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Gazelle Twin

Elizabeth Bernholz geht dorthin, wo es weh tut. Mit ihrer Musik und Performance rüttelt sie Ängste wach, um sie darauf wieder zu zerschmettern.

Angst kann ein sehr unkonkretes Gefühl sein. Manchmal sehen wir ein Bild, eine Bewegung oder einen Umriss und können uns nicht gegen die Gänsehaut wehren, die es auslöst, ohne sagen zu können, was für Befürchtungen dahinter stecken. Die Britin Elizabeth Bernholz alias Gazelle Twin spielt mit diesen Auswirkungen, verhüllt sich mit einer großen Kapuze, lässt das Licht flackern und Töne flirren und flüstern. Ihre Musik ist eine Reise in unwohlige Traumlandschaften, die den Alltag infrage stellen und sich einem großen übermächtigen Gefühl entgegenstellen. Das Studium der zeitgenössischen Klassik im Hintergrund, nutzt sie ihr Talent, um mit Schreien, Synthies und Rumoren Kompositionen zu erschaffen, die sich Normen widersetzen und eigene Ängste überwinden. Performative Beengung und Befreiung, zur gleichen Zeit!

 

Lasse Matthiessen

Der junge Däne ballt ganze Emotionsstrudel in seinen Songs zusammen und entknotet sie wieder leichtfüßig spielend mit seiner Akustikgitarre.

Man sollte sich nicht täuschen lassen, von diesem jungen Dänen und neuerdings Wahlberliner, dessen Songs oft so leise und vorsichtig anfangen. Denn so manches Mal folgt auf den eben noch so lieblich gezupften Akustikgitarrenmoment just im Anschluss der Ausbruch. Und zwar ein solcher Ausbruch, bei dem einem schon mal ein Schauer den Rücken runterkriechen kann. Lasse Matthiessen steckt schlichtweg jeden Funken Emotion in seine Lieder. Man könnte mutmaßen, dass er nach einem Konzertabend völlig leergespielt von der Bühne kommt, vielleicht ist sein Vorrat aber auch schier unerschöpflich. Sein letztes Album finanzierte er mit Rückendeckung von TV Noir per Crowdfunding. Ein Plan, der nur funktionieren kann, gibt es doch wenig bessere Geldanlagen als einem Musiker wie ihm zu einer neuen Platte zu verhelfen. Ein Konzertbesuch in der Prinzenbar schließt sich da nur logisch an.

 

Austin Lucas

Folk, Punk und eine große Portion Talent gibt es mit Austin Lucas am Mittwoch im Hafenklang zu erleben. Plus Special Guest: Aaron „Cuz“ Persinger.

Das Video zu Someboy Loves You lässt sich als einer dieser Beweise einsetzen, dass von Herzen kommende Musik nicht viel braucht. Austin Lucas sitzt auf der Rückbank eines Autos, fährt durch eine vermeintlich amerikanische Wohngegend und spielt seinen Song auf der Gitarre. Und auch wenn es nur gewöhnliche Straßenzüge sind, die im Rückfenster vorbeistreifen, vermittelt es einem das Gefühl, das man wohl hat, wenn man durch unendliche Prärien streift und über die Möglichkeit einer großen Liebe jubelt. Möglicherweise findet sein natürliches Talent in der Tatsache seinen Ursprung, dass bereits sein Vater, Bob Lucas, ein passionierter und erfolgreicher Musiker war und dem jungen Austin das harmonische Zusammenspiel von Tönen noch vor den ersten Wörtern vermittelte. Vielleicht ist es einfach Austin Lucas großer Glaube an die Musik, an Folk und Punk. Völlig egal, lasst den Mann auf die Bühne.

 

Sci-Fi von gestern

Mit „German Homerecording Tape Music of the early 80s“ erwarten uns gehobene Keller-Schätze, handverlesen von Felix Kubin.

Anfang der achtziger Jahre durfte so manch ein Vierspur-Kassettenrekorder Zeuge eines neuen Musikgenres werden. Die Unstetigkeiten und Dunstwolken einer angespannten Weltpolitik im Nacken verzog sich eine Generation mit neuerdings günstig zu erwerbenden Casio-Keyboards, Ofenblechen, großen Ideen und anderen Geräuschemachern in ihre Keller, um Projekte wie Neros Tanzende Elektropäpste oder Kleines Schwingvergnügen zu gebären. Viele in diesem Kassettenuntergrund entstandene Werke wären fast in Vergessenheit geraten, wenn sich nicht Elektro-Futurist Felix Kubin ihrer angenommen hätte und mit der über das ZickZack-Label veröffentlichten Compliation German Homerecording Tape Music of the early 80s nun zurück ins Bewusstsein einer neuen Hörerschaft bringen würde. Im Pudel stellt Kubin das Werk gemeinsam mit Doug Shipton und Booty Carell am Sonntag vor, begleitet von DJ-Sets, Live-Musik und einem Film-Screening. Eine Reise in die Keller einer längst vergangenen Zeit.

 

Alex Clare

Der bärtige Brite hat zwei musikalische Gesichter – bei dem einen spielt Dubstep, beim anderen die Akustikgitarre eine Hauptrolle.

Soul trifft Dubstep trifft gesellschaftskritische Texte. Hört sich interessant an und funktioniert auch ziemlich gut. Auf seinem neuen Album Three Hearts singt Alex Clare stimmgewaltig zur gut geölten Beatmaschine über die Sinnlosigkeit des Krieges. War Rages On heißt diese Single. Durch die visuell aufwendig arrangierte Gewalt im dazugehörigen Musikvideo erhält die Message des bärtigen Sängers ein Ausrufezeichen. Ganz anders klingt dieser Song, wenn der 28-jährige Brite ihn mit einer Akustikgitarre bewaffnet und ohne elektronischen Schnickschnack auf der Bühne performt. Beim Konzert am 28. Januar im Docks möchten wir dann bitte beide Versionen hintereinander weg hören – erst in der Abgeh-Dubstep-Variante und hinterher zum Abkühlen mit ruhigem Gitarrengezupfe.

Text: Lena Frommeyer

Alex Clare from Hammond Cox Casting on Vimeo.

 

Bertini-Preis

Ralph Giordanos Roman „Die Bertinis“ war Namensgeber des Hamburger Vereins, der seit 17 Jahren junge Menschen mit Zivilcourage auszeichnet.

„Lasst euch nicht einschüchtern“, ist die Kernbotschaft des Bertini-Preises, der Zivilcourage ehrt. Jährlich wird er in Hamburg an Jugendliche vergeben. Sich einzumischen, wenn man Unrecht beobachtet, aufzustehen gegen Unrecht, Ausgrenzung oder Gewalt ist unheimlich wichtig aber auch eine heikle Angelegenheit. Denn wenn man Täter konfrontiert, wird man womöglich selbst zum Opfer. Ein tragischer Umstand, der jedoch viele Menschen nicht abschrecken kann. Die Schülerinnen und Schüler, die am 27. Januar im Ernst Deutsch Theater mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet werden, haben sich hauptsächlich in (schulischen) Projekten gegen „Vergessen, Verdrängen, Verleugnen von Unrecht, Ausgrenzung und Gewalt“ eingesetzt. Im letzten Jahr stand beispielsweise die Abiturientin Jessica Köster auf der Bühne. Sie folgte den Spuren des Kolonialismus in Hamburg. In einem fiktiven Tagebuch schrieb sie die Erlebnisse des Kameruners Samson Dido auf. Dieser trat 1886 in einer der Völkerschauen des Zoobetreibers Carl Hagenbeck auf. Die Preisverleihung findet am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus statt.

Text: Lena Frommeyer

 

„Kindeswohl“

Bestsellerautor Ian McEwan („Abbitte“) stellt im Gespräch mit Redakteur Daniel Haas (ZEIT:Hamburg) seinen neuen Roman „Kindeswohl“ vor.

Was für ein Timing: Kurz nachdem ihr Mann gesteht, mit einer außerehelichen Affäre zu liebäugeln, wird der Londoner Richterin Fiona Maye ein dringender Fall vorgelegt: Ihr bleiben 24 Stunden, um zu entscheiden, ob ein an Leukämie erkrankter Junge gegen den Willen seiner Eltern eine lebensrettende Bluttransfusion erhält. Diese sind Zeugen Jehovas und lehnen den Eingriff aus religiösen Gründen ab…

So viel zur Handlung des neuen Romans Kindeswohl von Ian McEwan. Der britische Autor stellt im Gespräch mit ZEIT:Hamburg-Redakteur Daniel Haas sein neues Buch vor. Bekannt ist McEwan dem breiten Publikum seit der Verfilmung seines Bestsellers Abbitte (engl. Atonement) mit Keira Knightley und James McAvoy in den Hauptrollen.

Was wird der Schriftsteller diesmal mit seiner Heldin anstellen: Geht die Richterin im emotionalen Tumult unter oder bewahrt sie sich ihre Professionalität? Falls McEwan das verraten sollte, verstehen eh es nur diejenigen, die seiner Sprache mächtig sind – der Talk in den Kammerspielen findet auf Englisch statt.

Text: Lena Frommeyer

 

Chuzpe

Lily Bretts humorvoller Bestseller in der Regie von Henning Bock hat am 25. Januar in den Hamburger Kammerspielen Premiere. Weitere Vorstellungen finden vom 29. bis 31. Januar statt.

Die neurotische Ruth ist Inhaberin einer erfolgreichen Agentur und führt ein wohlsituiertes Leben. Ihr fast neunzigjähriger Vater Edek zieht von Melbourne zu ihr nach New York. Doch will sich der polnische Holocaust-Überlebende nicht zur Ruhe setzen. Im Gegenteil, er richtet in Ruths Leben ein heilloses Durcheinander an. Erst macht er sich in ihrem Büro „nützlich“, dann fängt er eine Liaison mit einer siebzigjährigen Polin an und schließlich kommt er auf die Idee, ein Klops-Restaurant in New York zu eröffnen. Die Uraufführung nach Lily Bretts Bestseller in den Wiener Kammerspielen bestach durch absurde Situationskomik und exzentrische Figuren. Den handlungstechnisch eher schlichten Roman mit langen narrativen Passagen bühnentauglich zu machen, ist eine Herausforderung, doch Regie und Besetzung stimmen optimistisch. Henning Bock adaptierte bereits zahlreiche Literatur- und Kinderbuchklassiker für die Bühne. Joachim Bliese, der die Rolle des rüstigen Greises übernimmt, hat sich als starker Charakterdarsteller profiliert und wurde 2008 für seine schauspielerische Leistung mit dem Rolf-Mares-Preis ausgezeichnet.

Text: Natalia Sadovnik

 

Fräulein Julie

Liv Ullmann hat August Strindbergs berühmtestes Stück in der Tradition eines Kammerspiels inszeniert. In den Hauptrollen: Colin Farrell und Jessica Chastain.

Liv Ullmanns Verfilmung des berühmtesten Stücks von August Strindberg bleibt in der Tradition des Kammerspiels: Gerade mal drei handelnde Personen gönnt die Regisseurin ihrer Leinwandfassung. Auf einem Landsitz in Irland entspinnt sich 1890 nach der Feier zur Mittsommernacht ein fatales Dreiecksverhältnis: Die junge Gräfin Julie (Jessica Chastain) verführt den Diener Jean (Colin Farrell), der sie bereits als kleiner Junge begehrte – das alles unter den Augen seiner frömmelnden Verlobten Christine (Samantha Morton). Statusbewusstsein und Verlangen hindern und befeuern die verhängnisvolle Affäre der beiden Manipulatoren, in der die Machtverhältnisse selten eindeutig sind. Ein kurzer Zeitausschnitt, eine reduzierte Besetzung – doch maximale Wirkung erzielt Ullmann mit dieser Knappheit nicht. Ohne besonderes inszenatorisches Flair verlässt sie sich vollständig auf ihre famosen Darsteller, deren Kunst den Film dann auch tatsächlich rettet.

Text: Thorsten Moor

 

The Imitation Game

Denkmal für einen Codeknacker: Benedict Cumberbatch brilliert in dem Weltkriegsdrama als schwieriger Vordenker Alan Turing.

Was die Hollywood-Praxis des In-Schubladen-Steckens angeht, hat es Benedict Cumberbatch ganz gut getroffen. Offenbar ist der Sherlock-Darsteller auf Intelligenzbestien abonniert: Neben dem berühmtesten Detektiv der Welt verkörperte der britische Schauspieler Julian Assange (Inside Wikileaks), den genetisch verbesserten Supermann Khan (Star Trek Into Darkness) und bereits 2004 Stephen Hawking. Außerdem verpflichtete der Comicverlag Marvel ihn jüngst als Ober-Zauberer Doctor Strange – immerhin ein akademischer Titel. Doch zuerst ist Cumberbatch als Alan Turing zu sehen. Noch ein Genie. Der britische Mathematiker wird im Zweiten Weltkrieg vom Geheimdienst als Codeknacker rekrutiert. Als Teil eines Spezialistenteams (darunter Keira Knightley als brillante Wissenschaftlerin Joan Clarke) soll er die hochkomplexe Enigma-Chiffrierung der deutschen Wehrmacht entschlüsseln – eine schier unlösbare Aufgabe… Regisseur Morten Tyldum (Headhunters) setzt Computerpionier Turing ein eindrucksvolles filmisches Denkmal, sein grandioser Hauptdarsteller hilft nach Kräften: Cumberbatch spielt den arroganten, unkonventionellen Theoretiker zurückhaltend und bringt dennoch das ganze Leid seiner verborgenen Homosexualität zum Ausdruck – die damals unter Strafe stand. 1954 beging er Selbstmord: Zur chemischen Kastration gezwungen biss er in einen vergifteten Apfel (ein Ende, das der Film nicht zeigt).

Text: Thorsten Moor