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Ein schweigender Zeuge und ein vergesslicher Ermittler

Der Zeuge Max-Florian B. hatte das NSU-Trio bei sich wohnen lassen. Vor Gericht schweigt er. Helfen soll die Aussage eines Polizisten – doch der leidet unter Erinnerungslücken.

Der Beschuldigte will schnell wieder raus. Max-Florian B., ein Mann mit Wollpulli, zerzaustem Haar und Kinnbart, gibt sich Mühe, den Auftritt vor Gericht in aller Kürze abzuhandeln. Der Anwalt, den er mitgebracht hat, muss kein Wort sagen. B. schafft es allein, sich auf Paragraph 55 der Strafprozessordnung zu berufen, der ihm ein vollständiges Aussageverweigerungsrecht zugesteht.

Und so ist der 36-Jährige Steinmetz aus Dresden nach zwei Minuten wieder aus dem Saal verschwunden. Ein unangenehmer Moment für den Vater zweier Kinder – denn er hatte einem mutmaßlichen Terroristen seine Identität geliehen. Uwe Mundlos besaß einen Reisepass auf B.s Namen, seine Geburtsurkunde wurde in den Trümmern der letzten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau gefunden. Zudem hatte er Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt nach deren Untertauchen in seiner Wohnung leben lassen. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen B., beinahe hätte er selbst auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Weil er sich nicht selbst belasten muss, darf er schweigen.

Das Gericht hatte mit B.s Schmallippigkeit gerechnet und zusätzlich zwei Polizisten geladen, die B. mehrere Male in Vernehmungen befragt hatten – dabei war der mutmaßliche Unterstützer wesentlich auskunftsfreudiger gewesen.

Eine flüchtige Begegnung mit dem NSU?

Am 4. November 2011 erschossen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall in einem Wohnmobil in Eisenach. In dem Fahrzeug fanden Polizisten kurz darauf einen Reisepass auf B.s Namen. Er geriet ins Visier der Ermittlungen, noch bevor der NSU vollständig enttarnt war. Drei Tage darauf durchsuchten Fahnder auf den Befehl der Sonderkommission hin seine Wohnung in Dresden und nahmen ihn mit aufs Polizeirevier. Dort vernahm ihn ein Beamter der Kriminalpolizei Gotha.

Reinen Tisch machen wollte B. allerdings nicht – jedenfalls nicht sofort. Er behauptete, 1998 in seinem damaligen Wohnort Chemnitz auf einem Konzert oder in einer Kneipe eine Frau und einen Mann kennen gelernt zu haben. Beide seien angetrunken gewesen und hätten nicht heimfahren können – deswegen habe er sie bei sich übernachten lassen.

Tatsächlich war B.s Beziehung zu dem Trio weit mehr als eine flüchtige Begegnung, wie er bei der Vernehmung mit einem BKA-Ermittler am 24. November 2011 zugab: Demnach war er von einem rechten Konzert in Ungarn zurückgekehrt, als seine Freundin Mandy S. an ihn herantrat. Sie hatte drei Kameraden aus der rechten Szene in seiner Wohnung untergebracht, die „Mist gebaut“ hatten. Keine Fragen, keine Namen. B. stimmte zu und wohnte eine zeitlang bei seiner Freundin. Als sie ihn betrog, kehrte er zurück – für etwa einen Monat lang wohnte er mit den Untergetauchten zusammen.

Böhnhardt autoritär, Mundlos angenehm

Böhnhardt, sagte B. bei der Polizei, habe ihm manchmal Angst gemacht, weil er sehr autoritär auftrat. Gut verstanden habe er sich hingegen mit Mundlos. Der kam irgendwann mit einer ungewöhnlichen Bitte auf ihn zu: Ob er nicht seinen Personalausweis haben könne? Damit wollte er einen Reisepass mit seinem eigenen Foto beantragen, irgendwann vielleicht ins Ausland abhauen.

B. stimmte zu, weil er die drei loswerden wollte. Der Besuch war ihm unangenehm geworden: Als er ihnen erzählte, dass er einen Polizisten auf der Straße gesehen hatte, seien alle aufgesprungen – „als hätten sie einen Schalter umgelegt“, sagte B. bei der Vernehmung. Da wurde ihm mulmig.

Die Sache mit dem Ausweis war eine Entscheidung mit langfristigen Folgen: B. übereignete Mundlos seine Identität – die dieser bis zu seinem Tod am 4. November 2011 nutzte. Vor Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften nannte sich Mundlos „Max“.

Polizisten können sich nicht mehr erinnern

So hatte sich B. vor der Polizei dargestellt – als gutgläubiges Opfer. Wie viel an seiner Version stimmt, ist jedoch noch lange nicht geklärt. Mandy S. etwa hatte die Vermittlung der Wohnung an die Untergetauchten ganz anders dargestellt – demnach hatte sie B. gefragt, bevor die drei einquartiert wurden.

Klarheit sollen eigentlich die Aussagen der Vernehmungsbeamten bringen. Doch schon nach wenigen Minuten wiederholt sich ein Problem, das bereits in der vorigen Sitzung zutage getreten war: das löchrige Gedächtnis von Polizisten. Am Mittwoch hatten sich zwei Beamte an zahlreiche Details der Befragung des Zeugen Frank L. nicht mehr erinnern können. Ähnlich der Gothaer Ermittler, der B. am 7. November 2011 befragt hatte: Er kann B.s ursprüngliche Aussage, nach der er 1998 eine Frau und einen Mann getroffen und zu sich eingeladen hatte, nicht mehr bestätigen.

B.s Angaben sprach der Kommissar damals im Beisein des Beschuldigten auf ein Diktiergerät, damit eine Schreibkraft sie später abtippen konnte. Auf Nachfrage eines Nebenklage-Anwalts räumt er ein, dass die Aufnahmen später gelöscht wurden: „Wir haben nicht genug Speicherkarten, um das aufzubewahren.“

Für den Beschuldigten wird es eng

Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl bemängelt zudem die Vorlage von Fotos, auf denen B. die Gesichter von Beate Zschäpe und Uwe Mundlos erkannte: Der Beschuldigte bekam lediglich einzelne Bilder vorgelegt statt einer sogenannten sequentiellen Wahllichtbildvorlage, bei der zusätzlich mehrere ähnlich aussehende Unschuldige abgebildet sind. Zum Beweiswert „wird man hier nicht viel sagen müssen“, poltert Stahl. Bei allen korrekt durchgeführten Bildervorlagen sei B. durch die erste Vernehmung beeinflusst gewesen.

B. wurde das Trio schließlich los. Nach weiteren Stationen bei Bekannten mieteten die drei selbst eine Wohnung – mit der frisch erlangten Identität. Um seine Bonität zu beweisen, legte Mundlos alias B. Gehaltsabrechnungen eines Steinmetzbetriebs vor, datiert auf Februar bis April 2000. Der Name darauf: Max-Florian B.

In seiner Vernehmung am 24. November 2011 gab sich B. überrascht: Die Abrechnungen stammten von ihm, ja, doch er habe sie „nicht wissentlich“ weitergegeben. Am Tag darauf hielten die Beamten ihm vor, dass die besagten Dokumente in seinem Büro auf der Arbeit nicht gefunden wurden, aber im Brandschutt in Zwickau. Da musste B. einräumen, der Vorhalt klinge plausibel.

Für den Beschuldigten und seine Glaubwürdigkeit wurde es eng. Am 2. Dezember gab er zu, die Gehaltszettel weitergegeben zu haben. Mundlos habe damals zu ihm gesagt, er könne ja behaupten, die Papiere seien ihm gestohlen worden.

 

Wenn Polizisten sich nicht erinnern können – Das Medienlog vom Donnerstag, 20. Februar 2014

Drei Polizisten haben am Mittwoch vor dem Münchner Oberlandesgericht ausgesagt: Zwei von ihnen berichteten aus den Vernehmungen des Zeugen Frank L., der an der Beschaffung der NSU-Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen sein soll. Ein weiterer machte Angaben zur Durchsuchung von Beate Zschäpes früherer Wohnung. Am Ende des Prozesstags steht der Beweiswert von L.s Vernehmung allerdings in Frage: Die Beamten hätten sich nicht mehr an alle Details des Gesprächs erinnern können, berichtet Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen.

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87. Prozesstag – Ein Unterstützer der ersten Stunde sagt aus

Am Donnerstag ist Max-Florian B. als Zeuge geladen. Er war dem NSU-Trio ein wertvoller Helfer: Kurz, nachdem die drei im Januar 1998 in den Untergrund geflüchtet waren, brachte B. sie in seiner früheren Wohnung in Chemnitz unter. Damit begann die Zeit, in der die mutmaßlichen Terroristen erfolgreich unter dem Radar der Behörden blieben – und laut Anklage zehn Menschen ermordeten. B. soll Uwe Mundlos zudem seine Ausweispapiere überlassen haben.

Im Anschluss sagen zwei Ermittler der Polizei in Gotha und des Wiesbadener Bundeskriminalamts aus, die B. nach dem Auffliegen des NSU vernommen hatten.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Eine Zusammenfassung des Prozesstages veröffentlichen wir am Abend auf diesem Blog. Weitere Berichte fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Zschäpe-Verteidiger ziehen Beweisstück in Zweifel – das Medienlog vom Mittwoch, 19. Februar 2014

Hass als Spielprinzip: So funktionierte das Brettspiel Pogromly, eine Perversion des Klassikers Monopoly, das laut Anklage Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hergestellt hatten. Mit der Zeugenaussage eines Polizeibeamten wurde das bereits 1997 produzierte Machwerk in die Beweisaufnahme eingeführt. Zudem beschäftigte sich das Gericht mit den Wohnungen, in denen die Gruppe während ihrer Zeit im Untergrund lebte. In dem Spiel gehe es „um Antisemitismus, und zwar schlimmster Art, auf eine abartig-humoristische Weise verpackt“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Zweifel hätten in der Sitzung allerdings Zschäpes Verteidiger angemeldet.

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86. Prozesstag – Gericht untersucht Waffen und Wohnungen

Drei Zeugen sind am Mittwoch, dem 86. Verhandlungstag, geladen. Zwei Ermittler berichten über eine Vernehmung des Zeugen Frank L., der in Jena ein Szenegeschäft betrieb und dem NSU möglicherweise die Mordwaffe Ceska 83 beschaffte. L. hatte im November bereits vor Gericht ausgesagt, jedoch angegeben, sich praktisch an nichts erinnern zu können. Die Lücken können möglicherweise die Kommissare mit Aussagen aus der Vernehmung füllen.

Ein Ermittler des Bundeskriminalamts berichtet im Anschluss über die Durchsuchung von Beate Zschäpes Wohnung in Jena, nachdem diese 1998 mit ihren Kameraden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergetaucht war. In der Wohnung wurde neben Waffen auch ein Exemplar des vom Trio erdachten Hetzspiels Pogromly gefunden.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Monopoly mit Auschwitz-Feld

Es war geistiger Sprengstoff, der in Beate Zschäpes Garage lagerte: das Nazi-Brettspiel Pogromly. Eins der letzten verbliebenen Exemplare dient der Anklage als Beweis für die Ideologie des NSU.

Du hattest auf ein Judengrab gekackt. Leider hattest Du Dir hierbei eine Infektion zugezogen. Arztkosten: 1000 RM (SS-Karte)

Was Fahnder des Thüringer Landeskriminalamts am 26. Januar 1998 in einer Garage in Jena fanden, war so gefährlich, dass ein Sprengstoffkommando anrücken musste. Vier Rohrbomben, eine Zündvorrichtung aus einem Wecker, insgesamt 1,4 Kilogramm hochexplosives TNT-Gemisch. Die Ermittler hatten eine Bombenwerkstatt ausgehoben, untergebracht in der Garage von Beate Zschäpe. Dass sie auch geistigen Sprengstoff sichergestellt hatten, fiel ihnen erst später auf. Etwas versteckt, im Durchsuchungsprotokoll aufgelistet unter Nummer 18, findet sich das Asservat mit der Bezeichnung „ein Spiel mit dem Namen Pogromly“.

Allein der Name klingt furchteinflößend – eine Anspielung auf die Reichspogromnacht 1938. Pogromly, stellten die Ermittler fest, ist eine Nachbildung des Klassikers Monopoly, die vor Hass und rechter Ideologie strotzt. Nachdem Zschäpe und ihre Kameraden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 1999 abgetaucht waren, diente ihnen der Verkauf des selbst produzierten Spiels als Einkommensquelle, indem Kameraden aus der Szene zu Spenden motiviert wurden. Vor allem aber ist das Spiel ein Zeugnis der Denkweise des Trios – ein Beleg, dass die drei spätestens Mitte bis Ende der neunziger Jahre Vernichtungsfantasien gegen Ausländer hegten. Deswegen wird das Spiel heute als Beweismittel in den Prozess eingeführt.

Du hast keine Ehre, kein Stolz und kein Mut. Deshalb wollen Dich die Juden als Ihren Vorsitzenden – Gehe zum Juden! (SS-Karte)

Ein Pogromly-Exemplar lagert in der Asservatenkammer des Bundeskriminalamts. Prinzip und Aussehen ähneln Monopoly – doch haben sich die Gestalter Mühe gegeben, das Spiel bis in die letzte Faser mit Fremdenhass zu gestalten. In der Mitte ist ein Skelett zu sehen, das einen Stahlhelm, eine Uniform und eine Hakenkreuzbinde trägt. Das Symbol der Nationalsozialisten ist auch dem Startfeld abgebildet. Statt Straßen kaufen die Spieler Städte, statt Bahnhöfen gibt es vier Konzentrationslager wie Auschwitz. Elektrizitäts- und Wasserwerk sind durch die Felder „Gaswerk“ und „Arbeitsdienst“ ersetzt. Wer mit der Spielwährung Reichsmark Häuser kauft, kann damit kleine Davidsterne auf dem Spielfeld verdecken und die Städte damit „judenfrei“ machen. Wer Pech hat, landet nicht im Gefängnis, sondern „beim Juden“.

Wichtigstes Element zur Verbreitung der nationalsozialistischen Botschaft sind allerdings die sogenannten SS- und SA-Karten, die anstelle von Gemeinschafts- und Ereigniskarten stehen. Sie sind mit antisemitischen und linkenfeindlichen Sprüchen bedruckt, mit der Rechtschreibung nahmen es die Macher nicht so genau.

Dir ist es gelungen eine Horde roter Zecken mit Hilfe eines MG’s abzuwehren. Du erhälst eine Prämie von: 2000 RM (SS-Karte)

Auf das Spielbrett ist die Jahreszahl 1997 aufgedruckt – die Idee entstand also bereits vor dem Abtauchen des Trios im Januar 1998. Der Einfall kam offenbar von Uwe Mundlos, wie der heute Angeklagte Holger G. in einem Verhör sagte. Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bastelten alle Exemplare selbst, an die 20 Stück produzierten sie nach Erinnerungen von Zeugen. Mundlos gestaltete das Spielbrett. Spielfiguren und Würfel bastelten die drei mit Holz aus dem Baumarkt. In einer Vernehmung sagte ein Zeuge, das Trio sei „richtig stolz“ auf das Produkt gewesen.

Den Verkauf überließen sie ihren Freunden aus der Szene. Beteiligt waren André K., der bereits zweimal als Zeuge im NSU-Prozess aussagte, Jürgen H. und die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. Wohlleben entschied laut Zeugenaussagen, wer Pogromly-Exemplare kaufen durfte. 100 Mark kostete der perfide Spielspaß, 50 für die Materialkosten und 50 als Lohn für das Trio. Einen höheren Preis kassierte André K. von dem Briten David Irving, einem Journalisten, der öffentlich den Holocaust leugnet. Irving drehte eine Fernsehdokumentation über Neonazis in Thüringen und wollte das Spiel unbedingt haben.

Gehe zum nächsten KZ um die gefangenen Juden abzugeben und Zahle dem Besitzer das doppelte der normalen Miete. (SA-Karte)

Ein weiterer Abnehmer war das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, wie der Zeuge und frühere V-Mann Tino Brandt in einer Vernehmung angab. Er will den Staatsschützern drei bis fünf Exemplare verkauft haben. So floss auf Umwegen Geld aus der Landeskasse an die Terrorzelle. Ob es dort jedoch wirklich ankam, ist nicht sicher. André K., der sich als eine Art Laufbursche für das Trio betätigte, sollte den dreien ihren Erlös überbringen – unterschlug aber nach Erkenntnissen der Ermittler zumindest Teile des Geldes.

Die meisten Spiele bastelten und verkauften die drei nach ihrem Untertauchen. André K. rührte in rechten Kreisen die Werbetrommel für das Spiel und forderte zur Unterstützung der Kameraden auf – Charity auf Nazi-Art. Bis Anfang 1999 war Pogromly im Angebot, dann stellten die Untergetauchten keine weiteren Spiele mehr her. Für ihren Lebensunterhalt war das auch nicht mehr erforderlich: Ende 1998 hatten Mundlos und Böhnhardt erstmals einen Supermarkt überfallen. Sie entkamen mit 30.000 Mark.

 

Aufklärung abgehakt? – Das Medienlog vom Dienstag, 18. Februar 2014

Immer deutlicher wird im NSU-Prozess der Konflikt zwischen Vertretern der Nebenklage und der Bundesanwaltschaft. 33 Anwälte der Opfer und Hinterbliebenen werfen der Anklage nun in einer gemeinsamen Erklärung vor, die Aufklärung zu blockieren. Die Interessen ihrer Mandanten würden „insbesondere vom Generalbundesanwalt längst als lästig hinten angestellt“, heißt es dort. Die Ankläger versuchten, „sämtliche Aufklärung zu blockieren, die über ein bloßes Abhaken der formalen Anklagepunkte hinaus geht“.

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85. Prozesstag – Wo tauchte das Trio unter?

In dieser Prozesswoche beschäftigt sich das Gericht mit der Flucht von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Untergrund – sie entkamen am 26. Januar 1998, nachdem die Polizei Sprengstoff in einer von Zschäpe gemieteten Garage gefunden hatte. Drei Ermittler sind geladen.

Ein Kommissar sagt zu den ersten konspirativen Wohnungen aus, in denen die drei unterkamen. Ein weiterer Zeuge trägt Erkenntnisse zu dem rassistischen Brettspiel Pogromly vor, das die drei in der Szene verkauften, um Geld für ihren Lebensunterhalt zu bekommen. Der letzte Ermittler schildert Zeugenbefragungen, die Fahnder im Umfeld der Angeklagten führten.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Keine Berichte zum NSU-Prozess

Auch am Montag, 17. Februar, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 18. Februar 2014.

 

Der Einpeitscher aus Thüringen

Tino Brandt lernte Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt kennen, als diese den radikalen NSU gründeten. Nun hat das Gericht seine Vernehmung verschoben – und Nebenkläger müssen noch länger auf wichtige Antworten warten.

Nur selten gilt ein Zeuge als so wichtig, dass das Gericht einen ganzen Tag für seine Befragung reserviert. Für Tino Brandt beraumte der Münchner Staatsschutzsenat gleich zwei Vernehmungstage an. Große Hoffnungen ruhten auf der Aussage von Brandt, der bis Anfang des Jahrtausends wichtigster Vordenker der Neonazis in Thüringen war und dann als V-Mann enttarnt wurde. Es sollte um die Entwicklung des NSU gehen, um den Kreis der Unterstützer und die Rolle des Verfassungsschutzes.

Daraus wurde vorerst nichts: Brandt wurde abgeladen, weil „im Umfeld des Zeugen eine Krankheit aufgetreten ist, die vom Gesundheitsamt überwacht wird“, wie das Gericht mitteilte. Einen neuen Termin gibt es noch nicht. Für die Nebenkläger, die immer wieder ihr Bedürfnis nach Aufklärung betonen, bedeutet das einmal mehr eine Geduldsprobe. Auch die Hamburger Anwältin Doris Dierbach hätte Brandt gerne schon diese Woche befragt, weil er „bis über beide Ohren in die rechte Szene verstrickt gewesen“ war, wie sie ZEIT ONLINE mitteilt. Auch könne er helfen, Beate Zschäpe zu überführen, weil er sagen könne, wie sich die Hauptangeklagte in der Szene engagiert habe – schließlich sei sie innerhalb des NSU „nicht nur Köchin und Katzenkraulerin“ gewesen.

Die Bundesanwaltschaft wusste ebenfalls genau, mit wem sie es zu tun hatte, als die Ermittlungen gegen den NSU auf Hochtouren liefen. Beamte des Bundeskriminalamts drückten Brandt persönlich seine Ladung zum Verhör in die Hand. Im Januar 2012 packte der Zeuge dann in Karlsruhe aus – und ließ keinen Zweifel daran, dass sich seine Einstellung in all den Jahren nicht geändert hatte.

Brandt brachte die Rechten zusammen

Für die rechte Szene Thüringens war Brandt der Einpeitscher, der Menschen zusammenbringen konnte. Im Lebenslauf hatte Brandt, 1975 in Saalfeld geboren, sonst nicht allzu viel vorzuweisen. Zwei Lehren machte er, arbeitete zwischenzeitlich als Landwirt. Sein Talent lag darin, Gesinnungsgenossen auf Linie zu bringen und für die nationale Sache zu begeistern. Zwischen 1993 und 1994 gründete er in einer Rudolstädter Gaststätte den sogenannten Mittwochsstammtisch, eine einschlägige Anlaufstelle. Aus einer kleinen Runde sei bald eine regelmäßige Veranstaltung mit 100 Teilnehmern geworden, sagte er bei der Bundesanwaltschaft. Der Stammtisch wurde später in Anti-Antifa-Ostthüringen, 1995 schließlich in Thüringer Heimatschutz umbenannt. Brandt hatte ein Sammelbecken geschaffen.

So wurde er nicht nur zum Anführer der Rechten in Thüringen – er war auch stets nah dran an einem vergleichsweise engen Zirkel, der sich zu Beginn der neunziger Jahre in Jena gebildet hatte. Zu diesem Zirkel gehörten neben Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch Ralf Wohlleben und Holger G., die heute mit auf der Anklagebank sitzen. Auch der Zeuge André K., der bereits zweimal im Prozess vernommen worden war, war einer der Vordenker für die Jenaer Rechten.

Kein Platz für Prügelglatzen

Der Zusammenschluss vor Ort nannte sich Nationaler Widerstand Jena und begriff sich als Elitegruppe, in der dumpfe Prügelglatzen keinen Platz hatten. Das passte bestens zu Brandts Vorstellungen. Der Nationale Widerstand wurde als „Sektion Jena“ Teil des Thüringer Heimatschutzes. Zu den Führungstreffen in Rudolstadt erschien neben K. auch das spätere NSU-Trio.

Man lernte sich kennen. Uwe Mundlos sei sehr kommunikativ gewesen und habe schnell Anschluss gefunden, außerdem habe er gut argumentieren können, sagte Brandt im Januar 2012 bei einer Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft aus. Sein Kamerad Böhnhardt sei militant und ein Waffennarr gewesen, jedoch keineswegs dumm. Dann war da noch Zschäpe – Brandt beschrieb sie als ruhig, sie habe jedoch über fundiertes Wissen zum Germanentum und zur Zeit des Nationalsozialismus verfügt und habe sich in Diskussionen einbringen können.

In den Jahren, die Brandt gemeinsam mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt verbrachte, formten diese den Nationalsozialistischen Untergrund. Die Radikalisierung der Gruppe spielte sich praktisch vor Brandts Augen ab – doch der beteuerte, von all dem nichts mitbekommen zu haben. Innerhalb des Thüringer Heimatschutzes hätten sich die drei konspirativ verhalten. Einmal hängten sie eine Puppe mit der Aufschrift „Jude“ und eine Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke auf – davon, sagte der Zeuge, habe er erst nach dem Untertauchen erfahren.

Viele dieser Informationen hatte Brandt schon zuvor weitergegeben – an das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, das ihn 1994 als Spitzel anwarb. Brandt positionierte sich in der Öffentlichkeit als Rechter, der auf politische Arbeit statt auf Gewalt setzte. Das kam bei den Staatsschützern gut an. Im Abstand von wenigen Wochen traf sich Brandt mit seinem V-Mann-Führer, berichtete ihm Neuigkeiten aus der Szene – und ab 1998 auch von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die nach einer Razzia in den Untergrund geflüchtet waren. Brandt blieb über ein Netz aus Telefonzellen mit ihnen in Kontakt, nach Aussage von André K. beauftragte er diesen, gefälschte Pässe für sie zu besorgen – woraus letztlich nichts wurde.

Gericht muss noch Wochen auf Brandts Aussage warten

Auch Geld ließ Brandt den abgetauchten Kameraden zukommen, sammelte kurz nach der Flucht mehrere Hundert Mark. Laut Berichten des Verfassungsschutzes gingen die Spendenaktionen bis zum Jahr 2001 weiter. In dem Jahr wurde Brandt durch einen Zeitungsbericht als V-Mann enttarnt.

Die vielen Jahre in der Szene und das damals ausgesprochen gute Netzwerk, das der Zeuge geschaffen hatte, sind Anlass für viele Fragen der Nebenkläger: Wusste Brandt damals besser über den Aufenthaltsort der drei Bescheid, als er im Verhör zugab? Anwältin Dierbach sieht Indizien, die diese These stützen. Und: Wenn der Verfassungsschutz einen V-Mann im direkten Umfeld des Trios beschäftigte – wie konnten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt dann so einfach aus dem Blickfeld der Fahnder verschwinden?

Brandt, der auch schon Fernsehinterviews gegeben hat, zeigte sich wesentlich auskunftsfreudiger als viele andere, die in den Neunzigern der Szene angehörten. Ob das auch vor Gericht so bleibt, wird noch mehrere Wochen lang ein Rätsel bleiben.