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Was ist ein moderater Muslim?

Die verhinderten Anschläge haben wieder einmal zu Appellen geführt, die moderaten Muslime sollten sich von radikalen Islamisten distanzieren, mehr noch: Sie sollten diese zur Anzeige bringen.
Das Neue und Erfreuliche: Nicht bloss von Aussen, sondern auch aus den Reihen der Islamverbände kamen solche Forderungen. Es sei „Bürger- und Muslimpflicht“, Extremismus zu melden, sagte Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime.
Aber was ist eigentlich ein moderater Muslim? Auf Kopftücher, Nikabs, Miswaks und Dschilbabs als Unterscheidungsmittel ist dabei kein Verlass, wie wir seit letzter Woche wissen. Der Dschihad spricht Deutsch, hat lange Haare und hört auf den Namen Fritz, wenn es der Konspiration nützt.
Ich kenne keine bessere Checkliste als die (zu ergänzende) Frageliste von Daniel Pipes:

Useful questions might include:

* Violence: Do you condone or condemn the Palestinians, Chechens, and Kashmiris who give up their lives to kill enemy civilians? Will you condemn by name as terrorist groups such organizations as Abu Sayyaf, Al-Gama’a al-Islamiyya, Groupe Islamique Armée, Hamas, Harakat ul-Mujahidin, Hizbullah, Islamic Jihad, Jaish-e-Mohammed, Lashkar-e-Tayyiba, and al-Qaida?
* Modernity: Should Muslim women have equal rights with men (for example, in inheritance shares or court testimony)? Is jihad, meaning a form of warfare, acceptable in today’s world? Do you accept the validity of other religions? Do Muslims have anything to learn from the West?
* Secularism: Should non-Muslims enjoy completely equal civil rights with Muslims? May Muslims convert to other religions? May Muslim women marry non-Muslim men? Do you accept the laws of a majority non-Muslim government and unreservedly pledge allegiance to that government? Should the state impose religious observance, such as banning food service during Ramadan? When Islamic customs conflict with secular laws (e.g., covering the face for drivers‘ license pictures), which should give way?
* Islamic pluralism: Are Sufis and Shi’ites fully legitimate Muslims? Do you see Muslims who disagree with you as having fallen into unbelief? Is takfir (condemning fellow Muslims with whom one has disagreements as unbelievers) an acceptable practice?
* Self-criticism: Do you accept the legitimacy of scholarly inquiry into the origins of Islam? Who was responsible for the 9/11 suicide hijackings?
* Defense against militant Islam: Do you accept enhanced security measures to fight militant Islam, even if this means extra scrutiny of yourself (for example, at airline security)? Do you agree that institutions accused of funding terrorism should be shut down, or do you see this a symptom of bias?
* Goals in the West: Do you accept that Western countries are majority-Christian and secular or do you seek to transform them into majority-Muslim countries ruled by Islamic law?

Hier auf Deutsch und in anderen Sprachen.

 

Bin Laden: Konversion zum Islam bringt Steuervorteile

Osama Bin Laden empfiehlt Noam Chomsky zur Lektüre.

Ausserdem macht er sich in seiner neuen Ansprache Sorgen um die Umwelt: Das Weisse Haus blockiert den Post-Kyoto-Prozess!

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Schlaflos beim Gedanken an Kyoto: Osama Bin laden

Und Bin laden lädt die westliche Welt zur Konversion zum Islam ein: „

Zu lesen, um sich mit dem Islam bekannt zu machen, erfordert nur eine kleine Anstrengung. Und die Belohnung ist groß.“

Das beste Argument kommt ziemlich gegen Ende seiner Predigt: „Es gibt keine Steuern im Islam. Nur eine beschränkte Almosensteuer (Zakat) von 2,5%.“

Der volle Text seiner Ansprache im Original CIA-Transskript hier.

 

Die Muslime und der dekadente Westen

Morgen erscheint in der Wochenendausgabe der taz (magazin) ein umfangreicher Text von mir, der durch die abgewendeten Terroranschläge zusätzliche Aktualität bekommt. Auszug:

Die Urszene der modernen islamischen Kritik am Westen spielt in einer Kirche im Mittleren Westen, genauer gesagt in Greeley, Colorado. Ein ägytischer Beamter namens Sayyid Qutb war vom Bildungsministerium Ende 1948 ans dortige State College geschickt worden, um das amerikanische Bildungswesen zu studieren. In seinen Briefen und Artikeln beschrieb er die amerikanische Kleinstadtgesellschaft. Eine bis heute in der islamischen Welt berühmte Episode betrifft ein Tanzvergnügen in einer der zahlreichen Kirchen von Greeley.

Nach dem Abendgottesdienst, so Qutb, dreht der Pastor die Lichter im Pfarrheim herunter und legt eine Aufnahme von „Baby, it’s cold outside“ auf, um auch die letzten Mauerblümchen auf die die Tanzdiele zu locken: „Der Tanzsaal bebte zu den Tönen des Grammophons und war voller sich verführerisch verschlingender Beine“, schrieb Qutb. „Arme umfassten Hüften, Lippen trafen auf Lippen, Brust schmiegte sich an Brust, und die Atmosphäre war voller Leidenschaft.“

Greeley mit seinen getrimmten Vorgärten erscheint bei Qutb zwar als „so schön, dass man denken könnte, man sei im Paradies“. Metaphysisch aber sind die Mittelwestler obdachlos: „Das wichtigste für diese Leute ist die Gartenpflege, die sie betreiben wie ein Händler seinen Laden in Ordnung hält oder ein Fabrikbesitzer seine Fabrik. Es steckt kein Schönheitssinn oder künstlerischer Geschmack hinter dieser Aktivität. Es ist die Maschinerie der Organisation und des Ordnens, aller Spiritualität und aller ästhetischen Freuden beraubt.“ Ein andermal schreibt er: „Überall wird gelächelt und überall gibt es fun, und an jeder Ecke Umarmungen und Küsschen. Doch niemals sieht man echte Zufriedenheit auf den Gesichtern.“

In einem Ton, der nicht von ungefähr an die zeitgleich entstehenden Beobachtungen eines anderen unglücklichen Intellektuellen erinnert – Adornos „Minima Moralia“ -, zeichnet Qutb Amerika als zugleich enthemmt und freudlos, materiell reich und innerlich verarmt, aufgewühlt und geistig flach, demokratisch und doch konformistisch. Qutb, der 1966 von Nasser hingerichtet wurde, war einer der einflussreichsten Intellektuellen des letzten Jahrhunderts. Nach seiner Rückkehr wurde er zum Chefideologen der Muslimbruderschaft. Sein Werk „Meilensteine“ wurde das Manifest des Islamismus, in dem der Kampf gegen den Westen und seinen Einfluss in der islamischen Welt beschworen wird. Bis heute muss es jeder junge Dschihadist mit geistigem Anspruch lesen. Und weil Qutbs Bild des Westens maßgeblich in Colorado geformt wurde, ist es nicht nur ein Bonmot, von Al-Kaidas Wurzeln in Greeley zu sprechen. Qutb war ein Besucher auf Zeit, der nur sechs Monate blieb und nie wieder eine Fuß auf westlichen Boden setzte. Das Bild des dekadenten Westens hat heute auch unter jenen Zuspruch, die längst keine Gäste mehr sind und doch Fremde bleiben.

Zu Beginn dieses Jahres wurden die Ergebnisse einer ersten umfassenden Umfrage unter britischen Muslimen bekannt. Sie zeigen eine tiefe Ambivalenz gegenüber dem Westen, die sich durch moralisierende Kulturkritik Luft verschafft. Die jungen Muslime haben den Eindruck, in einem dekadenten Land zu leben, dessen Freiheiten einen zu hohen Preis fordern und dessen Sitten zusehends verfallen. Wohlgemerkt: Nicht die Älteren beklagen hier wie üblich die Dekadenz der Gesellschaft im Licht einer intakten Vorzeit. Es sind die Jungen, die die Gegenwart verwünschen.

Das ist etwas Neues in der Geschichte der Migration: Statt den Traum der Eltern von Aufstieg und Anerkennung umzusetzen, wendet sich die zweite und dritte Generation moralisch indigniert von der Mehrheit ab und kultiviert Überlegenheitsgefühle. Statt den Kampf um Anerkennung mit der etablierten Mehrheit auf zunehmen, entziehen sie der Mehrheitsgesellschaft ihrerseits die Anerkennung im Zeichen religiöser Gegenidentitäten. Wie sollen die europäischen Gesellschaften damit umgehen, dass ein erheblicher – und wachsender – Teil der Einwanderer und ihrer Nachkommen sie als dekadent ablehnt und das Heil darin sieht, sich
von ihnen abzukapseln? Dies trifft nicht nur die britische Gesellschaft ins Mark und führt europaweit zu Ressentiments gegenüber islamischen Einwanderern.

Es ist kaum noch zu vermitteln, dass der islamische Fremde am Beginn der Moderne eine positiv besetzte Figur war. Am Anfang der europäischen Kulturkritik stand die Selbstrelativierung durch den Muslim.
Montesquieus „Persische Briefe“ begründen ein Muster westlicher Selbstkritik….

Morgen mehr an einem Kiosk Ihres Vertrauens. (Und später dann auch hier an dieser Stelle.)

 

Dschihadismus und Rechtsextremismus

Da meine alte taz hier ja immer so abfällig zitiert wird, hier mal wieder – als Störfeuer für das beliebte Linkenbashing – etwas Anregendes von Eberhard Seidel von der heutigen Seite 3:

Fritz und Daniel waren nicht die ersten Konvertiten, und sie werden nicht die letzten sein, die den Terrorfahndern in die Hände fallen. Der Dschihadismus ist kein Importartikel mehr, sondern ist inzwischen fester Bestandteil des einheimischen Ideologieangebots. Es gibt in Deutschland hinreichend zornige, junge Männer, die nichts mehr lieben als den spektakulären, ultimativen Auftritt und die von der heroischen Tat träumen. Wer sich in den Niederungen der Republik umschaut, die Augen vor den dramatischen Auswirkungen der sozialen Spaltung nicht verschließt, der kann sich eigentlich nur wundern: Warum gibt es nicht mehr Fritz, Daniels und Adems?

In Deutschland gibt es zurzeit zwei Heilsversprechen, die die Systemüberwindung und die Erhöhung der eigenen Person in Aussicht stellen: den Rechtsextremismus und den Islamismus. Der Rechtsextremismus mit seinem ideologischen Fundament, dem Völkischen, ist für Jugendliche und junge Erwachsene aus Migrantenfamilien aus nahe liegenden Gründen unattraktiv. Der Islamismus dagegen verzichtet auf die Exklusivität des „Blutes“ und lädt jeden ein, der sich in einem Akt des Voluntarismus zu ihm bekennt – unabhängig von der nationalen, religiösen, sozialen und ethnischen Herkunft. Als Internationalismus des 21. Jahrhunderts ist der Islamismus deshalb auch für Sinn- und Aktionssuchende attraktiv, denen der Islam nicht in die Wiege gelegt wurde.

Mehr hier.

 

Ralph Giordanos intellektueller Selbstmord

Unser Leser Stefan Herre weist uns in einem Leserbrief darauf hin, dass die Debatte um die im Sande verlaufene Kölner Demonstration zum 11. September weitergeht. Im Kölner Stadtanzeiger hatte das Ratsmitglied der Linken Jörg Detje Ralph Giordano aufgefordert, er solle seinen „Schulterschluss mit Pax Europa beenden“.
Giordano lässt sich in Antwort darauf bei PI zitieren:

“Um dieses Deutschland wach zu rütteln vor den Gefahren des politischen Islam, muss wahrscheinlich erst Blut fließen.”

Ja, Blut muß fließen („knüppelhageldick“ heißt es, glaube ich, im Original).

Das ist die unrühmliche Abdankung eines Mannes, der einmal ein Aufklärer war.

Damit ist Ralph Giordano gemeint, der einst die „zweite Schuld“ der Deutschen anprangerte – den Nationalsozialismus nicht aufgearbeitet und juristisch geahndet zu haben.
Jetzt macht er sich mit einem höchst schillernden Dr. Seltsam gemein, der kurz vor dem 11. September ein Buch („Gencode J“) mit diesem Plot fertigstellte und schließlich auch veröffentlichte: rassistischer Mossad-Agent versucht die Vernichtung der Weltbevölkerung durch Pesterreger und begeht ein Attentat auf den Felsendom, um die Sache Bin Laden in die Schuhe zu schieben.
Na, wer hat sich diese Revolverpistole nach dem Muster der Weisen von Zion wohl ausgedacht? Preisfrage des Wochenendes.

Auflösung hier.

Giordanos und Ulfkottes folie à deux, die in einem intellektuellen Doppelselbstmord zu enden scheint, wäre selbst Stoff für einen Roman. Ach, Dichter müßte man sein.

 

Warum Deutsche zum Islam konvertieren

Aus einem Text über Konvertiten zum Islam, den ich Ende 2004 geschrieben habe:

… Mohammed Herzog ist vielleicht so etwas wie ein born again muslim, ein spät erweckter, in Allah wiedergeborener Gläubiger. Er würde den christlichen Beiklang von »Wiedergeburt« sicher ablehnen. Aber für ihn hat damals durch seine Bekehrung ein neues Leben begonnen – mit neuem Namen und neuer Identität. Er habe auf der Suche nach geistiger Nahrung im Koran herumgelesen, sagt er: »Und dann stellte ich plötzlich fest: Ich glaube das ja immer schon, was da drin steht.«

Die Neubekehrten beweisen sich durch besonderes Engagement

Der Islam erschien ihm als der reinere Monotheismus. Keine umständlichen theologischen Konstruktionen wie die Dreifaltigkeit, keine haarspalterischen Debatten über die Natur Jesu als »wahrer Sohn und Mensch zugleich«. Und vor allem keine Kreuzigung, keine Auferstehung, keine Erlösung. Dass Gott seinen Sohn opfert, um uns zu erlösen, habe ihm nie eingeleuchtet, sagt Herzog. Die Schöpfung ist gut und gerechtfertigt, weil sie von Allah erschaffen wurde. Der Koran ist das unverfälscht erhaltene Wort Gottes, offenbart durch den Erzengel Gabriel. Mohammed war ein Mensch. Punkt. Aus.

Mohammed Herzog schätzt am Islam – wie schon zuvor an der fundamentalistischen Version des Christentums – die Klarheit, Entschiedenheit und das Positive der Botschaft: das eindeutige Gottesbild (statt der vertrackten Dreiecksgeschichte der Trinität), die heroische Leitfigur des Propheten (anstelle des leidenden und zweifelnden Christus), die klaren Unterscheidungen von Verbotenem und Erlaubtem (statt der christlichen Dialektik der menschlichen Freiheit), die Unantastbarkeit der Schrift (anstelle der kritischen Bibelwissenschaft).

In seiner Eigenschaft als Imam vollzieht Herzog selbst Konversionen. Übers Jahr finden etwa 30 bis 40 Deutsche durch ihn den Weg zu Allah. Das Islam-Archiv in Soest verweist die Berichte über das unheimliche Wachstum des Islams durch Konversion ins Reich der Alltagsmythen. »Dass sich die Kirchen leeren und die Moscheen füllen«, sagt Salim Abdullah, der Leiter des Archivs, »hat kaum mit den Übertritten zu tun. Die muslimische Gemeinde in Deutschland wächst durch hohe Geburtenzahlen unter den Migranten.« Man verzeichne konstant 250 bis 350 Konvertiten pro Jahr. Die Gesamtzahl der deutschstämmigen Muslime liegt nach den Zahlen des Islam-Archivs heute bei etwa 14000. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist das sehr wenig. In Frankreich zählt man über 90000 Konvertiten.

Die Neubekehrten kennen sich mit der Sprache, den Gepflogenheiten und den Amtswegen im Lande besser aus als Migranten. Und sie wollen sich oft ihren neuen Brüdern und Schwestern gegenüber durch besonderes Engagement beweisen. So kommt es, dass die kleine Minderheit der Bekehrten die muslimischen Institutionen hierzulande dominiert….

Mehr hier.

 

Islamisten sehen sich als Sieger

Aus einem Interview mit dem Grünen Tom Koenigs, Leiter der UN-Mission in Afghanistan, das ich zusammen mit Bernd Ulrich für die heutige ZEIT gemacht habe:

Koenigs: Zu einer erfolgreichen Aufstandsbe­wegung gehören drei Dinge: ein charismatischer Führer, eine attraktive Ideologie und ein Hinterland. Der Taliban-Führer Mullah Omar aber ist ein Obskurant. Er stellt sich nicht an die Spitze der Bewegung. Die Aufstandsideologie ist schwammig. Ist es eine lokale oder weltweite Bewegung? Will sie die Regierung stürzen oder nur destabilisieren? Sie sind radikale Islamisten, da­rüber hinaus haben sie kein Programm.
ZEIT: Das ist ja schon mal was.
Koenigs: Der Islamismus verbindet sie mit einer Bewegung, die sich im ganzen Orient verbreitet. Vor allem aber haben sie ein Hinterland in Pakistan. Dort breitet sich eine Dschihadisten-Kultur aus, deren Ziel Afghanistan ist. Dort ruft man zum Heiligen Krieg auf, dort wähnt man sich auf der Seite der Sieger der Geschichte. Dieses Gefühl ist eine gefährliche Droge. Schon wer sich an diesem Kampf beteiligt, fühlt sich als Sieger.
ZEIT: Wer die Menschen derart mobilisieren kann, ist doch nicht schwach!
Koenigs: Taliban-Propaganda sagt, Afghanistan sei besetzt von einer Armee der Ungläubigen. Die Zustimmung zu diesem Satz liegt bei 10 Pro­zent im ganzen Land, im Süden vielleicht bei 20. Wir wissen das aus Meinungsumfragen. Die Menschen wollen die Taliban nicht zurück.
ZEIT: Warum macht dann der Aufstand den internationalen Truppen solche Schwierigkeiten?
Koenigs: Als Taliban kämpfen sehr verschiedene Gruppen. Das sind die Veteranen der Bewegung, wie Mullah Omar und seine Umgebung. Hinzu kommen die fanatisierten Schüler der Me­dres­sen. Sie bilden den ideologischen Kern. Dann gibt es den großen Kreis von entfremdeten Stämmen. Nicht zu unterschätzen ist die Zahl der Söldner, die dabei sind, weil die Taliban besser zahlen als die Polizei. Dann sind da noch bewaffnete Banden, die den Opiumhandel sichern. Manche Aufständische sind Opportunisten. Sie schauen nach Gaza und Irak und sagen sich: Die Islamisten sind die Sieger der Geschichte, da machen wir besser mit. Und dann gibt es schlichte Kriminelle, die von der Unsicherheit profitieren.

Der Rest ist in der Print-Ausgabe zu lesen.

 

Wie Rechtspopulisten die Islamkritik diskreditieren

Aus der ZEIT Nr. 37, S. 10:

(Leider – nein, zum Glück! – wird dieser Beitrag soeben überrollt von Dr. Ulfkottes Absage der Demonstration in Köln. Siehe den Schluss des Artikels.)

In Brüssel ist eine Demonstration verboten worden. Das wäre eigentlich keine Nachricht, denn so etwas kommt in den besten Hauptstädten vor. Allerdings hat es diesmal eine Demo »gegen die Islamisierung Europas« getroffen. Am symbolträchtigen 11. September wollte ein Bündnis von deutschen, belgischen, britischen und dänischen Gruppen in der EU-Hauptstadt auf die Straße gehen, um »die größte Bedrohung unserer Lebensweise in Europa« anzuprangern.
Doch der Brüsseler Bürgermeister Freddy Thielemans, der seit sechs Jahren die Stadt regiert, hat den Aufmarsch untersagt. Seither wird der lebenslustige, korpulente Sozialist im Internet als »Fat Freddy« mit Spott und Hass übergossen. Dabei hatte er mit dem Demoverbot doch verhindern wollen, dass »Brüssel zur Hauptstadt des Hasses« (Thielemans) werden sollte.
Wo immer in Europa ein Streit um Minarette, Karikaturen oder die Scharia aufflammt, liegt alsbald ein Hauch von Hysterie in der Luft. Vor zwei Wochen forderte der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, den Koran zu verbieten »wie Adolf Hitlers Mein Kampf«. Kurz darauf brachte sich sein österreichischer Kollege Jörg Haider, um den es recht still geworden war, mit der Forderung eines »Bauverbots für Moscheen und Minarette« in die Schlagzeilen. Die Schweizer Rechtsaußenpartei SVP will ein Minarettverbot gar in die eidgenössische Bundesverfassung aufnehmen lassen. In Schweden versuchte sich dieser Tage eine Provinzzeitung namens Nerikes Allehanda an einer Wiederauflage des Karikaturenstreits, indem sie Zeichnungen veröffentlichte, die einen Hund namens Mohammed zeigen. Iran, Pakistan und Ägypten haben erwartungsgemäß protestiert, die ersten Flaggen wurden verbrannt. Die schwedische Regierung versucht, die Wogen zu glätten.
Unter Europas Rechtspopulisten tobt indes ein regelrechter Überbietungswettbewerb um die krea­tivs­te Idee, ein verbreitetes Unbehagen am Islam anzuzapfen. Schwer ist dieses Geschäft nicht: Täglich liefern Islamisten neues Futter für berechtigte Ängste. In Deutschland wurden soeben Anschläge vereitelt, die verheerende Ausmasse gehabt hätten. Und in Dänemark wurden acht Verdächtige mit Al-Qaida-Kontakten festgenommen, die offenbar einen Anschlag planten. Neben dem islamistischen Terrorismus verstört die Einheimischen auch das neue Selbstbewusstsein der eingewanderten Muslime. Mit sichtbaren Bauten markieren sie ihren Anspruch auf Anerkennung – wie etwa mit der Moschee in Köln-Ehrenfeld, über die ganz Deutschland debattiert.
Und nun soll man in Brüssel nicht mehr gegen die »Islamisierung« Europas demonstrieren dürfen? Dem Bürgermeister scheint bewusst geworden zu sein, dass sein Verbot sich ausnimmt wie die unfreiwillige Bestätigung der Weltsicht der verhinderten Demonstranten: Wenn man gegen »Islamisierung« nicht mehr demonstrieren darf, sagen sie, weil das die Gefühle der Muslime verletzen könnte, dann ist Europa offenbar schon islamisiert.
So schob Thielemans in der Brüsseler Zeitung de standaard eine Erklärung nach, warum er die Demo nicht dulden wollte. Das Demonstrationsrecht finde seine Grenze dort, wo Ruhe und Ordnung gestört werden. Die Anmelder hätten den 11. September gewählt, um »die terroristischen Aktivitäten von Islamisten zu vermengen mit dem Islam als Ganzem und mit allen Muslimen«. Thielemans gefällt nicht, wenn die Verantwortlichen behaupten, dass »Islam und Demokratie nicht zusammengehen« und dass sie »nicht an einen gemäßigten Islam glauben«.
Dass Islam und Demokratie ein problematisches Paar sind, ist aber keine abenteuerliche Behauptung von Islamhassern, sondern eine Tatsache in vielen Ländern der islamischen Welt. Und nur wer an einen gemäßigten Islam »glaubt«, soll in Brüssel demonstrieren dürfen? Das hieße, die Ausübung eines Grundrechts an eine fromme Meinung zu koppeln. Es sind am Ende andere Gründe, die Thielemans zu seinem Verbot bewegt haben. Er erwähnt Polizeiberichte, nach denen mit gewalttätigen Störaktionen zu rechnen wäre: »Mitglieder und Sympathisanten dieser Organisationen sind im Allgemeinen für ihr wenig friedliebendes Verhalten während solcher Veranstaltungen bekannt.«
»Diese Organisationen« – das sind die britische Initiative No Sharia here, die dänische Anti-Islam-Gruppe SIAD und aus Deutschland die Gruppe Pax Europa e. V. des ehemaligen FAZ-Journalisten Udo Ulfkotte. Und in Belgien macht die rechtsradikale Bewegung Vlaams Belang Werbung für die Demo. Ulfkotte, der an dem Projekt einer islamkritischen Rechtspartei für Deutschland arbeitet, beteuert, mit Rechtsextremisten nichts zu tun haben. Doch bei seinem Berufungsverfahren gegen das Demoverbot nahm er sich den Politiker Hugo Coveliers zum Anwalt, der in Antwerpen mit dem Vlaams Belang zusammengearbeitet hat. Und der Expolizist Bart ­Debie, eine schillernde Figur der rechten Szene Bel­giens und stolzes Mitglied des Vlaams Belang, brüstet sich, Ulfkottes Dolmetscher bei der Anhörung in Brüssel gewesen zu sein.
Das Brüsseler Oberverwaltungsgericht erklärte sich für nicht zuständig, die Demo bleibt also verboten. Der Möchtegern-Parteigründer Ulfkotte hat aber einen Ersatzort gefunden, der die Angelegenheit zu einer deutschen Affäre macht: Köln wird nun am 11. September die Anti-Islamisierungs-Demo bekommen, gleich neben dem Dom auf dem Roncalli-Platz. Der schon im Moscheenstreit kampf­er­probte Ralph Giordano hat sich als Hauptredner zur Verfügung gestellt.
Ob der NS-Überlebende weiß, mit wem er es zu tun hat? Die Anti-Moschee-Aktivisten von Pro Köln haben sich sofort an die Demo herangehängt. Ulfkotte beeilt sich auch hier, in empörten Presseerklärungen Distanz zu markieren. Es sei an »Niederträchtigkeit nicht zu überbieten«, wie diese Gruppe als »Trittbrettfahrer« auftrete. Pro Köln, von NPD-Mitgliedern und Republikanern gegründet, unterhält ganz offen herzliche Beziehungen zum Vlaams Belang sowie zu Bart Debie. Am 3. September teilt die Organisation mit, sie unterstütze Ulfkottes Demo – und fügt maliziös hinzu: »Der Vlaams Belang steht zu Udo Ulfkotte in einem guten herzlichen Kontakt.« Zwar distanziert dieser sich abermals »energisch«. Dennoch fragt sich, wer hier eigentlich bei wem auf dem Trittbrett fährt. Wenn sich der Rechtsradikalismus islamkritisch maskiert, schadet das am Ende auch denen, die ganz legitime Zweifel an der Kompatibilität der Scharia mit unserer Grundordnung hegen.
Es war gleichwohl ein Fehler, die Brüsseler Demonstration zu verbieten. Eine rechtspopulistische Szene, die sich wechselseitig zerlegt bei dem Versuch, antimuslimische Ängste auszubeuten, muss und darf nicht durch die Einengung des Demonstrationsrechts bekämpft werden.

p.s.: Diese Erklärung wird heute auf Ulkottes Seite verbreitet:

Für den Abend des 11. September hatte Pax Europa e.V. von 19 bis 21 Uhr eine weitere Großveranstaltung vor dem Kölner Dom angemeldet, deren Ziel es war, ebenfalls für den Erhalt europäischer Werte und gegen die Islamisierung Europas einzutreten. Zu den prominenten Rednern, die Pax Europa e.V. gewinnen konnte, zählt auch der Holocaust-Überlebende Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano. In den vergangenen Tagen gab es aus der Sicht deutscher Sicherheitsbehörden deutliche Anzeichen dafür, dass eine größere Zahl militanter Rechtsextremisten aus ganz Europa als Trittbrettfahrer dieser demokratischen Veranstaltung aufzumarschieren gedachte. Da das deutsche Versammlungsrecht es im öffentlichen Raum nicht gestattet, Extremisten mit nicht willkommenen politischen Plakaten oder Abzeichen aus einer Kundgebung zu entfernen, stand der Veranstalter nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidium Köln vor der Wahl, die Großkundgebung in Gegenwart vieler Neo-Nazis stattfinden zu lassen und diesen ein Podium zu bieten, sie abzusagen oder aber in einen geschlossenen Raum zu verlegen, bei dem der Veranstalter das Hausrecht hätte und Personen hätte abweisen können.

Und also wurde noch geprüft, ob man auf ein Rheinschiff steigt und dort kundgibt. Oder die Sache abbläst. Und man blies ab. Ein klägliches Ende. Eine lehrreiche Geschichte.