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Schweinekruste statt Stalingrad

Ist Merkel eine plappernde Walküre? Rennen alle Ostler zu Deppendemos? Unser Kolumnist schlendert durch Sachsen und sinniert über deutsche Geschichte. Das Fax der Woche

Dresden, Stadt der Heldenmenschen, Ankunft am schönen Frühlingstag. Bullen schnallen sich Panzerpolster an, die Bürger des Abendlands wollen am Montag wieder spazieren gehen. Erblicke zwei grimmige Sachsen auf dem Weg zur Deppendemo. Entdecke schlanke Sächsin, die an den Fassaden entlang schnürt, sie schimpft die Männer aus. Droht Getümmel? Den Sachsen schießt das Blut in die Kalbsschädel, sie bleiben ruhig. Gemiedlichgeed.

Am frühen Abend: Arbeit an Texten von Muttersprachlern. Ich krähe: Deutsche Worte sind mächtig und heftig, gebraucht sie! Es kräht ein junger Schreiber zurück: Deutsche dichten doch deutsch, denkt daran! Gelächter, Gemiedlichgeed.

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Mein Papst und ich

Das neue Papst-Magazin ist die Fortsetzung der urkatholischen Populärkultur. Etwas enttäuschend: Beim Preisausschreibung winken 100 Euro, nix mit Seligsprechung.

© Franco Origlia/Getty Images/Bearbeitun: ZEIT ONLINE
© Franco Origlia/Getty Images/Bearbeitun: ZEIT ONLINE

Eines steht fest: Das Verhältnis der Deutschen zum Papst hat sich seit dem Rücktritt Benedikts XVI. radikal verändert. Ganz Deutschland brodelte im weißen Rauch, als die Bild bei Ratzingers Wahl WIR SIND PAPST titelte, ein Ausruf zwischen Pluralis Majestatis und Inbesitznahme aller päpstlichen Würden für den guten Zweck der Yellow Press. Mit Franziskus haben wir uns von dieser symbiotischen, überindentifikatorischen, ja geradezu kannibalistischen Beziehung zum obersten Pontifex erholt.

Mein Papst heißt das neue Magazin, das seit März auf dem Markt ist. Nun gibt es viele Titel, unter denen deutsche Dichter und Denker den Bischof Roms thematisiert haben, etwa Der Erwählte (Thomas Mann) oder Der Stellvertreter (Rolf Hochhuth), aber keiner ist so schlicht, liebevoll und frei von jeglicher Problematisierung des Amtes wie jener aus dem Hause Panini. Mein Papst, eine Wendung für ein Lebkuchenherz, vergleichbar mit mein Schatz, mein Bärchen, mein Herzensmann, deutet auf eine geordnete, besitzergreifende Liebesbeziehung hin.

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Beziehungsstatus? Es ist kompliziert

Monogamie, Bigamie, Theophilie, Enthaltsamkeit – was bitte ist denn nun der Weg zum großen Glück? Unser Autor bringt Ordnung in das moderne Liebeschaos.

Hier auf ZEIT Online wurden die Leserinnen und Leser gefragt, ob sie noch an die monogame Zweierbeziehung glauben oder längst andere Beziehungsformen für sich gefunden haben. Weil man in der Vielzahl der möglichen Liebesarten schnell den Überblick verliert, erkläre ich hier kurz die wichtigsten davon.

 

Monogamie

Man ist ein Leben lang mit demselben Partner zusammen und dabei unglücklich. Manchmal macht man Tanzkurse.

 

Serielle Monogamie

Man ist erst mit dem einen Partner zusammen und dabei unglücklich und dann mit einem anderen, mit dem man kurz hofft, glücklich zu werden, bevor man dann wieder unglücklich ist. Und so weiter. Zwischendurch ruft man den Partner an, mit dem man am wenigsten unglücklich war, und sagt, dass man einen Riesenfehler gemacht hat. Das ist ein Riesenfehler.

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Brustenthaarung oder lieber Häschenkostüm

Wette verloren! Und dann auch noch Zugfahren und Gespräche mit Liebhabern schwer lesbarer Gegenwartsprosa. Unser Kolumnist hat es wirklich nicht leicht. Das Fax der Woche

Frankfurt-Köln, Schnellzug schießt mit 300 km/h röhrend durch die Tunnel, taumele nach der Ankunft schweißgebadet über den Bahnsteig. Homobeau mit Windhund an der Leine steht in der markierten Raucherzone, führt brüllend Handygespräch mit dem Freund, der ihn mit Homowirt in der Eckkneipe betrog. Weiter„Brustenthaarung oder lieber Häschenkostüm“

 

Schaut auf diese Frau!

Franz von Stuck zeigt, dass in Judith, die Holofernes nach dem Sex ermordet, viel mehr steckt als eine Heldin der Gendertheorie.

"Judith und Holofernes" von Frank von Stuck, 1927 (© Wikimedia Commons)
„Judith und Holofernes“ von Franz von Stuck, 1927 (© Wikimedia Commons)

Menschen sind soziale Wesen und deshalb auf Geschichten über sich und ihre
Beziehung angewiesen. Wir ahmen nach. Wir brauchen die abgebildete Fantasie eines anderen, um nach ihrem Muster handeln zu können.

Schwierig wird es, wenn nicht klar ist, ob der Protagonist einer Geschichte seinen Heldenstatus durch scharfes Kalkül oder einen teuflischen Zufall erlangt – Frauen traut man geschäftsmäßige Berechnung weniger zu als hochemotionale Bluttaten, weshalb Judith und Holofernes nicht nur ein apokryph biblisches Traumpaar sind, das in die Geschichte einging, weil Judith Holofernes nach vollzogenem Liebesakt den Kopf abschlug, „um ihr Volk zu retten“ – Judith gilt gleichzeitig als Prototyp der magisch-dämonischen Frau, die mit dem Feind schlafen will und ihn danach umbringen muss, weil diese schändliche Sehnsucht ihre Autonomie zerstört hat. Weiter„Schaut auf diese Frau!“

 

Die große Säuberung der enthemmten Knechte

Was sind das für gottlose Kerle, die beim Anblick von Gemarterten johlen? Unser Kolumnist verzweifelt am islamistischen Terror. Das Fax der Woche

Gott und Glaube brechen mit Gewalt ein in meine Welt. Die Sektierer morden und brennen, sie stapeln die Häupter der Geschundenen zu Haufen. Sie schänden Mädchen oder übergeben sie zur Schändung an andere Mordbuben. Sie hämmern auf Standbilder, auf Tontafeln, auf steinerne Fabelwesen. Die große Säuberung der enthemmten Knechte. Herz verhärtet, Schädel leer, Blut an den Händen. Schwarz vermummtes Pack. Gott der Moslems, der Herr von uns Moslems ist der schöne Herrscher, es ist der schöne Gott meiner Huldigung.

Was zählt mein Bekenntnis in den Augen der Freunde und Bekannten? Sie sagen: Wir sind nicht dumm. Wir sehen diese Henker, wir hören ihr Triumphgeschrei. Und du erzählst uns was vom gnadenvollen Gott? Daran glaubt ihr? Was ist dann mit den Muselmanen los, die den Propheten rächen? Die Kopfabschneider, sind das Hindus? Willst du uns milde stimmen, wo doch deine Glaubensbrüder kleine heilige Kriege führen?… Sie haben recht. Ich kämpfe um mein Seelenheil. Weiter„Die große Säuberung der enthemmten Knechte“

 

Die clowneske Revolution

Es gibt eine Legitimitätskrise des Kapitalismus und der Macht der Banken. Aber eine Randale wie in Frankfurt schafft auch keinen Umsturz.

© Michael Probst/dpa/Montage: ZEIT ONLINE
© Michael Probst/dpa/Montage: ZEIT ONLINE

Qualmende Mülltonnen, brennende Polizeiwagen. Die Bilder sind düster, zumindest jene, die Spiegel online zusammengeschnitten hat. Flammen, Autowracks, krawallierende dunkle Gestalten. Wären es doch die Pariser Banlieus, weit weg und am Rande der Gesellschaft. Aber das hier ist Frankfurt und mehr als das, es ist das klappernde Herz der europäischen Geldpolitik, beheimatet im neuen Doppelturm der Europäischen Zentralbank, der gestern, als die Bilder entstanden sind, eingeweiht wurde, im kleinsten Kreis, aus Sicherheitsgründen. Weiter„Die clowneske Revolution“

 

Das Märchen vom Bulimie-Teenager

Fantasie ist Lüge! Das Volk will echtes Fleisch und Blut. Unser Kolumnist verstrickt sich in Diskussionen über Kunst und wird fast geschlagen. Das Fax der Woche

Der Herr Aristokrat ist ein Schaubild der Verkniffenheit, ein geschwollener Mann. Er steht im Zimmer, Werkstattbesuch beim malenden Schreiber, beim schreibenden Maler, bei mir. Kaffee oder Tee oder Wasser lehnt er ab. Ich stelle Blatt im Passepartout auf die Staffelei: Frau in Fetzen, sie betrachtet den Betrachter, Maskengesicht, Wind fährt ihr in die Ärmel, bauscht sie auf. Der Herr ist interessiert, ich soll ihm die Geschichte zum Bild erzählen. Frei erfunden, frei gemalt, sage ich, kein Modell aus dem wirklichen Leben, der Urheber bin ich…

Er stutzt: In seiner Welt ist kein Platz für Hirngespinste und Farbeffekte ohne Grund, es will ihm scheinen, als wollte ich ihn veräppeln. Rumpf, Kopf, Arme, Beine, alles vorhanden. Aber die Seele, die von mir kostümierte, die Seele der Frau in Acryl, diese Seele ist nicht Luft noch Leere. Ich soll ihm wenigstens den Vornamen der Dame verraten. Ich beteuere, dass ich sie nicht kenne. Der Herr Aristokrat möchte mit einem Lügner niederen Standes nichts zu schaffen haben, er rauscht davon.

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Die Angst hockt dicht unter der Oberfläche

Hier Yves Saint Laurent und Chanel, ein paar Meter weiter ein Netto. Und dazwischen springt einen plötzlich der alltägliche Rassismus an. Wieso haben wir alle Neugier auf das Fremde verloren?

© Peter Steffen/dpa/Montage: ZEIT ONLINE
© Peter Steffen/dpa/Montage: ZEIT ONLINE

Manchmal scheinen die Dinge so banal zu sein, dass ich mich frage, ob ich nicht naiv bin. Nur, dass ich es auf der politischen korrekten Seite bin, selbstverständlich. Und mich deshalb zurücklehnen und eine Geschichte erzählen kann.

Wenn man aus München nach Berlin kommt, so kann man sich an den vielen libanesischen Imbissen freuen, an der Selbstverständlichkeit, mit der jeder nicht nur Sushi, sondern auch Pelmeni kennt, man kann beinahe so tun, als sei man ein bisschen in London, aber das ist bereits schriftstellerische Fantasie. Und den grauen Himmel, den nimmt man einfach so hin, man ist ja aus München in Berlin. Weiter„Die Angst hockt dicht unter der Oberfläche“

 

Mehr als eine Legende

Madonna rebelliert gegen die Verhaltensauflagen für alternde Musiker. Auf keinem Album spürt man ihre Widersprüche so stark wie auf „Rebel Heart“.

© Jim Dyson/WireImage
© Jim Dyson/WireImage

Es gibt einen Grund, warum Madonna Miley Cyrus verehrt und Lady Gaga bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Abklatsch ihrer selbst degradiert – es geht dabei nicht um Konkurrenzangst, sondern um die Demarkationslinie zwischen der Unsterblichkeit popkultureller, teils geschmackloser Rebellion und gut verkäuflichem Schrott. Wenn Miley Cyrus auf einem Hot Dog durch ihr Publikum fliegt, hat das einen größeren künstlerischen Mehrwert als das Rilke-Tattoo auf Lady Gagas Innenarm – der Hot Dog ist eine Geste, die durch die Unwahrscheinlichkeit ihres Zustandekommens überzeugt, das Rilke-Tattoo nur dekoratives Imponiergehabe, das niemandem wehtut und in ein paar Jahren vergessen sein wird. Weiter„Mehr als eine Legende“