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Der letzte Aufmarsch

 

Der Tag der deutschen Zukunft war eine der größten Neonazi-Demonstrationen des Landes. Jetzt ist Schluss damit. Am Niedergang lässt sich die Spaltung der rechten Szene ablesen.

Von Henrik Merker

Tag der deutschen Zukunft
Teilnehmer der rechtsextremen Demonstration in Worms © Henrik Merker

Seit mehr als einem Jahrzehnt war der Tag der deutschen Zukunft (TddZ) ein fester Termin im Kalender der rechtsextremen Szene. Einmal im Jahr trafen sich Neonazis zu Hunderten in verschiedenen Städten, zogen mit Fahnen und Bannern durch den Ort, umringt von Polizisten und Gegendemonstranten. Das schweißte zusammen. Bis die Strahlkraft der rechten Veranstaltung nachließ.

Wie stark, das hat sich am Samstag im rheinland-pfälzischen Worms gezeigt: Der Versuch der Szene, die Straßen der Stadt für ihre Parolen in Beschlag zu nehmen, ist gescheitert. Was einmal ein Massenevent war, zog diesmal knapp 60 Teilnehmer an. Flankiert wurden sie von Tausenden Protestierenden, die die Aufmarschroute blockierten.

Das Ende eines Szenetreffens

Die Neonazis konnten nur 360 Meter laufen, dann mussten sie zum Hauptbahnhof umkehren. Der niedersächsische Neonazi Dieter Riefling, in den vergangenen Jahren bereits Hauptorganisator der Aufmärsche, sprach auf der Abschlusskundgebung vom „vorläufigen Ende“ des TddZ. Bereits Mitte Mai hatten die Veranstalter angekündigt, dies werde der letzte Aufmarsch aus dem „überparteilichen Zusammenschluss“ sein.

Tag der deutschen Zukunft
Am Hauptbahnhof blockierten Kundgebungen von Gegendemonstranten die Straßen. © Henrik Merker

Ursprünglich sollte die seit 2009 abgehaltene Demonstration Neonazis aus NPD und Kameradschaften enger zusammenbringen. Nachdem sich 2012 die neonazistische Kleinpartei Die Rechte und 2013 Der III. Weg gründeten, wurde der Marsch als Vernetzungstreffen konzipiert. Das mehrfach drohende NPD-Verbot und diverse Skandale in den eigenen Reihen hatten zur Zersplitterung der Szene beigetragen.

Gradmesser der Spaltung

Trotz solcher Vorzeichen war der TddZ ein Erfolgsprojekt der Szene: 2016 kamen in Dortmund noch rund 1.000 Neonazis. Doch in den Folgejahren brach das Interesse ein. In Dortmund ist Die Rechte tonangebend. Deren Bundesvorsitzender Sascha Krolzig war am vergangenen Donnerstag zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Krolzig war in den vergangenen Jahren mehrfach Redner beim TddZ.

Die Partei hatte sich 2017 mit ihrem Gründer Christian Worch überworfen. Dieser wiederum hielt beim diesjährigen Aufmarsch eine Rede. Dass der im Ruhrgebiet so schlecht gelittene Worch in Worms einen großen Auftritt bekam, hielt vermutlich viele Dortmunder Neonazis ab, mitzudemonstrieren. Das vermeintliche Einigungstreffen ist eher zum Gradmesser Spaltung innerhalb der Neonazi-Szene geworden.

Den Erfolg haben andere

Daran hat auch die AfD ihren Anteil. Sie vertritt Versatzstücke rechtsextremer Ideologie und erreicht eine breitere Zielgruppe. Das ist den Neonaziparteien zum Verhängnis geworden.

Sie bewegen sich nun verstärkt im vorpolitischen Raum, sind erfolgreicher mit Kampfsportevents und Konzerten. Genau wie die konkurrierende neurechte Szene haben einige der klassischen Neonazis Zeitungsprojekte und Magazine geschaffen, sie bieten Podcasts und Internetradios an und haben eigene YouTuber wie den als Volkslehrer bekannten Nicolai Nerling, der auch die verschwörungsideologischen Proteste gegen die Corona-Schutzauflagen stark beeinflusst.

Altkader wie Dieter Riefling und Christian Worch haben derweil keine neuen Konzepte anzubieten. Aufmärschen in Reih und Glied mit Fahnen in den Farben des Deutschen Reichs sind selbst jahrelangen Anhängern zu altbacken.