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Die Regeln der Rebellion

Unser Kolumnist fragt sich, wo er in dieser Gesellschaft steht: Zwischen reichen Luftsäcken und verstrahlten Aussteigern, scheffelnden Großbürgern und stiernackigem Volk. Das Fax der Woche

Schweinekalter Sonntag. Steh am Fenster mit schiefem Hals, hab mich verlegen. Schnee auf Zweig und Ast. Krähe landet rutschend auf dem Dachfirst, wischt mit einem Flügel über die Kante. Raus ins Freie, schnaufe mich durch die Gassen, blicke auf, sehe eine Stütze der Gesellschaft: Großbürger in Grobripp-Freizeithose lupft zum Gruße die Mütze. Der Gruß gilt einer Dame. Schmelzende Mittelschicht, dezente Ausgehschminke, handgenähte Reitstiefel.

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Wer das Vaterland schützt, schwitzt nicht

Gerade spielten sie noch mit Moslem-Schädeln in Afghanistan. Und was machen sie heute?  Unseren Kolumnisten treiben Kriegsheimkehrer um. Das Fax der Woche

Was macht Oberst Klein? Das ist der Mann, der den Tod bestellte, und die Amerikaner bombten Mann und Kind und Maus am Boden. Verjährt ein Kriegsverbrecher? Der Mann wurde vor einiger Zeit befördert, er bekommt mehr Geld. Was macht er im Hinterland, zählt er die trüben Tage, klopfen ihm die Getreuen auf die Schulter, hat er eine Gattin, die ihm die blassrote Strieme küßt, das Mal, das das Schweißband des Kriegermützchens hinterläßt? Was macht der Bürger Klein, der Stolz der Nachbarn, starrt er in den Nachbargarten, und zählt die Blätter auf dem Rasen, ist er ob der Pflichtvergessenheit verdrossen? Weiter„Wer das Vaterland schützt, schwitzt nicht“

 

Genitale Erscheinungen

Eine Frau erzählt von der Penisseligkeit. Zwei andere vergleichen ihre Muschis. Bevor unser Kolumnist sich auf seine Hände setzen muss, schreibt er uns das Fax der Woche.

Ich öffne die Augen, eine Frau steht am Bettrand, sie sagt: Penisseligkeit. Ich schaue auf den Wecker, drei vor vier Uhr morgens, ich schließe die Augen. Am nächsten Morgen, beim ersten Kaffee zu Hause, fällt mir das Wort wieder ein: Penisseligkeit. Ein langes Wort, fünf Silben, Genital und überirdisches Glück, wie passt das zusammen? Und wer ist diese Frau, die mir erschien?

Später, im Supermarkt, zwei Studentinnen vor mir in der Schlange, Studentin eins zu zwei: Hast du auch eine Mimi-Mumu? Zwei zu eins: Meine Mimi bedeckt kein Minibikini … Weiter„Genitale Erscheinungen“

 

Stehpinkler und andere Hackfressen

Alle drehen durch. Die Kellnerin hat Angst vor ihrem kurdischen Freund, der Kumpel dichtet Blödsinn über Muselmanen. Unserem Kolumnisten bleibt vor Schreck fast der Pfannkuchen im Hals stecken.

Siggi hat beim dritten Buch in Folge ein weinrotes Lesebändchen entdeckt. Er sagt: Ist weinrot billig? Gibt es hundert davon für ’n halben Euro? Und wo wir dabei sind, bist du ’n Moslem? … Bin ich … Aha! Wusste ich’s es doch … Wieso? Siggi sagt, man würde es mir ansehen, ich hätte eine Hackfresse wie ein Hamsterfresser. Ich lasse ihn stehen und mache meinen üblichen Gewaltmarsch ans Meer. Die Sturmwinde hatten das Wasser aus der Bucht herausgeweht, jetzt schwappt es wieder unterm Steg. Plötzlich steht Manni neben mir, reiner Zufall, er ging am Ufer spazieren und dachte nach. Worüber? Er hat kommende Woche einen Beschneidungstermin, und wegen der Ereignisse weiß er nicht so recht.

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Arische Harmonie

Deutschland, Deine Recken: Unser Kolumnist trifft kleine Nazis, die von der Heldenstadt Dresden schwafeln. Haben die alle eine Delle in der Rübe? Das Fax der Woche

Am fünften Tag des neuen Jahres glotzt Hartmut auf den Friedhof der abgelegten Tannen und sagt: „Ich schenk‘ dem Russen unseren Osten“ … Ein Rentner schleift eine Fichte im Netz hinter sich her, wirft sie auf den Haufen. Er stimmt zu: „Früher gaben wir den Pfaffen unseren Zehnten, heute dem Bolschewistenpack …“

Zwei brunzblöde Westler meckern darüber, dass die von dort drüben nur maulen. Hier im wahren Deutschland ist man anständig geblieben. Ist mit dem Ami ins Bett gegangen, musste als sein Liebchen Strapse tragen, was blieb einem übrig, der Besatzer hätte einen sonst zerschmettert. Aber mit den Kommunisten hat man nicht angebändelt, da war Gott davor. Jetzt füttert man die rote Brut, und statt dass die Schweine dankbar grunzen, fressen sie einem auch den Notpfennig weg …

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Mit dem Rücken zur Kunst

Unser Kolumnist geht in ein Museum und verspürt Übelkeit: Baselitz, Beuys – soll das Kunst sein und wenn ja, wer hat das Recht, sowas zu behaupten?

Ich ging ins Museum und beschaute die Bilder der Ausstellung. Es hingen an den Wänden nicht die Leichen der Avantgardisten, es hingen die großen Schinken von Baselitz, von dem es heißt, er sei ein großer deutscher Maler.

Jedes Mal, wenn ich vor einer Leinwand stehen blieb, wurde mir schlecht. Ich sah: kopfüber aufgeknüpfte Luftsäcke, Dreiviertelporträts, gesudelt und bespritzt, aus der Tube gefurzte Ölfarben, dick und doof aufgespachtelt. Titel: Ohne Titel. Noch nie habe ich so viele Frauen, Männer und Kinder gesehen, die den Kopf zur Seite neigten.

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Zwei Fingerbreit Arschritze

Hektik beim Hausmeister: Einbrecher! Sind die etwa gerade an der Balkonbrüstung erforen? Unser Kolumnist telefoniert mit seiner Mutter in Ankara, lacht sich halbtot, schickt uns aber doch noch ein Fax.

Hasan, der Hausmeister, klingelt an der Tür der Wohnung meiner Eltern in Ankara. Er hört das Knurren des Hundes, der ihm knapp über den Fußknöchel reicht. Vater schiebt die Riegel aus massivem Eisen zurück, schließt ihm auf, Schatten bellt und schnappt, er will Hasans Schnürbänder zerreißen. Hasan macht einen Schritt nach hinten und sagt: Zwei Kinder in roten Mänteln brechen gerade bei Ihnen ein.

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Den Feind aufhalten im Pufferstaat

Dieser Tage begegnet unser Kolumnist überall nationalen Fratzen. Lob aufs Militär hier, nieder mit dem Iwan oder Moslem da. Seiner Wut macht er mit einem Fax Luft.

Jahresendfieber, große Erwartungen, es passiert nichts. Freunde im Osten, in Berlin, in Itzehoe, in Ingolstadt, in den Grenzgebieten, sie machen Meldung: Wir sind gegürtet und gerüstet, es soll endlich enden oder beginnen, wir haben die Schnauze voll, wir warten. Warme Stube. Krieg der Imperien, Krieg im Moslemland, wir aber sitzen in der warmen Stube. Kein Tod, kein Verderben, überall erbärmliche Zivilisten.

Was machst Du? Ich warte nicht, sage ich, ich bin gereist, hab gelesen und geschrieben, keine Lust mehr auf Bahnhöfe, können mich alle mal … Blättere in der Zeitung, der Mob marschiert gegen Moslems, gegen solche wie mich. Memmen machen Krawall. Fackelzug der Bürger, die dem Wirt aufn Tisch kacken wollen. Gestern Stadionschläger oder Nazi, heute Wutbürger. Gehe herum, sehe kleine gärende Milieus, ein Mann mit einem Gesicht wie blanker Arsch, er hat sich die Fresse rot gesoffen, er brüllt, Kollegen brüllen mit. Weiter„Den Feind aufhalten im Pufferstaat“

 

Der Mops an und für sich

Unser Kolumnist schlendert durchs vorweihnachtliche Salzburg und sucht Mozartkugeln. Aber was findet er? Dicke kleine Hunde. Nichts als dicke, kleine, stinkende Hunde. Das Fax der Woche

Salzburg, minus ein Grad. Mumienmarschkolonnen in der Getreidegasse, Frauen mit kleinen Nikolausmützen stehen am Glühweinstand. Die Zier- und Schoßmöpse hecheln, die Köpfe verschwinden in Atemwolken. Ich atme in den Grobstrickschal. Wo ist, verdammt noch mal, das Fachgeschäft für Mozartkugeln? Halbe Stunde bis zur Lesung, muss Geschenkliste für die Kieler Freunde abarbeiten. Schnaps und Schokolade. Keine dicken Wollsocken, keine Ingwerplätzchen, kein schwieriges Buch eines schwierigen Poeten. Ein klinischer Irrer ist im Hemd und Jackett unterwegs.

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Wenn die alten Damen nicht wären

Am Tisch mit Püree, Kondensmilch und Marmorkuchen. Unser Kolumnist entdeckt, dass ohne die betagten Nachbarinnen in seinem Viertel gar nichts läuft und schickt uns ein Fax.

Die alten Damen meines Viertels haben keinen Witwenbuckel. Ihre Männer gingen in Rente, im zweiten oder dritten oder fünften Jahr fielen sie tot um: im Garten vor dem Schuppen, im Wohnzimmer zwischen Sessel und Beistelltisch. Ein Rentner wurde vom herabfallenden Ast erschlagen, er wagte sich im Sturm hinaus. Tod ist nicht schön, sagt die Witwe, sie starrt auf die Kondensmilch im Sahnekännchen: weißes Porzellan, fahlgelbe Wohlstandsmilch. Sie empfängt mich zur späten Morgenstunde, wir essen. Fleisch in Scheiben, Püree. Krieg überlebt, Politik überlebt, Arbeit überlebt. Für bisschen Geld wäscht sie Kleider anderer Leute. Arbeiterinnenhände, wenige Altersflecken, Haar hochgesteckt, stolze Dame. Ihre Tüten trägt sie allein nach Haus. Sie ist eine empfindsame Herrin. Weiter„Wenn die alten Damen nicht wären“