Neue Details zum Schmuggel der Mordwaffe Ceska 83, die über Mittelsmänner aus der Schweiz an das NSU-Trio gelangte: Zum zweiten Mal sagte Sitta I. vor Gericht aus, die frühere Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Ulrich M., der die Waffe in seinem Heimatland kaufte und weitergab. Denkbar ist nach ihrer Aussage, dass M. keine politischen Absichten verfolgte, sondern vor allem Geld machen wollte – möglicherweise auch mit der Waffenschieberei, wie Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online berichtet.
Am Mittwoch sagte der ehemalige bayerische V-Mann Kai D. aus, der in Franken eine einflussreiche Neonazi-Organisation aufgebaut hatte. Damals pflegte er Kontakt zu Tino Brandt, dem Gründer des Thüringer Heimatschutzes, Wegbegleiter des NSU-Trios und ebenfalls Spitzel. Thema war die Radikalisierung der rechten Szene in Thüringen – für die D. seinen früheren Freund Brandt verantwortlich machte. „Beispiele blieb der Mann aus Oberfranken aber schuldig“, beobachtet Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk.
Erneut hört das Gericht die Zeugin Sitta I., deren Angaben zum Waffenschmuggel der NSU-Pistole Ceska 83 relevant sind. I. war in den neunziger Jahren die Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Ulrich M., der die Waffe aus seinem Heimatland in die Bundesrepublik gebracht haben soll. Bei einer Vernehmung im Jahr 1996 belastete sie den Zeugen Enrico T., der ebenfalls in den Transport eingebunden gewesen sein soll. I. sagte damals aus, T. habe einen sogenannten Schießkugelschreiber besessen – den hatte er mutmaßlich von M. erhalten. Als sie im Oktober erstmals dazu befragt wurde, fiel ihr der Name T. erst auf Nachfrage ein.
Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.
Stachelte V-Mann Tino Brandt das spätere NSU-Trio zum mörderischen Hass an? Das behauptet ein bayerischer Neonazi – und vermutet den Verfassungsschutz dahinter.
Zwölf Jahre lang spitzelte der Rechtsextremist Kai D. für den bayerischen Verfassungsschutz. Gleichzeitig trommelte er während der neunziger Jahre in seiner Heimat Franken die Kameraden zusammen, es gab Demonstrationen und Kundgebungen. Im Norden Bayerns, an der Grenze zu Thüringen, war er unangefochtener Anführer – und ein wertvoller Informant für den Geheimdienst.
Die Aussage des früheren Thüringer Verfassungsschützers Norbert Wießner lieferte am Dienstag neue Erkenntnisse zu den Anfängen des NSU-Trios: Beate Zschäpe wollte sich demnach bereits im Jahr 1999 stellen, vor Beginn der Mordserie. Damals war sie seit einem Jahr mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf der Flucht. Die Information stammte vom V-Mann Tino Brandt, den Wießner als Quellenführer betreute. Doch detaillierte Informationen holte sich der Geheimdienst damals offenbar nicht. „Jetzt, da man von zehn mutmaßlichen Morden des NSU weiß, scheinen die Interessen des Amts ziemlich obskur“, kommentiert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
Am Mittwoch ist der bayerische Rechtsextremist Kai D. nach München geladen. Der 50-Jährige lieferte als V-Mann Informationen an den Verfassungsschutz – und er war nicht nur in seiner Heimat aktiv: In Thüringen pflegte er Kontakt zu Tino Brandt, dem Gründer des Thüringer Heimatschutzes und ebenfalls V-Mann. D. betrieb Server, auf denen um die Jahrtausendwende das rechtsextreme Thule-Netz zur Verfügung gestellt wurde, ein Forum für Neonazis. Insbesondere die Anwälte der Nebenklage erhoffen sich von ihm Informationen über die Aktivitäten Tino Brandts, in dessen Organisation sich das spätere NSU-Trio radikalisierte.
Außerdem geladen ist ein Beamter des Bundeskriminalamts. Dieser sagt zu Vernehmungen von Zeugen aus der rechten Szene aus.
ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.
Am Dienstag, 11. November, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.
An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.
Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 12. November 2014.
Zum zweiten Mal ist der ehemalige Thüringer Verfassungsschützer Norbert Wießner am Dienstag als Zeuge geladen. Wießner war V-Mann-Führer des Neonazis Tino Brandt, der neben seiner Tätigkeit als Rädelsführer der rechten Szene Informationen an den Verfassungsschutz lieferte.
Bei seiner ersten Aussage im März hatte Wießner Brandt als zuverlässige Quelle beschrieben, die jedoch bei Fragen zum Aufenthaltsort des 1998 untergetauchten NSU-Trios versagte. Der Verfassungsschützer versuchte im Jahr 2000 auch, die Abschaltung von Brandt als V-Mann zu verhindern. 2001 wurde der Spitzel enttarnt. Wießners zuvor geplante Vernehmung im Oktober war ausgefallen, weil Richter Manfred Götzl erkrankte.
Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wurden im Wohnmobil ermordet, der Heilbronner Mord an einer Polizistin war persönliche Rache, unbequeme Zeugen werden umgelegt – allerhand Theorien dieser Art werden im Umfeld der Berichte über den NSU-Prozess diskutiert. Die meisten sind jedoch schlicht Verschwörungstheorien, geboren aus den vielen offenen Fragen um das Thema, wie Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitungfeststellen. Die Autoren haben die populärsten Legenden um das Treiben des Trios ausgewertet – und entdeckten allenfalls „eine Verschwörung zum Schweigen“ bei Zeugen aus der rechten Szene und Ermittlern.
Im NSU-Prozess sagt der V-Mann Piatto aus, der deutliche Hinweise auf die untergetauchten NSU-Terroristen ungenutzt geliefert hatte. Um an seine Tipps zu kommen, scheute sich der Verfassungsschutz nicht, einem verurteilten Gewalttäter zu helfen.
Die Aussage des früheren V-Manns Piatto hätte eine der denkwürdigsten im NSU-Prozess werden können, wäre es nach dem brandenburgischen Verfassungsschutz gegangen. Der Rechtsextreme wäre per Videoübertragung befragt worden, dabei hätte er hinter einer Schattenwand gesessen oder mit falscher Nase und Bart verkleidet in die Kamera gesprochen. Womöglich hätte ein elektronischer Filter seine Sprache auf die Stimmlage eines Schlumpfes hochreguliert. Zum Schutz seiner Identität wäre zusätzlich die Öffentlichkeit während der Aussage ausgeschlossen worden.