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Gott wohnt nicht im Finanzamt

Termin bei der Finanzbeamtin. Da vergeht dem freien Künstler das Lachen. Nicht nur wegen der Katzenbilder auf dem Schreibtisch. Das Steuersystem ist eine Farce.

© Garsya/Shutterstock
© Garsya/Shutterstock

Meine Sachbearbeiterin im Finanzamt heißt Frau Kestenholz. Sie möchte aber Chatenois genannt werden, sie stamme aus dem Elsass, was sie nicht ohne Stolz ungefragt hinzufügt. Mir fehlt das berühmte „Akson Grave“ in der germanischen Tastatur, man muss es sich jetzt halt vorstellen. Ich hätte auf Marzahn getippt oder Lichterfelde Ost, so kann Kleidung täuschen und zu Vorurteilen führen. Weiter„Gott wohnt nicht im Finanzamt“

 

Die Verletzung beginnt schon an der Toilettentür

Einer Rollstuhlfahrerin helfen, eine öffentliche, behindertengerechte Toilette aufzusuchen – kein Problem? Von wegen. Unser Alltag würdigt einzelne immer noch herab.

Die Verletzung beginnt an der behindertengerechten Toilette
OMAR TORRES/AFP/Getty Images

„Mit dem Unsichtbarmachen von Individualität und Vielfalt, mit der Repression von Differenzen, mit dem Erfinden von Normen und Codes, die manche ein- und andere ausschließen, beginnen jene Mechanismen von Exklusion, die aus manchen Menschen weniger wertvolle, weniger schutzwürdige Menschen machen“, sagt Friedenspreisträgerin Carolin Emcke. Neulich war’s eine Erfahrung unbedingter Singularität, die mich fürchten und ehrfürchtig werden ließ: der Besuch einer öffentlichen Behindertentoilette. Wer einen körperlich eingeschränkten Menschen pflegt, kennt diese Situation allzu gut und empfindet meine Schilderungen hoffentlich nicht als Zumutung, denn naiv sind sie allemal. Weiter„Die Verletzung beginnt schon an der Toilettentür“

 

Mit der Unsicherheit leben

Nach den Anschlägen von Nizza ist klar: Ein sicheres Europa ist Vergangenheit. Polizei- oder Militärpräsenz ändern daran nichts. Was wir ändern müssen, ist unser Denken.

© REUTERS/Eric Gaillard
© Reuters/Eric Gaillard

Eigentlich wollte ich einen Text über Brüssel schreiben und wie es sich so anfühlt in Brüssel zu sein, nachdem Brüssel passiert ist. Ich schrieb also diesen Text. Ich schrieb von meiner Ankunft am Flughafen. Ich schrieb vom Militär und der nicht mehr existierenden Empfangshalle. Breit gebaute, schwer bewaffnete Soldaten standen dort, anstelle der mit Luftballons und Namensschildern ausgestatteten Wartenden. Keine aufgeregten und fröhlichen Gesichter, nur grimmige Minen. Ich schrieb von den Panzern, die vor den Flughäfen und Bahnhöfen in Belgien stehen. Davon, dass an jeder noch so unwichtigen Ecke plötzliche eine Gruppe mit Soldaten auftaucht, man aber nie weiß, was sie dort eigentlich verhindern sollen. Weiter„Mit der Unsicherheit leben“

 

Der ästhetische Widerstand

Noch immer ist geschlechtliche Diversität keine Selbstverständlichkeit. ‚Homosexuelles Schreiben‘ bleibt deshalb ein politischer Akt. Ein Vorbild dafür: Pasolini

© ALBERTO PIZZOLI/AFP/Getty Images
© Alberto Pizzoli/AFP/Getty Images

Nicht erst seit dem Attentat von Orlando wissen wir, dass die Diversität der Gegenwart längst nicht so selbstverständlich wahr- und angenommen wird, wie wir das gern hätten. In Russland werden Gesetze gegen „homosexuelle Propaganda“ erlassen, in Belgrad wird der CSD Jahr für Jahr gewalttätig attackiert. Das traditionell katholische Spanien hingegen ermöglicht seit 2005 (als weltweit drittes Land) homosexuellen Paaren Ehe und Adoption. Während Irland nach einem Volksentscheid 2015 die Ehe für Schwule und Lesben geöffnet hat, lehnte die slowenische Bevölkerung im selben Jahr in einem Referendum das von der eigenen Regierung initiierte neue liberale Eherecht ab. Welche Rolle kann Literatur in diesen gesellschaftlichen Zusammenhängen spielen? Kann es ihre Aufgabe sein, in Debatten und Identitätspolitiken einzugreifen? Gibt es womöglich gar einen eigenen homosexuellen Stil? Das Festival „Empfindlichkeiten“ im Literarischen Colloquium Berlin widmet sich von heute bis Samstag den verschiedenen Facetten im Zusammenspiel von Homosexualitäten und Literatur. Ein Statement aus der literarischen Werkstatt von Gunther Geltinger veröffentlichen wir an dieser Stelle vorab.

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Wie ich Keith Jarretts Feind wurde

Was verlangt ein Genie wie der Pianist Keith Jarrett auf der Bühne? Stille und absolute Regungslosigkeit. Aber ein Publikum kann nicht still und unsichtbar sein.

Wie ich Keith Jarretts Feind wurde
© Rose Anne Colavito

Am neunten Juli besuchte ich ein Konzert von Keith Jarrett im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Ich war aufgeregt. Ich hatte ihn nie zuvor live erlebt. Der Held meiner Jugend, noch aus jener Zeit, als ich dachte, ich könnte vielleicht selbst ein großer Jazzpianist werden. Weiter„Wie ich Keith Jarretts Feind wurde“

 

Nichts gegen McFit

Keine Sinnfragen stellen, lieber an der Ertüchtigung arbeiten. Laufbänder und Gewichte stehen rund um die Uhr bereit. Statt in Kirchen büßen wir heute in Fitness-Studios.

Fitnessstudios: Der Trainer sagt nur "Super"
© Abhishek Chinnappa/Reuters

 

Was gibt es Neues bei McFit, habe ich mich neulich gefragt. Die Love Parade ist in Vergessenheit geraten und der Prozess gegen die Veranstalter, zu denen auch der Gründer von McFit gehört hatte, ist erst mal im Sande verlaufen. Der Ruf wiederhergestellt und aufpoliert. Ist sonst etwas bei McFit passiert? Weiter„Nichts gegen McFit“

 

Das Denkmal für den alleinerziehenden Vater

In Zeiten von Orbán hört man viel Besorgniserregendes aus Ungarn. Unser Autor hat auf seinem Spaziergang durch Budapest dennoch Schönes und Erstaunliches entdeckt.

© Laszlo Balogh/Reuters
© Laszlo Balogh/Reuters

Mit meinem Kollegen David Wagner war ich für Lesungen und Gesprächsrunden nach Budapest eingeladen. Anlass war die Übersetzung unseres gemeinsamen Buchs Drüben und drüben – zwei deutsche Kindheiten, in dem wir von unseren einerseits so unterschiedlichen, andererseits aber auch wieder erstaunlich ähnlichen Kindheiten in den 1970ern und 1980ern in Andernach bei Bonn und in Ost-Berlin erzählen. Es war für mich ein bisschen überraschend, dass dieses Buch als Erstes ausgerechnet ins Ungarische übersetzt wurde, aber es passt natürlich gut, denn wir erzählen vom Alltag der deutschen Teilung und aus Ungarn kamen entscheidende Impulse für den Fall des Eisernen Vorhangs. Weiter„Das Denkmal für den alleinerziehenden Vater“

 

Einfach sagenhaft eben

Auch wenn man es für ein Klischee hält: Island ist einfach magisch. Grund dafür sind aber nicht die vielbeschworenen Trolle und Elfen. Das Geheimnis steckt woanders.

 © MARTIN BUREAU/AFP/Getty Images
© Martin Bureau/AFP/Getty Images

Ich glaube nicht an Trolle und nicht an Elfen. Es ist wichtig, das an dieser Stelle festzustellen, weil es so viele gab, die mir einen Glaubenswandel prophezeit haben: Wenn du aus Island zurück kommst, wirst du an Trolle und Elfen glauben, dieses Land wird dich verändern, und manche fügten hinzu: „du sowieso, du mit deiner Fantasie“, weil das irgendwie passt: Elfen und Trolle und Schriftsteller. Vielleicht war ich auch deshalb so fest entschlossen: Auf gar keinen Fall an Elfen und Trolle zu glauben, wenn ich zurückkehre von meinem sechswöchigen Aufenthalt in diesem Land als writer in residence. Noch so ein erbärmliches Klischee: Eine Schriftstellerin, die verzweifelt versucht, keinem Klischee über Schriftsteller zu entsprechen. Weiter„Einfach sagenhaft eben“

 

Schland flaggt ab

Pegida-Märsche und AfD-Gestänker verderben vielen die Lust am Party-Patriotismus zur EM. Die Rechten haben sich die Deutungshoheit über das Nationalgefühl zurückerobert.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images
© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Vor zwei Jahren um diese Zeit konnte man sich vor Schwarz-Rot-Gold kaum retten. Von Flutschfinger bis Fliegenklatsche trug alles die deutschen Farben. Sie nisteten als Schminkset im Deckel des Nutellaglases, umschmiegten eine Traumkombination von Putzmitteln im praktischen Wischeimer und lagen als Wimpel jeder zweiten Zeitschrift bei. Denn die WM in Brasilien stand an, und seit dem „Sommermärchen“ von 2006 galt es als deutscher Brauch, zu den internationalen Fußballturnieren massenhaft Flagge zu zeigen. Weiter„Schland flaggt ab“

 

Mit Mutterwitz durchs Vaterland

Wer nicht glaubt, dass man über Männer, Geschlechterkampf und Familie mit Humor und Geist schreiben kann, sollte die Text der kürzlich verstorbenen Fanny Müller lesen.

© Edition Tiamat
© Edition Tiamat

Wie stellt man Fanny Müller in eine Reihe mit Kafka und Brecht? So: Es war spätabends, als K. ankam. „Oh“, sagte Herr K. und erbleichte. „Genau wie Jonni!“ schreit Frau K. Weiter„Mit Mutterwitz durchs Vaterland“