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Olympia-Splitter: Heidemann in Lego, Daley, Medaillendusche

Wem einmal eine Medaille überreicht wurde, der möchte gerne noch eine. So auch Felipe Kitadai. Der brasilianische Judoka und Bronzemedaillengewinner in der Gewichtsklasse 60 Kilogramm, dürfte aber besonders darauf erpicht sein, denn seine Trophäe fiel ihm beim Duschen runter. Er hatte geschworen, sie überall mithinzunehmen. Nun hat sie eine Delle, und das Trageband riss. „Ich nahm sie mit unters Wasser und steckte sie in den Mund“, sagte Kitadai völlig geknickt. „Ich wollte verhindern, dass sie nass wird. Als ich mich einseifte, fiel sie runter.“ Kitadai bat um ein neues Modell, das IOC überlegt nun, wie es mit der Bitte umgehen soll. Werden sich die harten Herren der Ringe (und Medaillen) erweichen lassen?

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Britta Heidemann wird nach ihrer Silbermedaille im Degen-Einzel eine weitere Ehre zuteil: Der Guardian hat mit Lego ein Reenactment ihres Gefechts gegen Shin A-Lam fabriziert. Die Tränen der Koreanerin muss man sich aber hinzudenken. Schnelle Produktionszeit der englischen Kollegen übrigens.



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Das Internet ist eine wichtige Errungenschaft, weil es belegt, mit welcher Verbitterung selbst Jugendliche zu kämpfen haben und zu Werke gehen. Auf Twitter ist der britische Wasserspringer Tom Daley von einem enttäuschten Fan böse beleidigt worden. „Du bist eine Enttäuschung für Deinen verstorbenen Vater“, hieß es in dem Tweet.

Vor eineinhalb Jahren verlor der nur ein Jahr ältere Daley seinen Vater, der an einem Gehirntumor starb. Der Wasserspringer widmet seine Erfolge stets seinem Vater. Beim Synchronwettbewerb vom Zehn-Meter-Turm waren Daley und sein Partner Pete Waterfield am Montag als Medaillenhoffnung der Gastgeber an den Start gegangen – und wurden Vierte.

„Es tut mir leid, Kumpel. Ich wollte nur, dass du gewinnst, bitte nimm meine Entschuldigung an. Ich will nicht gehasst werden“, sagte Daleys Peiniger, nachdem er von der Polizei festgenommen wurde.

Daley ist übrigens Stänkerei gewohnt. Als er mit fünfzehn Jahren Weltmeister wurde, mobbten ihn anschließend seine Mitschüler. „Ich versuchte, in der Pause irgendwie im Klassenzimmer zu bleiben.“

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Wer ist nicht von solchen Beifahrern genervt, die jede Gas-, Kuppel- und Bremsbewegung mitvollziehen? Doch solch motorischer Support kann auch beflügeln. Die Eltern der amerikanischen Turnerin Aly Reisman, konnten bei der Kür ihrer Tochter nicht an sich halten und gingen auf der Tribüne ordentlich mit, vor allem die Mutter. Siehe da, es half. Am Dienstagabend gewannen die Amerikanerinnen Teamgold im Turnen.

 

London gemeindet Sport in die Popkultur ein

01:45 Das Fazit überlassen wir heute unserem Gast Gunter Gebauer:

„Die Show hat nach leichten Anlaufschwierigkeiten meine hohen Erwartungen erfüllt. London war das Gegengewicht zur Eröffnungsfeier von Peking 2008. Das war zwar perfekt arrangiertes High-Tech, aber trug deutlich autoritäre Züge.

Die Feier in London war viel leichter, hatte viele tanzende Momente, witzige Momente. Die Show zielte auf witzige Stimmung, etwa, dass die großen Hits der englischen Musikkultur zum Tragen kamen. Das war kreativ, das war der Spirit of London. London hat die Popkultur gefeiert, und Sport gehört eben zur Popkultur. Wenn man den Abend zusammenfassen will: Der Sport wurde in die Popkultur eingemeindet.

Die Deutschen haben sich als vergnügte Mannschaft präsentiert, die Gefallen an dem Fest gefunden haben. Unsere Fahnenträgerin Natascha Keller ist eine muntere und witzige Frau. Die ganze Mannschaft strahlt Lebensfreude aus. Das finde ich gut bei deutschen Mannschaften, das war früher nicht immer so. Die Freude ist auf mich übergesprungen.

Erstaunlich auch immer wieder, welche Weltprominenz Olympia versammeln kann: Ban Ki Moon, Muhammad Ali, über hundert Staatsoberhäupter. Schade, dass das IOC nicht in der Lage ist, diese Macht im guten politischen Sinne auszuspielen, sondern meist nur im schlechten.

Negativ: ein paar nationale Misstöne zu Beginn und in der Rede von Sebastian Coe, das langweilige Ende und der deutsche Fernsehkommentar.“

Christian Spiller ergänzt aus dem Stadion: „Bestgelaunte aller Mannschaften auf dem Innenfeld: die Australier. Tanzen, lachen und schwatzen mit den Kanadiern und Chinesen.“

Und ich finde, da war viel dabei. Wenn ich drei vermisst habe, dann: Oasis, Morrissey und Robbie Williams. Und Stuart Pearce. Und damit eine Gute Nacht und Ihnen schöne, spannende Olympische Spiele. Vielen Dank an Gunter Gebauer, der schon auf dem Nachhauseweg ist, und Ihnen fürs Mitmachen.

01:40 Die Flamme wird von einer großen Menge Jugendlicher entzündet, begleitet von ehemaligen britischen Medaillengewinnern. Die Briten entziehen sich der mit großer Spannung erwarteten Frage. Nennen wir es elegant.

Geht’s nur mir so? Ich muss zu Boden schauen, Paul McCartney (70) kommt nicht mehr an die hohen Töne von Hey Jude ran. Aua, Mitleid.

01:19 Die Queen macht bei ihrem Eröffnungssatz einen müden majestätischen Eindruck. I declare this bazaar open.

Ein Tweet von Paul

01:15 Die Funktionäre holen uns mit ihren nichtssagenden Phrasen wieder runter. Kein Wort von Coe und Rogge über München 72.

Jetzt der Eid, nicht nur von Athleten gesprochen. Dr. Soundso: „Ich schwöre, dass ich alle Medikamente selbst hergestellt habe.“

Gebauer: „Ich bin sehr enttäuscht, dass Sebastian Coe einen nationalistischen Ton hereinbringt (‚Nie war ich so stolz, ein Brite zu sein‘). Das hat auf einer internationalen Veranstaltung nichts verloren. Er prophezeit auch etwas zu großsprecherisch, dass die Spiele ein Triumph würden. Ich wünsche mir mehr Understatement. Da merkt man halt, dass er ein konservativer Politiker ist.“

01:05 Arctic Monkeys doing Beatles! Yeah! Herr Gebauer sing mit, aber wie reagiert eigentlich Peking auf diese Show? Die halten das doch bestimmt für ordinär und westliche Dekadenz.

00:32 Ein paar Worte zu den deutschen Fernsehkommentatoren, Herr Gebauer, bitte.

Gebauer: „Schablonenhaft, dröge, forciert um Stimmung bemüht. Es hat keinen Witz, keinen Schwung, keinen Esprit. Das deutsche Fernsehen verkrampft, im Gegensatz zur deutschen Mannschaft. Auch die Beteiligung einer Athletin war offensichtlich keine gute Idee. Kathrin Boron ist mir als eindrucksvolle Persönlichkeit in Erinnerung, doch Sportler können wohl nur aus dem eigenen Sportlerleben etwas beitragen, Einordnungen zu kulturellen und politischen Hintergründen darf man von ihnen nicht erwarten. Sie haben wohl nur die Funktion, emotionale Tiefe herzustellen. Aber das klappte heute auch nicht. Ist ja auch schwer, Gefühle zu beschreiben. ‚Jänsehaut pur‘ hab ich noch im Ohr.“

Heidrun Bleeck schreibt in den Kommentaren: „Wieso ist es im deutschen Fernsehen nicht möglich, einen Engländer, der mit der Geschichte, Musik, Kunst etc. seines Landes vertraut ist, dem Kommentator als „Souffleur“ an die Seite zu stellen? Schade um die vielen Infos, Gags und Aspekte der tollen Brit-Show, die am Großteil des deutschen Fernsehpublikums vermutlich unverstanden vorbeigerauscht sind.“ Herrn Gebauer gefällt das.

00:02 Wie kommt es eigentlich, dass Olympia einen solchen intellektuellen und spirituellen Überbau hat, ungewöhnlich für einen Sportwettbewerb?

Gebauer: „Das geht auf Coubertin zurück, der die Wiederbelebung Olympias bei seinen Landsleuten durchsetzen musste. Die französischen Intellektuellen waren damals theoretisch orientiert, körperfeindlich – im Gegensatz zu den Engländern. Coubertin hat seine Auffassung von Sport überhöht, um sie zu überzeugen. Dabei kam ihm zugute, dass Olympia, geradezu die ganze Antike, insgesamt über Jahrtausende verklärt wurde. Heute sieht man das historische Olympia und die Antike deutlich kritischer.

Dabei hat Coubertin seine Idee mit quasireligiösen Elementen überfrachtet. Die Olympische Idee, der Olympische Eid – das hat alles etwas Weihevolles. Das schleppen die Olympischen Spiele bis heute durch, obwohl das heute nichts mehr mit dem zu tun hat. Und vermutlich auch wohl nie hatte.“

23:30 Herr Gebauer, wie bewerten Sie die Debatte um die verweigerte Schweigeminute für die israelischen Opfer von 1972?

Gebauer: „Ich bin immer für Schweigeminuten. Oder sagen wir: Ich bin für ein würdiges Gedenken. Aber das muss man nicht auf der Eröffnungsfeier machen, denn die soll Vorfreude wecken. Die olympische Bewegung sollte jedenfalls der Toten auf würdevolle Weise gedenken, und zwar auf institutionalisierte Weise, bleibend, bei jeder Feier, nicht nur eine Minute lang. Es wundert mich ohnehin, dass diese Debatte nicht früher schon geführt wurde. Einbeziehen sollte übrigens alle Toten, nicht nur die Israelis. Etwa die Opfer der Studentenrevolten vor den Spielen in Mexiko 1968.

Welche Überlegungen bei der aktuellen Absage gespielt haben, kann ich nicht sagen. Sollte sich der Verdacht erhärten, dass das IOC auf ein Gedenken an die Israelis verzichtet, weil es sich nicht mit der arabischen Welt verscherzen möchte, wäre das fatal. Ich kenne ja die Spekulationen um Thomas Bachs Verbindungen in den Nahen Osten und seine Geschäftsinteressen. Aber dieses Gerücht ist interpretationsabhängig.“

Christian Spiller mailt aus London: „Jetzt, wo der Einmarsch der Teams beginnt, eilen viele Zuschauer aufs Klo. Aber wer soll es ihnen verdenken? Bei so einer tollen Show muss man es halten, bis es nicht mehr geht. Very cool, very british alles. Spätestens bei Mr. Bean und allerspätestens bei dem grandiosen Ritt durch die englische Musikgeschichte haben die Engländer die Welt eingefangen. Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate links und rechts haben ebenfalls tüchtig mitgewippt und ein Tränchen im Auge.“

Philosophengetränk
Philosophengetränk

23:05 Warum spielen sie denn nicht „God Save The Queen“ von den Sex Pistols, wo sie doch schon mal anwesend ist?

Blur statt Oasis. Man muss sich halt für eins entscheiden.

Und Hugh Grant, toll! Ich verlange aber auch Ali G.

22:55 Bei so viel englischer Geschichte – sehen wir später auch einen verschossenen Elfmeter?

Gunter Gebauer muss ans Telefon: Interview mit dem Deutschlandfunk. Ein Mann für alle Sender. Er ist jedenfalls geradezu erfreut über so viel Popkultur (Merke: Gegensatz zu Peking), die inzwischen die Show dominiert.

22:45Die moderne olympische Idee hat auch englische Wurzeln. Pierre de Coubertin hat sich an der Pädagogik britischer Internate orientiert. Kann man das so sagen, Herr Gebauer?

Gebauer: „Ja, an der Realität in der englischen Public School, wo Jugendliche der Oberklasse geformt wurden. Kinder der Reichen, die mit ihren Lehrern den modernen Sport erfunden haben, sich dabei und dadurch diszipliniert haben. Aber genau das zeigt die Feier bislang gerade nicht.“

„Mr. Bean mit Simon Rattle, sehr guter Einfall, große Klasse, genau das hab ich mir von den Briten erhofft. Überhaupt bekommt es einen surrealistischen Touch: fliegende Gorillas, eine zehn Mieter große Frau, viele Mary Poppins und fröhliches Krankenhaus. Jetzt haben sie die Feier schön tief gehängt, genau richtig.“

22:30 Absprung Queen und Bond per Fallschirm: „Das ist echt witzig! Gute Idee.“ (Gebauer)

„Doch aus dem Queen-Begleiter Daniel Craig wurde plötzlich Jacques Rogge. Und als Bondgirl gleich neben dran: Dr. Thomas Bach.“ (C. Spiller)

„Aber das Fahnenhissen ist eine große Enttäuschung. So viel Militär! Und alle Waffenkategorien vorhanden.“ (Gebauer)

„Interessant, hier werden die fünf Ringe direkt aus der englischen Schwerindustrie hergeleitet. Die Engländer klauen bei den Franzosen. Oder sagen wir: Die Engländer eignen sich Geschichte an. Ich dachte, Fakes wären den Chinesen vorbehalten.“ (Gebauer)

22:20 Aus dem Programmheft: Ein bisschen Number Crunching aus dem Programmheft: 7.500 freiwillige Darsteller, 500 Lautsprecher (hört man!), im Innenraum liegen gerade 7.346 Quadratmeter Rasen. Still to come: 320 Betten, 10.490 Athleten, 120 Beats per Minute beim Einmarsch der Sportler (damit sie schneller laufen, kein Scherz) und 7 Milliarden Papierschnipsel, für jeden Erdenbürger einen.

Aber ehrlich gesagt: Bei Eröffnungsfeiern komme ich recht schnell nicht mehr mit.

Gebauer: „Offenbar ist es wie immer: Die Macher wollen Englands Geschichte in neunzig Minuten zeigen. Schwierig. Und dann noch in einem Stadion. Jeder Akt der Darsteller ist symbolisch aufgeladen, und der Zuschauer hechtet nach der Bedeutung. Er ist mit dem Interpretationswahn überfordert.“

22:10 Erstaunlich viel Cricket und Rugby bislang.

22:05 Bradley Wiggins, der englische Tour-de-France-Sieger, tritt in Gelb auf und läutet eine Glocke. „Eine Geste mit bescheidenem symbolischem Gehalt. Außerdem ein totaler Missgriff. Tour de France und Olympia sind wie Feuer und Wasser. Wird das jetzt doch eine nationale Feier?“ (Gebauer)

21:59 Gänse und Kühe laufen ins Stadion, und Poschmann redet von „Exzess“.

21:55 ZON: Heute sendet das ZDF. Aus London. Nicht aus Usedom oder Helgoland etwa. Erleichert?

Gebauer: „Ja, sehr. Wenn es festlich wird, sieht man Steinbrecher im Studio. Das bringt uns schon mal in eine feierliche Stimmung. Die Ruderin Kathrin Boron ist als Expertin am Mikro. Das sieht nach sportlicher Mitbestimmung aus. Aus der Luft sieht das Olympiagelände wie ein Rummelplatz aus, nicht wie eine Weihestätte.“

21:40 Gunter Gebauer ist nun da, sagt, die Erwartungen an diese Feier seien hoch. Welche Bedeutung haben denn Eröffnungsfeiern generell?

Gebauer: „Ursprünglich in der Geschichte der modernen Olmpischen Spiele waren Eröffnungsfeiern ein zeremonieller Rahmen mit religiösem Charakter. Wenn man aus dem Alltag heraustreten will, kann man durch ein Schwellenritual in eine Sonderwelt eintreten: Man tritt über eine Schwelle aus dem profanen Leben in eine höhere Welt, wie man in der Kirche in einen Sakralraum tritt. Das war unter den Bedingungen der Moderne eine rituelle Last für die Olympischen Spiele.

Los Angeles 1932 zum Beispiel war dem Totengedenken gewidmet, in Anspielung an das antike Olympia, dem auch eine Feier des toten Gottes Pelops bevorging. 1936 wurde Olympia zu einer religiös-nationalistischen Feier erhöht. München 1972 hingegen hat folkloristisch-bayrische Elemente in den Mittelpunkt gestellt, etwa Leute mit Lederhosen. Dadurch bekam das eine liebenswürdigen, provinziellen Charakter. München eben.

Andere Städte wie Barcelona 1992 haben sich bemüht, historische Elemente (die Geschichte des Mittelmeerraums) in einer Themen-Show darzustellen. In Peking 2008 erlebten wir die Rückkehr zu Massenspektakel mit hochdisziplinierten Darstellern und einer fulminanten Technik-Show. Von London erwartet man sich den Verzicht auf historische und mythische Tiefgründelei, dafür aber Witz, Popkultur, Understatement. Auf jeden Fall eine Mischung der verschiedenen Elemente, durch die Großbritannien immer wieder zu bezaubern weiß (ein Beatle, Fußballmodel, eine Queen, Farmtiere …).“

21:17 Christian Spiller mailt mir gerade: „Truely international hier im Olympiastadion. Rechts neben mir sitzt der Kollege aus Katar, links ein Mexikaner, daneben zwei Scherzkekse aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die ihre Visitenkarte gegen meine Kreditkarte tauschen wollten. Vor mir zwei Italiener, die nicht still sitzen können, daneben drei Nepalesen, die schon ein paar Gigabyte an Fotos geschossen haben. Ich glaube, das ist Olympia. Die ganze Welt auf kleinem Fleck?“

21:00 Aus dem Stadion twittert der Kollege Christian Spiller. Jens Weinreich bloggt von ebenda. Die New York Times stellt die 25 wichtigsten Athleten der aktuellen Spiele vor.

20:48 Der zweiteilige Plan der Eröffnungsfeier sieht folgendes vor: Teil 1 wird durch den Regisseur Danny Boyle („Trainspotting“) gestaltet. In Teil 2 laufen die Nationen ins Stadion ein, angeführt von Griechenland. Anschließend werden wir eine Ein-Satz-Rede der Queen und den Olympischen Eid durch einen Athleten, einen Trainer und einen Kampfrichter hören. Zum Schluss wird die Fackel hereingetragen und das Olympische Feuer entzündet.

Vorbemerkung

Die Olympische Familie reist nach 1908 und 1948 zum dritten Mal nach London. Die angeblich schlechte Laune der Gastgeber scheint gewichen, und es gibt gute Anzeichen, dass es heitere Spiele werden – trotz aller Sicherheitsvorkehrungen und Militräpräsenz und auch wenn der Guardian seinen olympiagefrusteten Usern seine Homepage mit einem Klick ganz ringfrei anbietet.

Es wäre ein begrüßenswerter Kontrast zu den beiden letzten Sommerspielen: 2004 in Athen schienen sich die Gastgeber nur für die heimischen Athleten zu interessieren, die Spiele 2008 litten unter dem Protz einer Diktatur.

Den heutigen Fernsehabend begleitet die Frage: Wer wird die Olympische Flamme entzünden? Als Favoriten handeln die englischen Zeitungen und Buchmacher: Sir Steven Redgrave, erfolgreichster Brite der Olympiageschichte und sechsfacher Sieger im Rudern, Sir Roger Bannister, der Mann, der als erstes die Meile unter 4 Minuten lief, Daley Thompson, der Zehnkämpfer, der Jürgen Hingsen in den Wahnsinn trieb, und David Beckham, dem Verdienste beim Zuschlag für die Londoner Bewerbung zugerechnet werden (und der für seine Nichtteilnahme bei dem Turnier entschädigt werden könnte).

Charmant fänden wir auch, wenn die Engländer einen Flieger aus dem Zweiten Weltkrieg entsenden würden. Aber wenn wir einen Vorschlag machen dürften: Wie wärs mit John Cleese? Der hat zwar sportlich überschaubare Verdienste, kann aber schön laufen und die Fackel auf den letzten Metern sicher würdig zum Ziel bringen:

Wir bloggen die Eröffnungsfeier aus der Berliner Redaktion live. Zu uns stoßen wird ab etwa 21.30 Uhr Gunter Gebauer, der viel gefragte Sportphilosoph. Wir freuen uns auf Ihre Kommentare.

Halt, wir haben noch mal nachgeschaut. John Cleese hat doch eine sportliche Vergangenheit:

 

Olympia-Splitter: Ägyptens Sportler treten in gefälschten Nike-Schuhen an

Eine Überraschung erwartete die ägyptischen Olympioniken. „Die Tasche hat vorne ein großes Nike-Logo, und die Reißverschlüsse sind von Adidas“, twitterte die Synchronschwimmerin Yomna Khallaf, nachdem sie ihre Ausrüstung in Augenschein genommen hatte. Nun flog auf, dass alle ägyptische Athleten für ihre Mission London 2012 mit Nike-Fälschungen ausgestattet wurden. Ob Trainingsanzug, Schuh oder Shirt – alles Fakes.

Eigentlich hätte man von General Mahmoud Ahmed Ali, dem Präsidenten des Ägyptischen Olympischen Komitees, eine Entschuldigung oder wenigstens eine Ausrede erwartet, etwa: „Der Typ am Souk in Kairo hat bei Allah, dem Allmächtigen, geschworen, dass alles echt ist.“ Doch in Wahrheit sagte er: „Mit Blick auf die schwierige ökonomische Situation in Ägypten haben wir uns für einen chinesischen Hersteller entschieden.“ Und (sinngemäß zitiert): Mein Gott, die Dinger kann doch eh kein Mensch unterscheiden.

Die Sache hat jedenfalls einen Haken, deshalb fordert Nike die Ägypter dazu auf, „sofortige Aktionen“ einzuleiten.

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Unter Kontrolle halten die Herren der Ringe vom IOC gerne Fans und Athleten, die ihre Olympia-Erlebnisse in ihren sozialen Netzwerken teilen wollen. Zuschauer dürfen zwar Videos machen, aber nicht verbreiten. Und die Sportler dürfen Facebook und Twitter zwar nutzen, aber nur unter strengen Bedingungen: Aus dem Olympischen Dorf soll nichts nach außen dringen. Dabei würden uns Informationen aus diesem Sperrgebiet besonders interessieren.

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Bei den Sommerspielen von München vor vierzig Jahren ermordeten palästinensische Terroristen elf israelische Athleten. Einer idealen Gelegenheit, diesem traurigen Kapitel der Olympiageschichte zu gedenken, verweigert sich das IOC. Bei der Londoner Eröffnungsfeier am Freitag wird es keine Gedenkminute geben, obwohl sich Hinterbliebene und Politiker wie Barack Obama dies wünschen.

Der IOC-Präsident Jacques Rogge verweigerte sich auch der Frage, ob es antiisraelische Beweggründe für diese Entscheidung gebe. Ankie Spitzer, die Witwe des damals getöteten Fechttrainers André Spitzer, richtete sie an ihn. „Aber Rogge gab mir keine Antwort“, sagte sie enttäuscht dem Jewish Chronicle.

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In Glasgow, zurzeit eine Art Londoner Außenstelle, hat sich gestern jemand etwas Besonderes einfallen lassen, um den nordkoreanischen Humor zu strapazieren, der ohnehin wenig strapazierfähig ist: Vor dem Spiel Nordkoreas gegen Kolumbien zeigte die Stadionregie die Flagge Südkoreas. Mit Südkorea befindet sich Nordkorea bekanntermaßen offiziell im Krieg, daher weigerten sich die Nordkoreanerinnen eine Stunde lang aus Protest, das Spielfeld zu betreten – bevor sie 2:0 gewannen. Inzwischen haben sich die Organisatoren für die Panne entschuldigt. Doch mit Wirkung? „Dear North Korea, when you send over that revenge nuke, remember that they’re Scottish not British“, schrieb ein besorgter Engländer.

CNN hat eine kleine Rangliste der peinlichsten Verwechslungen von Flaggen und Hymnen im Sport erstellt. Zum Beispiel, wie das Schweizer Fernsehen die 1. Strophe der Deutschen Hymne einblendete oder wie Kuwait einer kasachischen Schützin die Hymne des Comedy-Kasachen Borat auflegte:

Auf Twitter sind Nordkorea und IOC zurzeit zwei Trending Topics. Tenor des Zwitschervolks: Die einen schweigen zu politisch Heiklem und kontrollieren Informationen. Die anderen regen sich über eine Fahne auf.

 

Der direkte Vergleich ist gar nicht so leicht

Ab Donnerstag, ab dem Viertelfinale, beginnt das K.o.-System. Da sind die Regeln einfach: Es wird solange gespielt, verlängert und geelfmetert, bis einer heult.

Bis dahin müssen wir noch ein paar mathematische Klimmzüge vollziehen. Am letzten Spieltag der Gruppenphase könnte die Tabelle Kapriolen schlagen, denn es zählte gegebenenfalls der direkte Vergleich. Das hieße, wären die Mannschaften A und B punktgleich, platzierte sich diejenige besser, die das direkte Duell gewönne.

So weit, so einfach.

Kompliziert würde es werden, wenn A, B und C punktgleich wären. Diese Konstellation ist in zwei Gruppen gar nicht unwahrscheinlich, unter anderem der deutschen. Dann gälte nämlich: Es zählten nur die drei Spiele A gegen B, A gegen C und B gegen C. Anders ausgedrückt: Aus der Tabelle würden die Spiele von D gestrichen. Schauen wir uns die möglichen Beispiele an.

Gruppe B

Verlöre Deutschland gegen Dänemark und gewönne Portugal gegen Holland, hätten Deutschland, Dänemark und Portugal je sechs Punkte. Dann würde, sorry liebe Nachbarn, Holland gestrichen. Gleichzeitig käme es auf die Höhe der deutschen Niederlage an. Klar wäre der Fall, fiele sie höher aus als mit einem Tor Unterschied (sagen wir 0:2), dann wäre Deutschland raus, denn dann hätte das DFB-Team ein negatives Torverhältnis (1:0 gegen Portugal, 0:2 gegen Dänemark, machte 1:2), die Portugiesen ein ausgeglichenes (0:1 gegen Deutschland, 3:2 gegen Dänemark, machte 3:3) und die Dänen ein positives (2:3 gegen Portugal und 2:0 gegen Deutschland, machte 4:3).

Es ginge aber noch diffiziler: Gewönnen die Dänen mit einem Tor gegen die Deutschen, hätten alle drei Mannschaften zusätzlich zur Punktgleichheit ein ausgeglichenes Torverhältnis. Dann zählten die geschossenen Tore. Dänemark wäre dabei auf jeden Fall fein raus, denn die zwei Tore aus der Portugal-Niederlage wären Gold wert. Deutschland wäre auf jeden Fall schlechter als Dänemark. Aber nicht unbedingt schlechter als Portugal. Denn verlöre die Löw-Elf 3:4, 4:5 …, hätte Deutschland mehr Tore geschossen als Portugal.

Einen Sonderfall gäbe es: Verlöre Deutschland 2:3, wäre es exakt gleich mit Portugal. Dann gälte wiederum der direkte Vergleich zwischen diesen beiden Team, und den hat Deutschland 1:0 gewonnen.

Die deutsche Gruppe B vor dem letzten Spieltag (Quelle: Wikipedia)

Zusammengefasst, Deutschland ist weiter:

  • bei einem Sieg oder einem Unentschieden gegen Dänemark,
  • bei einer Niederlage mit einem Tor Unterschied, wenn Deutschland dabei mindestens zwei Tore schösse,
  • wenn Portugal Holland nicht schlüge.

In dieser Gruppe träte der direkte Vergleich zwischen drei Teams auch in einem anderen Fall ein, nämlich wenn Deutschland und Holland gewönnen. Dann schlösse Deutschland mit 9 Punkten als Gruppensieger ab, der Rest hätte jeweils 3 Punkte. Dann striche man Deutschland aus der Tabelle. Dänemark schiede mit 3:3 Toren (1:0 gegen Holland, 2:3 gegen Portugal) in jedem Fall aus. Holland zöge als Zweiter tatsächlich noch ins Viertelfinale ein, wenn es Portugal mit mindestens zwei Toren Unterschied schlüge. Portugal flöge raus, Dänemark ebenso.

Gruppe C

Dass die Iren vorzeitig ausgeschieden sind, ist aus musikalischen und emotionalen Gründen sehr zu bedauern. Rein rechnerisch aber ist es begrüßenswert, denn es vereinfacht die Sache in dieser Gruppe ein wenig. Gelänge den Italienern der erste Turniersieg, hätten sie fünf Punkte. Schaffte Kroatien ein Unentschieden gegen den Weltmeister Spanien, lägen auch diese beiden Teams gleichauf in der Punktzahl. Dann würde Irland aus der Tabelle gestrichen, und es blieben drei Unentschieden übrig: Spanien gegen Italien 1:1, Italien gegen Kroatien 1:1, Spanien gegen Kroatien (?). Es käme also auf die Höhe des Unentschiedens an.

Endete auch dieses Remis 1:1 aus, wären alle drei Mannschaften im direkten Vergleich identisch. Dann nähme man Irland wieder in die Tabelle rein (eigentlich eine unwürdige Rolle für Trapattoni, so als Manövriermasse). Spanien gewann 4:0, Kroatien 3:1. Italien müsste, um ins Viertelfinale einzuziehen, also seine Gewohnheit zu 1:0-Siegen ablegen, um wenigstens einen seiner Konkurrenten zu überholen.

Einigten sich Spanien und Kroatien aber 2:2, 3:3 oder höher dann könnten die Italiener so viele Gewohnheiten ablegen wie sie wollen und von Espresso auf Filterkaffee umsteigen. Es hülfe ihnen nichts. Spanien und Kroatien begleiteten sich gegenseitig ins Viertelfinale.

Die Gruppe C vor dem letzten Spieltag (Quelle: Wikipedia)

Die Kritik am Spielmodus

Angesichts dieser Rechenspiele steigt die Kritik am direkten Vergleich (der bei Weltmeisterschaften übrigens nicht gilt): Er bestraft unter Umständen den Stärkeren (Italien könnte, je nach Höhe des möglichen Unentschiedens auf dem anderen Platz, mit einem 1:0 weiterkommen oder mit einem 6:0 ausscheiden). Und er ermöglicht im schlimmsten Fall Manipulationen – oder zumindest Nichtangriffspakte. Dann, wenn beide beteiligten Mannschaften vom Spielstand profitieren.

Die Italiener haben bei der EM vor acht Jahren schlechte Erfahrungen mit der Regel gemacht, als Dänemark und Schweden im letzten Spiel 2:2 spielen mussten, um beide eine Runde weiterzuziehen. Und prompt endete das Spiel 2:2. Die Skandinavier leugneten jedes Kalkül, geschweige denn eine Absprache. Jetzt fürchtet Italien ein Déjà-vu. Dieser Nachteil des direkten Vergleichs lässt sich jedenfalls nicht abstreiten: Er verbreitet Verdacht und Argwohn.

Ergänzungen (19:30 Uhr):

In der Gruppe C könnte es zu einem weiteren Sonderfall kommen: Gewänne Italien 3:1 gegen Irland und remisierten Spanien und Kroatien 1:1, stünden Italien und Kroatien sowohl im 3er- als auch im 2er-Vergleich (sogar ganz ohne Vergleich) exakt identisch. Dann entschiede der Uefa-Koeffizient zu Gunsten Italiens.

Vuffi Raa ergänzt richtigerweise in den Kommentaren: Der Uefa-Koeffizient kann auch heute schon zum Einsatz kommen, wenn Polen zum Beispiel 3:0 gewönne und Russland 0:0 spielte. Dann wäre Russland aufgrund des Koeffizienten Gruppensieger.

 

Verbrüderungen in der Stadt der Kriege

Was gibt es Neues in Danzig? Gestern ist die Stadt grün geworden, denn die Iren sind da. Den historischen Königsweg und alle Cafés und Kneipen der Rechtstadt haben sie zu Hunderten okkupiert, gröhlen singen Chants und Folks. „Stand up for the boys in green!“ Und: „Hey Trapattoni, he used to be Italian, but he’s Irish now.“

Heute Abend geht es für sie in Danzig gegen Spanien, ein hoffnungsloses Unterfangen an und für sich. Aber das betrübt einen Iren nicht. Der feiert immer und mit allen, ob mit Spaniern oder Einheimischen. Mitten in der grünen Traube, sieht man spanische Flaggen und Polska-Shirts. In Danzig, der Stadt, die von vielen Kriegen durchlöchert wurde, verbrüdern sich zurzeit die Gegner.

Ich werde im Stadion sein, das übrigens nicht so einfach zu erreichen ist, wie man sich das vorstellt. Das Stadion selbst ist fertig und sehr schön (wie man es nach der EM verwendet, ist noch eine andere Frage). Darum herum ist aber viel Baustelle. Das bedeutet: viel Laufarbeit.

Gestern schaute ich in der Nähe des ehemaligen Danziger Rathauses (Ratusz Głównego Miasta) inmitten der Iren das Deutschland-Spiel. Man muss sagen, sonderlich interessiert haben sich die Lads nicht dafür, erst als Robin van Persie traf, merkte ich überhaupt, dass sie an dem Geschehen teilnahmen, denn sie jubelten. Marc aus Dublin, den ich nicht nur wegen seines harten Akzents nur schwer verstand, sagte: „F… Gomez! I put money on the Dutch!“

Es war der Abend, an dem Mario Gomez allen zeigte, wie grau alle Fußballtheorie ist, auch meine. Was kümmern den Torjäger Diskussionen um Spiel ohne Ball, Laufarbeit und Pressing, wenn er stattdessen einfach ständig ins Tor schießt? Recht hat alleine er. Andererseits hat sich Gomez vor seinen beiden Toren auch gut bewegt, sich freigelaufen, ist im richtigen Moment dem Gegner entwischt. Liebe Grüße auch von Joris Mathijsen.

Heute morgen saß am benachbarten Fürhstückstisch ein schmatzender, rülpsender (so muss ich das sagen) Ire um die 50. Er freute sich hingegen über die Niederlage der Holländer, weil die, wie er sagt, nun früher ausgeschieden sind als die „Green Boys“, die heute dran sind. Irrtum, Holland ist trotz zwei Niederlagen noch drin.

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Vorgestern feierten die Polska-Fans ihre Mannschaft auf der Fan-Meile in der Nähe der Werft, die Stimmung dort ist friedlich und familiär, ich schätze (vorsichtig), zwölf- bis fünzehntausend Menschen waren da. Nach dem Spiel zogen sie auf den Straßen in die nahegelegene Innenstadt. Das zweite 1:1 im zweiten Spiel war ihnen Grund genug, gegen die Russen waren sie als Außenseiter ins Spiel gegangen. Aber eigentlich war doch mehr drin, oder? Vielleicht verlassen sie sich oder hoffen wenigstens darauf, sich im letzten Spiel gegen die konditionsschwachen Tschechen den Viertelfinaleinzug zu sichern. Im Viertelfinale könnte es in Danzig das Duell mit den Deutschen geben.

Ihre Helden waren an diesem Abend der Ersatzkeeper Przemyslaw Tyton, der sich durch seinen gehaltenen Elfmeter im Griechenland-Spiel einen großen Bonus erspielt hat – bevor er im nächsten Spiel wohl wieder Wojciech Szczesny weichen wird. Jede Aktion Tytons wurde mit Beifall bedacht. Der zweite war natürlich Jakub Błaszczykowski, der schüchterne Kapitän, der ein paar Häuserblöcke weiter überlebensgroß für eine deutsche Modemarke wirbt. Eine hervorragende Figur gab er auch beim Ausgleich ab, das spektakulärste Tor dieser EM bislang.

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Am Sonntag war ich beim Spiel Spanien gegen Italien. Es war ein früher Turnierhöhepunkt, großartiger, wunderschöner Fußball, in der zweiten Halbzeit wurde er zudem dramatisch. Danzig erlebte einen Gipfel südeuropäischer Fußballkunst.

Dabei spielen beide Mannschaften so verschieden. Über Spanien ist ja viel gesagt, aber auch die Italiener haben es mir angetan – nicht erst seit dieser Woche. Es sind die Meister des klugen Verteidigens, und doch haben sie auch immer einen Plan zu gewinnen. Sie spielen keineswegs so destruktiv wie es immer heißt. Das lehrt auch ein Blick in die jüngere EM-Geschichte. 1996 schieden sie unglücklich mit dem Maestro und Offensivguru Arrgio Sacchi aus. 2000 wurden sie des Catenaccios bezichtigt, doch unter Dino Zoff erfanden Francesco Totti und Filipo Inzaghi das schnelle Vertikalspiel nach Balleroberung. Na gut, ob sie es erfunden haben, weiß ich nicht, aber sie haben es erstmals auf eine Spitze getrieben, wenn auch erst nur zu zweit.

Gegen Spanien spielten die Italiener mit einem Libero, Daniele de Rossi. Er spielte das natürlich sehr modern, man nennt das dann Dreierkette. Aber unabhängig davon, mit wie vielen Abwehrspielern die Kette bestückt ist – keine hat das Verteidigen im Raum so verinnerlicht wie die Italiener. Mit langen Bällen ist eine italienische Abwehr kaum zu überraschen, das ist bei allen drin. Offenbar lernen das die Bambini so wie bei uns die Grundschüler das Schwimmen. Müsste man mal checken, ob im Gegenzug die Nichtschwimmerquote in Italien höher ist.

Ich schaue Italien (mindestens) aus zwei Gründen gerne. Erstens aus Trainersicht. Aus ihrem Spiel, ihrer klugen Taktik lässt sich viel lernen. Auch von den Spaniern kann man natürlich lernen, aber so wie sie kann man eigentlich nur spielen, wenn man die entsprechenden Spieler hat. Zweitens kann ich auch dem Verteidigen etwas abgewinnen – ästhetisch, vor allem aber psychologisch. Die Mentalität „Wir lassen uns nichts wegnehmen!“ kann in einer Mannschaft und beim Zuschauen viel Energie freisetzen. Den Italienern ist dieses Jahr wie meist alles zuzutrauen, aber halt auch ein 0:1 gegen Kroatien und ein 0:0 gegen Irland.

Die Spanier sind ja schon ein paar Tage länger hier und bleiben es auch bis nächste Woche, denn ihre Elf trägt dort die gesamte Vorrunde aus. Es sind sehr viele junge Spanier gekommen, von Friedrichshain ist es ja nicht so weit. Sie singen etwas kindlicher als die Iren, aber genauso fröhlich ihr „Yo soy espanol“. Weniger kindlich hörte ich eine Kleingruppe von spanischen Männern skandieren: „Polaca, polaca, yo quiero una polaca.“ Das, hab ich mir versichern lassen, ist im Spanischen keineswegs ein Schimpfwort, aber despektierlich ist es natürlich.

 

Serdecznie witamy w Gdansk!

Seit Montag Abend dieser Woche bin ich in Danzig, zum ersten Mal. Trotz hoher Erwartungen muss ich sagen, dass ich überrascht, wenn nicht gar überwältigt bin von der Schönheit dieser Stadt. Umso mehr, wenn man bedenkt, wer alles an Danzig in all den Jahrhunderten herumgezerrt hat und wie zerstört es nach dem Zweiten Weltkrieg war.

Die Rechtstadt, der historische Kern der ehemaligen Hansestadt, wurde von den Polen in der Fünfziger und Sechziger Jahren in einer beachtlichen Leistung in großen Teilen wieder originalgetreu rekonstruiert. Etwa der Königsweg, das Grüne Tor, das Krantor, das ehemalige Stadttor aus Backstein und Holz und bekannteste Wahrzeichen Danzigs.

Westlicher, gut sichtbar von der Stadtmitte, recken die alten Kräne der Danziger Werft ihre Buckel in den Himmel. Sie haben das gleiche Stehvermögen wie Lech Walesa, Elektriker und Friedensnobelpreisträger, auch wenn sie heute von einem ukrainischen Unternehmen gesteuert werden. In meinen Erinnerungen, meinen ersten politischen, kam Anfang der Achzziger keine Tagesschau ohne den kleinen Schnauzbartträger aus. Walesa war in (West-)Deutschland ein Held. Im heutigen Polen glauben manche den Enthüllungsgeschichten, er sei ein KGB-Agent gewesen.

Aber ich bin ja hier, um über Fußball zu berichten, in erster Linie über die deutsche Nationalmannschaft. Die hat sich hier in ihrem Lager in Oliwa im Danziger Westen naturgemäß gut abgeschottet. Manchmal dürfen Journalisten zwanzig Minuten beim Aufwärmen zuschauen, manchmal bekommt man kurz Gelegenheit, mit einem Spieler zu sprechen. Mit drei Kollegen saß ich diese Woche mit Holger Badstuber am Tisch. Also dem Innenverteidiger, von dem das Trainerteam so schwärmt, der ihrem Ideal durch seine Spieleröffnung so nahekommt.

Wie das gesamte Team macht Badstuber einen gelassen selbstbewussten Eindruck. Das gilt umso mehr für Joachim Löw. Die, die ihn näher kennen, trauen ihm durchaus zu, dass er Lars Bender heute als rechten Verteidiger aufstellt. Das wäre mal eine Trainerentscheidung, Bender hat diese Position noch nie gespielt. Und dann gleich gegen Ronaldo …

Am nächsten sind Anna, meine Kollegin aus dem Print, und ich gestern einem anderen Fußballtrainer gekommen: dem norwegischen Nationaltrainer Egil „Drillo“ Olsen, der für das TV kommentieren wird. Er fuhr mit uns im Taxi vom Stadion in die Innenstadt. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich ihn nicht erkannte, dass ich nicht mal wusste, dass er seit drei Jahren wieder Trainer ist. Ich hatte ihn als Trainer der Neunziger in Erinnerung, obwohl er vor drei Jahren Deutschland mit seiner Elf in Düsseldorf 1:0 bezwang. Immerhin konnte ich einen der Torschützen des historischen 2:1-Siegs Norwegens gegen Brasilien (WM 98) nennen: Kjetil Rekdal. Anna und ich hoffen, dass wir mit der beglichenen Taxirechnung unsere Ignoranz wettmachen konnten, sind aber nicht sicher.

Heute fliege ich mit vielen anderen Journalisten nach Lemberg, das Danzig in nichts nachstehen soll. Ich melde mich von dort, werde vermutlich aber nicht viel von der Stadt sehen, weil der Rückflug auf 2 Uhr nachts terminiert ist. Schnell noch ein paar Eindrücke aus Danzig, auch darin das Krantor und das Denkmal der gefallenen Werftarbeiter, die Säule mit den drei Ankern und Kreuzen.

 

Europäisches Papiergeld als Dämm-, Dicht-, und Heizmaterial

Am Montag haben wir Sie gefragt: Was fällt Ihnen zu diesem Bild ein, das uns am Samstag um 23.30 Uhr zugespielt wurde?

(c) Pete Souza/The White House/Getty Images
(c) Pete Souza/The White House/Getty Images

Uns haben rund 350 Vorschläge erreicht. Unser Sieger ist Max Hoffmann, der dessen wirtschaftspolitische Dimension am besten auf den Punkt gebracht hat: „Die Reportage ‚Europäisches Papiergeld als Dämm-, Dicht-, und Heizmaterial‘ löste bei den Zuschauern differenzierte Reaktionen aus.“ Er gewinnt eine Ausgabe des Buchs Der Fußballlehrer von Malte Oberschelp aus dem Verlag Die Werkstatt. Dafür, Herr Hoffmann, brauchen wir Ihre Adresse. Bitte mailen an online-sport at zeit.de. Wie geht’s hier weiter? Gelegentlich. Achten Sie auf die Aushänge! Vielen Dank fürs Mitspielen.

 

Was fällt Ihnen zu diesem Bild ein?

Liebe Leser! Ihre Kreativität ist gefragt. Was fällt Ihnen zu diesem Bild ein, das uns während des Champions-League-Endspiels aus Chicago zugespielt worden ist?

Pete Souza/The White House/Getty Images
Pete Souza/The White House/Getty Images

Schreiben Sie Ihre Antwort unten in die Kommentarspalte! Der Leser mit dem originellsten Beitrag gewinnt ein Fußballbuch aus dem Verlag Die Werkstatt. Einsendeschluss ist Dienstag, 16 Uhr. Dann geben wir den Sieger bekannt, den eine redaktionsinterne Jury wählt – natürlich völlig willkürlich. Den Rechtsweg können Sie sich übrigens schenken.

 

Bayern München – FC Chelsea 4:5 n.E.

Glückwunsch an Chelsea, sie sind faire Sieger. Aber wie hat es diese Mannschaft geschafft, erst Barcelona auszuschalten und dann dieses Endspiel zu gewinnen? Die Blauen hatten im ganzen Spiel kaum mehr als diese einzige Torchance: Drogbas Ausgleich bei der ersten und einzigen Ecke in der 88. Minute. (Zugegeben, der Kopfball samt Ecke war die beste Offensivaktion des gesamten Spiels.) Torschüsse 35:9, Ecken 20:1. Alle Gesetze außer Kraft, sogar England besiegt Deutschland im Elfmeterschießen. Lahm wird heute unwidersprochen behaupten dürfen, dass Bayern die bessere Mannschaft war.

Drogba, heute ohne Schauspieleinlagen, krönt eine tolle Karriere spät, Lampard, ein echter Sportsmann, und Cech, der bei sechs Elfmetern sechs Mal in der richtigen Ecke war, auch. Das ist diesen Recken zu gönnen. Ist schon seltsam, diese Mannschaft ist lange über den Zenit, sie war mal eine Blue Army, weit besser als heute …

Und die Bayern? Bayern hat aus seiner Überlegenheit zu wenig gemacht, aus seinen Chancen, aus seiner Führung im Spiel und im Elfmeterschießen. Vor allem aus Kontern und Überzahlsituationen, das ist auch eine taktische Frage. Ein Finale dahoam zu verlieren tut weh, sowas kommt ja nicht wieder. Ein weiterer Schmerz in dieser schmerzvollen, obgleich guten Saison. Oder darf man sagen: sehr guten Saison?

Heißt das was für Löw? Der muss die Bayern aufbauen und -fangen. Jetzt verschießt auch noch Schweinsteiger, der Mann mit der Elfmeterpotenz. Ei, ei, ei. Ein Gedanke kam mir heute auch: Hoffentlich ist Klose zur EM fit.

Eine Frage noch: Fand jemand außer mir (Amateur) den Müller-Wechsel seltsam?

Gleich packt sich Abramowitsch den Henkelmann, und das im Wohnzimmer von Uli Hoeneß. Der Fußballgott ist tot, Nietzsche hat Recht. Innerhalb von sechs Tagen gewinnen die Turbokapitalisten aus Manchester und London zwei große Titel. Ist das der Höhepunkt der neoliberalen Fußballepoche?

Beckenbauer über Abramowitsch: „Das ist ein ganz bescheidener Typ.“ Was soll man dazu sagen?

Was sagt eigentlich Birgit Homburger?

Eine Reportage und einen Kommentar lesen Sie hier am Sonntag.

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Olympique Lyon – 1. FFC Frankfurt 2:0

Endstand Lyon-Frankfurt 2:0 Verdienter Sieg für Lyon, Frankfurt war nur die ersten zehn Minuten dominant. Die Französinnen waren technisch überlegen, passsicherer, zweikampfstärker und schneller.

Die beiden eher kuriosen Tore sind nicht repräsentativ für die Überlegenheit Lyons. Die Frankfurterinnen hatten zwar auch eine Handvoll Chancen, vergaben sie aber recht harmlos.

Die Saison geht für den 1. FFC also titellos zu Ende. Das ist enttäuschend angesichts des Budgets, das der Macher Siggi Dietrich zur Verfügung stellt. Allerdings muss man sagen, dass sich Frankfurt heute gegenüber der Vorwoche, dem Pokalfinale, gesteigert hat. Lyon ist nun mal eine große Nummer im Frauenfußball und verteidigt den Champions-League-Titel souverän.

Nach dem WM-Aus im Viertelfinale 2011 ist das ein weiterer Rückschlag für den deutschen Frauenfußball. Der war lange unangefochten die Nummer Eins in Europa. Die drei Vorgänger von Lyon waren drei deutsche Vereine: Duisburg, Frankfurt und Potsdam. Doch Lyon hat ihnen den Rang abgelaufen.

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