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„Afghanistan ist unser Test!“

Phänomen Obama: Der neue US-Präsident wird in Europa für Forderungen beklatscht, für die sein Vorgänger ausgebuht worden wäre

„He has got the whole world in his hands“, darf Lisa Doby zur Einstimmung singen. Die Folkgitarristin ist Afroamerikanerin und lebt seit zehn Jahren im Elsaß. Die menschgewordene neue transatlantische Harmonie, mit anderen Worten. Ihre zarten Gitarrenklänge füllen die Luft der Straßburger Sporthalle, in der gut 4000 Schüler aus Deutschland und Frankreich auf Barack Obama warten. Eigentlich ist der zum Nato-Gipfel hier. Aber der US-Präsident kennt, wie eine amerikanische Diplomatin sagt, „den Hunger der Europäer nach ihm und seinen Botschaften.“ Und den wolle er stillen. „There is love“, singt Lisa Doby, „yeah, there is love!“

Aber da ist auch Krieg. Ein Krieg, den die Nato zu verlieren droht. Und das will auch Obama nicht. Deswegen fordert er mehr Gewalt. Mehr Gewalt gegen die Taliban, die Hilfstruppen von al-Qaida. Aber dieser Ruf nach mehr Feuerkraft stört die jugendlichen Tausenden, unter deren Jubel er jetzt in die Halle einzieht, kein bisschen. Wenn Obama es möchte, dann, scheint es, ergibt plötzlich auch der Krieg am fernen Hindukusch wieder einen Sinn.

Nach einigen Artigkeiten („Oft sieht man bei diesen Gelegenheit alles ja nur aus dem Fenster. Deshalb wollte ich gerne hier mit Euch sprechen.“), kommt Obama auf das Thema zu sprechen, dass jenseits seines ersten Europabesuches dieses Gipfelwochenende beherrscht. Kann der Westen Afghanistan noch gewinnen?

„Ich höre manchmal die Frage: Was soll das alles?“, sagt Obama unter Anspielung auf die Kritiker, die die Mission in Afghanistan allmählich für sinnlos halten. „Und ich antworte: Wir würden diese Mission nicht unternehmen, wenn wir sie nicht für unverzichtbar für unsere Sicherheit hielten.“ Schließlich müsse man annehmen: „Wenn es weitere al-Qaida-Attacken gibt, dann gibt es sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in Europa.“

Sicher: Rhetorik, moralische Glaubwürdigkeit und – vor allem – die Afghanistan-Strategie von Obama sind besser kalibriert als die seines Vorgänger. Aber überraschend ist dennoch, wie leichthin es dem neuen Präsidenten gelingt, seine Zuhörer von einer Kausalität zu überzeugen, für die es seit immer längerer Zeit immer weniger Anhaltspunkte gibt. Von einem Zusammenhang nämlich zwischen der Schlagkraft von al Qaida und der Lage in Afghanistan. Der islamische Terrorismus schließlich hat sich von Afghanistan längst entkoppelt.

„Wir haben kein Interesse, Afghanistan zu besetzen. Wir haben genug damit zu tun, Amerika wieder aufzubauen“, sagte Obama, und Applaus brandet auf. Seltsamerweise wird der Beifall noch heftiger, als er sagt: „Aber die Mission in Afghanistan ist ein Test dafür, ob wir gemeinsam Sicherheit für uns schaffen können. Europa, und das sage ich deutlich, sollte nicht erwarten, dass Amerika die Bürde (des militärischen Teils der Mission) alleine schultert!“

Hätte George Bush es gewagt, auf diese Weise von den Europäern mehr Kampftruppen zu fordern, das Publikum hätte sich mit Grausen und Entsetzen abgewendet.

Was macht Obama anders? Ja, er hat eine neue Strategie, eine des „vernetzten Ansatzes“, die auch Pakistan und den Iran als Partner einschließen soll. Ja, er gibt zu, Amerika habe über den Krieg im Irak den notwendigen „Fokus“ auf Afghanistan verloren.

Aber hat sich deswegen an dem Grundproblem der mangelnden Begründbarkeit des Einsatzes etwas geändert? Daran also, dass al-Qaida heute Afghanistan gar nicht mehr braucht, um Anhänger zu rekrutieren und Attentate zu planen? Weil dies mittlerweile sogar im Sauerland geht, per ideologischer Anleitung aus dem Internet und Bombenmaterial aus dem Baumarkt? Nein, hat es nicht.

Die Beschwörung eines abstrakten gemeinsamen Zieles, der Wichtigkeit eines Erfolges für die Nato, mag in der Honeymoon-Phase zwischen Obama und den Europäern noch ein paar Wochen lang Harmonie stiften. Aber je konkreter Obama gezwungen sein wird, ein wachsendes Engagement in Afghanistan zu begründen, desto deutlicher könnte zutage treten, dass die Europäer trotz aller Sympathie eine Einschätzung nicht teilen: Dass Afghanistan eine gemeinsame Herzensangelegenheit sei.

 

Ein Gipfel zum Kuscheln

Die Nato wird 60 Jahre alt. Das muss gefeiert werden. Auch wenn das Bündnis gerade seinen ersten Krieg verliert

Die Nato wird die Vergangenheit feiern, als gäbe es kein Morgen. Am Rhein, der Frontlinie zweier Weltkriege, kommt das Verteidigungsbündnis ab Freitag zu seinem 60. Gründungstag zusammen. Das Protokoll für den großen Jubiläumsgipfel, den Frankreich und Deutschland gemeinsam ausrichten, möchte rührige Bilder, die an den Gründungszweck der Allianz gemahnen. In Straßburg, auf der französischen Uferseite, wird Nicolas Sarkozy die Bundeskanzlerin erwarten. Angela Merkel soll, gefolgt von den 24 übrigen Staatschefs der Allianz, vom deutschen Kehl aus auf einer Fußgängerbrücke über den Fluß schreiten. In der Mitte wird man dann so tun, als sei gerade erst Frieden eingekehrt in Europa. Bündnisküsse mit Obama, Kampfstrahlen in die Kameras der Welt.

Etwas weiter entfernt, in den Bergschluchten des Hindukusch, droht die gewaltigste Militärmacht aller Zeiten derweil den ersten Krieg zu verlieren, in den sie sich begeben hat. Ein paar Tausend Taliban, so zeigt sich, sind in der Lage, geschickter und schlagkräftiger zu agieren als 26 High-Tech-Armeen der reichsten Länder der Welt. Wenn sich daran nichts ändert, könnte die Nato in Afghanistan bald enden wie vor ihr schon Briten und Russen: aufgerieben von Aufständischen, die zwar weniger sind als sie, aber einiger und entschlossener.

Im Anschluss an die Geburtstagsartigkeiten haben die Regierungen in Straßburg einen halben Tag lang Zeit, darüber zu beraten, wie sie dieses Debakel verhindern wollen. Daneben stehen noch ein paar untergeordnete Themen auf der Tagesordnung. Die Frage nach dem künftigen Verhältnis zu Russland zum Beispiel. Die Aufnahme von Albanien und Kroatien als Neumitglieder. Die Diskussion um Leitlinien für ein neues Strategisches Konzept. Und, ach so, auch die Einigung auf einen neuen Generalsekretär nach dem türkischen Widerstand gegen den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen.

„Es wird ein atemloser Gipfel“, heißt im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Selbst die Beteiligten bemühen sich, die Erwartungen zu dämpfen. Dabei böte Straßburg nicht weniger als die Gelegenheit, gemeinsam mit Obama den Neustart-Knopf für das Bündnis zu drücken. Stattdessen sieht es wie üblich so aus, als werde Amerika voranpreschen und Europa hinterhertrotten.

Barack Obama will das Blatt in Afghanistan dadurch wenden, dass er 17 000 Soldaten aus dem falschen (Irak) in den richtigen Krieg (Hindukusch) umsiedelt. Die West-Europäer sind mit ihm immerhin soweit einig, als sie seine Irakkriegs-Bewertung teile. Eine Herzensangelegenheit wird ihnen die Afghanistanmission deswegen aber noch lange nicht. „Wenn man heute noch sagt, auch unsere Sicherheit werde am Hindukusch verteidigte, erntet man nur Lächeln“, gestand Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, gegenüber dem Publikum des Brussels Forum, zu dem der German Marshall Fund kurz vor dem Gipfel hochrangige Politiker aus aller Welt zusammen gebracht hatte. „60 Prozent unserer Bevölkerung sind gegen die Mission“, erinnerte der CDU-Abgeordnete.

Zwar stellen die Deutschen mit über 3500 Soldaten das drittgrößte Kontingent der internationalen Aufbautruppe (Isaf), aber sie scheuen jede Aktion, die als Kampfeinsatz gewertet werden könnte. In Frankreich, dem anderen Gastgeberland des Nato-Jubiläumsgipfels, fordert die Opposition, die Regierung möge endlich einen Zeitplan erstellen, wann die Nation mit der leidigen Mission durch sei.

Ist Afghanistan also das verklingende Echo eines Bündnisversprechens, an das die Europäer 20 Jahre nach dem Mauerfall in Wahrheit schon lange nicht mehr glauben? Trotz des Sympathie-Bonus Obama zweifeln Amerikas Außenpolitiker daran, ob Europa in Afghanistan wirklich Frieden will, oder ob es nicht recht eigentlich mit Afghanistan in Frieden gelassen werden möchte. „Fühlt sich Europa der Aufgabe wirklich so verpflichtet wie die Vereinigten Staaten es tun?“, fragt US-Nato-Botschafter Kurt Volker. Vielleicht, schlägt er vor, wäre es ganz gut, die öffentliche Meinung für das Projekt zurück zu gewinnen.

Die jämmerliche Zahl von 177 Polizeiausbildern hat die „soft power“ Europäische Union bis heute für den Wiederaufbau aufgetrieben – und ist damit mitverantwortlich dafür, dass Afghanistan noch weit entfernt ist von jener „selbsttragenden Sicherheit“, die sich die internationale Gemeinschaft so dringend wünscht. „Die Polizei ist in keinem guten Zustand“, mahnte in Brüssel der neue US-Beauftragte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke. Er forderte „einen sehr beträchtlichen Zuwachs“ an Sicherheitskräften.

Auf bis zu 400 000 Soldaten wolle die Obama-Regierung die Afghanische Nationalarmee aufstocken, meldet die New York Times. „Völlig unrealistisch“ nennt ein europäischer Nato-Diplomat dieses Ziel. Aber auch an einen weiterreichenden strategischen Wandel kündigt der Sonderbeauftragte Holbrooke an. Es gebe kein Afghanistan und kein Pakistan mehr, sagt er, es gebe nur noch „Afpak“, sprich: ein zusammenhängendes Problem. Solange die Taliban ihren Nachwuchs im pakistanischen Grenzgebiet trainieren, solange wird die Isaf-Mission in Afghanistan nicht beruhigen können.
Der europäische Beiträg zu diesem neuen „Regional Approach“, so ist zu hören, könnte in der Schulung pakistanischer Offiziere bestehen oder im Bau von Schulen, wo es heute nur Koran-Madrassas gibt.

Von Russland erhofft die Nato derweil, dass Moskau den Isaf-Truppen neue Nachschubwege an den Hindukusch eröffnet. Als Zuckerbrot bietet die Allianz Moskau trotz des Georgienkrieges eine „phasenweise Wiederannäherung“ an. Mit anderen Worten: Der Gipfel könnte die Rückkehr zu den gewohnten Beziehungen mit Russland markieren. Russlands Nato-Botschafter Dimitri Rogosin kommentiert das Angebot gewohnt ruppig. „Hübsche Foto-Gelegenheiten und Medienrauschen“ interessierten ihn nicht, sagt er. Wohl aber aber „echte Partnerschaft“, verbunden bitteschön mit der „Rückkehr Russlands auf die rechtmäßige Position der Weltbühne.“ Bloß: Wo genau ist der?

Klar ist, die Bühne Europas gehört am kommenden Wochenende ganz dem neuen US-Präsidenten Barack Obama. Da mögen seine mitreisenden Diplomaten hinter den Kulissen fordern, was sie wollen. Die erste Europareise des sympathiemächtigsten Mannes der Welt wird kein Missklang stören. Obama, heißt es von amerikanischen Offiziellen, kenne den „Hunger“ der Europäer nach frischen Botschaften aus dem Weißen Haus. „Er wird sich alle Mühe geben, den zu stillen“, sagt eine seiner Diplomatinnen.

 

Sorry, we are not convinced

Öffnen sich zwischen Amerika und Europa schon wieder ideologische Gräben?

Ein Schlichtungsversuch

Bricht wegen der Wirtschaftskrise ein neuer Glaubenskrieg zwischen Europa und Amerika aus? Die Schlagworte liegen jedenfalls schon bereit. Hier Regulierung, dort Stimulierung, lautet das neue Gegensatzpaar. Es scheint geeignet, zwischen Brüssel und Washington neue Zwietracht auszulösen. Wenn sich beide Positionen zur Ideologie verhärten, mag es nicht mehr lange dauern, bis es heißt:

Amerikaner sind vom Merkur, Europäer sind vom Mond.

„Mich erinnert das alles schon ein bisschen an die Zeit vor dem Irakkrieg“, sagte mir ein befreundeter amerikanischer Politikbeobachter vergangene Woche. „Fangen wir jetzt wieder an, Euch zu sagen, was der richtige Weg ist? Und dabei wollte Obama gerade doch nicht so belehrend auftreten wie seine Vorgänger.“

Steht es wirklich schon wieder so schlecht um die transatlantische Brüderlichkeit? Oder werden solch manichäische Weltbilder bloß gerne von Journalisten in die Welt gesetzt, weil sie das Erklären leichter machen? Ach, die Schlagzeilen klängen ja so gut:

Handel(!)krieg zwischen USA und EU ausgebrochen!
Steinmeier kontert Obama: Sorry, I am not convinced!
US-Präsident: Ihr seid entweder mit uns oder gegen uns!

Aber hat das etwas mit der Wirklichkeit zu tun?

Was stimmt ist, dass die Vereinigten Staaten eine Menge Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen, um Wachstum zu erzeugen. Gigantische 787 Milliarden Dollar wiegt das amerikanische Konjunkturprogramm, das helfen soll, Arbeitsplätze zur retten. Dafür nimmt Amerika ein Haushaltsdefizit von voraussichtlich 10 Prozent in Kauf. Barack Obamas Philosophie lautet: Lieber zu viel zu als zu wenig, und lieber zu früh als zu spät.

Der New York Times sagte der Präsident kürzlich: „Zu den Dingen, die wir jetzt sehen, gehören auch Schwächen in Europa, die genau genommen größer sind als einige Schwächen bei uns, und die zurückschlagen und Auswirkungen auf unsere Märkte haben.“ Was der Präsident damit eigentlich sagen wollte, so der Journalist John Vinocur, sei gewesen: „Europas größe Kerle sitzen herum, sorgen sich um ihre Verschuldung und warten darauf, auf einer neuen Handelswelle mitzusurfen, die sie selber nicht geholfen haben zu erzeugen.“
Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger und Obama-Unterstützer teilte den Europäern in mehreren Artikeln mit, ihr Kontinent sei dem Untergang geweiht, wenn sie nicht schnellstens merkten, wie hinterwäldlerisch und naiv ihre Bedrohungsanalyse sei.

Was hierzulande stimmt, ist, dass die deutsche Bundeskanzlerin die Konjunktur bis auf Weiteres nur so weit anfeuern will, wie die volkswirtschaftliche Sicht reicht. Sie und ihr Finanzminister fürchten, es könnte die nächste Krise provozieren, Geld auf den Markt zu werfen, bevor klar sei, ob die bisherigen Belebungsversuche nicht schon griffen. Immerhin 50 Milliarden Euro will die Bundesregierung in den kommenden beiden Jahren ausgeben, um Investitionen anzukurbeln und Arbeitsplätze zu sichern.

Doch zu viel Liquidität kann die Kaufkraft auch verwässern. Am Ende stünde das Land dann mit mehr Langzeitarbeitslosen da als zuvor. Deshalb will Merkel jetzt erst einmal abwarten. Und bis dahin den politischen Schub nutzen, um weltweit neue Regeln für verlässliche Anlageprodukte und gegen Steuerflucht zu installieren.

Nach einer Schätzung des internationalen Tax Justice Network liegt in den Steueroasen des Planeten die unvorstellbare Vermögenssumme von 11,5 Billionen Dollar (eine Billion = Tausend Milliarden) herum – Geld, das legalistisch betrachtet zum jeweiligen nationalen Steuersatz der Gesamtgesellschaft gehörte und das längst eingesetzt hätte werden können, um Investionen und Zukunftssicherung zu betreiben. Vielleicht sogar in Form von Steuersenkungen. Kein Wunder, dass Finanzminister Peer Steinbrück am liebsten die „Kavallerie“ losschicken würden, um diese schwarzen Kassen nach Hause zu bringen.

Alles gut und schön, sagt der amerikanische Freund. „Aber wenn gerade das ganze Haus einstürzt, ist das der richtige Zeitpunkt, um über neue Bauvorschriften nachzudenken? Haben wir nicht gerade Dringenderes zu tun?“

Mag sein. Aber vielleicht ist das überragend Dringende nicht die Frage, wann welche Staaten wieviel Geld ausgeben sollten. Das können sie je nach Stabilität ihrer Standorte ganz gut selbst entscheiden, ohne dass Krugman & Co. gleich rhetorischen Pulverdampf verströmen müssten.

Das überragend Dringende ist vielmehr ein Drittes: Zu verhindern, dass die wirtschaftlichen Großmächte der Welt ihre Märkte abschotten, weil sie glauben, sich nur so vor den Folgen der Krise schützen zu können. Anzeichen für Protektionismus sind sowohl in Amerika wie auch in Europa oder China zu registrieren. Wenn es beim G20-Gipfel am 2. April in London gelingt, den globalen Freihandel zu sichern, dann wäre das der derzeit wichtigste Erfolg. Alle anderen Kriege, wenn es sie denn gibt, können warten.

 

Propaganda für den Reformvertrag?

Einen kleinen Spuk veranstaltete heute morgen vor dem Gebäude der EU-Kommission eine versprengte Gruppe von Anhängern der paneuropäischen Organisation Libertas. Ihr Protest richtet sich gegen den Lissabon-Vertrag im allgemeinen und – heute – gegen das Vorhaben der Kommission, 1,8 Millionen Euro für eine neue „Informationskampagne“ über den Lissabon-Vertrag in Irland auszugeben.

Wir erinnern uns: Die Iren hatten das Reformwerk im vergangenen Juni mit knapper Mehrheit abgelehnt. Voraussichtlich im September sollen sie nun ein zweites Mal an die Wahlurne gebeten werden.

Libertas wirft der Kommission vor, dass nicht nur dieses Vorgehen, sondern auch die geplante Bereitstellung von Steuergeldern für eine Pro-Lissabon-Kampagne „anti-demokratisch und unakzeptabel“ sei.

In der Tat stellt sich die Frage, ob sich die Kommission nicht den Vorwurf der Propaganda gefallen lassen muss.

Oder handelt es sich schlicht um Information und Aufklärung, wenn mit EU-Geldern in Irland Broschüren und Plakate für den Lissabon-Vertrag gedruckt werden?

Bedienen wir uns zur Begriffsklärung der Definition von Propaganda aus Wikipedia: „Propaganda bezeichnet einen absichtlichen und systematischen Versuch, Sichtweisen zu formen, Erkenntnisse zu manipulieren und Verhalten zu steuern, zum Zwecke der Erzeugung einer vom Propagandisten erwünschten Reaktion.“

Dass die Kommission absichtlich und systematisch vorgeht, darf man annehmen. Dass sie einen Zweck verfolgt ebenfalls, namentlich die Iren zu einem Ja zum Lissabon-Vertrag zu bewegen.
Sicher ist zudem, dass sie eine Sichtweise formen will, nämlich die, dass der Lissabon-Vertrag eine gute Sache sei.

Manipuliert sie zu diesem Zweck aber auch Erkenntnisse? Werfen wir dazu einen Blick auf die Webseite „Der Lissabon-Vertrag“ der Kommission. Dort verbreitet die Kommission sicher keine Unwahrheiten. Aber Manipulation ist auch möglich durch das gezielte Weglassen von Informationen. So findet sich auf der Homepage kein einziger kritischer Satz über den Vertrag. Vielmehr folgen die Inhalte dem eingangs formulierten Mantra: „Nur so kann die EU effizient und wirkungsvoll die Herausforderungen von heute angehen.“ Daran kann man ebenso zweifeln wie an der Behauptung, der Lissabon-Vertrag mache die EU demokratischer.

Legt man den Begriff der Manipulation also weit aus, im Sinne des gezielten Unterschlagens wesentlicher Kritik, trifft dies auf die Öffentlichkeitsarbeit der Kommission zu.

Aber: Darf sie das nicht? Politik, könnte man entgegnen, wirbt doch regelmäßig für ihre Ideen. Wenn das Bundesgesundheitsministerium beispielsweise über den Gesundheitsfonds Auskunft gibt, soll das etwa Propaganda sein? Oder wenn der Bundestag an Reichtagsbesucher Broschüren herausgibt, die das Regierungssystem Deutschlands erklären – Propaganda?

Sicher nicht. Aber beide Fälle unterscheiden sich von den Aktionen der EU. Wenn ein Ministerium über komplexe Gesetzesinhalte informiert, dann hat dieses Gesetz bereits die Feuertaufe der kritischen öffentliche Debatte bestanden. Das hat der Lissabon-Vertrag nicht. Er wurde noch nicht überall ratifiziert und sogar schon einmal abgelehnt. Und wenn die Bundesregierung über das deutsche Regierungssystem informiert, ist das auch etwas anderes. Denn dann informiert sie über Institutionen, die seit langem Bestand haben und an deren Legitimität und Akzeptanz durch jahrzehntelange Staatspraxis keine Zweifel bestehen. Im Falle des Lissabon-Vertrag aber geht es darum, Institutionen und Kompetenzen erst zu schaffen. Das eine ist ein faktischer Zustand, das andere ist ein Prozess.

Und über eben diesen Prozess – eine immer tiefere europäische Integration – kann man unterschiedlicher Meinung sein. Wenn die EU Steuergelder dafür ausgibt, eine bestimmte Position in diesem Meinungsstreit zu stärken, und das tut sie, hat das mit neutraler Information nichts zu tun.

Fazit: Ja, die Kommission muss sich den Vorwurf der Propaganda gefallen lassen – vorausgesetzt, wir legen den Begriff der Manipulation weit aus.

 

Bis später, Facebook

Irgendwann hat es die Mitarbeiterin aus der EU-Kommission aufgegeben. „I see. You are not a Facebook person“, mailte sie mir nach mehreren Kontaktaufnahmeversuchen auf der Online-Plattform.

In der Tat, es berührt mich zwar jedes Mal eine menschliche Sekunde lang, wenn Leute mich als „Freund/Freundin hinzufügen“ oder „anstupsen“ möchten. Aber ich verhalte mich jedes Mal recht kühl gegenüber Hinzufügungen. Vielleicht bin ich altmodisch, aber weder möchte ich aller Welt Auskunft über meinen Freundeskreis geben, noch hätte ich nicht Authentischeres zu tun.

Dankbar bin ich der Kommissionsmitarbeiterin allerdings dafür, dass sie mir ein paar Tage später ungerührt eine E-Mail mit dem Betreff „Facebook in 40 Jahren“ schickte. Darin abgebildet war eine fiktive Seite des Forums „pensionbook„.

Sie gemahnt, so habe ich das jedenfalls verstanden, die jugendlichen Chatter daran, worüber und wozu sie im fortgeschrittenen User-Alter chatten könnten. Da gibt es zum Beispiel die Interessengruppen „Stricken“, „Treppenlifte“ oder „Ich bleibe gerne plötzlich auf dem Gehweg stehen“.

Im Nachrichtenkanal derweil „sagt George Summner zu“, zu Edgar Jones‘ Beerdigung zu kommen. „Drei Deiner Freunde“, meldet der Meldungsautomat darunter, „wurden mit dem Spazierstock angestupst. – Zurückstupsen?“ Und unter „Anstehende Ereignisse“ kündigt sich spektakulär ein „Allein zuhause Herumsitzen!“ an. Werbepartner der Seite ist Werthers Echte.

Ich überlege noch, ob dieses Menetekel meine Meinung ändern könnte. Vielleicht kann mich in vierzig Jahren noch mal jemand anstupsen? Kann gut sein, dass ich dann doch ein Facebook-Gläubiger bin.

 

Kein Soli-Zuschlag für Osteuropa

Wie Angela Merkel in Brüssel die Panik vor der Wirtschaftskrise dämpft

Im Foyer des Europäischen Rates in Brüssel hängt dieser Tage ein Kunstwerk, das an die Teilung Europas bis 1989 erinnern soll. Die Collage zeigt ein bläulich gefärbtes Westeuropa, das durch einen Stacheldrahtzaun von einem rötluch gefärbten Osteuropa getrennt ist. „Vielleicht sollten wir den Stacheldraht besser durch Geldscheine ersetzen“, entfährt es einem der Journalistenkollegen, die am Sonntag den informellen Krisengipfel der 27 europäischen Regierungschefs verfolgen. Treffender lässt sich die Debatte über Solidarität, die Europas Regierungen derzeit mit Leidenschaft führen, kaum beschreiben.

Tschechien hatte als EU-Ratsvorsitzender zu dem eiligen Sonntagstreffen geladen. Eigentlich kommen die 27 Staatschef schon in drei Wochen zu ihrem regelmäßigen Frührjahrgipfel zusammen. Doch die Tschechen bewegte wohl die Sorge, die 15 Mitglieder der Euro-Raumes könnten angesichts der Wirtschaftskrise einen eigenen Sondergipfel einberufen – und die Länder des Zloty, Forint und der Krone außen vor lassen.

So wäre die realistische Erwartung an den Sonntagsgipfel denn gewesen, den Blick der EU-Mitglieder erst einmal ganz behutsam in die richtige Richtung zu lenken. Weg vom „Ich“ (eine Sicht, die vor allem Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy demonstrierte, der am liebsten Autofabriken heim auf die nationale Scholle holen will), hin zum größtmöglichen „Wir“.

Entsprechend überraschend kam der Aperitif, den der ungarische Regierungschef Ferenc Gyurcsány seinen EU-Kollegen noch vor Beginn des gemeinsamen Arbeitsmittagsessens im Rat per Tickermeldung servierte. Er forderte einen Soli-Zuschlag der Westler für Osteuropa. Die Nicht-Euro-Länder, sagte er Journalisten, brauchten einen Sonderfonds in Höhe von knapp 200 Milliarden Euro. Damit solle sowohl die Zahlungsfähigkeit der Staats- und Privatbanken wie auch die Stabilität der Privatwirtschaft gesichert werden.

Dem Mann war der Vergleich mit den Zeiten des roten und blauen Europa nicht zu hoch: „Wir sollten keine neuen Eisernen Vorhang entstehen lassen und Europa nicht in zwei Teile teilen“, sagte er noch vor Beginn des Gipfels.

Seiner Forderung erteilten laut westeuropäischen Diplomaten allerdings schon im Vorfeld die Nicht-Euro-Staaten eine deutliche Abfuhr. Während des Gipfels selbst, bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel, habe „niemand eine konkrete Zahlenforderung aufgestellt, auch nicht die Mittel- und Osteuropäer.“ Auch einen beschleunigten Aufnahmeprozess für osteuropäische Länder in die Euro-Zone schloß sie aus.

Erwartungen auf Finanzspritzen für Länder, denen der Staatsbankrott droht, hatte allerdings vor dem Gipfel Merkel selbst geweckt. „Wir sind bis jetzt solidarisch miteinander gewesen, wir werden Wege der Solidarität finden“, hatte die Kanzlerin am Donnerstag in Berlin gesagt. Gemünzt war diese Bemerkung allerdings auf die 15 Euro-Länder. Merkel nannte als ein Beispiel Irland, das besonders hart von den Banken-Pleiten betroffen sei.

Doch konkrete Hilfspakete wurden nun in Brüssel nicht gepackt. Heraus kamen die bereits bekannten Beschwörungen konzertierter Zusammenarbeit. Immerhin, so die Kanzlerin auf der abschließenden Pressekonferenz, sei man zu der Schlussfolgerung gelangt, dass „kein Land einem anderen protektionistische Tendenzen unterstellt.“ Und wenn die Lage in Osteuropa sich tatsächlich dramatisch verschlechtern sollte, gelte „das Prinzip der Solidarität“. Soweit, so Punkt.

Einigen Nicht-Euro-Staaten hat die EU-Kommission übrigens schon geholfen. Zusammen mit der Weltbank stellte sie Ungarn und Lettland Stützungskrediten von 20 Milliarden beziehungsweise 7,5 Milliarden Euro zu Verfügung.

Die Kanzlerin scheint nun abwarten zu wollen, wie sich die Lage entwickelt. „Es macht jetzt überhaupt keinen Sinn, allgemeine Spekulationen zu veranstalten“, sagte sie.

Tatsächlich verbreitete Merkel eine ebenso wohltuende wie zeitgeistwidrige Unaufgeregtheit in Brüssel. Ja, sie traute sich sogar, von „Konsolidierung“ zu reden, wo der Rest der Welt noch den Untergang fürchtet. „Wir müssen zurückkehren zum Stabilitäts- und Wachstumspakt“, betonte sie mehrfach. Die Verschuldung der EU-Staaten müsse so bald wie möglich wieder auf die Maastricht-Kriterien zurückgefahren werden. Schön, dass an die überhaupt noch jemand denkt.

„Wir dürfen keine Probleme kreieren, die es in der Realität nicht gibt“, mahnte die Kanzlerin. Diesen Satz sollten die Europäer vielleicht zum ersten Gesetz der Krise erheben. Denn nichts wäre jetzt verheerender als eine Paranoia – aus der wird in der Wirtschaftswelt mit schlimmer Regelmäßigkeit eine self fulfilling prophecy wird.

Gut, mit anderen Worten, dass die europäischen Regierungschefs in drei Wochen schon zum nächsten Reality Check nach Brüssel kommen. Bis dahin nämlich können sich die Welt und ihre Zahlen schon wieder ein bisschen verändert haben.

 

„Lieber Rom als Reykjavik!“

Irland fürchtet den wirtschaftlichen Untergang. Und hofft auf Rettung aus Europa

Dublin
Der Wirt von Reilly’s Pub in Dublins Lower Merrion Street wartet neuerdings an Freitagabenden verdächtig lange auf seine Stammkundschaft. Einige der Beamten aus dem Finanzministerium gleich nebenan schieben sich erst weit nach neun Uhr durch die Eingangstür der holzgetäfelten Eckkneipe. Sie lockern die Krawatten, bestellen ein Feierabendbier und sagen Sachen wie: „Junge, die Entfernung zwischen Irland und Island sollten wir vielleicht besser in Wochen berechnen als in Meilen.“

Die grüne Insel erlebt den gefühlten Untergang. Jahrzehntelang profitierte die Iren vom Besten beider Wirtschaftswelten; von phantastischen US-Direktinvestitionen und von endlos sprudelnden EU-Subventionen. „Wirtschaftspolitisch sahen wir uns in der goldenen Mitte zwischen Boston und Berlin“, sagt ein Finanzbeamter und umgreift sein Pint-Glas. Doch der Flug des Phoenix, jahrelang zu messen in zweistellige Wachstumsraten und den teuersten Ladenmieten Europas, geriet zu nah an die Sonne. Jetzt zerrieselt der Wohlstand der Iren zu Asche. Die Immobilienblase ist geplatzt, viele Banken sind pleite und die Arbeitslosigkeit hat sich innerhalb eines Jahres auf 8,4 Prozent beinahe verdoppelt. Die Wirtschaft könnte laut Vorhersagen in diesem Jahr um sechs Prozent schrumpfen und das Haushaltsdefizit das europäische Rekordmaß von 10 Prozent erreichen.

„Wir stehen unter Schock“, sagt der Schriftsteller Hugo Hamilton (Gescheckte Menschen, Legenden). „Ich habe von Leuten gehört, die in den Schlafzimmern ihrer Kinder Reissäcke horten. Eine Mutter hat ihre Teenager-Söhne sogar zum Löchergraben in den Garten geschickt, zwecks Überlebenstraining, sagte sie.“ Die bürgerlich-grüne Regierung suche zwar krampfhaft nach Lösungen, verliere aber bloß in jeder Umfrage mehr Vertrauen. Die Zustimmung zur ehemals stärksten Fianna Fail-Partei ist binnen Jahresfrist um 20 Prozent abgerutscht. Ein bekannter Fernsehmoderator brach unlängst live im Staats-TV vor lauter Verzweiflung in Tränen aus. Zu sehr fühlte er sich an das bitterarme Irland seiner Jugend erinnert. „Es wäre gut“, fasst Hamilton zusammen, „wenn uns Europa jetzt etwas Führung bieten würde.“

Europa allerdings erwartet umgekehrt erst einmal ein bisschen mehr Verantwortungsgefühl und Solidarität von den Inselbewohnern. „Ich würde der irischen Regierung dringend raten, ihre Bevölkerung vom EU-Lissabon-Vertrag zu überzeugen“, sagt Martin Schulz, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Tatsächlich überkommt immer mehr gebeutelte Iren die nackte Scham darüber, dass sie im vergangenen Jahr per Volksabstimmung „Nein“ zum großen Reformwerk gesagt haben. Zwar hätte der Lissabon-Vertrag die Krise kein bisschen abgemildert. Aber den Iren geht es jetzt vor allem um ein wärmendes kontinentales Gemeinschaftsgefühl.

„Wissen Sie, wir denken gerade über einen griffigen Slogan für das zweite Referendum nach“, sagt der irische Finanzminister Brian Lenihan. „Ein Vorschlag lautet: Lieber Rom als Reykjavik.“ Immerhin, der Humor ist dem Mann noch nicht vergangen. Dabei zählt er neben dem Premierminister Brian Cowen zu den derzeit meistgehassten Politikern auf der Insel. In dieser Woche will Lenihan eine Gehaltskürzung im öffentlichen Dienst um 6,5 Prozent durchsetzen. Und die, sagt er, sei nur die erste bittere Pille, die das Volk zu schlucken habe – mag es sich noch so sehr sträuben. „Kein Truthahn mag Weihnachten“, sagt Lenihan. „Aber wir haben keine Wahl. Wir sind Teil des Euro-Raums, und wir wollen es bleiben. Bis zum Ende der Legislaturperiode 2012 haben wir Zeit, das Erforderliche zu tun, um unsere Kreditwürdigkeit wiederherstellen.“

So lange will ein großer Teil der Iren die derzeit Herrschenden aber nicht mehr ertragen. Im ehrwürdigem Pfeifenladen Peterson’s gegenüber dem Trinity College sorgt ein älterer Herr mit Tweedmütze am Samstagmorgen vor. „Gib mir mal noch ein paar Packungen Tabak, bevor hier die Revolution ausbricht“, bittet er den Mann hinterm Tresen. Tatsächlich füllen sich eine halbe Stunde später die Hauptstraßen der Innenstadt mit geschätzten 120 000 zornigen Bürgern. Angestellte des öffentlichen Dienstes aus allen Teilen des Landes haben zur Demonstration gegen die Regierung aufgerufen, selbst Polizisten marschieren mit. Die klagenden Laute irischer Bagpipes wehen durch die Stadt, geblasen vom nationalen Feuerwehrcorps. „Unsere Ersparnisse sind weg, unsere Häuser sind wertlos!“, zürnen die Demonstranten. Und warum? „Weil diese Regierung in der Keltischen-Tiger-Zeit nichts gespart hat. Jetzt muss sie die Rentenkasse plündern“, sagt ein Gewerkschafter.

Eine junge Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschiebt, sagt, ihrem Mann sei gerade gekündigt worden, und die monatliche Hypothekenrate für ihr Haus betrage 1500 Euro. „Wir müssen zwei Kinder ernähren“, sagt sie. “Aber wovon denn jetzt?“ Weg mit dieser Regierung!, fordern Hunderte Marschierer auf Plakaten. Immer mehr Verbände kündigen nach der Großdemo Urabstimmungen an. Irland droht eine beispiellose Streikwelle.

Der Finanzminister zeigt sich unerschüttert. „Wenn sie die irische Regierung lahm legen wollen, können sie das versuchen. Sicher, kann sein, dass wir das nicht überleben. Aber mir geht es schlicht darum, das Land zu schützen.“ Erwartet er für diese Opferbereitschaft wenigstens ein bisschen Entgegenkommen aus Brüssel? Stützungsgelder vielleicht, falls es ganz schlimm kommt? Er könne, sagt Lenihan nach einigem Zögern, nicht ausschließen, dass Europa dem irischen Bankensektor zur Hilfe kommen müsse.

Die erste spürbare Reaktion der EU-Kommission auf die Krise bestand derweil in der Androhung eines Defizit-Strafverfahrens gegen Dublin. „Das fanden wir gut“, sagt der Politikchef der Irish Times, Stephen Collins. „Immerhin waren das mal klare Worte. Der Premierminister beruft ja bloß ein Komitee nach dem nächsten, trifft selbst keine Entscheidungen mehr. Diese Trägheit macht die Leute wahnsinnig.“ Als Folge steige die Anerkennung der Europäischen Union als „Schutzgemeinschaft“.

Am kommenden Sonntag treffen sich deren 27 Staatschefs in Brüssel, zu einem von, so ist zu hören, noch vielen Krisengipfeln dieses Jahres. Wächst daraus tatsächlich Hoffnung auf Erlösung?

„Natürlich wollen wir euer Geld“, sagt David McWilliams und nimmt einen hastigen Schluck aus der Teetasse. „Ob es Herrn Steinbrück nun gefällt oder nicht – er muss Irland behandeln wie eines seiner Bundesländer.“ Der 42jährige McWilliams ist derzeit der gefragteste Kommentator Irlands. Zwölf Jahre lang arbeitete er als Karrierebanker, dann stieg er zum erfolgreichsten Sachbuchautor und zum TV-Star auf der Insel auf. Er sagte den keltischen Boom ebenso voraus wie den Absturz. Jetzt prophezeit er: „Die Deutschen werden uns aus der Patsche helfen.“ Irland vergleicht er mit einem unzurechnungsfähigen Kind, und Deutschland mit dem Erwachsenen, der für es haftet. „Wissen Sie, am Ende geht es um den Ruf der Familie, sprich: den Euro-Raum.“ Die reicheren Staaten der EU, ist McWilliams sicher, könnten schlicht nicht zulassen, dass mit Irland der erste Dominostein der Währungsunion kippt. Denn wenn das passiere, risse es auch andere Staaten um. Spanien, Griechenland, Portugal, Italien… Der wahrscheinlichste Ausweg aus dem Schlamassel sei, glaubt McWilliams, dass die EU europäische Staatsanleihen herausgebe, für die alle Mitgliedsländer einträten. Das würde zwar Deutschlands Kreditwürdigkeit ein wenig schmälern, aber Geld in die Brüsseler Gemeinschaftskasse spülen.

Dass es die Iren deswegen am Ende emotional und ökonomisch weg von Boston und hin nach Brüssel treibt, darf man allerdings getrost bezweifeln. Sie werden ein atlantisches Völkchen bleiben, mit geteilter Treue und Hoffnung zu beiden Ufern. In den T-Shirt-Läden der Hauptstadt, die schon das Sortiment für den Nationalfeiertag St Patrick’s Day anbieten, hängt ein vielsagender neuer Verkaufshit. Das Hemd zeigt ein Konterfei des neuen US-Präsidenten, eingerahmt von grünen keltischen Zierbändern. Darunter steht: „O`Bama“ Und: “It’s great to be Irish!“

 

„Der Lissabon-Vertrag stärkt die Grundrechte“

Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, äußert sich im ZEIT-Interview zur Kritik am Reformvertrag, zur Rolle der nationalen Parlamenten und zur Schlagkraft Europas

DIE ZEIT: Herr Barroso, die deutschen Verfassungsrichter in Karlsruhe haben bei einer Anhörung in der vergangenen Woche einige fundamentale Fragen zum Lissabon-Vertrag und zur Architektur der EU gestellt.
Eine Hauptsorge scheint ihnen die Frage zu sein, ob der Machtzuwachs, den die Brüsseler Institutionen durch den Reformvertrag erhalten, durch einen entsprechenden Zuwachs an demokratischer Kontrolle ausbalanciert wird.

Barroso: Lassen Sie mich zunächst einmal klarstellen, dass ich mich nicht in die Entscheidungsfindung des Bundesverfassungsgerichts einmischen möchte. Es handelt sich um einen deutschen Prozess, und die Kommission respektiert die Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten bei der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages. Aber ich kann Ihnen natürlich sagen, was ich über die Inhalte des Vertrages denke. Und ich denke zunächst einmal, dass er das demokratische Element der EU enorm stärkt. Erstens dadurch, dass das Europäische Parlament mehr Macht und Kompetenzen erhält. Zweitens dadurch, dass die nationalen Parlamente Prüfungs- und Einspruchsmöglichkeiten bekommen, die sie heute nicht besitzen. Sie können künftig Entscheidungen der Kommission auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgedanken hin überprüfen lassen. Außerdem werden die Kompetenzen der EU klar geregelt. Das war übrigens immer ein besonderes Anliegen Deutschlands.

Kritiker sagen, dieser Demokratiezuwachs sei nicht ausreichend. Was etwa die “Gelbe Karte” betrifft, die Sie ansprechen, so müssen die nationalen Parlamente innerhalb einer achtwöchigen Frist mindestens ein Viertel ihrer Mitglieder dazu bewegen, einen begründeten Einspruch gegen Vorschläge aus Brüssel einzulegen. Einige Parlamentarier sagen, dies bewerkstelligen zu wollen sei in der Praxis völlig illusorisch.

Zur Grundsatzfrage: Sehen Sie, die EU hat nun mal eine doppelte Legitimität. Sie ist eine Union der Staaten und eine Union der Bürger. Die Bürgerbeteiligung ist in erster Linie durch das Europäische Parlament sichergestellt, das direkt gewählt wird. Zur praktischen Frage: das ist eine Frage der Organisation.

Bleiben wir kurz bei den Kontrollmöglichkeiten für die nationalen Parlamente. Wie steht es mit der Acht-Wochen-Frist? Ist die nicht zu kurz bemessen?

Vergleichen Sie die neue Prüfungs- und Einspruchsmöglichkeit mit der aktuellen Situation. Auch die schärfsten Kritiker müssen doch, vorausgesetzt sie verfügen über ein Minimum intellektueller Ehrlichkeit, eingestehen, dass die Mitspracherechte beträchtlich zunehmen. Wenn die nationalen Parlamente glauben, die Frist sei zu kurz, dann sollten sie offen gesagt vielleicht darüber nachdenken, ihre Abläufe entsprechend anzupassen. Vielleicht gibt es für sie in der Tat noch Möglichkeiten, die Überprüfung des Regierungshandelns zu verbessern. Immerhin gibt es heute schon Länder, in denen die parlamentarische Kontrolle der Regierung bei Europaangelegenheiten sehr, sehr strikt ist – in Dänemark oder den Niederlanden zum Beispiel.

Aber wollen Sie das den Parlamenten tatsächlich empfehlen? Denn angenommen, sie machen ihre Hausaufgaben und lernen, ihre Regierungen bei Brüsseler Räten in Zaum zu halten, wie soll das dann zu einer größeren Effizienz der EU führen?

Da unterstellen Sie, dass die nationalen Parlamente ihre Mitsprache regelmäßig für ein “Nein” nutzen würden. Man kann aber auch gut das Gegenteil annehmen. Die nationalen Parlamente könnten ihre Regierung ja auch anweisen, noch kooperativer zu sein, noch stärker für das europäische Gemeinwohl zu arbeiten. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zum Beispiel zeigt doch in aller Deutlichkeit, dass wir europäische Antworten brauchen. Also: Die Parlamente kommen in eine Situation, in der sie von der Europäischen Union entschlosseneres Handeln verlangen können. Fragen Sie doch die Leute! Die meisten wollen, dass die EU schlagkräftiger auftritt, gerade nach außen hin.

Kommen wir zur Perspektive der Beschwerdeführer in Karlsruhe zurück, die sich um die demokratische Kontrolle der EU sorgen. Sie weisen darauf hin, dass selbst wenn es gelänge, gegen Brüsseler Rechtsakte Einspruch einzulegen, letztendlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Angelegenheit befindet. Ist es nicht tatsächlich so, dass der EuGH in den meisten Fällen zugunsten der Kommission, zugunsten tieferer Integration urteilt?

Das ist eine gute Frage für Kommentatoren und Geschichtsschreiber. Zunächst einmal: Ich respektiere das Gericht, unabhängig von seinen Entscheidungen. Denn manchmal gewinnt, manchmal verliert die Kommission ihre Fälle. Wenn wir öfter gewinnen als verlieren, macht mich das natürlich stolz, denn es zeigt, dass wir offenbar kompetent sind. Aber: Das Gericht ist vollständig unabhängig von der Kommission. Was freilich stimmt ist, dass der EuGH in der Geschichte der EU traditionell eher zugunsten der europäischen Integration geurteilt hat. Weil die Verträge die europäische Integration auf- und ausgebaut haben. Weil er die Rechte der Bürger durchsetzt.

Werfen wir einen Blick auf die Rechtsgrundlagen, auf die der EuGH seine Urteile stützt. Nehmen wir die Europäische Grundrechtecharta. Die Kritiker in Karlsruhe sagen, dass deren Schutzniveau hinter dem des deutschen Grundgesetzes zurückbleibt.

Die Europäische Grundrechtecharta ist in der Tat eine der wichtigsten Errungenschaften der Union und des Lissabon-Vertrages. Denn Grundrechte gehen jeder staatlicher Gewalt vor, sei sie national oder supranational. Falls die deutsche Verfassung darüber hinaus reichende Bürgerrechtsgarantien enthält, kann ich Ihnen versichern, dass der Lissabon-Vertrag diese deutschen Garantien in keiner Weise reduziert.

Aber gemäß dem Lissabon-Vertrag geht das Unionrecht dem nationalen Recht vor.

Was die Grundrechte angeht, so lassen diese sich niemals restriktiv auslegen. Die Rechte, welche das Grundgesetz den deutschen Bürger gewährt, werden nicht reduziert. Im Gegenteil: Die Rechtssprechung des EuGH hat bis jetzt die Bürgerrechte immer so ausgelegt, dass ihr Schutzbereich vergrößert wurde.

Aber für EU-Rechtsakte ist künftig nicht mehr das Bundesverfassungsgericht die letztmögliche Instanz, sondern der EuGH.

Die Europäische Grundrechtecharta, die mit dem Vertrag von Lissabon rechtskräftig wird, erweitert die Bürgerrechte, aber schränkt sie nicht ein.

Darf ich Ihnen ein Beispiel nennen, wo dies nicht der Fall zu sein scheint, nämlich bei der Pressefreiheit? In Artikel 11 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta heißt es: „Die Freiheit und Pluralität der Medien werden geachtet.“ Zum Vergleich Artikel 5 des Grundgesetzes: “Die Pressefreiheit wird gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Ist das Schutzniveau der deutschen Formulierung nicht deutlich höher?

Sehen Sie, das mag eine juristisch interessante Debatte sein. Man kann sich darüber streiten, welche die bessere Formulierung ist. Aber die ratio legis, der Zweck der Vorschrift, ist doch offensichtlich. Also, der Lissabon-Vertrag leistet allen erforderlichen Schutz.

Andererseits enthält der Lissabon-Vertrag Versprechen, die bei ehrlicher Betrachtung kein Staat halten kann. In Artikel 15 der Grundrechtecharta heißt es zum Beispiel. „Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen fei gewählten (…) Beruf auszuüben.“ So etwas verspricht das deutsche Grundgesetz aus guten Gründen nicht. Glauben Sie, es trägt zur Glaubwürdigkeit des Lissabon-Vertrags bei, wenn er den Menschen einen Arbeitsplatzanspruch vorgaukelt?

Natürlich gibt es über diese Frage unterschiedlichen Meinungen. Ich bin selbst Verfassungsrechtler, und ich kenne diese Debatte, auch aus Portugal. Natürlich ist dieser Artikel eine, wie man sagt, programmatische Norm. Das heißt natürlich, dass wir diese Rechte nicht komplett garantieren können, wohl aber optimieren wollen. Aber wissen Sie, ich will jetzt nicht zu tief in diese technische Debatte einsteigen. Die entscheidende politische Frage lautet doch, ob die Europäische Grundrechtecharta die Rechte der Bürger erweitert oder einschränkt. Und da bleibe ich dabei: Sie erweitert sie. Übrigens ist diese Charta im Konvent unter dem Vorsitz von Roman Herzog entstanden. Wenn es ein Land gab, das das intellektuelle, rechtliche und politische Konzept des Lissabon-Vertrages maßgeblich mitgeformt hat, dann war das Deutschland.

Kommen wir zum zweiten Argument, warum die Demokratie auf EU-Ebene gestärkt wird. Das Europäische Parlament (EP) erhält wesentlich mehr Mitbestimmungsrechte.

Richtig.

Bloß, haben wir es bei diesem Parlament nicht mit dem strukturellen Problem der europäischen Bündelparteien zu tun? Wer zum Beispiel einen deutschen liberalen Abgeordneten wählt, weiß nicht, ob dieser auch klassisch deutsche liberale Positionen im EP vertreten wird – schließlich muss dieser Abgeordnete seine Position in Einklang bringen mit der Haltung und den Interessen der gesamteuropäischen Liberalenfraktion. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass ein Großteil der deutschen liberalen Abgeordneten der Einführung des biometrischen Passes zugestimmt haben. Dies hätten sie sich im Bundestag nie erlauben können.

Dieses Problem ist ein generelles Demokratieproblem. Es passiert immer wieder, dass sich gewählte Vertreter nicht exakt an das halten, was Sie Ihnen versprochen haben. In diesem Fall können Sie sie bei der nächsten Wahl abwählen.

Ich kann aber nicht die Abgeordneten aus Griechenland, Spanien oder Italien abwählen.

Nein, aber Ihre Abgeordneten.

Aber wenn die doch in der Fraktion überstimmt werden von Abgeordneten, auf deren Wahl ich keinen Einfluss habe…

…aber die Mitglieder des EP haben doch ein freies Mandat. Was Sie beschreiben, ist doch kein spezifisches Problem Europas. Die Frage stellt sich innerstaatlich genau so. Außerdem, Deutschland ist nicht allein der EU, deswegen müssen eben auch die Stimmen die Stimmen der anderen berücksichtigt werden. Aber genau das ist doch das Großartige an dieser Union.

Andererseits, Subsidiarität bedeutet auch, dass je tiefer Gesetze in die Rechte der Bürger eingreifen, desto klarer die Bürger die Verantwortlichen für diese Eingriffe erkennen können müssen.

Hier greift die klarere Kompetenzabgrenzung ein. Außerdem muss sich die Gesetzgebung aus Brüssel nicht nur an der Grundrechtecharta messen lassen, sondern auch an der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Bürger kann sich also nicht nur an seine nationalen Gerichte halten, sondern auch an die Gerichtshöfe in Luxemburg und Straßburg.

Aber wie steht es um die öffentliche Diskussion von Bürgerrechtsfragen? In Deutschland sind um individuelle Freiheiten, Datenschutz und Terrorbekämpfung traditionell sehr streitige Debatten geführt worden. Wenn diese Themen aber künftig europapolitisch entschieden werden, wo kann der Bürger dann diesen Debatten folgen? Eine „europäische Öffentlichkeit“ gibt es schlicht nicht.

Ich glaube, es ist schon ein Fortschritt, dass wir – abgesehen von den Diskursen innerhalb der Nationen – Zugang und Austausch mit anderen Öffentlichkeiten haben. Natürlich will ich nicht so tun als gebe es einen europäischen Demos im Sinne der klassischen Staatslehre. Aber wie ist die Lage heute im Vergleich von vor zwanzig Jahren? Es gibt doch mittlerweile öffentliche europäische Debatten. Die Frage zum Beispiel, ob eine junge Frau in Italien Sterbehilfe erhalten durfte, sorgte überall in Europa für Schlagzeilen. Natürlich kenne ich die Schwierigkeiten einer supranationalen Aufmerksamkeit, aber die Wahrheit ist doch, dass diese Sphäre gerade entsteht.

Sie glauben also, dass Entscheidungen aus Brüssel die Bürger in Zukunft weniger überraschen?

Entscheidungen aus Brüssel, wie Sie sagen, werden in den meisten Fällen von Vertretern aus den Nationalstaaten getroffen. Die Kommission macht Vorschläge, aber die Entscheidungen fallen im Rat und im Parlament. Wenn es also manchmal ein Demokratiedefizit gibt, dann muss man sich zuerst fragen, warum sich die nationale Ebene nicht darum kümmert. Man muss schon auseinander halten, welche Vorschläge und Ideen in Brüssel entstehen, und welche Entscheidungen letztlich die Mitgliedsstaaten treffen.

Einige Fragen an Barroso im Videointerview:

 

Wer war das?


Die EU verbietet die Glühbirne. Es soll Menschen geben,
denen das nicht gefällt. Bloß, wer in Brüssel ist eigentlich
dafür verantwortlich?

Reisende ins Ausland jenseits der EU werden künftig wohl mit neuen Mitbringselwünschen verabschiedet werden. „Oh, du fliegst in die Türkei? Bringst du mir eine Stange Glühbirnen mit?“
Tatsächlich hat die Europäische Union gestern die gute, alte, stromfressende Edison-Glühbirne verboten. Schon ab Herbst diesen Jahres wird die 100-Watt-Birne aus dem Verkehr gezogen, dann schrittweise bis 2012 auch all die anderen gewohnt heiß strahlenden Leuchtmittel.

Sicher, wir wissen, Glühbirnen wandeln nur fünf Prozent des Stromes in Licht um, den Rest in Wärme, und das ist ein beschämender Effizienzgrad für ein Elektroprodukt des 21. Jahrhunderts.

Aber wir wissen auch, dass Energiesparlampen einen hohen Anteil von Blaulicht enthalten, sprich: einfach eklig kalt wirken. Verschiedene Menschen mögen darauf unterschiedlich sensibel reagieren. Manche sind illuminativ abgestumpft (keine Kerze schmückte je ihr Schlafzimmer, kein Kaminfeuer rührte sie je an, und unter Neonröhren blühen sie auf). Für andere möchte man nicht die Hand ins Feuer legen, ob die Bestrahlung durch Sparleuchten nicht womöglich das Monster in ihnen weckt. Um es deutlich zu sagen: Wie sich die Abschaffung des menschlicheren Edison-Lichtes auf die Anzahl der spontanen Axt-Morde auswirken wird, weiß noch kein Mensch.

Auf der anderen Seite steht eine Einsparung des gesamtdeutschen CO2-Ausstoßes um 0,5 Prozent. Das ist nicht viel, aber zur Rettung der Welt müssen auch kleine Schritte erlaubt sein. Freilich kann man fragen, warum Brüssel sich nicht lohnender Energiesparprojekte vornimmt. Zum Beispiel fliegen die Flugzeuge am europäischen Himmel immer noch Zickzackkurse, weil sie sich an Luftverkehrwege halten müssen, die vor Urzeiten eingerichtet wurden. Gäbe es einen „European Open Sky“, sagen Verkehrsexperten, ließe sich der CO2-Ausstoß von Passagierjets um bis zu 20 Prozent senken. Allerdings würde das erhebliche internationale Koordinierungsarbeit erfordern. Außerdem wäre der Erfolg nicht so hübsch sichtbar im Ladenregal. Um im Bild zu bleiben: Die politische Energieeffizienz solcher Maßnahmen entspräche ungefähr der Edison-Quote. Also lässt man’s.

Die Verfechter der Energiesparlampe behaupten derweil, es gäbe schon Exemplare, welche genauso warm leuchten wie die herkömmliche Birne. Sie (wie die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt) beruhigen uns auch damit, dass sie sagen, „die Industrie wird die Alternativen bis 2011 noch deutlicher verbessert haben.“

Das wollen wir mal annehmen, denn die Industrie ist ja nicht doof. Den Glühbirnenbauern ist schon das Licht aufgegangen, dass es in Zeiten steigender Strompreise einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringt, Lampen mit sinkendem Verbrauch auf den Markt zu werfen. Sie werden schon dafür sorgen, dass wir auch die Ökokolben bald dimmen oder suggestiv wärmend leuchten lassen können.

Was uns zu der Frage führt, warum Brüssel glaubt, unser Einschraubverhalten durch Gesetze steuern zu müssen. Wenn Sparlampen tatsächlich sparen und außerdem noch angenehm lampieren, also einfach gar nichts dagegen spricht, die Teile zu kaufen, was soll dann der Zwang? Der Verdacht, dass die Verantwortlichen in Brüssel schlicht weniger vom eigentlichverantwortlichen denn vom steuerungsbedürftigen Europäer ausgehen, liegt nahe.

Bloß, wer sind „die Verantwortlichen in Brüssel“ eigentlich?

Hier wird’s interessant. Denn je tiefer man der Frage nachgeht, wer für die Zwangsökobestrahlung verantwortlich ist, desto unklarer wird das Bild.

Angefangen hat alles im Europäischen Rat, also der Versammlung der EU-Regierungen, im Jahr 2007. Unter dem Vorsitz von Angela Merkel trafen diese damals einstimmig den Beschluss, traditionelle Glühbirnen zu verbieten. Im Dezember vergangenen Planes billigten sie den Plan, die Birnen bis 2012 aus Europa zu verbannen. Also: Verantwortlich sind auf einer ersten Stufe schon einmal alle europäischen Regierungen, unter anderem auch das CSU-regierte Bundeswirtschaftsministerium.

Auf einer zweiten Ebene befassten sich mit der genauen Ausgestaltung des Verbots verschiedene Expertengremien der EU-Kommission, der Mitgliedsländer sowie des Europäischen Parlamentes (so genanntes Komitologie-Verfahren).

Auf einer dritten Ebene hätte sich das Plenum des Europäischen Parlamentes (EP) mit der Sache beschäftigen können. Dazu hätte der Umweltausschuss des EP beschließen müssen, über das Verbot noch einmal im großen Rund zu debattieren. Das lehnte dieser allerdings am Dienstag mit 44 zu 14 Stimmen ab.

Anhand des Abstimmungsverhaltens lassen sich nun immerhin grobe Parteienverantwortlichkeiten für das Glühbirnenverbot identifizieren. Die Sozialdemokraten stimmten bis auf einen Abgeordneten gegen eine Befassung durch das gesamte Parlament. Die Grünen stimmten geschlossen dagegen – und rühmten sich anschließend eines Sieges über den „schwarz-gelben Block der Fortschrittsverweigerer“. Das wiederum ist hinsichtlich der Schwarzen halb falsch und hinsichtlich der Gelben ganz falsch.

Denn von den 22 Vertretern der Konservativen im Umweltausschuss stimmten 12 für eine Befassung des EP und 10 dagegen. Von den 8 liberalen Abgeordneten stimmte lediglich einer, ein Deutscher, für eine Plenumsbefassung. Wie kann das sein?, wollen wir von der Pressestelle der Liberalen wissen. Glauben jetzt nicht mal mehr die Freidenker an die Klugheit des Markt und an die Vernunft der Bürger? Nun ja, heißt es, der deutsche Liberale im Ausschuss tue das schon, aber die Fraktionskollegen aus Großbritannien etwa neigten in Umweltfragen „eher zu einem grünen Verhalten.“

Wir halten fest: Die generelle Verantwortung für das Glühbirnenverbot trägt eine große Koalition aus allen europäischen Regierungen, Fachleuten aus der EU-Kommission sowie des Europäischen Parlaments. Die spezielle Verantwortung dafür, dass es über das Verbot keine öffentliche Plenardebatte gab, tragen vor allem die Sozialdemokraten, die Grünen und die Liberalen, plus – etwa zur Hälfte – die Konservativen. Welche Schlüsse sich daraus für die Stimmabgabe bei der Europawahl im Juni ziehen lassen, das muss nun jeder für sich beleuchten.

 

Schafft die Bomben ab! (Oder lieber nicht..?)

Die Welt hat ein neues Großthema. Es heißt nukleare Totalabrüstung. Schon vor zwei Jahren hatten Henry Kissinger und andere amerikanische Elder Statesmen in einem flammenden Artikel für das Wall Street Journal die globale Null-Lösung für Atomwaffen gefordert. Jetzt hat die Debatte das Forum der Münchner Sicherheitskonferenz erreicht. Und damit Breitenaufmerksamkeit gewonnen.

„Unser Zeitalter hat den Göttern das Feuer gestohlen“, beendete ein altersmilder Kissinger seinen in Teilen polit-poetischen Vortrag am Freitagabend im Bayerischen Hof. „Können wir es auf friedliche Zwecke begrenzen, bevor es uns verzehrt?“

Wir müssen, antwortete sogleich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Ich teile die Vision einer Welt ohne Atomwaffen. Das muss unser Ziel bleiben.“

Sicher, wer wollte widersprechen, wenn Staatsmänner fordern, die tödlichsten aller Waffen abzuschaffen. Gleichwohl, Steinmeier setzte in seiner Rede einen Konsens über das Ziel „Global Zero“ voraus, dessen – formulieren wir es vorsichtig – Selbstverständlichkeit nicht jeder im Publikum teilte. Eine der schärfsten Gegenfragen lautete, ob es „intellektuell redlich“ sei, die nukleare Totalabrüstung zu fordern, und ob es nicht realistischer, vielleicht sogar klüger wäre, das Ziel einer weitgehenden Minimierung von Sprengköpfen anzusteuern.

Tatsächlich sind die Gedankenspiele um „Global Zero“ nicht neu, und ebenso wenig sind es die Einwände gegen dieses Ziel. Nehmen wir drei wichtige Einwände heraus, und nennen sie das Know-How-Problem, das Konventionelle-Kriegs-Problem und das Beweggrund-Problem.

Das Know-How-Problem besteht darin, dass sich – um in Kissingers Bild zu bleiben – das prometheussche Feuer nicht zurückgeben lässt. Nuklearwaffentechnik lässt sich nicht „wegerfinden“, sie ist in der Welt. Hinzu kommt, dass das Know How heute leichter zu bekommen ist als je zuvor. „Die Technik ist aus dem Hut“, merkte in München der Generalsekretär der UN-Atomenergie-Behörde, Mohammed El-Baradei, an. „Sie können heute eine CD-ROM mit einer Bauanleitung für eine Atomwaffe kaufen.“ Hinzu kommt, dass jedenfalls die heutigen Atomwaffenstaaten ihre Herstellungstechnik auch nach einer Totalabrüstung nutzen könnten, um innerhalb kürzester Zeit neue Bomben zu bauen. Der immer breitere Ausbau der zivilen Kernkraft verkürzt zudem in immer mehr Staaten den Abstand zwischen friedlicher und potentieller militärischer Nutzung von Atomtechnik.

Dem Know-How-Problem entgegnen Befürworter der Totalabrüstung, dass es die Menschheit in der Tat noch nie geschafft habe, technische Entwicklungen wieder rückgängig zu machen. Wohl aber sei es ihr möglich gewesen, bestimmte Techniken, welche die Zivilisation in ihrem tatsächlichen oder moralischen Bestand gefährden, zu ächten oder wirksam zu verbieten. „Großangelegte Gaskammern, wie sie Nazi-Deutschland benutzt hat, werden nicht mehr toleriert. Die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs), die ein Loch in der Ozonschicht rissen, wurden mit großem Nutzen verboten und durch andere Stoffe ersetzt“, argumentiert George Perkovich, Vize-Präsident des Carnegie Endowment, und Vordenker von „Global Zero“.

Es sind dies allerdings keine starken Argumente, denn zum einen gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg Beispiele für breit angelegte und systematische „Vernichtungen“ ganzer Gesellschaftsschichten (die gesteuerte Hungerkatastrophe in der Sowjetunion, die Kulturrevolution in China, die Pogrome der Roten Khmer in Kambodscha, die Auslöschung der Tutsi in Ruanda), und zum anderen beeinträchtigte die Abschaffung der FCKW keinerlei nationale Sicherheitsinteressen.

Womit der zweite Einwand gegen eine globale Null-Lösung angesprochen wäre, das Konventionelle-Kriegs-Problem. Kritiker der Totalabrüstung sagen, in einer Welt ohne Atomwaffen sinke die Hemmschwelle zum Einsatz herkömmlicher Waffen. Schließlich werde ein Aggressor nicht mehr von der vollständigen Auslöschung seiner Infrastruktur und seines eigenen Lebens abgeschreckt, er könne Eskalationen vielmehr nach und nach kalkulieren.

Diesen Einwand lässt Henry Kissinger gegen sich gelten. Aber er entgegnet: „Das Risiko, das von der Verbreitung von Atomwaffen an viele verschiedene Staaten ausgeht, wird unkalkulierbar.“ Deshalb müsse die Proliferation schnellstens gestoppt werden. Dies funktioniere aber nur, wenn die klassischen Atommächte (Amerika, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) mit Abrüstungsinitiativen vorangingen.

Doch würde nukleare Abrüstung nicht zwangsläugig zu konventioneller Aufrüstung führen? Schließlich würden sich, zöge man Atomwaffen als „große Gleichmacher“ aus der globalen Machtbalance heraus, die Gewichte zugunsten der konventionell übermächtig bewaffneten USA verschieben. China und Russland sähen sich in einer nuklearwaffenfreien Welt vermutlich erst einmal gezwungen, konventionell erheblich aufzurüsten, um wenigstens annähernd mit Amerika gleichziehen zu können.

Der Abrüstungsexperte Perkovich sagt deshalb, eine nuklearen Totalabrüstung müsse mit einem Wandel der globalen Sicherheitsarchitektur einhergehen: „Eine eventuelle Abschaffung von Nuklearwaffen kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie von Veränderungen in den breiten militärischen Beziehungen begleitet wird, welche solche Staaten, die sich jetzt auf nukleare Abschreckung verlassen, davon überzeugen, dass Atomwaffen nicht notwendig sind, um großangelegte Militärinvasionen zu verhindern.“

So breitet Amerika heute einerseits einen nuklearen Schutzschirm über die 23 nicht-atomaren Nato-Staaten, die dann ohne nukleare Abschreckungsoption auskommen müssten. Anderseits bietet Washington anderen Staaten, wie Ägypten, Jordanien und den Golfstaaten lediglich konventionelle militärische Garantien – was aber auch für ein gewisses Maß an Stabilität sorgt.

Dies allerdings führt zum Einwand Nr. 3, dem Beweggrund-Problem. Ließen sich, fragen Skeptiker, aufstrebende Atommächte wie Iran moralisch wohl davon beeindrucken, wenn die alten Weltkriegs-Siegermächte ihre Nukleararsenale vernichteten? Beweggründe für Aufrüstung seien schließlich nicht global, sondern regional zu suchen. Deshalb müsse auch Abrüstung regional ins Werk gesetzt werden. So stapeln Indien und Pakistan Atomrakete auf Atomrakete, weil sie den unberechenbaren Nachbar fürchten. So könnten sich, sobald Amerika abrüstet, Japan und Südkorea gezwungen sehen, ihren eigenen Nuklearschirm gegen befürchtete Angriffe aus China zu spannen.
Und, das für Europa drängendste Problem, versucht der Iran, aus altem Ehrgeiz zu einer Großmacht im Nahen Osten zu werden. Das Regime in Teheran erkennt nicht nur nicht Israels Existenzrecht an, es droht ihm auch offen mit der Auslöschung.

Saudi-Arabien dürfte außerdem nicht tatenlos zusehen, wie der schiitische Iran zum atomaren Hegemon in der Region aufsteigt. „Saudia-Arabiens lange Verbundenheit mit Pakistan legen nahe, dass Riyadh auf einen nuklearen Iran recht kurzfristig reagieren könnte, und zwar eher durch den Ankauf von Atomraketen als durch die Entwicklung eigener Systeme“, glaubt der Global-Zero-Gegner Michael Rühle vom politischen Planungsreferat der Nato in Brüssel. „Jedenfalls wäre Europa, sollte sich der Mittlere Osten nuklearisieren, mit einer Nachbarregion konfrontiert, in der jeder konventionelle Konflikt das Risiko nuklearer Eskalation in sich bürge.“

Den Einwand der regional motivierten Aufrüstung nimmt der Global-Zero-Befürworter Perkovich ernst. Er räumt ein: „Die acht Atomwaffenstaaten werden ein kollektives Verbot von Kernwaffen nicht ins Auge fassen können, solange nicht die Konflikte um Taiwan, Kaschmir, Palästina und (vielleicht) die russische Peripherie gelöst oder zumindest dauerhaft stabilisiert sind.“

Zu dieser Liste sollte man vielleicht noch Nord-Korea hinzunehmen, das seit seinem Kernwaffentest im Oktober 2006 immer lauter mit dem Säbel rasselt. Erst kürzlich drohte das Regime den USA einen „Krieg“ an, sollte Washington nord-koreanische Raketen abfangen. Angesichts solcher Spannungen ist es schwer vorstellbar, dass Japan und Süd-Korea bei ihrer Kernwaffen-Abstinenz bleiben, sollten die USA ihre Raketen verschrotten.

Womit wir dann allerdings wieder bei der Berechtigung von Kissingers Kassandra-Rufen landen; wenn es keinen globalen Druck auf Abrüstung gibt, drohen die Arsenale multipler Player ins Chaotische zu wachsen. Oder, wie es der Polit-Poet Kissinger in München formulierte: „Der Berggipfel mag in Wolken hängen, aber er wird nie in Sicht kommen, wenn wir nicht den ersten Schritt tun.“

Wie könnte der aber aussehen? Perkovich hat einen Vorschlag: „Die internationale Gemeinschaft könnte ihren guten Willen demonstrieren, indem sie die Proliferation von Nuklearwaffen zu einem internationalen Verbrechen macht. Sklaverei, Piraterie und Entführung sind heute schon internationale Verbrechen, die Proliferation ist es nicht.“