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Hat da jemand Paranoia gesagt?

Normale Geisteshaltung? Vollkommen überschätzt! Lieber sollte man mal etwas Unsinniges tun. Zum Beispiel durch die Schweiz reisen und nach geheimen Botschaften suchen.

Das Montreux-Palace Hotel © [M] Philippe Desmazes/AFP/Getty Images
Wenn man den verkritzelten Stadtraum Berlins verlässt und, sagen wir mal, eintritt in ein von förstergrünen Straßenbahnen sanft durchbimmeltes Basel, dann kann es passieren, dass das Auge hungrig bleibt. Auch wenn es in der Baseler Buchhandlung mit dem tollsten Buchhandlungsnamen Basels, nämlich Labyrinth, zahllose Buchstaben zu verschlingen gibt. Viele stecken in den zu Studienzeiten süchtig eingekauften, aufgereihten, angeblätterten und gelegentlich sogar gelesenen stw-Bändchen, einige aber auch in dem schönen schmalen Band Simeliberg des Schweizer Autors Michael Fehr, erschienen im Verlag Der gesunde Menschenversand. Weiter„Hat da jemand Paranoia gesagt?“

 

Hoch lebe die nationale Randale

Auf Stippvisite in Ost und West. Was trifft man? Nichts als deutschen Fraß und deutsche Fressen. Dazu ein bisschen Hurra-Idiotie und reichlich gefühlsechte Bosheit.

Demonstration von Pegida-Anhängern in Dresden © Sean Gallup/Getty Images
Demonstration von Pegida-Anhängern in Dresden © Sean Gallup/Getty Images

Ich reise in die wüste Peripherie, zu den Verheerten mit dem morgendlichen Schnapsatem, zu den Kerlen, die rechts täuschen und rechts treffen. Zu den Zonenkatjas in KIK-Klamotten und Plastikgaloschen, zu ihren prächtig ostdeutschelnden Töchtern, die im Westen blühen und gedeihen, und aber sagen: Der Mensch aus dem Westen, der kennt uns nicht. Ich reise nach Dresden, der Stadt der tapferen Sachsen, der erzgebirgischen Volkskunst, in die Stadt mit der Elbbrücke, die Blasewitz und Loschwitz verbindet. Weiter„Hoch lebe die nationale Randale“

 

Trump in Teheran

Mit Argwohn blicken viele im Iran nun in die USA, stärker als zuvor. Seit der Wahl von Donald Trump fürchten sich Iraner nun vor härteren Sanktionen.

 © Abedin Taherkenareh/EPA/dpa
© Abedin Taherkenareh/EPA/dpa

Es kursiert in Teheran ein Witz, den ich während meiner zwei Wochen im Iran mehrmals höre. Kein Witz mit Pointe, sondern eher mit einem trockenen Lachen am Ende. Vielleicht ist es auch gar kein Witz, sondern einfach die Beschreibung eines neuen Ist-Zustandes, den die jungen Leute, die ich hier treffe, ebenso wenig erwartet haben wie meine deutschen Freunde und ich.

„Viele wollten vor Ahmadinedschad in den Westen fliehen“, wird mir erzählt, „und jetzt kommen sie in den USA an und haben ihn wieder vor sich.“ Die junge Frau, mit der ich an einem Dienstagabend zusammensitze, fügt noch hinzu: „Im Iran kann man aber wenigstens daran glauben, dass die Wahlen gefälscht waren!“ Weiter„Trump in Teheran“

 

Makronen! Meine Fresse!

Das war kein sehr schönes Jahr. Voller Auf und Ab, nur dieses Mal halt ohne Auf. Deshalb: Backen Sie diese dringend notwendigen Adventskekse. Versuchen Sie es wenigstens.

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© Getty Images

Wir wissen das alle: Das waren leider keine sehr schönen Wochen. Doch nun beginnt ja der Advent, die heilige Zeit, die Zeit der heiligen Plätzchen. Lassen wir also all die schlechten Nachrichten kurz hinter uns, ziehen uns unsere Schürzen über, klatschen in die Hände und fangen an zu backen. In schweren Zeiten gibt es schließlich keine bessere Ablenkung als das Backen. Hier exklusiv die besten Rezepte gegen die 2016-Tristesse: Weiter„Makronen! Meine Fresse!“

 

Die Gefangenen Russlands

20 Jahre Haft. Isolationszellen. Folter, bis der Wahnsinn ausbricht. Ukrainer erdulden in russischen Gefängnissen Unmenschliches. Etwa der Regisseur Oleh Senzow.

Das Moskauer Butyrka-Gefängnis © NATALIA KOLESNIKOVA/AFP/Getty Images
Das Moskauer Butyrka-Gefängnis © NATALIA KOLESNIKOVA/AFP/Getty Images

2016. Oleh Senzow, ein ukrainischer Filmregisseur und Schriftsteller, schreibt aus dem russischen Gefängnis, wo er bereits mehr als zwei Jahre sitzt: „Wenn wir Nägel im Deckel des Tyrannengrabes sind, dann wäre ich gerne einer.“ Alle Maßnahmen der ukrainischen Behörden, eine Freilassung oder Übergabe Senzows zu erwirken, scheiterten bis jetzt: Er habe Terroranschläge auf der okkupierten Krim im Mai 2014 geplant; eine Übergabe sei nicht möglich, da er automatisch seine ukrainische Staatsbürgerschaft verloren habe, als die Halbinsel Krim in die Russische Föderation eingegliedert wurde. Er sei jetzt ein Russe und dem Rechtssystem Russlands unterstellt. Was für eine feste Umarmung der neuen Heimat. Weiter„Die Gefangenen Russlands“

 

Zum Hass erzogen

Antisemitische Ressentiments breiten sich wieder aus und gefährden unsere Demokratie. Auch Flüchtlinge bringen Vorurteile mit. Wir müssen Aufklärung leisten!

© Maja Hitij/dpa
© Maja Hitij/dpa

Nicht, dass ich das Schmock oft besucht hätte. Es war cool, auf diese sterile Weise. Man sagt minimalistisch dazu, aber das Wort erzählt nichts von einer möglichen Kälte. Die Preise waren münchnerisch, und das Hummus war trotzdem nicht weich genug. Aber darum soll es hier nicht gehen, das hier ist keine Restaurant-Kritik. Das Schmock als Restaurant wird man in Zukunft eh nicht kritisieren können: Es schließt nämlich dieser Tage. Das vielleicht bekannteste, auf jeden Fall aber hipste israelische Lokal Münchens schließt. Aufgrund von gestiegenem Antisemitismus. Weiter„Zum Hass erzogen“

 

Man wird ja wohl noch mal tuten dürfen

Eines Tages steht er vor der Tür, der neue Wagen: mehr PS, top Spritverbrauch, aller Schnickschnack. Aber wie man ihn vermisst, den alten klapprigen Ford. Ein Abgesang

Ford: Man wird ja wohl noch mal tuten dürfen
Das ehemalige Auto des Schriftstellers Frank Schulz

Längst steht ein Funkelnagelneuer, Schickerer, Größerer vor der Tür. Ein sogenannter Kombi. Mit mehr Pferdestärken, aber weniger Spritverbrauch (uns können sie ja viel erzählen) und allem möglichen Schnickschnack (begeistern kann mich allerdings allenfalls die Lordosenstütze). Aus verschiedenen mal mehr, mal weniger guten Gründen bin ich auf einen angewiesen. Weiter„Man wird ja wohl noch mal tuten dürfen“

 

Die Halbangst im Nacken

Die Kölner Fans taumeln glückselig durch die Saison. Bis jetzt. Die ersten Niederlagen bringen den Schmerz zurück. Was hilft: Das Leid teilen. Wie im echten Leben.

© PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images
© PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Übrigens, das ist keine Einbildung, das ist wirklich wahr: Das Stadion ist der Ort der Poesie und zwar der Poesie der Katharsis. Man braucht nur ein bisschen Geduld, bevor die innere Reinigung abgeschossen ist. Zum Beispiel neulich im Berliner Olympiastadion. Das Spiel ist eigentlich schon vorbei und, obwohl die Niederlage schon feststeht, ereignet sich trotzdem noch ein kleiner Glücksmoment. Wir sind im Block F3 und warten noch ein paar Minuten bis die meisten draußen sind, nur die blauweiße, düstere Wand der Berliner Fans, die den ganzen Nachmittag über in Wellen ihren dumpfen, tierhaften Siegesgesang herüberschwappen ließen, ist auch noch da. Weiter„Die Halbangst im Nacken“

 

Über Leonard Cohens unfassbare Komik

Du singst für eine Angebetete, die aber mit Musik leider gar nichts am Hut hat? Das zeugt schon von Humor. Der verstorbene Liedermacher hatte eine Menge davon.

© Nicolas Maeterlinck/AFP/GettyImages
© Nicolas Maeterlinck/AFP/GettyImages

Natürlich habe ich geweint, morgens um sechs in der Küche, die Fenster der Nachbarn gegenüber schwarz, der Himmel darüber noch dunkler. „Weißt Du, wer gestorben ist?“ fragte mich meine Frau, und ich wusste es, obwohl ich es nicht wissen konnte, und hielt das Lied, das gerade im Radio kam, fälschlicherweise für einen Cohen-Song, obwohl doch eindeutig eine Frauenstimme sang, alle Lieder waren in diesem Moment von ihm.

Und natürlich habe ich nicht um Leonard Cohen geweint, sondern um mich selbst. Um die erste große Liebe, mit der ich immer Songs From a Room hörte in ihrem großen weißen Zimmer. Um den Freund, den ich in seinem Blut und Erbrochenen fand, die Pulsadern aufgeschnitten, das leere Chorbleichegebinde daneben, aber er lebte und fragte mich: „Kannst Du Songs of Love and Hate auflegen?“ und ich konnte, und während wir auf den Notarzt warteten, hörten wir Avalanche. Und natürlich weinte ich um die bittere Erkenntnis, dass wir, wenn es selbst jemanden wie Cohen erwischt, alle irgendwann sterben müssen, there ain’t no cure, weder für die Liebe noch das Leben, diese verdammte Krankheit zum Tode. Weiter„Über Leonard Cohens unfassbare Komik“

 

Eine Poetik des Knochenbrechens

Krieg zerstört Körper. Und er erzeugt sie. Als Speicher für Erinnerung und Sprache. Selten zeigt sich das so eindrücklich wie in den Gedichten von Ocean Vuong.

Nach der Eroberung Saigons im Jahr 1975 © Francoise Demulder/AFP/Getty Images
Nach der Eroberung Saigons im Jahr 1975 © Francoise Demulder/AFP/Getty Images

Glas, später (Warten / Vergessen)

Das Glas erscheint später, und es wird nur eine Erzählung gewesen sein: Seit Monaten sind sie auf diesem Schiff; Wasser, so weit das Auge reicht; keine Richtung. Von Küsten spricht er ohne Artikel. Salt in our sentences. Die Stadt, die sie verlassen hatten, ist namenlos geworden. Auf den Straßen lag das, was übriggeblieben war, zerbrochene Baguettes, zerdrückte Croissants vor der Bäckerei nach ihrer Bombardierung; Tauben auf diesem Asphalt. Das Karussellpferd war schwarz von Ruß, weiße Hyazinthen, September. Das sind die letzten Bilder, die sie mitgenommen haben werden. Die Frau ist schwanger. Everyone can forget us – as long as you remember. Weiter„Eine Poetik des Knochenbrechens“