerstaaten der KSZE vereinbarte Werteordnung, die alle beteiligten Staaten bindet – auch heute – die Russische Föderation ebenso wie die EU-Mitgliedstaaten oder Georgien und die Tadschikische Republik.

 

Wer sich um die Beachtung dieser gemeinsamen Werteordnung in den hier genannten Staaten bemüht, treibt „Realpolitik“. Wer sich in dieser Hinsicht davonschleicht oder die Relevanz der gemeinsamen Werte mit griffigen Modewörtern marginalisiert, lässt Zweifel an seiner eigenen Bindung an diese gemeinsamen Werte aufkommen.

 

Auch im Verhältnis zwischen Ländern der atlantischen Zone und Staaten in anderen Teilen der Welt gibt es vertraglich vereinbarte Regeln z.B. eine Vielzahl von global geltenden VN-Konventionen, die beachtet werden müssen, unabhängig von den Unterschieden kultureller und gesellschaftlicher Art, die zwischen den Ländern bestehen.

 

Wir sollten uns nicht mit Modeworten wie „Raus aus der Moralecke“ in den internationalen Beziehungen zu Geldwechslern reduzieren lassen, die nicht nach dem Leumund der Beteiligten fragen.

Mit freundlichen Grüßen, Hans-Georg Wieck

 

Die deutsche Liebe zu den Diktatoren

Mein Beitrag aus der ZEIT von heute, S.7:
Man hört ihn in Berlin immer häufiger, den Begriff »schwieriger Partner«. Was eigentlich damit gemeint ist: Schurken, an denen wir nicht vorbeikommen; Halunken, mit denen wir kooperieren müssen. Wann immer deutsche Außenpolitiker von Ländern wie China, Russland, Saudi-Arabien, Aserbaidschan oder Kasachstan reden, benutzen sie diese verdruckste Formulierung.
Er soll ein Dilemma bemänteln. Angela Merkel nimmt für sich in Anspruch, die Außenpolitik nicht nur an Interessen, sondern auch an Werten auszurichten: »Interessengeleitet und wertegebunden« zugleich. Geht das überhaupt in einer Welt voller schwieriger Partner? Lässt sich eine unaufgeregte, selbstbewusste Menschenrechtspolitik durchhalten, die Deutschland nicht kleiner und nicht größer macht, als es ist?
Regelrechte Feinde haben wir nur wenige. Es gibt kein »Reich«, ja nicht einmal eine »Achse des Bösen«. Aber die Tyrannei ist nicht verschwunden. Sie hat sich in viele Varianten von Machtmissbrauch, Unfreiheit und Unterdrückung ausdifferenziert. Mit vielen dieser Klepto-, Theo- und Autokraten ist Deutschland wirtschaftlich verflochten. Die Exporte wachsen seit Jahren am meisten in den Schwellenländern. Kaum ein Weltproblem lässt sich lösen – weder die Finanzkrise, noch der Syrienkonflikt, noch der Streit um Irans Atomwaffenprogramm – wenn undemokratische Mächte wie Russland, China oder Katar nicht mitspielen. Dazu eine realistische, aber nicht zynische Haltung zu finden, ist eine Herausforderung für die deutsche Regierung.
Nicht nur, weil wir die Schurken nun einmal brauchen. Es gibt einen Deutungskampf um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik. Und da wird zurzeit eine dunkle Seite sichtbar: die Neigung, sich Despoten schönzureden. Man findet sie bei Elder Statesmen, Vordenkern in regierungsnahen Thinktanks und auch bei einflussreichen Abgeordneten. Sie plädieren für Leisetreterei gegenüber Tyrannen und glauben, dass Deutschland sich mit seiner »Wertegebundenheit« selbst im Weg steht. »Russlandknutscher« nennt ein kritischer Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes diese Leute mit Blick auf Gerhard Schröders Verbindungen zum Kreml. Aber die deutsche Liebe zu den Anti-Demokraten ist nicht auf Putin beschränkt.
Dafür steht Hans-Dietrich Genscher, 18 Jahre lang deutscher Chefdiplomat und FDP-Ehrenvorsitzender. Er ist bis heute das Inbild des deutschen Außenministers, er hat den Korpsgeist des diplomatischen Dienstes geprägt wie kein anderer, und er gilt als moralische Autorität. Genscher hat, wie der Spiegel herausfand, dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew seinen guten Namen zur Verfügung gestellt, indem er ihn in einem Geleitwort »als Glücksfall für sein Land« pries. Nasarbajew ist ein Despot. Es wird gefoltert in Kasachstan, es gibt keinen Rechtsstaat, keine Pressefreiheit, und die Demokratie ist eine Potemkinsche Fassade. Genscher war mehrfach mit deutschen Wirtschafts-delegationen im Land. Er öffnet der deutschen -Wirtschaft Türen und hilft im Gegenzug als Ehrenvorsitzender im Beirat des PR-Unternehmens Consultum Communications Schurkenstaaten, ihr Image bei uns aufzubessern: etwa der Kaukasus-Republik Aserbaidschan. Mit dem aserbaidschanischen Botschafter in Berlin hat er sich beim Fußballgucken, mit dem Präsidenten Ilham Alijew jüngst erst wieder bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Zwiegespräch fotografieren lassen. Alijew ist ein Kleptokrat, der das Land aus den Händen seines Vaters übernommen hat und mit einem mafiösen Familienclan beherrscht.
Genschers Geschäfte sind ein Politikum, weil er für seine Kunden natürlich nicht als Privatmann attraktiv ist, sondern als lebende Legende, als eine Art Ehren-Außenminister, der für das wiedervereinigte Deutschland steht. Wenn der Eindruck entsteht, selbst schwierigste Partner können einen Genscher zu Werbezwecken leasen, höhlt das die Idee der »Wertebindung« deutscher Außenpolitik aus.
Es gibt jüngere Akteure, die neuerdings ganz offen einem brachialen Pragmatismus das Wort reden. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, schreibt in einem Aufsatz für die regierungsnahe Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: »Es ist die Aufgabe der Außenpolitik, für eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und des Investitionsklimas in den jeweiligen Ländern zu sorgen.« Es folgt der programmatische Merksatz: »Die Bundesregierung übernimmt dabei die Rolle des flankierenden Partners für die deutsche Wirtschaft.«
Mißfelder war einmal ein frecher, etwas vorlauter, aber oft erfrischender Quertreiber. Seit er im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt und für die Union die aktuelle Weltlage in allen Medien kommentiert, hat eine Wandlung stattgefunden. Er trommelt nun bei jeder Gelegenheit für einen milden Umgang mit der russischen Regierung.
Eine beachtliche Wende: Keiner höhnte schärfer über Gerhard Schröder, als der sich in den Dienst eines russischen Energiekonzerns begab: »Dass Gerhard Schröder ausgerechnet jetzt für Gazprom arbeitet«, so Mißfelder, »ist ja nur der erste Vorbote dafür, dass die russische Diktatur versuchen wird, immer mehr Einfluss auf Deutschland auszuüben.«
Doch als Putin im vergangenen Jahr nach manipulierten Wahlen ein drittes Mal Präsident wird, verbittet sich Mißfelder »übereilige Bewertungen«. Das harte Urteil gegen die jungen Frauen von Pussy Riot kritisiert er, weil es »dem Ruf Russlands schaden« werde – und betont, dass die russische Justiz besser beurteilen könne, ob ein Verbrechen vorliege. Mißfelder stört »der zum Teil religiöse Antrieb, den manche Russland-Kritiker haben«. Sie »benehmen sich jetzt wie Neokonservative. Regimewechsel um jeden Preis.«
Im November 2011, als die Opposition in Moskau täglich gegen Putin auf die Straße geht, stellt Mißfelder im Bundestag die rhetorische Frage: »Was ist die Alternative zu Putin oder zur Putin-Partei? Die Alternative ist häufig Separatismus, Rechtsradikalismus, Nationalismus oder eben Kommunismus. Das ist nicht in unserem Interesse, weder außenpolitisch noch von unserem Grundverständnis für Demokratie her.«
Heißt das also, Putins Herrschaft ist in unserem Interesse? Wehe, was nach ihm kommt? Das ist seit je die Propagandastrategie autoritärer Machthaber: nach mir das Chaos. Mißfelder übernimmt sie. So wird im Zeichen des außenpolitischen »Realismus« die Leisetreterei gegenüber Despoten gerechtfertigt. Das ist ein altes Muster, das man schon von früheren Fällen kennt – vom Umgang mit Chiles Diktator Pinochet, Polens General Jaruzelski oder Ägyptens Präsidenten Mubarak. Wie wenig Stabilität taugt, die auf Kosten von Freiheit und Menschenrecht geht, zeigen heute die Eruptionen in den arabischen Ländern. Die fortschreitende Implosion der Staatenwelt des Nahen Ostens stellt auch einen vermeintlichen Realismus bloß, der sich nicht traute, über die Gewaltherrscher hinauszudenken. Das einflussreiche Milieu der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dem auch Genscher und Mißfelder angehören, wäre eigentlich der Ort für solche Reflexionen.
Die DGAP, von Regierung und Industrie gefördert, ist gleichzeitig Honoratiorenverein, Thinktank und elitärer Salon, der durchreisenden Präsidenten, Ministern und Botschaftern eine Bühne bietet. Ihr intellektueller Kopf ist der Leiter des Forschungsinstituts, der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider, ein angesehener China-Experte. Im Frühjahr 2012 hat er einen programmatischen Aufsatz über Deutschland als »Gestaltungsmacht in der Kontinuitätsfalle« veröffentlicht. Er fürchtet, die deutsche Außenpolitik könnte »durch eine zu starke Orientierung an historischer Kontinuität und einen überfrachteten Wertediskurs unfähig sein, schnell und effizient auf neue Herausforderungen zu reagieren«.
Wer die DGAP unter Sandschneiders Leitung verfolgt, erkennt ein Leitmotiv: Kritik an »unrealistischen Wertebezügen«. Man kann das so übersetzen: Deutschlands Außenpolitik leidet unter allzu vielen moralischen Bedenken. Kaum ein Strategiepapier kommt ohne die unterschwellige Botschaft aus, Deutschland stehe sich mit seinen Rücksichten auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat selber im Weg. Wenn Sandschneider einmal kritische Worte für die Merkelsche Politik findet, dann »für den Bezug auf die Wertegeleitetheit deutscher Außenpolitik, die von der derzeitigen Bundesregierung besonders nachdrücklich betont wird«.
Krankt die deutsche Außenpolitik an Hypermoralismus? Die Waffendeals mit Saudi-Arabien passen kaum in dieses Bild. Doch Sandschneider empfiehlt, die Ansprüche weiter zu senken und »Anpassungsnotwendigkeiten auszuloten«. Der Aufstieg der Schwellenländer, vor allem Chinas, zeige, dass Demokratiedefizite Wettbewerbsvorteile im Kampf um globale Vormacht sein können: Man habe »größere Planungsräume« zur Verfügung und müsse sich nicht am widerborstigen Bürgerwillen abarbeiten. Den Westen hingegen hält Sandschneider für »machtpolitisch erschöpft«. Statt Konfrontation sei »Ko-Evolution« an der Zeit. Deutschland solle aufhören, Chinesen und Russen »Wertelektionen zu erteilen«.
Menschenrechtspolitik ist in dieser Sichtweise Schwäche – westliche Selbstfesselung in einer amoralischen Welt voller harter Interessenpolitik. Zugleich ist sie ein Symptom postkolonialistischer Überheblichkeit gegenüber dem Rest der Welt. Die chinesische Regierung zu kritisieren, das heißt für Sandschneider, »überkommene Gefühle westlicher Überlegenheit zu zelebrieren«, statt endlich »China als gleichberechtigten Partner (zu) akzeptieren«. Letzteres werde erst möglich, wenn der Westen aufhöre, »den Schulmeister der Welt spielen zu wollen«.
In diesem verzerrten Bild fehlen auffällig die Dissidenten, die mit ihrer Führung viel härter zu Gericht gehen, als die deutsche Regierung es sich traut. Und: An »schwierige Partner« gleiche Maßstäbe anzulegen, ist das nicht auch eine Form der Akzeptanz? Liegt umgekehrt nicht viel mehr Herablassung in der Annahme, dass Russen, Chinesen, Kasachen und Aserbaidschaner per se für Vollmitgliedschaft im Club nicht taugen und darum die Satzung für sie nicht gelten sollte?
Es sind immer die gleichen Redefiguren, mit denen die Tyrannen für unantastbar erklärt werden: Sie stehen für Stabilität. Wer sich in die Pose des Anklägers wirft, verspielt Einfluss und Marktzugang. Wir brauchen ihre Kooperation zur Lösung weltpolitischer Probleme. Die deutsche Geschichte (der Kolonialismus oder eine sonstige abendländische Schuld) mahnt uns zu Zurückhaltung und Respekt.
Bei genauerem Hinsehen sind das Ausreden fürs Nichtstun: Historische Schuld verpflichtet mindestens so sehr zum Eintreten für das Recht wie zur Mäßigung dabei. Dass »schwierige Partner« weltpolitischen Einfluss haben, stimmt zwar: Doch wäre es eine Illusion, zu glauben, dass sie durch Milde kooperativer würden. In Syriens Bürgerkrieg steht Russland auf der Seite des befreundeten Diktators Assad, und beim Streit um das Atomprogramm des Irans lassen Russen und Chinesen kaum eine Gelegenheit verstreichen, eine Lösung zu hintertreiben. Sie folgen schlicht ihren eigenen Interessen. Nettigkeit wird sie davon nicht abbringen. Die Diktatorenknutscherei ist nicht nur unwürdig. Sie bringt auch nichts.
Umgekehrt wird die Konsequenz westlicher Kritik übertrieben. Unser Marktzugang – das zeigen immer neue Exportrekorde – ist nicht in Gefahr. Deutsche Produkte sind so gut, dass auch heftig kritisierte Länder sie haben wollen. Angela Merkel pflegt zwar eine größere Distanz zu Putin, aber der »Geschäftsklimaindex« beim Handel mit Russland war, laut dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, nie besser als heute. Der Dalai Lama wurde im Kanzleramt empfangen, und Deutschland hat sich auch vehement für den verfolgten Künstler Ai Weiwei eingesetzt. Trotzdem werden jedes Jahr mehr Audi nach China verkauft.

Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Werten und Interessen. Doch der Schluss liegt nahe, dass Deutschland ungestraft noch viel deutlicher in der Welt für seine Werte eintreten könnte.

 

Warum wir wieder über Iran reden müssen

Einer der erstaunlichsten Züge des israelischen Wahlkampfes ist die nahezu völlige Abwesenheit eines Themas, das vor kurzem noch das ganze Land beschäftigte: Iran. Seit dem letzten Gaza-Einsatz geht es wieder – wenn es denn überhaupt um Außenpolitik geht – um die Palästinafrage und die Zweistaatenlösung.
Ich finde das insofern beruhigend, als diese Frage in langer Sicht für Israel die entscheidende ist. (Beunruhigend sind allerdings die extremen Töne, die mittlerweile Mainstream geworden sind – siehe Naftali Bennett, der Shooting Star dieser Wochen, der mit der Auskunft Furore machte, er werde als Reserveoffizier den Befehl verweigern, wenn von ihm verlangt werde, eine Siedlung zu räumen.)
Man lasse sich aber durch den Wahlkampf nicht täuschen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Iran wieder auf die Tagesordnung zurückkehrt. Und dies zu Recht, denn die Lage Irans hat sich verändert, und die Zentrifugen summen munter weiter. In wenigen Wochen sind neue Gespräche der EU 3+3 (auch bekannt als 5+1, die fünf Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien – und Deutschland) mit dem Iran zu erwarten. Die israelische Sicht auf diesen Prozeß wird hierzulande kaum noch rational diskutiert. Sie ist höchstens gut für reißerische Soundbites eines ebenso überforderten wie überschätzten Kommentators wie Jakob Augstein, und für unsägliche Grass-Gedichte. Über derlei uninformierte und verzerrende bis verhetzende Äußerungen („Gängelband“) kann man dann trefflich und lustvoll debattieren. So passiert es ja auch. Aber das ist kein Ersatz für eine strategische Debatte.
Ich möchte daher versuchen, hier einmal die Perspektive der Israelis auf die Iran-Verhandlungen einzunehmen und dafür zu werben, deren legitime Bedenken über die Verhandlungsführung und die Erfolgsaussichten zur Kenntnis zu nehmen.

Man kann die Sache ungefähr so zusammenfassen: Iran ist unter einem nie dagewesenen Druck, und das ist gut so. Die Sanktionen wirken, selbst die Regierung in Teheran kann das nicht mehr verleugnen. Darum ist sie jetzt wieder bereit zu verhandeln.
Auch das ist gut so, aber nur, wenn der Sanktionsdruck weiter erhalten wird. Denn die Iraner wollen eigentlich nicht über ihr Atomprogramm verhandeln, sondern über die Erleichterung der Sanktionen und die Anerkennung der Legitimität ihres Standpunktes. Darauf darf sich der Westen keineswegs einlassen. Schon mehrfach wurde der Fehler begangen, zweitweilige Konzessionen Irans eilig als „Erfolg“ der Diplomatie zu verbuchen und seinerseits Konzessionen zu machen – in der Meinung, so entstehe „Vertrauen“, das dann am Ende zu einer friedlichen Lösung des Konflikts führen könne.

Was aber entstanden ist, ist in Wahrheit nur das Vertrauen der Iraner in die Naivität und Gutgläubigkeit der Europäer (die Amerikaner haben den Ansatz immer nur widerwillig mitgetragen). Das jahrelange Katz- und Maus-Spiel bei den Verhandlungen, bei gleichzeitigem Vorantreiben des Atomprogramms, belegt dies.

Sanktionen funktionieren, wenn sie so scharf gefasst sind wie die letzte Runde, die sich gegen Banken und Ölwirtschaft richteten. Diese sind aber nur zustande gekommen, weil es eine ernst zu nehmende militärische Drohung der israelischen Seite gab; weil Israel darauf bestanden hat, im Notfall auch alleine zu handeln. Das wird gerne beiseite geschoben, es ist aber die Wahrheit.
Nicht zuletzt um eine unerwünschte Militäreskalation zu verhindern, hat auch Deutschland letzte Reserven gegen harte Wirtschaftssanktionen aufgegeben. Besser wäre gewesen, man hätte dies aus eigener Initiative vorangetrieben. Nun kommt es darauf an, dass Deutschland und die anderen Europäer sich nicht gegen Israel und die USA ausspielen lassen, was die Iraner noch jedesmal verucht haben.
Dazu gehört auch, dass die öffentliche Infragestellung der Legitimität israelischer Selbstverteidigung gegen Irans Atomprogramm unterbleibt. Gerade denen, die den Krieg verhindern wollen, ist nicht damit gedient, die militärische Option vom Tisch zu nehmen.
Die Iraner wollen am Ende die Anerkennung durch die USA. Die USA, der Große Satan, sind ironischer Weise letztlich die einzig zählende Macht für die Iraner. Die USA sollen sich entschuldigen (ja, auch dazu gäbe es manchen Grund), die USA sollen Iran in der Völkergemeinschaft willkommen heißen. Wenn sie das nicht freiwillig tun, muss man sich ihnen eben aufzwingen.
Das Atomprogramm ist Teil dieser Aspiration, denn als Großer unter Großen braucht man eben Massenvernichtungswaffen. Iran sieht sich als regionale Großmacht, Auge in Auge mit den ganz großen Spielern (und dazu noch mit Jahrtausende alter Kultur). Das als Illusion und Größenwahn abzutun hilft nichts, denn es ist eine politische Realität, mit der zu rechnen ist. Die Europäer sind in diesem Rahmen nur ein Mittel, um „Normalisierung“ zu erlangen. Darum sind die Iraner so interessiert an jeder Form des Austauschs, die „normalisiserend“ wirkt – wie etwa dem Besuch von hochrangigen Delegationen.
Europäer haben Schwierigkeiten, sich in dieses Denken überhaupt noch hineinzuversetzen, weil sie glauben, bereits in einer anderen Welt zu leben, in einer postimperialen, postheroischen Welt, in der militärische Drohgesten eigentlich nur zeigen, wie sehr man bereits von der Geschichte überholt worden ist. Für die Iraner ist das aber nicht so. Sie haben noch sehr lebhaft in Erinnerung, wie Saddam Hussein ihre Städte bombardierte. Der Krieg der Amerikaner in Afghanistan und dann im Irak – in zwei Nachbarländern! hat die inhärente Paranoia des Regimes angestachelt, man sei als nächstes dran.
Die Iraner sind umgeben von amerikanischen Basen und von ihnen feindlich gesinnten sunnitischen Autokraten. Sie haben in den letzten Jahren bei jenen selbst erheblich Eindruck gemacht durch eine Politik des ruchlosen Terrors und der Subversion. Für einige Jahre waren sie es, die im Nahem Osten über ihre „Proxies“ über Krieg und Frieden mitentschieden (während die Araber nur hilflos zugucken konnten): über Hisbollah und Hamas konnten sie 2006 und 2008 die gesamte Region in Atem halten und „die Zionisten“ herausfordern, mit denen alle anderen im Grunde ihren Frieden gemacht hatten.
Ein System, das solche Mittel rücksichtslos einsetzt und erfährt, dass seine Gegner ebenso diese Mittel einsetzen – wie wird es sich wohl am Verhandlungstisch mit den netten Europäern verhalten? Es wird mit allen Mitteln seinen Vorteil suchen, um Zeit für das Atomprogramm gewinnen, mit dem es sich unangreifbar machen will. Irrational ist das nicht. Trotzdem gefährlich.
Die letzten Jahre liefen mies für den Iran: 2009 wurde die Grüne Bewegung platt gemacht. Der „Erfolg“ bei der Aufstandsbekämpfung hatte einen hohen Preis: Jeder konnte nun sehen, wie dieses Regime selbst noch mit loyalen Oppositionellen umgeht. Die „ausgestreckte Hand“ Obamas wirkte nun fast obszön. Der iranische Anspruch, auf Seiten des „Widerstands“ gegen die „Mächte der Arroganz“ zu kämpfen, wurde vom Regime selbst zuhause ad absurdum geführt.

Dann kamen die arabischen Aufstände, die man anfangs als „islamisches Erwachen“ zu kapern versuchte. Das ging nach hinten los, nicht nur bei den Säkularen, die eh keinen Gottesstaat wollten – sondern vor allem bei den tatsächlichen Islamisten unter den Revolutionären, den Muslimbruderparteien, die sich schiitische Vereinnahmung verbaten.

Spätestens mit dem Aufstand gegen Assad, dem Klienten Irans in Syrien, wurde klar, dass Iran nun auf der Seite eines Gewaltherrschers stand und nicht auf der des Volkes. Die Muslimbrüder der Hamas hatten sich, dieses Problem antizipierend, bereits aus Damaskus abgesetzt und sich neue Sponsoren in Qatar gesucht.

Die Sanktionen im letzten Jahr vollendeten die weitgehende Isolation Irans. Das Regime ist unter Druck. Seine terroristischen Aktivitäten werden seither auf eine ungewohnt schlampige Weise ausgeführt: Der Anschlag auf den saudischen Botschafter in den USA, die Attacken auf die israelischen Botschaften – Rohrkrepierer, zum Glück.

Es gibt aus israelischer Sicht durchaus einen Fortschritt, auch wenn das Iranproblem immer noch eskalieren kann: Der Misserfolg der Diplomatie seit 2003, die kaltschäuzige Unterdrückung der Opposition 2009, die Enthüllungen über geheime Anlagen und die Rolle des Irans in den arabischen Revolten haben zu einer nüchternen, realistischen Sicht auf Seiten der Europäer geführt.
Immer noch scheint es zwar ein Mißverständnis darüber zu geben, wie bedeutend das Atomprogramm für die Iraner ist. Es ist und bleibt ein zentraler Bestandteil ihres Großmachtstrebens. Dass es unsinnig ist, einem Land sein zentrales strategisches „Asset“ durch Körbe voller kleiner „Incentives“ wegverhandeln zu wollen, scheint sich immerhin als Einsicht durchzusetzen.
Iran ist unter Druck – durch die regionale Situation, durch die Sanktionen, durch die Einigkeit Israels und der USA, eine Bombe zu verhindern, im Zweifel auch durch militärische Schläge. Bei den kommenden Gesprächen kommt es darauf an, sich nicht wieder durch Scheinkonzessionen der Iraner einlullen und gegeneinander ausspielen zu lassen.

 

Das Versagen der amerikanischen Außenpolitik (im Präsidentschaftswahlkampf)

Zweiter Eindruck der dritten und letzten Präsidentschaftsdebatte, nachdem ich eine Nacht drüber schlafen konnte: Wow, was für eine Enttäuschung. Gut, Obama „hat gewonnen“, wie es fast überall heißt. Freut mich, ich möchte ihn noch für eine weitere Amtszeit am Ruder sehen. (Hat er denn wirklich gewonnen? Romney wusste doch, er kann hier nicht „gewinnen“, wg. Commander in Chief, OBL tot, Weltläufigkeit etc. Er musste nur zeigen, dass er kein Volltrottel ist und kein Wiedergänger von Bush Junior in seiner ersten Amtszeit: dass er keinen Krieg vom Zaun brechen wird. Und das ist ihm gelungen. Hat er damit nicht vielleicht gewonnen, was zu gewinnen war?)

Mit einem gewissen Abstand bleibt ein schales Gefühl. Das war also die große Debatte über amerikanische Außenpolitik? Obama sagt, ich habe Amerika in Sicherheit geführt: Irakkrieg abgewickelt (hatte Bush schon begonnen), Afghanistankrieg dito. Osama tot. Ich habe Iransanktionen ermöglicht, die endlich wirken. Ich bin Israels bester Freund, auch wenn das Gegenteil behauptet wird (guter Punkt: anders als Romney habe ich keine Fundraiser in Israel gemacht, sondern bin nach Yad Vashem und Sderot gegangen). Und das war es dann auch schon so in etwa.

Romney konterte mit dem Vorwurf, Obama sei auf eine „Entschuldigungstour“ gegangen und habe dabei allerlei problematische Länder aufgesucht (Europa, Ägypten), während er Israel vermieden habe. Er habe auf die iranische Grüne Bewegung zu spät und nicht deutlich genug reagiert (stimmt!), er lasse Entschlossenheit gegenüber dem iranischen Atomprogramm vermissen (Quatsch), während er, Romney, Ahmadinedschad wegen „Völkermord“ zur Rechenschaft ziehen werde (???). Was Ägypten und Syrien, Libyen, Tunesien und Jemen angeht, hatte Romney wenig mehr zu bieten als ein warnendes „Oioioi, da sind Islamisten auf dem Vormarsch“. Zwischen Al-Kaida und Morsis Muslimbrüdern schien er nicht viel Unterschiede zu sehen. Mit China werde er, Romney ordentlich Schlitten fahren, wegen der „Währungsmanipulation“ und des Stehlens von amerikanischen Arbeitsplätzen und Patenten.

Diese Karte zeigt die Welt, wie sie in der Debatte erscheint. Gefunden bei Matt Yglesias.

Zunächst einmal fällt an dieser Auseinandersetzung eine Provinzialität auf, die für die letzte globale Supermacht ein wenig absurd ist. Israel, Iran, Islamismus, fast alles kreiste um die drei I’s. Neben dem Nahen Osten wurde nur China erwähnt, als einziges ostasiatisches Land. Und wenn, dann nur als frecher Emporkömmling, den man durch genügend hartes Auftreten wieder in die zweite Reihe zurückschimpfen muss.

Das ist lachhaft. Spricht man so über seinen Banker? Über die größte aufstrebende Industrienation? Die all die schönen Gadgets herstellt, die unseren „westlichen“ Lebensstil ausmachen.

Indien – die weltgrößte Demokratie, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit, ein trotz Schwierigkeiten erfolgreicher multikultureller Staat, eine aufstrebende Wirtschaftsmacht – wurde mit keinem Wort erwähnt, obwohl es auch mit einem I anfängt.

Europa kam nur vor in Form des Vorwurfs Romneys an Obama, Amerika bewege sich „in Richtung Griechenland“. Auch das ist lächerlich und unwürdig. Europa ist der wichtigste Wirtschaftspartner und trotz seiner momentanen Schwierigkeiten der größte Wirtschaftsraum der Welt. Was sich in Europa abspielt zwischen Zerfallsgefahr und neuer Stabilitätskultur wäre wohl ein, zwei Sätze wert gewesen.

Lateinamerika: Kein Thema. Reiseerlaubnisse auf Kuba: Fehlanzeige. Brasiliens Aufstieg: nie gehört.

Myanmars erstaunlicher Weg aus der Diktatur: Nope.

Russland: Putin nix gut (Romney), sonst ebenfalls kein Thema.

Afrika unterhalb des Magreb und jenseits von Islamismus (Mali wurde erwähnt, weil sich dort Al-Kaida festzusetzen droht): Nö.

Beide Kandidaten sind fixiert in der sträflich beschränkten post 9/11-Weltsicht. Sie sind insofern beide Epigonen von George W. Bush, nur mit unterschiedlichen Konsequenzen. Beide haben den Tunnelblick auf die drei I’s, der 90 Prozent des Weltgeschehens ausblendet.

Die Präsidentschaftswahlen der USA sind ein globales politisches Schauspiel, das weltweit verfolgt wird. Darum war dieser Montagabend ein Schlag ins Kontor. Die Welt hat eine Lektion darüber erhalten, dass die Führungsmacht des Westens nicht versteht, dass nichts mehr so ist wie es einmal war.

 

 

 

Warum Deutschland keine Panzer nach Katar liefern sollte

Mein Leitartikel aus der ZEIT von morgen, 2. August 2012, S.1:

Es zeichnet sich ein Bruch in der deutschen Außenpolitik ab  der zweite, seitdem in den Interventionen vom Balkan bis zum Hindukusch das Tabu gebrochen wurde, das bisher über dem militärischen Engagement lag.
Deutschland exportiert immer mehr und immer offener Waffen. Nicht nur wie bisher überwiegend an Partner und Freunde, sondern häufiger auch in Krisengebiete. Dieser Politikwechsel wird nicht öffentlich begründet, weil
die Regierung Entrüstungsstürme fürchtet.
Er wirft eine Grundsatzfrage auf: Ist die Liberalisierung von Waffenexporten die richtige Strategie in einer zunehmend chaotischen Welt voller Konflikte und konkurrierender Mächte? Die Antwort kann nur Nein lauten. Doch die Bundesregierung sagt immer öfter Ja.
Der erstaunliche Boom des Leopard-Panzers markiert diese Zeitenwende. Letztes Jahr genehmigte der Bundessicherheitsrat ein Geschäft mit Saudi-Arabien über 200 »Leos«. Nun bekundet der Nachbar Katar ebenfalls Interesse an 200 Panzern. Auch Indonesien, das größte muslimische Land der Welt, hat bestätigt, an 100 Leopard-Panzern interessiert zu sein. Die Chancen der Bewerber stehen gut, denn wer bereits an das autokratische Regime in Riad liefert, wird sich dem prowestlichen Emir nebenan in Doha oder dem moderat-islamischen Präsidenten in Jakarta kaum verweigern.

»Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern wird restriktiv gehandhabt.« So steht es in den »Politischen Grundsätzen« der Bundesregierung. Dass die Regierung diese Grundsätze mit Füßen tritt, kann aber die Opposition nicht allzu laut kritisieren. Sie hat es nämlich selbst auch getan: Den Bekenntnissen zur »Restriktion« zum Hohn hat sich der Gesamtwert der deutschen Waffenexporte im letzten Jahrzehnt verdreifacht, und Deutschland ist zum drittgrößten Waffenhändler weltweit aufgestiegen nach den USA und Russland. Jedes Jahr verzeichnen die Rüstungsexportberichte Zuwächse, wahren offiziell, weiter Restriktion gelobt wird.
Es ist vielleicht kein Schaden, wenn diese Heuchelei zu Ende geht.

Was aber ist der Grund für den Bruch? Um Wirtschaft geht es nicht: Rüstungsexporte sind zwar ein lukratives Geschäft. Doch die Bedeutung der Waffenindustrie für den Standort Deutschland wird von Lobbyisten ebenso wie von manchen Pazifisten übertrieben: 2010, im letzten dokumentierten Jahr im erfolgreichsten bisher, betrug der Anteil von Waffen am Gesamtexport schmale 0,2 Prozent. Deutschland ist wirtschaftlich auch in der Krise nicht angewiesen auf Waffengeschäfte. Das Ja kommt nicht aus Not oder Profitgier.

Ein Grund liegt in der politischen Lage des Westens. Die zunehmende Offenheit für Waffenexporte entspringt den Schlüssen, die die Kanzlerin aus den Erfahrungen mit Kampfeinsätzen gezogen hat: Militärisches Eingreifen hat sich in Afghanistan und im Irak als Mittel der Politik diskreditiert. Wir sind in Afghanistan gescheitert, die Amerikaner im Irak. Deutsche Soldaten sollen möglichst nicht in fremden Konflikten eingesetzt werden. Wenn die Deutschen, so Merkel, dennoch weiter an der Stabilisierung gefährdeter Regionen mitarbeiten wollten, müssten sie Waffen in die Hände derer geben, die dort für Stabilität stehen: Weil wir Deutschen kriegsmüde sind, schicken wir euch Panzer. Aus der Zurückhaltung bei Interventionen folgt in dieser Logik das Ende der Zurückhaltung bei Waffengeschäften.
Das ist die Rechtfertigung dafür, dass Saudis und Katarer Panzer bekommen sollen. Beide Länder gelten als »Stabilitätsanker« in ihrer Region. Doch im Nahen Osten immer noch auf Stabilität zu setzen ist kühn. Katar ist wie Saudi-Arabien eine Autokratie. Auch hier könnten Panzer eines Tages zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden. Und: Das kleine Scheichtum Katar mag derzeit intern stabil wirken, doch agiert es in der Region als revolutionäre Macht, die erst Gaddafi wegzufegen half und nun das Gleiche mit dem Regime Assad erreichen möchte. Es unterstützt die Rebellen in Syrien mit Waffen.
Katar bildet mit den Saudis eine sunnitische Achse gegen den Iran, der als Vormacht der Schiiten Assad stützt. Wenn Deutschland Irans Feinde bewaffnet, nimmt es indirekt eine Position im sunnitisch-schiitischen Stellvertreterkrieg ein, der zurzeit in Syrien ausgetragen wird.
Stabilität schaffen mit immer mehr Waffen  das hat seit dem Kalten Krieg und dem »Gleichgewicht des Schreckens« nirgends mehr funktioniert. Da wirkt die Idee, Deutschland könnte punktgenau mit großzügigen Waffenlieferungen die Guten fördern und die Bösen in Schach halten, bizarr und wie aus der Zeit gefallen. Die jüngere Geschichte der Kriege im Iran, im Irak und in Afghanistan ist voller Beispiele dafür, dass die Waffen der Guten in den Händen der Bösen landen  oder die Guten von gestern sich als die Bösen von heute erweisen.
Es geht nicht darum, alle Rüstungsgeschäfte zu verteufeln. Die Krux ist, dass großes Unheil schon aus einigen wenigen Exporten entstehen kann.
Deutschland hat auf dem Papier ein ebenso einfaches wie kluges Prinzip: Unsere Freunde in EU und Nato (plus Schweiz, Australien, Japan und Israel) bekommen, was sie wollen. Alle anderen: so wenig wie möglich. Spannungsgebiete: gar nichts. Das ist ein guter Maßstab für bewegte, umkämpfte Zeiten wie diese. Statt den Maßstab immer weiter aufzuweichen, muss er nur endlich angewendet werden.