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Flüchten vor der WM

Was tun, wenn einen Fußball nicht nur nicht interessiert, sondern das ganze Drumherum einen regelrecht anwidert? Ab ins Grüne!

Alle gucken den ersten Einsatz der DFB-Elf bei der Fußball-WM gegen Portugal. Nicht nur Ex-Buffer und andere Fachleute, allgemein Sportinteressierte und deren Anhänge, sondern auch Hobby-Patrioten und angehende Alkoholiker, die nicht auffallen wollen. Singles gehen bei Public Viewings auf Brautsuche, Schnorrer erhoffen sich beim ersten Deutschland-Spiel am 16.6. ein paar Gratis-Schnäpse beim „Portugiesen um die Ecke“. Alle reden von tollem Multi-Kulti-Fest, dabei werden hier nur Vorurteile weiter verfestigt und die ganze politische Problematik einer Fußball-WM erfolgreich verdrängt. Wer das Ganze total blöd findet, gilt als verklemmte Spaßbremse. Was tun? Wir empfehlen für den heutigen Abend einen Ausflug ins Grüne – natürlich in einen Park, in dem weit und breit keine Leinwand zu sehen und zu hören ist. Wie wär’s zum Beispiel mit dem Eppendorfer Moor? Ist ein Naturschutzgebiet, da wird nicht herumgegrölt …

Text: Michele Avantario

 

St. PauliArt

Collagen, Filme, Skulpturen, Malerei – 20 NachwuchskünstlerInnen aus dem Stadtteil St. Pauli präsentieren ihre Arbeiten im Kölibri.

Was macht die Nachbarin von gegenüber wohl, wenn sie sich jeden Abend, mit Feder und Tusche in der Hand, konzentriert über ihren Schreibtisch beugt? Bei der Werkschau von St. PauliArt, einem Forum für NachwuchskünstlerInnen der GWA St. Pauli, kann man es vielleicht herausfinden. Unter dem Motto „Grenzen – Träume – Zwischenräume“ zeigen 20 Künstlerinnen und Künstler aus dem Viertel, die selten oder noch nie ausgestellt haben, am Hein-Köllisch-Platz im und um das Kölibri herum ihre Arbeiten. In Sachen künstlerische Ausdrucksformen wurden ihnen dabei keine Grenzen gesetzt. Zu sehen sind Collagen, Malerei, Skulpturen und Fotografie. Außerdem werden Filme gezeigt und Texte vorgestellt. Es gibt also viel zu entdecken: Zum Beispiel ein Schattentheater, zart aquarellierte Akte, eine skurrile Schafspelzwand mit Schweinerüsseln und martialische Masken.

Text: Katharina Manzke

 

Tonight: Fraktus

Verwertung auf dritter Ebene: Die Bühneninszenierung zum Film über die Band, die es niemals gab (und die trotzdem den Techno erfunden hat).

Das kleinste Licht hat die besten Geschichten zu erzählen: Roadie Dennis Modschiedler (Jörg Pohl), mit schütterem langen Haar, aber scharfer Beobachtungsgabe, ist lang genug im Musikbusiness, um sich vom schönen Schein des Rock’n’Roll nicht mehr beeindrucken zu lassen. Und während Fraktus, die von Studio Braun erfundenen Erfinder des Techno, in Pinneberg im Stau feststecken, seziert er gnadenlos die Protagonisten, die das Mikrouniversum eines Popkonzerts so hervorbringt. Die sind ebenso klischeehaft überzogen wie erschreckend realitätsnah: Die Managerin Fritzi von Salm (Lisa Hagmeister) kann weder ihren adeligen Habitus noch ihren Kokskonsum verstecken, die Zwillinge Melanie und Danuta Körner (Franziska Hartman / Alicia Aumüller) geben die hochgradig selbstverliebte, aber untalentierte Vorband, und der technische Leiter Peter Hensel (Julian Greis) versucht schwäbelnderweise preußische Disziplin in den Laden zu bringen. Allerdings: Eine Dramaturgie des Abends, sei es in Form eines roten Fadens oder purer Anarchie, sucht man vergebens. Das Highlight der Inszenierung ist Jörg Pohls Monolog über den Fahrradhelm, als Symbol für alles, was an unserer Gesellschaft kleinlich und hässlich ist.

Text: Hanna Klimpe

 

Schwarze Poesie

Für Empörung und Zensur sorgte der Filmemacher Jörg Buttgereit in den Achtzigern und Neunzigern. Zehn seiner Filme zeigt das B-Movie.

„Nekromantisch“ ging es zu in den Splatter-B-Movies des Berliner Filmemachers Jörg Buttgereit: In den 1980er und 1990er Jahren sorgte er mit der Sterbensetüde Der Todesking (15./19.6) und Todesvisionen wie Schramm (21./28.6.) für Empörung. Dabei standen seine Filme doch ganz in der Tradition einer schwarzen Poesie, die sich auf Vorbilder von Edgar Allen Poe, Charles Baudelaire und Roger Corman berufen konnte. Wie schon bei Nekromantik drohte auch seinem Nachfolger, Nekromantik 2 (14./22.6.), die Zensur – obwohl Die Rückkehr der liebenden Toten, die Buttgereits Opus in einer spektakulären Küchentisch-Sexszene zelebriert, als großes postmodernes Liebesepos gelten darf. Seiner Liebe zum japanischen Horrortrash-Kino hat er in Hörspielen Ausdruck verliehen, die in der Retrospektive gleichfalls erklingen.

 

Radler-Demo

Im Namen der Umwelt und für mehr Respekt gegenüber Radlern: Eine Fahrradsternfahrt führt von 60 Startpunkten aus zur Abschlusskundgebung beim Museum der Arbeit.

Es ist schon beeindruckend, wie lang eine Schlange von Fahrradfahrern sein kann. Nehmen wir die Critical Mass, den monatlichen Demonstrationszug durch Hamburg, der einen als Autofahrer in den Wahnsinn treiben kann. Minutenlang ziehen Menschen auf zwei Rädern an der eigenen Windschutzscheibe vorbei und besetzen die Straße. Das ist auch der Plan – den motorisierten Verkehr zu blockieren, um für eine umweltgerechte Politik zu kämpfen: bessere Radwege, autofreie Tage, Respekt gegenüber Radfahrern. Ganz ähnlich funktioniert auch die Fahrradsternfahrt, eine bundesweite Aktion. In Hamburg starten Radler an über 60 Startpunkten und steuern die Abschlusskundgebung (14 bis 17 Uhr) am Museum der Arbeit in Barmbek an. Das Ziel ist kein Zufall: Hier widmet man seit Mai dem Gefährt als Kulturgut die Ausstellung Das Fahrrad. Wer mit einem Flyer der Sternfahrt an der Kasse herumwedelt, erhält vergünstigten Eintritt zur Schau.

Text: Lena Frommeyer

 

Tarik Husseini

Der renommierte Hamburger Jazz-Schlagzeuger Tarik Husseini begeht seinen 53. Geburtstag mit einem Konzert im Cafe SternChance.

Tarik Husseini ist seit über 20 Jahren nicht mehr aus der hiesigen Jazz-Szene wegzudenken. Der Mittfünfziger zählt zu den besten Schlagzeugern der Stadt. Er hat bereits mit Genre-Größen wie Eberhard Schoener, Peter Brötzmann, Roy Ayers, PeeWee Ellis und Klaus Doldinger zusammengearbeitet sowie Musik für das Thalia Theater, für Schmidt Tivoli und so manchen Werbefilm komponiert. Mit seinem Quartett, neben Husseini bestehend aus Boris Netsvetaev (Piano), Ralph Reichert (Saxofon), Philipp Steen (Bass), spielt der gebürtige Hamburger Modern Jazz, der mal eher cool und melodisch daherkommt, aber auch mal etwas expressiver klingen darf. Dass der Mann durch und durch Musiker ist, versteht sich bei Instrumentalisten solchen Kalibers ganz von selbst. Dass Husseini deswegen seinen 53. Geburtstag am 15.6. live auf der Bühne begeht, will da nicht weiter verwundern.

 

Bunker aufm Kutter

Tanzen bis zum Morgengrauen: Der Club Uebel & Gefährlich richtet eine Nacht mit einem Dutzend DJs auf der MS Stubnitz aus.

Seit Herbst letzten Jahres liegt der alte Fischtrawler im Hamburger Hafengebiet und sorgt dort dafür, dass das subkulturelle Leben in der Hansestadt um einen illustren Veranstaltungsort reicher ist. Eine ganze Menge sehenswerter Konzerte fanden hier statt – wenn auch fast unter Ausschluss der an Avant-Rock und Free Music kaum interessierten Öffentlichkeit. An vereinzelten Wochenenden richteten hier andere lokale Clubs ihre (weitaus besser besuchten) Tanznächte aus, zum Beispiel Hafenklang, Kraniche, Gängeviertel sowie Uebel & Gefährlich. Letztere sind nun wieder an der Reihe. Raus aus dem Bunker, rauf auf den Kutter: Für die Vollbeschallung der MS Stubnitz, von Maschinenraum bis Oberdeck, sorgen diesmal Platten- und Knöpfchendreher wie Rødhåd, Felix Lorusso, René Dachner, PunktPunkt, Robert Etzold, Johannes Raum, Deo & Z-Man, Ein Mü Baiser, Hoppe & Baskind sowie StereoSphere.

Text: Michele Avantario

 

Heldenmarkt

Bei der Hamburg-Premiere der Berliner Messe für nachhaltigen Konsum stellen lokale Unternehmen wie Lockengelöt, Foodloose oder Elber aus.

Wer Held sein will, muss sich nackig machen. Also transparent. Denn nur die Aussteller, die offenlegen, wie sie produzieren, unter welchen Bedingungen für Mensch und Umwelt, dürfen am Heldenmarkt teilnehmen. Seit 2010 gibt es die Berliner Messe für nachhaltigen Konsum. Im Juni kommt sie zum ersten Mal nach Hamburg, in die Alsterdorfer Sporthalle. Den Besucher erwarten dort rund 100 Aussteller aus den Bereichen Design, Energie und Genuss, darunter überwiegend lokale Unternehmen wie Lockengelöt, Foodloose oder Elber. An zwei Tagen darf man sich dann durch Bioweine, Ökobiere und vegane Schokolade probieren. Aber auch abseits der Kulinarik gibt es einiges zu entdecken: Bio-Unterwäsche, Schmuck aus recycelten Edelmetallen und Taschen aus Reststoffen gehören ebenfalls zum Sortiment der Aussteller – außerdem gibt’s eine Kochshow und eine Modenschau.

Text: Julia Braune

 

Flower Power

Das Eigenleben von Pflanzen in Filmen – vom Hollywoodmärchen bis zur Billigproduktion – dokumentiert die Reihe Flora@Labora im Metropolis.

Feed me!“ tönt es aus der fleischfressenden Riesenpflanze in Roger Cormans schöner Billigproduktion The Little Shop of Horrors (14./15./20.6.). Das Eigenleben dieses und anderer Gewächse dokumentiert die Reihe Flora@Labora, die nicht nur in dem exaltiert aufblühenden Underground-Evergreen Normal Love opulente Wirkung entfalten. Jack Smiths hedonistische Flower-Power-Bilderorgie aus den sechziger Jahren wird am 13.6. vom Gitarristen Andy Giorbino und der Sängerin Katrin Achinger zur Eröffnung der Filmreihe im Metropolis-Kino live begleitet. Auch im Urwaldklassiker Chang (18.6.) und der populären Graswurzel-Dokumentation Mikrokosmos (24./28.6.) kommen Pflanzen vor der Kamera ganz groß raus – mindestens so groß, wie die in den Himmel schießenden Bohnenranken im Hollywood-Märchen Der Zauberer von Oz (21./23.6.). Avantgarde-Kurzfilme und eine Präsentation der Hamburger Künstler Erdmute Prautzsch und Ralf Jurszo im näheren Umfeld des Kinos ergänzen das filmpflanzliche Bouquet.

 

Skankshot

Ska-Punk soll wieder eine Bedrohung darstellen – ein Sextett mit politischem Bewusstsein schlägt seine Offbeat-Haken im Centro Sociale.

Ska-Punk und kein Ende: Skankshot kommen aus Hamburg, sind zu sechst und haben sich vorgenommen, dem Gute-Laune-rauf-und-sauf-Klischee von Ska-Punk etwas entgegenzusetzen. Nicht umsonst lautet ihr sympathisches Motto: Making Ska Punk a threat again. Oberflächlich betrachtet hört man das ihrer Musik kaum an, klingt sie doch mit ihren Up-Tempo-Offbeats abgehtauglich bis dort hinaus. Achtet man aber auf die Texte, wird ein anderer Schuh draus: „The time is right to start a riot„, heißt es in Riot! Riot! Riot!. Ein anderer Songtitel lautet Kritik der politischen Ökonomie – auch nicht gerade leicht verträglich. Ihre ambitionierte Haltung schlägt sich auch in ihrer Preis- und Veröffentlichungspolitik nieder. So bringt das Sextett seine Stücke grundsätzlich in Creative-Commons-Lizenz heraus, außerdem ist sämtliches Material als freier Download zu haben. Wie charmant und lobenswert!

Text: Michele Avantario