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Aktueller Wahlkampfwasserstand: Ruhe vor dem Sturm

Das Fahrwasser ist aktuell noch ziemlich ruhig – vor allem wählerseitig ist der Wahlkampf noch vergleichsweise weit weg. „Die Ferien, nicht die Wahlen sind wichtig“, könnte man sagen. Online-Umfragen im Vorfeld der Europawahl haben gezeigt, dass bislang kaum eine Politisierung der Wählerschaft zu beobachten ist. Nur jeder fünfte Wähler hat sich demnach für den Europawahlkampf interessiert. Auch seit dem lassen sich keine Anzeichen zunehmender Politisierung finden.

Aber: Das ist eher die Ruhe vor dem Sturm: Die Parteien (und auch die Wähler) rollen sich erst langsam warm – ganz wie bei einer Flachetappe der Tour de France (die Europawahl wäre demnach etwa ein eher müder Zwischensprint oder aber eine Bergwertung der Kategorie 4 gewesen). Die Musik spielt dabei am Ende – und so wird es auch dieses Mal sein: In der gleichen Umfragen vor der Europawahl sagen rund zwei Drittel der Befragten, dass der Ausgang der Bundestagswahl für Sie wichtig ist. Ein Politisierungspotenzial ist eindeutig vorhanden.

Dass moderne Wahlkämpfe erst spät in Fahrt kommt (und auch immer Wähler sich erst spät entscheiden), zeigt auch ein Blick zurück auf die Wahl 2005. Erst mit dem TV-Duell zwei Wochen vor der Wahl hat die SPD ihren Wahlkampf (und ihre Attacken v.a. auf Kirchhof) massiv intensiviert – und damit ist es ihr gelungen, eigene Anhänger zu mobilisieren und ihre Aufholjagd zu beschleunigen. Umfragen aus dem damaligen Wahlkampf zeigen, dass die Wähler – nach eigenen Angaben – sich spät entschieden haben: Jeder zehnte Wähler hat sich erst am Wahltag selbst entschieden; insgesamt ein Viertel der Wähler in den Tagen vor der Wahl (einschließlich des Wahltags). Die Aufholjagd der SPD ebenso wie das überraschend starke Abschneiden der FDP, das waren beides Ergebnisse sehr später Bewegungen.

Allerdings ist die Situation für die Regierungsparteien – und hier insbesondere für die SPD, die aktuell sicherlich noch den größten Mobilisierungs- und Überzeugungsbedarf hat – schwieriger als 2005: Es ist ein schmaler Grat zwischen Mobilisierung und Kabinettsdisziplin, Wahlkampf und Regierungskooperation. Die Politisierung von Themen fällt ihr bislang schwer und man darf gespannt sein, wie sich die SPD hier thematisch und personell in den kommenden Wochen aufstellt, um diesen Balanceakt zu meistern. Je näher der Wahltag aber rückt, umso legitimer wird es, Wahlkampf zu führen. Das Unbehagen, das auf allen Seiten – Parteien, Medien, Wählern – sowohl im Kontext von Arcandor als auch jetzt im Zuge von Krümmel noch zu beobachten ist, wird dann nachlassen. Der Wahlkampf wird in Schwung kommen – und die Wähler werden bereit sein.

 

Der Parteitag der Linken – keine Krisenlösungskompetenz in Sicht

Die Vorzeichen des Parteitages der Linkspartei waren einigermaßen paradox: Die Linken möchten die Krise nutzen, derzeit aber kriselt die Linke selbst. Unermüdlich prangert man das Scheitern der „neoliberalen“ Politik der Regierungsparteien an, die das Land in die Krise gestürzt habe – das Kernthema der Linken schlechthin. Und doch stagnieren die Umfrageergebnisse.

So ging es dieses Mal mehr um das Demonstrieren von Zusammenhalt und Einigkeit, als darum, Wahlkampfstimmung zu machen. Wieder so ein Parteitag also, auf dem man einander bestätigt und sich auf die kommende Zeit einschwört. Ob es Lafontaine & Co. aber gelingt, nur durch das Anreißen der heiklen Themen und ohne klare Lösungskonzepte die Sympathisanten und Wähler hinter sich zu bringen, ist fraglich.

Sicherlich: Personen (und ihre Redekraft) sind im medialen Zeitalter wichtig, darauf wurde auch gerade in diesem Blog schon häufiger hingewiesen – aber es ist auch die wahrgenommene Problemlösungskompetenz des Kandidaten, die für den Bürger ausschlaggebend ist. Und hier punktet die Linke zu wenig – es sind ihre Themen, die in der Krise gefragt sind, und eigentlich auch ihre Lösungskonzepte: Mindestlohn, Reichensteuer, die Änderung der Hartz-IV-Gesetze. Interessanterweise (aus Sicht der Linken: fatalerweise) wird aber die Lösung der sozialen Probleme eher der großen Koalition zugetraut.

Was ist die Konsequenz dessen? Mehr Drama vielleicht? Wirtschaftliche Schreckensszenarien könnten die Wähler von den Regierungsparteien abwandern lassen und der Linkspartei Stimmen bringen. Oder mehr Sachlichkeit? Moderate Haltungen zu bestimmten Themen könnten die Partei – auch mit Blick auf die Landtagswahlen am 30.8. – koalitionsfähig und damit wählbar erscheinen lassen.

Beide Varianten wurden auf dem Parteitag angetestet, das Wahlprogramm ist eine Kompromissformel. In den kommenden Wochen und Monaten muss die Partei jedoch Farbe bekennen, denn es ist offenkundig, dass das bloße Thematisieren und Artikulieren von Missständen nicht ausreicht. Es gilt für die Parteiführung nun, substanzielle Richtungsentscheidungen zu treffen – darin muss sie sich noch bewähren.

 

Vor dem Wahlparteitag der SPD: Vergleich der Stimmungen 2005 und 2009

Die SPD gilt als Kampagnenpartei, also als eine Partei, die im Wahlkampf an Fahrt gewinnt und auf der Zielgeraden mit dem politischen Gegner aufholt. Dies haben wir in den Jahren 2002 und 2005 recht eindrucksvoll erlebt. Allerdings sind die Ausgangsbedingungen heute deutlich schwieriger als 2009 und das liegt u.a. an der Kanzlerin! Schauen wir uns die Zahlen hierzu kurz an.

Die Stimmung 2005, also kurz vor dem Wahlparteitag der SPD Ende August, und einen knappen Monat vor der Wahl lagen die Sozialdemokraten bei der Sonntagsfrage 29%, die CDU/CSU bei 42% Prozent.

Allerdings, und das ist der zentrale Unterschlied, lag Kanzler Schröder in seiner Gunst deutlich vor seiner Herausforderin Angela Merkel: 48% zu 41%. Auf dem Wahlparteitag – wir erinnern uns – spielte Schröder dann auch erfolgreich die negative-campaigning-Karte mit Paul Kirchhoff, dem Professor aus Heidelberg.
Was ist 2009 anders? Die SPD stürzt in ein erneutes Umfragetief mit 22 %, bei der Sonntagsfrage erlangt sie nur 25% – und sie profitiert nicht von der im Vergleich zu 2005 schwächeren CDU. Und der Retter ist eben nicht in Sicht und das ist der große Unterschied zu der Situation 2005: der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier liegt mit 29% im direkten Vergleich deutlich hinter seiner Chefin Angela Merkel, für die 58% der Befragten votieren.

Und auch mit der Waffe „negative campaigning“, die 2005 auf dem Wahlparteitag noch voll zur Geltung kam, wird Steinmeier wohl vorsichtig umgehen, denn das zu Guttenberg-bashing kam beim Wähler nicht gut an.
Was kann ein Wahlparteitag hier ausrichten: Steinmeier kann mit einer Blut- und Schweißrede die eigenen Leute einschwören, hinter sich bringen, eine solche Rede kann durchaus eine Strahlkraft entfalten – ob ihm dies gelingt und wenn ja wie werden wir heute sehen.

 

Mission gescheitert: Zur Wirkungslosigkeit von EU-Informationskampagnen

Bei den heutigen Wahlen zum Europäischen Parlament ist einmal mehr zu erwarten, dass die Wähler weg bleiben. Letzte Umfragen gehen davon aus, dass in Deutschland wie schon 1999 und 2004 eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent geben wird.

Mit dem Ziel, Wähler von der Bedeutung der EU und der anstehenden Wahlen zu überzeugen, hat zum einen die Europäische Union, zum anderen das bayerische Europaministerium Informationskampagnen gestartet. Während die EU-Kampagne durch ihr Budget beeindruckte – insgesamt 18 Millionen Euro wurden für Großinstallationen, Werbeplakate und Spots ausgegeben – sollte die Bayern-Initiative mit dem Motto „Europa – was geht“ in erster Linie junge Wähler ansprechen. Dafür wurde eigens Commedy-Star Oliver Pocher engagiert, der in einem mehr als 4-minütigen Spot in seiner Rolle als „Straßen-Kobra“ versuchte, mit einem entsprechenden Slang den Nerv der Jugendlichen zu treffen.

Dass die Kampagnen ihr Ziel erreichen konnten, muss aber bezweifelt werden. In einer von Dr. Jürgen Maier, Prof. Dr. Michaela Maier (Universität Koblenz-Landau) und Dr. Silke Adam (FU Berlin) durchgeführten Experimentalstudie unter Studierenden der Universität Koblenz-Landau zeigten sich für keinen der beiden Werbespots mobilisierende Effekte. Einer Gruppe von 23 Studierenden wurde der im Rahmen der EU-Kampagne produzierte 32-Sekunden-Fernsehspot gezeigt. Eine zweite, 45 Studenten umfassende Gruppe wurde der Pocher-Spot gezeigt . Anschließend wurden die Probanden zu europapolitischen Themen befragt und ihre Ergebnisse mit einer 25-köpfigen Kontrollgruppe verglichen, die keinen der beiden Spots gesehen hat. Nach Kontrolle von Geschlecht und politischem Interesse zeigten sich weder hinsichtlich der Wahlbeteiligungsabsicht noch hinsichtlich der Bereitschaft, sich auch nach der Europawahl aktiv über die EU informieren zu wollen, statistisch signifikante Gruppenunterschiede. Das Ziel, junge Wähler für Europa zu interessieren und ihre Bereitschaft zu vergrößern, sich an der anstehenden Europawahl zu beteiligen, haben die Kampagnen somit offenbar verfehlt.

Die fehlende Reaktion der Probanden ist plausibel, denn die Spots geben kaum Aufschluss, warum es wichtig sein sollte, sich mit europäischen Themen zu beschäftigen oder heute zur Wahl zu gehen. Dass passt ins Bild, denn auch die Werbebemühungen der politischen Parteien sowie die Medienberichterstattung der Massenmedien signalisieren dem Wähler durch ihren konsequente Ausblendung von EU-Themen, dass die Europawahlen eigentlich nicht wichtig sind. Jüngster Beleg hierfür ist der fehlende Hinweis auf den Titelseiten der heutigen Sonntagsausgaben der Tageszeitungen, dass heute Europawahl ist. Wenn die Wähler deshalb 2009 erneut mehrheitlich zu Hause bleiben, wäre dies eigentlich ein Anzeichen dafür, dass Wähler durchaus vernünftig agieren – und ihre Zeit lieber in wichtiger Dinge investieren als in den Gang zum Wahllokal.

 

Dialogorientierte Wahlkreiskommunikation mal anders – Ein Ausschnitt aus der Kampagnenarbeit der Grünen im Rahmen der Europawahl 2009

Die Wahl für das Europaparlament steht vor der Tür. Jetzt gilt es, letzte Wählerstimmen für sich zu gewinnen. Die Kandidaten für das Europaparlament gehen deshalb gerade in der letzten Phase des Wahlkampfes mit den Wählern auf Tuchfühlung. So präsentierte sich der SPD Spitzenkandidat Martin Schulz jüngst mit Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering auf Kundgebungen in Berlin und Hamburg, aber auch das Aushängeschild der FDP, Dr. Silvana Koch-Mehrin, spricht zusammen mit Guido Westerwelle zu den Bürgern. Der direkte Kontakt vor Ort mit den Bürgern kann eigene Anhänger mobilisieren oder gar Unentschlossene bzw. nicht Informierte für die eigenen Reihen gewinnen. Zentral ist hierbei jedoch, wie effizient diese Kommunikation gestaltet ist.

Effizient im Sinne von geeigneten Themen und Settings für die jeweilige Wählerzielgruppe, die angesprochen werden soll.

Im Rahmen des Wahlkampfes für die letzte Wahl zum Europaparlamant 2004 haben vor allem die kleinen Parteien FDP und Grüne vorgemacht, wie man Wähler überzeugt, und konnten so ihre Stimmenanteile von 3 % auf 6,1 % (FDP) bzw. von 6,4 % auf 11,9 % (Grüne) erhöhen. Dabei schreiben Experten diesen Stimmenzuwachs nicht zuletzt ihren innovativen und europabezogenen Kampagnen zu.

Auch in diesem Europawahlkampf liefert die Kampagnenarbeit der Grünen wieder ein Beispiel für ambitionierten Wahlkampf, nah am Bürger. Die Grünen-Kandidatin Franziska Brantner, die als junge Politikerin vor allem ihre Zielgruppe bei den Studierenden hat, setzt in ihrem Wahlkampf auf zielgruppen- und dialogorientierte Wahlkreiskommunikation, indem sie ihre potentielle Wählergruppe direkt vor Ort „abholt“. Im Rahmen von „Europe lunches“ in Uni mensae in ihrem Wahlkreis oder Radtouren sowie „speed dating“, bei dem die Kandidatin wechselnden Fragestellern Rede und Antwort steht, präsentiert sich die Kandidatin in direkter Augenhöhe mit ihrer Wählerzielgruppe und gibt etwa Antworten auf Fragen zur Energiepolitik der Grünen in Europa oder einfach zum Wahlsystem für die Wahl zum Europaparlament. Der Wähler steht hier im Mittelpunkt und erhält ungefilterte Antworten auf seine Fragen. Das ist für die Mobilisierung und Überzeugung der jungen Wähler entscheidend, geben doch gerade die Nichtwähler in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen als Hauptgründe für ihre Stimmenthaltung „das fehlende Wissen über das EP“ oder aber „fehlende Informationen zur Wahl“ bzw. „MEP vertreten sie nicht ausreichend“ an.

Teilnahmebereitschaft an den Europawahlen

Angaben in Prozent, Quelle: Spezial Eurobarometer 299.

Der Einfluss all dieser genannten Gründe für die Stimmenenthaltung kann jedoch von Seiten der Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament durch direkten Kontakt mit den jungen Wählern minimiert werden. Sich mit kritischen Fragen auseinandersetzen aber auch direkt über die Arbeit des Europäischen Parlaments und seiner Abgeordneten zu informieren kann der Schlüssel zu einer höheren Wahlbeteiligung vor allem bei der jüngeren Wählerschaft sein. Mit ihren neuen, unkonventionellen Wahlkampfmethoden schlägt die junge Grünen-Kandidatin offensichtlich genau in die Kerbe, der es bedarf, um ihre Zielgruppe am kommenden Sonntag in die Wahllokale zu locken.

 

27 nationale Nebenwahlen

Das Paradox ist bekannt: Seit Mitte der 1980er Jahre hat das Europäische Parlament mit jeder Reform der Verträge an Bedeutung gewonnen. Von einem weitgehend machtlosen Konsultativorgan hat es sich zu einer Institution entwickelt, die innerhalb des sogenannten „Ersten Pfeilers“ der Europäischen Union die Vorlagen von Kommission und Ministerrat modifizieren und blockieren kann, über die Verwendung eines substantiellen Teil des EU-Budgets entscheidet und bei der Wahl des Kommissionspräsidenten über ein Vetorecht verfügt. De facto bedürfen auch jede Aspirantin und jeder Aspirant für die übrigen Posten in der Kommission der Zustimmung des Parlamentes, wie einige Kandidaten leidvoll feststellen mussten.

Dennoch wird auch die siebte Direktwahl zum mächtigsten supranationalen Parlament der Erde weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Seit der ersten Direktwahl des Europaparlamentes ist die Wahlbeteiligung kontinuierlich von knapp 63 auf knapp 46 Prozent gefallen. Schätzungen auf Basis der Eurobarometer-Umfragen gehen davon aus, dass in diesem Jahr die Wahlbeteiligung erstmals unter 40 Prozent sinken könnte. Trotz der objektiven Machtzuwächse des Parlamentes und der stetig steigenden Bedeutung der europäischen Ebene für die Politik gelten Europawahlen mehr denn je als „Nebenwahlen“, bei denen die Wähler mit ihrer Stimme experimentieren und ihrer Unzufriedenheit mit der nationalen Regierung durch Nicht- oder Protestwahl Ausdruck verleihen.

Die Politik leistet dieser Wahrnehmung Vorschub: In Ermangelung europäischer Medien, einer europäischen Öffentlichkeit oder auch nur genuin europäischer Parteien finden bis zur ersten Juniwoche – nicht einmal der Wahltermin liegt einheitlich fest – 27 nationale Wahlkämpfe statt, die häufig nur sehr wenig mit Europa zu tun haben. Besonders schön ließ sich dies bei den Plakaten zur Europawahl 2004 beobachten. Die CDU, immerhin die Partei Konrad Adenauers, drängte damals darauf, die Bundesregierung abzulösen, und führte ihren Europawahlkampf unter dem Slogan „Deutschland kann mehr – bei Rot-Grün läuft was falsch“, während die Grünen flächendeckend den damaligen Bundesaußenminister Fischer plakatierten, der überhaupt nicht zur Wahl stand.

Auch im Jubiläumsjahr 2009 lohnt sich der Blick auf die Gestaltung der Plakate zum Europawahlkampf. Die mittlerweile zur Regierungspartei avancierte CDU stellt ihre diesjährige Kampagne unter das Motto „Wir in Europa“ und tritt bereits in der Gestaltung deutlich europäischer auf als bei der letzten Wahl. Anders als 2004 sind die Plakate durchgängig in europäischem Blau gehalten, das häufig mit den goldenen Sternen der Europaflagge kombiniert wird. Die Texte beschränken sich auf ein Minimum und beziehen sich auf die Kernthemen der Union (Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum, Sicherheit), die in einen vagen Zusammenhang mit EU und CDU gebracht werden. Auch in dieser Kampagne ist aber der nationale Fokus deutlich zu erkennen, wenn etwa ein formatfüllendes Bild von Angela Merkel mit dem Slogan „Wir haben eine starke Stimme in Europa“ kombiniert wird. Für diejenigen, die die Botschaft immer noch nicht verstanden haben, ist das „wir“ mit einer schwarz-rot goldenen Fahne unterlegt.

Ganz ähnlich, aber noch viel stärker personalisiert ist die Kampagne der FDP angelegt: Die Liberalen konzentrieren sich wie bereits 2004 ganz auf ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin, die mit dem Slogan „Für Deutschland in Europa“ präsentiert wird. Die Farbgebung der Plakate kombiniert ähnlich wie bei der CDU das Schwarz-Rot-Gold der Bundesfahne mit europäischem Blau, goldenen Sternen und den Parteifarben Blau-Gelb.

Die SPD hingegen hat sich 2009 für eine klare Negativkampagne unter nationalen Vorzeichen entschieden. „Finanzhaie“ würden die FDP, „Dumpinglöhne“ die CDU, „heiße Luft“ schließlich die Linkspartei wählen. Unabhängig von der Frage, wie Fische, Löhne oder gar heiße Luft denn wählen können sollen, stellt sich hier wiederum die Frage, was dies alles mit Europa zu tun hat. Gegen den ehemaligen Koalitionspartner plakatiert die SPD bislang (noch) nicht. Ein Schelm, wer dabei an die Bundestagswahl im September denkt.

Die Grünen wiederum setzen ähnlich wie die CDU auf ihre Standardthemen Umwelt, Frieden und Bürgerrechte, die in einer Art Fußnote um den Zusatz „für ein besseres Europa“ ergänzt werden. In vielen Fällen sind die Plakate allerdings erst auf den zweiten oder dritten Blick als Wahlwerbung zu erkennen, da sie grafisch von der Parole „WUMS!“ dominiert werden, die für „Wirtschaft & Umwelt, menschlich & sozial!“ stehen soll, aber häufig zu Irritationen führen dürfte.

Dagegen bringt das Plakat „Wir wählen Bayern nach Europa“ (blau auf weißem Grund und ohne Sterne oder andere störende Designelemente) die europapolitische Botschaft der CSU in fünf Worten auf den Punkt.

Die Linkspartei schließlich plakatiert ebenfalls ihre Standardthemen („Millionäre zur Kasse bitten“, „Freiheit, Gleichheit“, „Raus aus Afghanistan“ oder „Mindestlohn europaweit“). Der europäische Bezug ist auch hier bestenfalls vage und scheint vor allem im blauen Grundton der Plakate zu bestehen, der sich deutlich vom sonst verwendeten klassenkämpferischen Rot abhebt.

Natürlich tut man den deutschen Parteien in gewisser Weise Unrecht, wenn man ihren Europawahlkampf nur an den Plakaten misst. Schließlich haben alle relevanten Parteien auch in diesem Jahr umfangreiche Wahlprogramme entwickelt, die sich mit genuin europäischen Fragen beschäftigen. Entscheidend für die Wahrnehmung der Parteien durch die Mehrzahl der Bürger sind aber die kurzen Statements auf Plakaten und Großflächen, die noch für einige Tage das Straßenbild prägen werden. Legt man diese zugrunde, so muss man den Eindruck gewinnen, dass auch die deutschen Parteien die Europawahl als nationale Nebenwahl betrachten.

Aus Sicht der Politiker ist dieser Zugang durchaus rational. Solange – zumindest in der Wahrnehmung der Bürger – die wichtigen europapolitischen Entscheidungen von den Regierungen der Mitgliedsstaaten und nicht vom Europaparlament getroffen werden, solange es nur lose Zusammenschlüsse von nationalen politischen Gruppierungen, aber keine kohärenten europäischen Parteien gibt, werden Politiker die Europawahlen im wesentlichen als einen Testlauf für nationale Wahlen betrachten, auf den man wenige Monate vor der Bundestagswahl nicht zuviele materielle und immaterielle Ressourcen verwenden sollte. Selbst wenn der europäische Gedanke darunter leiden sollte: Vor dem Hintergrund knapper Kassen und beschränkter Aufmerksamkeitsspannen wäre es politisch höchst unklug, den Europawahlkampf nicht unter nationalen Vorzeichen zu führen.

 

Europa On Air

Die Sitzordnung entwickelt sich zum Leitmotiv: Sowohl beim TV-Duell zur Europawahl (ausgestrahlt am Sonntagmittag auf ARD) als auch im europapolitischen Townhall-Meeting „Jetzt reden wir“ (Montagabend, ebenfalls ARD) saßen die jeweils sechs Kandidaten dicht gedrängt in einer Reihe nebeneinander. Konfrontative Anordnungen, in denen die Politiker einander anschauen und direkte Gespräche führen, waren nicht angesagt.

Und tatsächlich konnte man bisweilen den Eindruck bekommen, dass die anwesenden Vertreter der Parteien in beiden Sendungen eher gemeinsam das europäische Projekt verteidigten, anstatt über konkrete Inhalte zu streiten. Echte Kontroversen entstanden zudem meist bei jenen Themen, die auch in der nationalen Politik auf der Agenda stehen: Die Bewältigung der Wirtschaftskrise, die Arbeitsmarktpolitik, die Bildungspolitik und auch grüne Themen haben natürlich große europäische Bezüge und kein einziges dieser Politikfelder kann rein national bearbeitet werden. Die Argumente der anwesenden Politiker hierzu waren jedoch annähernd identisch mit denen, die wir auch im Bundestagswahlkampf hören werden; explizit europäische Lösungsansätze waren häufig nicht erkennbar.

Allerdings fanden auch einige originär europäische Themen in den beiden Sendungen Platz. Die Spitzenkandidaten diskutierten beispielsweise im TV-Duell die Frage des EU-Beitritts der Türkei (freilich ohne neue Argumente zu bringen) und im Townhall-Meeting waren mit der Agrarpolitik und dem Verbraucherschutz zwei Themen ganz oben auf der Tagesordnung, die mittlerweile zu den europäischen Kernkompetenzen zählen dürfen. Alles in allem hat die ARD den Zuschauern also in kurzer Folge zwei moderne TV-Formate zur Europawahl geboten und so der Forderung nach mehr Medienpräsenz für europapolitische Themen Rechnung getragen, die auch Autoren und Leser dieses Blogs schon geäußert hatten.

Wie viele Zuschauer haben sich nun tatsächlich für diese Sendungen interessiert? Bezüglich des TV-Duells fällt eine faire Einschätzung schwer, da als Vergleichsgrößen nur die Debatten anlässlich der Bundestagswahlen in Frage kommen (Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber 2002 und Angela Merkel gegen Gerhard Schröder 2005). Denn die Zielgruppe der anderen TV-Duelle (beispielsweise anlässlich der Landtagswahlen in Bayern, Brandenburg, Hessen und Niedersachsen) war nicht die Gesamtbevölkerung. Die erwähnten Duelle zu den Bundestagswahlen hatten andererseits durch prominentere Sendeplätze und größere Medienpräsenz im Vorfeld der Sendungen gewichtige Startvorteile gegenüber dem am Sonntag ausgestrahlten Streitgespräch. Die Einschaltquoten sprechen trotz all dieser Einschränkungen eine deutliche Sprache: Gerade einmal 0,57 Mio. Zuschauer verfolgten die Debatte am Sonntag, ein Marktanteil von 5,5 Prozent. Das TV-Duell zur Bundestagswahl 2005 verfolgten 21 Mio. Menschen bzw. 59,8 Prozent.

Für das Zuschauerinteresse an der Sendung „Jetzt reden wir“ ist das Townhall-Meeting mit Angela Merkel eine Woche zuvor auf RTL ein guter, aktueller Maßstab; das Format war ähnlich. Während die Sendung mit Angela Merkel 1,55 Millionen Zuschauer vor den Fernseher lockte (Marktanteil: 5,9 Prozent) und schon damit für RTL als Quotenflop gelten musste, sahen „Jetzt reden wir“ nur 0,97 Mio. (Marktanteil: 3,5 Prozent). Besonders enttäuschend war dabei der Anteil unter den jungen Zuschauern: Nur 1,3 Prozent schalteten ein. Vielleicht ist dies auch eine Folge der Tatsache, dass Kulisse und Rahmenprogramm der Sendung einen gewissen „Musikantenstadl“-Charakter aufwiesen. Dessen ungeachtet bleibt aber festzuhalten, dass eine europapolitische Sendung scheinbar kein breites Publikum anziehen kann und sehr weit davon entfernt ist, etwa mit dem zeitgleich ausgestrahlten Quotenbringer „Wer wird Millionär?“ konkurrieren zu können.

Dies ist schade, weil beide Formate – das TV-Duell und „Jetzt reden wir“ – durchaus die europäische Idee transportiert haben. Wer sich auf die Sendungen eingelassen hat, konnte ein echtes europäisches Wir-Gefühl entwickeln. Berichte aus Grenzregionen, in denen längst keine Grenzen mehr existieren, und eigens komponierte Europahymnen haben ein bleibendes europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt. Diese etwas abstrakte Frage der gemeinsamen europäischen Identität wird leider meist nur am Rande diskutiert, obwohl es zumindest in wissenschaftlichen Kontexten, auf spezifisch europapolitischen Portalen oder mitunter auch in der „Blogosphäre“ entsprechende Impulse gibt. Dieser Befund ist jedoch auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es an Foren für einen solchen Austausch – die eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit bilden könnten – auf allen Ebenen mangelt.

Formate wie das TV-Duell und das Townhall-Meeting zur Europawahl könnten dazu beitragen, diese Gedanken auf die Straße zu bringen. Vielleicht muss man solche Sendungen schlicht und ergreifend noch viel öfter anbieten…

 

Wahlomat – ein bisschen Spaß muss sein!

Mehr als eine halbe Million Mal ist bis heute der Wahl-O-Mat zur Europawahl gespielt worden. Damit sieht es so aus, dass bis zu den Wahlen in knapp zwei Wochen diese Wahl-O-Mat-Version die Zahl der Nutzungen des Tools vor der letzten Europawahl 2004, die bei rund 870.000 lag, toppen wird.

Der Wahl-O-Mat bleibt somit ein äußerst populäres Online-Angebot der politischen Vorwahlöffentlichkeit in Deutschland – und das ist er seit seinem ersten Einsatz im Jahre 2002. Bei den Bundestagswahlen 2005 ist er über fünf Millionen Mal gespielt worden. Auch für die Bundestagswahlen im September wird die Bundeszentrale für politische Bildung, die die Lizenz des Tools für Deutschland innehat, einen Wahl-O-Mat entwickeln. Vieles spricht dafür, dass auch dieser auf große Nachfrage stoßen wird.

Wie kann man diesen Erfolg erklären? Vielleicht damit, dass dieses Tool einer scheinbar einfachen Funktionslogik folgt: Der Wahl-O-Mat vergleicht entlang von 38 Wahlkampfthesen die Positionen des jeweiligen Users mit den entsprechenden Positionen der Parteien und zeigt als Ergebnis diejenige Partei an, der man mit Blick auf diese Thesen am nächsten steht – ein Ergebnis, das freilich keine Wahlempfehlung sein darf und kann, denn die 38 Thesen können nur einen Teil des politischen Präferenzspektrums abdecken.

Dass das Spielen des Wahl-O-Maten bei den Nutzerinnen und Nutzern Spuren hinterlässt, dafür gibt es empirische Hinweise. In Online-Befragungen derjenigen, die das Tool gerade gespielt haben, zeigen sich immer wieder ähnliche Tendenzen. Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, über das Ergebnis mit anderen sprechen zu wollen. Rund die Hälfte wird motiviert, sich weiter politisch zu informieren. Schließlich sagen bis zu zehn Prozent der befragten User, dass der Wahl-O-Mat sie motiviert habe, zur Wahl zu gehen, obgleich sie dies eigentlich nicht vorgehabt hätten.

Bemerkenswert stabil bleibt eine Zahl über alle Befragungen hinweg: Stets geben rund 90 Prozent an, das Spielen des Wahl-O-Maten habe Spaß gemacht. Man lernt daraus: Spaß und politische Bildung müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen.

 

Mit halber Kraft ins Europaparlament

Stelle dir vor, es ist Wahl – und kaum einer bekommt es mit. Dies ist aus demokratietheoretischer wie politikpraktischer Sicht ein Horrorszenario. Schließlich sollten Wahlkämpfe nicht nur möglichst viele Wähler mobilisieren, sondern vor allem zur kollektiven Selbst-Verständigung und zum Austausch zwischen den politischen Eliten und dem Volk beitragen.

In diesem Licht betrachtet muss den deutschen Parteien für den vergangenen Europawahlkampf ein schlechtes Zeugnis ausgestellt werden. Schließlich nahm nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten an der Wahl teil (siehe hierzu auch die früheren Beiträge zu diesem Thema), vor allem fühlte sich aber die Mehrheit der Bürger (und vor allem der Nichtwähler) nicht ausreichend über die Wahl informiert und verfolgte auch in deutlich geringerem Maße die Berichterstattung über den Wahlkampf als bei der Bundestagswahl 2002 (vgl. Abbildung 1): 69 Prozent der Deutschen haben anlässlich der Bundestagswahl 2005 Berichte dazu im Fernsehen gesehen, anlässlich der Europawahl 2004 waren es nur 33 Prozent.

Abbildung 1: Wahlkampfinvolvierung im Vergleich

Zurückzuführen ist diese geringe Wahlkampfinvolvierung der Bürger zunächst auf eine bestenfalls als „flüchtig“ zu bezeichnende Wahlkampfberichterstattung: So bezogen sich, nach Auswertungen des Medien Tenors, im Wahljahr 2004 nur zwei Prozent der Nachrichtenbeiträge der sieben großen Fernsehanstalten und der überregionalen Printmedien auf die EU-Wahl – also nur jeder 50ste Beitrag. Damit rangierte Deutschland nicht nur EU-weit an letzter Stelle, sondern das Ausmaß der Berichterstattung lag deutlich unter der Wahrnehmungs- und Erinnerungsschwelle von durchschnittlich an EU-Politik interessierten Bürgern.

Die Berichterstattung selbst und der Gesprächsstoff, der den meisten Bürgern 2004 fehlte, reflektierten jedoch nicht zuletzt in hohem Maße die kommunikativen Stimuli, die die Parteien damals (wie auch bei vorangegangenen Europawahlkämpfen) kaum boten. So verdeutlichte eine vergleichende Analyse der Parteienkampagnen zur Europawahl 2004 und zur Bundestagswahl 2005 das Ausmaß der „Nebensächlichkeit“, mit denen die politischen Kontrahenten die EU-Wahl bestritten.* Diese hatte ihren Ursprung in einer finanziellen Unterausstattung: So füllten die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien 2004 ihre Wahlkampfkassen gerade einmal halb so voll wie zur darauf folgenden Bundestagswahl (29 Mio. vs. 62 Mio. Euro). Nur der FDP gelang es damals, mit einer auf ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin zugespitzten Kampagne überdurchschnittliche Medienresonanz zu erzielen. Ansonsten galt für die Parteien 2004 anscheinend das Motto „Mit halber Kraft voraus!“.

Abbildung 2: Wahlkampfbudgets im Vergleich

Allein, der Europawahlkampf 2009 lässt diesbezüglich auf keine Trendwende hoffen. Eingebettet zwischen Bundespräsidenten- und (ressourcenschluckender) Bundestagswahl, in einer Zeit, in der die nationalen Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise die Agenda bestimmen, konnten die Parteienkampagnen und die Medienberichterstattung über die anstehende EU-Wahl bislang nicht mehr als ein Hintergrundrauschen auslösen. So scheint sich rund zwei Wochen vor dem Wahltag das bekannte Szenario zu wiederholen: Stell dir vor, es ist (EU-)Wahl, und keiner bekommt es mit.

* Tenscher, Jens (2007): Professionalisierung nach Wahl. Ein Vergleich der Parteienkampagnen im Rahmen der jüngsten Bundestags- und Europawahlkämpfe in Deutschland. In: Brettschneider, Frank/Niedermayer, Oskar/Weßels, Bernhard (Hg.): Die Bundestagswahl 2005. Analysen des Wahlkampfes und der Wahlergebnisse. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 65-95.

 

1,55 Millionen, naja.

1,55 Millionen Zuschauer sahen im Durchschnitt gestern das Townhall-Meeting von und mit Angela Merkel. Das ist einerseits nicht schlecht, andererseits aber doch bescheiden (siehe auch den Beitrag von Andrea Römmele) – gerade im Vergleich zu den Zuschauerzahlen, die 2002 und 2005 die TV-Duelle erreichten: 2x 15 Millionen bei Schröder-Stoiber, 1x 21 Millionen bei Schröder-Merkel. Zudem ist davon auszugehen, dass gestern – und auch dies im Gegensatz zu den „großen“ TV-Duellen – vor allem politisch interessierte Bürger vor den Bildschirmen saßen. Das große Wirkungspotenzial gerade von TV-Duellen liegt aber darin, dass sie auch andere, „politikfernere“ Wählergruppen erreichen. Insgesamt gilt auch nach dem Townhall-Meeting bei RTL von gestern: TV-Duelle bleiben die wichtigsten Einzelereignisse in modernen Wahlkämpfen.