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Après Dackelblut

Die Gruppen, mit denen Jens Rachut seit Ende der 1980er-Jahre Hamburger Punkgeschichte schreibt, tragen stets die seltsamsten Namen: Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Oma Hans. Keine dieser Bands gab es länger als ein paar Jahre. So verkündeten auch Oma Hans 2006 ihren Abschied, bevor Rachut sich auf sein bereits 1998 gegründetes Projekt Kommando Sonnenmilch konzentrierte, das sich wiederum letztes Jahr aufgelöst hat. Dass Oma Hans jetzt zurück sind, ist lediglich als vorübergehender Abstecher in die Vergangenheit zu betrachten. Jedenfalls möchte die Band das ausdrücklich nicht als reguläre Reunion verstanden wissen. Im Februar spielten Oma Hans bereits ein paar vereinzelte Konzerte in Berlin, Köln und Hannover. Jetzt ist Hamburg an der Reihe. Es sind Gäste angekündigt, das riecht nach einer großen, bekloppten Punk-Party. Und danach war’s das dann aber wirklich mit der ollen Oma…

 

Surf ’n‘ Schipper

Was könnte es Netteres geben, als sich an einem (hoffentlich) lauen Frühlingsabend durch den Hamburger Hafen schippern zu lassen und dabei gepflegten Beat- und Surf-Sounds aus den 1960ern zu lauschen? Na, eben. Dann ab auf die Hedi, wo die Hamburger Retro-Institution The Splashdowns zu einer ihrer seltenen Live-Shows lädt. The Splashdowns wurden 1998 gegründet und haben seitdem so manch Besetzungswechsel durchgemacht. Auch ihr Sound hat sich mit den Jahren verändert. Mittlerweile wird ein bisschen mehr gerockt statt gesurft. Ihren Sinn für unterhaltsamen Blödsinn hat sich die Band allerdings bewahrt. So bezeichnet sie sich selbst als „instrumentales Tribut an das Nasa-Bodenpersonal zu Zeiten des Apollo-Programms“. Und ihr intellektueller Kopf, Dipl. Ing. Joergensen, kann angeblich Einsteins Relativitätstheorie erklären, weiß aber manchmal vor lauter Zerstreutheit nicht, wie man einen Kassettenrekorder einschaltet.

 

Ernsthafte Elektronik

Die selbsternannte „Elbphilharmonie der Herzen“ ist Heimat des E-Pudel-Festivals: Der erste Abend gehört Phillip Sollman, ehemals Musikjournalist (u.a. für Intro), jetzt Elektro-Musiker der „ernsthaften“ Sorte, also jenseits von Rave und Dancefloor-Ekstase. Sollman hat ein Studium der Elektroakustischen Musik in Wien absolviert und sich seitdem dem Minimalismus verschrieben. Seine Arbeiten reichen von gerade eben noch rhythmischen und damit tanzbaren Tracks bis hin zu konzeptionellen Klang-Raum-Installationen. Im Rahmen von E-Pudel wird der gebürtige Kasseler zuerst gemeinsam mit der Hamburger Experimentalmusikerin Nika Son unter dem Namen Pnin performen, danach folgt sein Solo-Set. Gespannt darf man auch auf den zweiten Festival-Abend sein. Dann ist nämlich der New Yorker Minimalist und La-Monte-Young-Schüler Arnold Dreyblatt zu Gast.

 

Musik zum Heulen

Er hat eine Stimme, die zu Tränen rührt, sein Falsett klingt ebenso zart wie kraftvoll. Die Songs von Will Samson verströmen einerseits Melancholie und Traurigkeit. Doch immer schimmert hier und da – in einzelnen Klängen, Akkorden, Worten oder Harmoniewechsel – noch die Hoffnung darüber auf, dass die Gründe zum Traurigsein nicht ewig währen mögen. Kürzlich hat der sympathische Brite eine EP veröffentlicht. Die Songs darauf sind stark von einem familiären Todesfall inspiriert. Der vieldeutige Plattentitel lautet Light Shadows und illustriert ganz passend die gemischten Stimmungslagen in seinen Texten, die meist nur dezent von akustischer Gitarre und ein paar elektronischen Sounds begleitet werden. Um diese Musik in stiller Andacht zu genießen, ist wohl kaum ein Hamburger Club besser geeignet als die Astra-Stube.

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Punk & Balkan

Wenn eine Band über gesellschaftliche Paranoia singt, einen ihrer Songs ironisch „Heimatlandverräter“ nennt und einen fünfzackigen, schwarz-roten Stern mit stilisierter Trompete als Logo wählt, kann sie insgesamt nicht so falsch liegen. Roy de Roy sind zu fünft und kommen aus Wien. Ihre Musik schwankt zwischen Punkrock und diversen Balkan-Sounds mit Anleihen bei Ska, Klezmer, Swing und Folk, weswegen die Band selbst ihren Stil als „World-Punk“ bezeichnet. Ihr aktuelles Album trägt den Titel Civil Riots. Das ist zwar vielleicht langsam ein bisschen zu viel des verbalen Radikalismus, aber was soll’s: Wenn sich die freundlich-krawallige Stimmung der Songs während des Konzerts auf das Publikum übertragen lässt, steht einem ausgelassenen Tanz-Abend mit hochenergetischer Live-Musik nichts im Weg.

www.facebook.com/royderoy

 

Blick zurück

Das Künstlerpaar Ute und Werner Mahler zählt zu den bedeutendsten Fotografen der ehemaligen DDR. Sie sind seit über 40 Jahren aktiv, ihre Bilder werfen einen humanistischen Blick auf die Welt im Allgemeinen und speziell auf die deutsch-deutsche Geschichte. Die Ausstellung in den Deichtorhallen, am 11. April eröffnet, ist die weltweit erste gemeinsame Werkschau der Mahlers. Zu sehen sind sozialkritische Reportagen und Landschaftsaufnahmen, Porträts und Modefotos sowie die neue gemeinsame Arbeit Die seltsamen Tage, die hier exklusiv gezeigt wird. Wer sich dem Werk von Ute und Werner Mahler ganz unvoreingenommen nähern möchte, hat hierzu noch bis zum 29. Juni die Möglichkeit. Wer es doch lieber vorzieht, sich Kunst von Fachleuten erklären zu lassen, sollte an Ostersonntag die Gelegenheit wahrnehmen und sich einer Führung durch die Ausstellung anschließen.

 

Reggae satt

Absurd: Der 20. April wird hierzulande am ehesten mit dem Geburtstag Adolf Hitlers assoziiert. In den USA gilt Four/twenty als subkultureller Code für die landesweite Kiffer-Gemeinde, die an diesem Tag ihren höchsten, aber (natürlich immer noch) inoffiziellen Feiertag zelebriert. Ob Zufall oder nicht: Hamburger, die dem „heiligen Kraut“ nicht abgeneigt sind oder zumindest Reggae mögen, sollten am Ostersonntag die Fabrik ansteuern. Das Kulturzentrum in Ottensen verwandelt sich an diesem Abend in ein Reggaeville unter konsequenter Bass-Beschallung. Als Anheizer fungiert ein Newcomer namens Jamar Rolando McNaughton alias Chronixx, der seit 2011 zu den größten Hoffnungsträgern der aktuellen jamaikanischen Musik zählt. Als Headliner tritt mit Gentleman dann Deutschlands Reggae-Bruder Nummer 1 auf die Bühne, um unter anderem Tracks aus seinem letzten Album, New Day Dawn, vorzutragen.

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Buggy statt Socken

Über zehn Jahre lang mussten Hamburgs Flohmarkt-Freunde auf ihn verzichten – seit 2009 ist er glücklicherweise zurück: der große Antik- und Flohmarkt auf dem pittoresken Gelände der Kampnagelfabrik. Hier können engagierte Trödel-Händler und geneigte Schnäppchenjäger wieder in aller Ruhe feilschen, was das Zeug hält. Ob es sich um Second-Hand-Kleidung oder um leicht verwitterte Gartenmöbel handelt, um ausrangiertes Kinderspielzeug oder die guten alten Bücher, Bild- und Tonträger – die große Auswahl dürfte Liebhaber gebrauchter Gegenstände verschiedenster Art erfreuen. Ein gewisses Waren-Niveau wird vorausgesetzt beziehungsweise eingefordert. Oder um es mit den Worten der Veranstalter auszudrücken: „Was wir nicht wollen, sind Socken, Sonderposten und Neuwaren“. Verständlich: Solcherlei hat auf einem Flohmarkt ja auch nichts zu suchen.

 

Para-Literatur

Den meisten Hamburgern dürfte Sven Amtsberg als ebenso amüsanter wie skurriler Stadtführer längst ein Begriff sein. Seine Die Wahrheit über… betitelten Rundgänge durch wechselnde Stadtteile Hamburgs gelten mittlerweile schon als literarischer Lokal-Kult. Über die Stadtgrenzen hinaus blickend und unter Mitwirkung von Gastautoren wie Tino Hanekamp, Finn-Ole Heinrich, Tilman Rammstedt widmete sich sein 2011 erschienenes Buch der Wahrheit über Deutschland. Für sein neues Machwerk hat sich Amtsberg mit Paranormalen Phänomenen beschäftigt. Der Autor in seinen eigenen Worten: „Dieses Buch versammelt verschiedene Schilderungen von Augenzeugen, die über paranormale Phänomene berichten. Dieses Werk bemüht sich um Aufklärung dieser Phänomene. Außerdem bestrebt es, die Parapsychologie aus ihrer Schmuddel-Ecke zu holen.“ Ein lobenswertes Unterfangen.

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Demokratie-Krise

„Demokratie / hat viele Gesichter / mal ist sie Schlichter / dann demonstriert sie / dann wieder schlägt sie zu / und lässt keinen in Ruh / Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie“, sang der einstige NDW-Jungstar Andreas Dorau 1988 auf dem Album Andreas Dorau und die Bruderschaft der kleinen Sorgen. Vielleicht sollte man diese Zeilen an diesem Abend – sozusagen zum Auflockern – als eröffnende Worte an das Publikum richten, bevor dann der Hamburger Journalist Peter Ulrich Meyer mit Hamburgs ehemaliger Schulsenatorin und Zweiter Bürgermeisterin Christa Goetsch sowie Gregor Hackmack (Autor des Buches Demokratie einfach machen und Mitglied von abgeordnetenwatch.de) über die Frage zu diskutieren beginnt, ob „unsere Demokratie in einer Vertrauenskrise steckt“. Die Antwort liegt ja auf der Hand… Müsste die Frage also nicht eigentlich lauten: Wie schafft man wieder ein allgemeines Vertrauen in die Demokratie?

Videostream zur Debatte: hier

www.facebook.com/KoerberStiftung