Man läuft über Scherben und morsche, knarrende Bretter. Leerstehende Gebäude sind das Gegenteil von trostlos. Hier lassen sich Exkursionen in fremde Welten unternehmen.
A. zeigt mir seine neue Kamera. Wir fahren mit der S-Bahn Richtung Nordosten. Wir tragen stabiles Schuhwerk, Rucksäcke und Kleidung, die schmutzig werden darf, die kaputt gehen darf. Was wir machen werden? Wir fotografieren. Motive werden wir nicht suchen müssen, wir werden uns in ihnen bewegen. Zugegeben, es ist eine etwas merkwürdige Freizeitbeschäftigung, durch verlassene Gebäude zu laufen und sie zu fotografieren. Weiter„Der Abenteuerspielplatz des mittelalten Mannes“
Der gescheiterte Maler faselt vom Innenleben des nordischen Mannes und schüttet Bier in sein Seelenloch. Dieses Gejaule kann man echt nicht mehr hören. Das Fax der Woche
Besuch beim großen Dichter in der Heldenstadt Leipzig. Sitze im Garten des Gesindehauses, das er bezogen hat. Finken und Goldgelbkehlchen picken in die erstarrten Wachspfützen auf dem Tisch. An zwei Wäscheleinen hängen Hemden und Hosen. Dichter wendet Hähnchenspieße auf dem Grillrost. Weiter„Der betrogene Deutsche ertränkt seinen Kummer“
David Cameron soll ein delikates Körperteil in ein Schweinemaul gesteckt haben. Das erzählt mehr über den englischen Humor als über den Prime Minister.
Da bin ich seit drei Wochen in England und suche ihn: den britischen bzw. englischen Humor. Die Nation lacht sich halb krank über die BBC-Back-Show am Mittwoch. Nun gut. Ende August fahre ich um kurz nach sechs an unserem Nachbarpub vorbei. Eben geöffnet. Ganz in Rot gekleidete Menschen über 50 torkeln mit den auf übliche Weise (bis zum Rand) gefüllten Biergläsern heraus. Torkeln, weil sie auf High Heels gehen: alle. Männer wie Frauen – in roten Abendkleidern, roten Boas, roten Glitzerleggins, mit angeklebten Brüsten und so weiter. Okay, denke ich. Verstehe nichts, aber offensichtlich amüsieren die sich prächtig: making fun of themselves. Weiter„Der Schweinemaul-Steck-Fall“
Engländer geraten nicht vom Regen in die Traufe. Sie springen von der Grillpfanne ins Feuer. Unser Bild von der Welt hängt von der Sprache ab, die wir für sie finden.
Ich stehe in einem Oxforder College-Büro, wo man mir erklärt, wo die Drucker zu finden sind. Es schüttet, was nichts macht, nass bin ich schon. „Walk through Monk’s Passage, turn to your right at the scaffolding, look for the tiny staircase, if it is flooded, just climb over… “ Gestern Abend ist der Feueralarm in meinem Miethaus innerhalb von zehn Tagen zum 13. Mal losgegangen. Ohne jeden Anlass, wie immer. Jetzt die Flut. Weiter„Der Muttersprachenillusion auf der Spur“
Männer, die einen Kodex haben. Frömmler, die Frauen strafen. Unser Kolumnist sagt: Ein Leben ohne Ehre und Eide ist das bessere Leben.
Späte Nacht, bin abgekämpft, an den Nebentischen sitzen Abgekämpfte meines Schlages: ohne Begleitung, mit leerem Becher oder Glas auf dem Tisch. Starre in den Himmel und erschrecke – Stern bewegt sich. Flugzeug? Nein, zu hoch. Satellit, der die Erde in Bahnen umläuft, bis er herabstürzt.
Der Wirt spannt flink die Schirme auf, es gibt einen kurzen heftigen Regen. Es tritt aus dem Dunkeln heraus eine Frau, sie kennt mich aus der Zeitung. Sie fragt, ob sie sich setzen darf, ob sie stört. Ich sage blöd: Bitte ja, wieso nicht? Wir sprechen, wir sprechen über die Ehre. Was ist das? Etwas, was mit dem echten Leben nichts zu tun hat: Ehre ist das Kostüm aus Rattenhäuten, in das ein Mann schlüpft. Ein Wahn, für den die Frauen mit ihrem Blut bezahlen. Die Zeit der Ehrenduelle ist vorbei. Es ist jetzt die Zeit der aufgepumpten Ehrenproleten. Weiter„Die Zeit der Ehrenproleten“
Für diese Woche brauchten wir noch einen Querulanten und irgendwas mit Gender. Wie mag es im Kopf eines Talkshow-Redakteurs aussehen? Unsere Autorin ist reingeschlüpft.
Die Dunkelziffer derer, die nicht am Rand der Gesellschaft leben und trotzdem noch fernsehen, ist recht hoch. Wie sie das kommunizieren, wie heimlich oder offen sie mit dieser obsoleten, stumpfsinnigen Beschäftigung umgehen, kann mir egal sein. Will heißen: Unsere Quoten sind okay. Meine Redaktion ist mehr als okay. Ich. Ich bin der Chefredakteur einer TV-Talkshow und bin umgeben von hochqualifizierten Leuten, hauptsächlich Frauen, die einen guten Job machen. Aus Sicht anderer Männer sicher ein paradiesischer Arbeitsplatz. Da sie wirklich fast durchgehend jung und gutaussehend sind und die Fluktuation relativ hoch ist, hat dies bei mir zu Abnutzungserscheinungen geführt: Ich kann diese Frauen nicht mehr auseinanderhalten. Sie alle tragen etwas Wehendes über etwas Engem, dazu Sneakers, mit denen sie über die Flure fliegen. Flache Schuhe, flache Hierarchien. Sie alle erfüllen ihre Aufgaben mit Bravour, wie ich ihnen regelmäßig – siehe Fluktuation – in ihre Zeugnisse schreibe. Weiter„Bei diesen Leah- oder Laura-Frauen habe ich einen blinden Fleck“
Kontoeröffnung klappt nicht. Internetanschluss gibt es nur mit Konto. Unsere Autorin lebt seit drei Tagen in Oxford und verzweifelt an den Tücken des Ankommens.
Ich sage zu meinem Kind: „Nachbarn sind nicht nur die Leute neben dir, sondern auch die um dich herum“, als wir über die Straße gehen. Wir haben das Paket für einen Nachbarn entgegengenommen. „Erst rechts schauen, dann links“, sage ich zu meinem Kind. Ich will es nicht umbringen, indem ich ihm die Regel falsch erkläre, denke also selbst rasch noch einmal nach. Stimmt: Die kommen von rechts. Weil sie links fahren. Der Nachbar gegenüber wohnt im Keller. Nummer B. A liegt darüber, Eingang auf Straßenhöhe. Wir tappen über die Straße zurück. Die Schilder sind klein, sagen 40. Das Busschild haben wir lange Zeit gar nicht erst gesehen. Lange Zeit: Seit drei Tagen sind wir da.
Auch wenn man Profibasketballer ist: Es ist schon wichtig, was die Eltern denken. Am Spielfeldrand mit der Mutter des Nationalmannschaftskapitäns
Die Mutter des deutschen Kapitäns ist Lehrerin: Karin Hövermann-Schaffartzik, Politik, Geografie und Geschichte. Sie hat selbst nie Basketball gespielt, aber jahrzehntelang zugesehen. Sie ist die Steuerfrau einer Basketballfamilie, ihre beiden Söhne spielen, und auch der Vater ist seit Jahrzehnten Basketballer. Frau Hövermann hat das Spiel studiert, ab und zu schleicht sich Fachjargon in ihre Sprache. Wenn sie am Spielfeldrand sitzt und ihren Jungs zusieht, hat sie eine dünne Haut. Ihre pädagogische Ader schimmert durch. Als ihre Kinder noch Kinder waren, lächelt sie, habe sie bei gelungenen Aktionen auch dem Gegner applaudiert. Heutzutage passe sie da besser auf. Sie lacht einem direkt ins Gesicht: Manchmal jubele sie immer noch aus Versehen. Eine gute Lebensgrundlage, denke ich: aus Versehen jubeln.
Hilfe, unser Kolumnist wird von Frauen in bunten Mao-Kitteln verfolgt! Vorbild: Angela Merkel? Zum Glück ist bald Weihnachten. Das Fax der Woche
Der nicht zugeknöpfte Mao-Kittel in bunt ist bei reifen Damen sehr beliebt. Ihr Vorbild: Frau Merkel. Die Frau am Ende des Großraumabteils ruft die Teilnehmer eines Fortbildungsseminars an und sagt jedes Mal: Haben Sie ein Luftstrommessgerät? Ja? Dann hake ich sie ab. Was? Nein. Sie dürfen teilnehmen. Ich streiche Sie nicht von der Liste. Ich führe Sie als Besitzer eines Luftstrommessgeräts. Danke. Ruhige Schicht…
Nach jedem kurzen Gespräch fummelt sie an den Kittelknöpfen, der Bewegungsmelder erfasst sie, die pneumatische Tür geht schnalzend auf. Es schnalzt achtzehn Mal, ich sitze zwei Reihen hinter ihr, und als die Dame zum neunzehnten Mal das Wort ‚Luftstrommessgerät‘ aufsagt, springe ich auf und laufe in geducktem Galopp durch die Gänge. Weiter„Wenn Uwe tritt, tritt er hart“
Steve Reich ist einer der einflussreichsten Komponisten unserer Zeit. Sein Minimalismus beeinflusste Rockmusik und die Soundtracks von Hollywood. Ein Gespräch über Spiritualität in der Musik und Reichs Freund Arvo Pärt, der nun 80 geworden ist.
Es gibt nicht viele Komponisten, die den Lauf der Musikgeschichte verändert haben. Steve Reich, Jahrgang 1936, ist einer von ihnen. Zusammen mit Terry Riley und Philip Glass gilt er als der Begründer der sogenannten Minimal Music, die ab Mitte der 1960er Jahre von der Underground-Szene New Yorks aus ihren weltweiten Siegeszug antrat: einfache Tonfolgen, die über einen langen (manchmal sehr langen) Zeitraum rhythmisch komplex, aber harmonisch gleichbleibend variiert werden. Weiter„„Wir mussten dieses Fenster wieder öffnen““