Das schwedische Duo Minilogue zaubert Technoides aus alten Hüten. Leise wummern die Ambientfantasien mit großem Panorama, allerlei Viechern und übersinnlichen Kräften.
Im Film Die Reifeprüfung mit Dustin Hoffman gibt es diese wunderbaren Szenen vor dem Aquarium in Benjamins Zimmer und im Swimmingpool der elterlichen Villa. Der heimgekehrte Sohn und erfolgreiche College-Absolvent starrt in die Stille seines Aquariums, angeödet von Moral und Luxus zwischen weiß lackierten Möbeln, weltfremd unter der ewig verschwenderischen kalifornischen Sonne. Er dümpelt mit Luftmatratze oder im Tauchanzug durch den Pool, unter Wasser ist Schweigen, die einzige ihm erträgliche Antwort auf die innere Leere. Und die späteren Poptroubadoure Simon & Garfunkel schmettern The Sound of Silence dazu.
Könnte man den Subtext dieser Szenen zwischen den Liedzeilen und Filmbildern herauslösen und in eine instrumentale Zweitstimme übersetzen, er klänge wie die Musik von Minilogue. Sie verweben den Schrei der Stille zu einem fliegenden Teppich aus Minimal-Techno, bunt wie eine Popballade, organisch wie manches Geräusch in der Musique Concrète, elektronisch strömend, schwebend und fantastisch wie Ambientmusik.
Aus der Underground-Szene Malmös kommen Minilogue, bisher haben sie ihre implosiven Clubhits auf Labels wie Wagon Repair und den Kölner Traum Schallplatten veröffentlicht. Das Doppelalbum Animals ist nun beim Geldadel der Clubkultur, bei Cocoon Recordings, erschienen.
Wenn zu Beginn Yesterday Bells geläutet werden, muss das wohl etwas zu bedeuten haben. Die erste CD kündet zunächst von dem, wofür die zwei Schweden seit Jahren im kleinen Kreis bekannt sind. Ihre angenehm weiche Vierviertelgrundierung mit den minimalen Farbklecksern passen genau ins Bild der frühen Neunziger-Elektronika. Alles bloß Nostalgie?
Da kommen Minilogues Erfahrungen ins Spiel – und die Tiere! Sebastian Mullaert lernte klassische Instrumente und gab schon als Achtzehnjähriger Geigenunterricht, später machten er und Marcus Henriksson sich als Trance-DJs Namen. Im zweiten Stück Cow, Crickets And Clay wird ein tiefergelegtes »Muuuhh« als künstliche Synchronstimme eingesetzt, ein comicartiger Ausreißer aus dem Gleiten in minimaler tänzerischer Euphorie. Das Giant Hairy Super Monster trifft auf die »Sicht eines Jonglierballs« und seltsame Fantasiewesen, die Minilogue als visuelle Gestaltung ihrer Musik verstehen und in Hüllenentwürfen und kleinen Videos auch auf ihrer Website präsentieren.
Musikalisch ist das dem Schaffen des ehemaligen Kölner Labelkollegen Dominik Eulberg nicht unverwandt, doch wo seine Flora und Fauna trotz Naturthema die nervöse Unruhe urbaner Klangprägung nicht leugnen kann, strahlen Minilogues Stücke nordische Gelassenheit jenseits der Tag- und Nachtgleiche aus. Stets klingen die Rhythmen nach einem flotten Spaziergang mit den Händen in den Hosentaschen, wie ein verträumter junger Kerl, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Das ist die Intimität, die ein Blick zurück – vorbei am Sehen und Gesehenwerden auf dem Tanzboden – braucht, um mit altmodisch quäkendem Keyboardgeleier und knisternder Basstrommel neu zu überzeugen.
Leise sumsen 33.000 Honeybees, eigentlich hört es sich nur nach einem Bienchen an, ein in Zeitlupe angeworfener winziger Flugmotor, Rotorblätter aus Elfenlicht. Bei den elektronischen Quietschern und Knursplern geht es weniger um das Geräusch in seiner analytisch differenzierbaren Künstlichkeit, als um das sinnliche Hineinhören in Stimmfrequenzen, Lautbildungen, Vokalverschiebungen. Es sind die Bewegungen eines Insekts durch die Lupe betrachtet, außerhalb des Zeitflusses. Besonders in den Stücken der zweiten CD ist das Zeitgefühl aufgehoben, wandelt der Hörer auf wallenden Synthesizer-Glissandi durch übereinandergelagerte Erinnerungen und ständig ihre Form auflösende Zeiträume. Eine Steel Guitar weht aus der Ferne durchs offene Fenster, wie weggezoomt ist plötzlich die Lupe, und riesige Panoramen öffnen sich im Hörkino der Stücke Windows, City Lights, In The Shade Of The Sun und Even The Wind Seemed In Deep Sleep.
Die tatsächliche Bildabfolge in den Videoclips zu Old Water und Hitchhiker‘s Choice läuft dafür genau umgekehrt zum musikalischen Effekt relativ zu schnell. Aus Minilogues defokussierendem Blickwinkel verschwindet das Essenzielle so flink, wie die gezeichneten Comictierchen ihren Charakter wechseln und die Bildchen umblättern. In dem Stück Six Arms And One Leg fabuliert eine Stimme im Tonfall des Erzählers aus dem Skandalhörspiel War Of The Worlds von Tieren mit sechs Armen und nur einem Bein. Sie sind ohne Augen, und doch nicht blind, sie stehen im Licht und sind doch unsichtbar. Auch in Kinderbilderbüchern wird durch Umklappen nur einer Bildhälfte aus dem Schwein und der Kuh ein fantastischer Zwitter – Minilogue spielen auf ähnliche Weise mit dem Wesen des scheinbar Lebendigen und seinem Verhältnis zur elektronisch erzeugten Kunst.
„Animals“ von Minilogue ist als Doppel-CD und Doppel-LP (mit ausgewählten Stücken) erschienen bei Cocoon Recordings.
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