Blues, Soul, Progrock, Schwurbelpop – immer her damit! The Fiery Furnaces aus New York und sind für ausgetüftelten Irrwitz und hinreißende Melodien zu haben
Musik beschreiben, ohne sie zu kennen – geht das? Klar! Das hat schon im vergangenen Jahr der Band Kopfhörer bewiesen, in dem 48 Popautoren Platten rezensiert haben, die ihnen noch nie zu Gehör gekommen waren.
Mittlerweile bitten Musiker selbst um ein taubes Urteil, wie beispielsweise The Fiery Furnaces. Auf der Internetseite des New Yorker Geschwisterduos findet sich eine Reihe von sogenannten deaf descriptions – Rezensionen, zu denen Matthew und Eleanor Friedberger ihre Fans ermuntert hatten, bevor diese auch nur einen Ton vom neuen Album hören konnten.
Die schönste Kritik stammt von einem Autor, der sich Bryan Adams nennt. Sie beginnt mit pseudophilosophischen Ausführungen über die Bezüge zwischen dem Charakter der Band und dem chemischen Prozess, der der Herstellung von Käse zugrundeliegt. Das ist natürlich Quatsch mit Soße, und doch könnte der Einstieg kaum passender sein. Schließlich haben The Fiery Furnaces den Ruf, komplizierte Musik für Spinner zu machen – also ziemlich exakt das Gegenteil vom echten Bryan Adams.
Bei aller Sperrigkeit wissen Matthew und Eleanor Friedberger genau, wie man größere Hörerscharen um den Finger wickelt. Ihre Alben sind in der Regel randvoll mit hinreißenden Popmelodien. Der Haken ist nur: Immer wenn so etwas wie Gemütlichkeit einzukehren scheint, stolpern Eleanors Wortkaskaden davon, ihr Vortrag kippt ins Kurzatmige oder der Bruder fuhrwerkt mit kakofonischen Ausbrüchen und abrupten Tempowechseln dazwischen. Ein bisschen Spaß muss sein.
Die Ereignisdichte in Liedern der Fiery Furnaces ist beeindruckend. Wer es mit der Band nicht so gut meint, den mag sie auch einfach nur nerven. LoFi-Pop, Pianobar-Blues, klassische Soulballaden, Prog-Geschwurbel, Erwachsenen-Rock der Siebziger? Immer rein damit! Einfälle, die andere auf vier, fünf Alben verteilen, werden hier in vier, fünf Minuten gestopft. Dazu Texte über das vietnamesische Telefonministerium, ägyptische Grammatiklexika oder entlaufene Hunde – fehlt nur noch ein Lied über die chemischen Prozesse bei der Käseherstellung.
Kommt vielleicht noch. Auf I’m Going Away, dem je nach Zählweise sechseinhalbten, siebten oder achten Album der Band, ist es jedenfalls nicht vertreten. Wie klingt die Platte denn nun eigentlich? Wirklich so, wie es der Großteil jener Rezensenten, die sie noch gar nicht kannten, herbeifantasiert hat? Nach der gewohnten Ladung ausgetüftelten Irrwitzes also?
Es ertönen, welch Überraschung, zwölf Songs, die man fast schon konventionell nennen könnte. Eine Komposition, so luftig wie die Klavierballade The End Is Near, hat man von den Geschwistern Friedberger selten zuvor gehört. Und im nicht minder betörenden Lost At Sea spielt Matthew gar Piano, als führte ihm der junge Elton John die Hand. Eleanor sinniert derweil gedankenverloren über das Ende einer Beziehung; es sind eher schlichte Geschichten, die sie auf I’m Going Away erzählt. Meist drehen sie sich ums Weggehen und Unterwegssein.
Das Sprunghafte, Unstete, Überkandidelte in der Musik bleibt dennoch allgegenwärtig, selbst in Hits wie dem boogieesken Charmaine Champagne. Nur ist die Dosierung jetzt allgemeinverträglicher, und der Wahnsinn lauert oft unter der Oberfläche. Einen Gang zurückschalten, bevor die Exzentrik zur Routine wird – das ist das Rezept. In diesem Sinne klingt I’m Going Away kaum weniger gewagt und eigen als die vorangegangenen Alben.
Die Fiery Furnaces sind eben immer die Fiery Furnaces, Bryan Adams hat es ja schon vorher gewusst. Doch so amüsant er das auch beschrieben haben mag – anhören sollte man sich I’m Going Away trotzdem. Unbedingt. Sonst entgeht einem ein noch größeres Vergnügen.
„I’m Going Away“ von The Fiery Furnaces ist auf CD, LP und als Download bei Thrill Jockey/Rough Trade erschienen.
The Fiery Furnaces im Konzert: 28.9. Münster, 29.9. Hamburg, 30.9. Berlin
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