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Warum Geert Wilders‘ Erfolg ihm vielleicht nichts bringt

Zu den unverantwortlichen Positionen von Geert Wilders muss ich hier nichts mehr sagen. Aber wie sieht es nun mit seinen Chancen aus, nach dem großen Sieg an der Regierung beteiligt zu werden?

In dem sehr Wilders-freundlichen Magazin Elsevier analysiert Syp Wynia den Wahlausgang in den Niederland. Er hält Wilders Chancen auf eine Regierungsbeteiligung für „minimal“.

Wilders hat zwar mit seiner PVV von 15 auf 24 Sitze in der „Zweiten Kammer“ – dem Parlament – zulegen können. Doch eine von dem Rechtsliberalen Mark Rutte (VVD) angeführte Koalition aus VVD, Christdemokraten und Wilders‘ PVV  hätte nur einen Sitz Mehrheit.

Im Oberhaus – der „Eerste Kamer“ – hätte man vorerst gar keine Mehrheit, bis zu den Provinzwahlen (statenverkiezingen) im kommenden Jahr.

Vor allem aber die superknappe Mehrheit in der Tweede Kamer dürfte Rutte zu riskant sein, weil Wilders‘ Truppe als nicht sehr zuverlässig gilt:

„Dat is heel wankel.

Er hoeft maar één kamerlid van de PVV (of een van de andere deelnemende partijen) uit de fractie te stappen, of ook de meerderheid in de Tweede Kamer is weg. Dat risico is te groot.“ (Es muss nur ein Abgeordneter der PVV (oder der anderen beteiligten Parteien) die Fraktion verlassen, und auch die Mehrheit im Parlament ist weg. Das Riskiko ist zu groß.)

Möglich wäre dann eine Stützung dieser Koalition, meint Wynia, durch die SGP, eine kleine evangelisch-refomierte Partei. Die SGP (Staatkundig Gereformeerde Partij) ist ultrakonservativ-calvinistisch. Sie strebt eine Theokratie an und hat bis 2007 keine Frauen als Vollmitglieder und Abgeordnete zugelassen.

Ich fände das witzig: Der Islambasher Wilders wird von einer christianistischen Theokratenpartei gestützt, die nur durch Zwang zur Gleichberechtigung von Frauen gedrängt werden konnte!

Aber Syp Wynia ist nicht überzeugt, dass es so kommen wird: Rutte will gar nicht mit Wilders regieren, schreibt er. Er ist ihm wirtschaftlich zu links – zu sozialpopulistisch. (Wilders war im Wahlkampf z. B. vehement gegen eine Rente mit 67. Wilders ist nicht gegen den Sozialstaat, er will ihn bloss für Einheimische reservieren. Seine Reformideen beschränken sich darauf, Migranten von Sozialleistungen auszuschließen.) Wynia: „Rutte wijst op ‘de heel linkse economische agenda’ van de PVV. Dat wijst niet op een grote hunkering naar samenwerking met de PVV.“

Außerdem hat Wynia große Zweifel daran, ob Wilders überhaupt die Leute hat, um in eine Regieurng einzutreten. Die Partei ist ja eine One-man-show:

„Het is ook mogelijk dat Wilders niet ten koste van alles wil regeren, maar de schuld voor zo’n uitkomst wel bij Rutte en Verhagen neer wil leggen.“ (Möglich, dass Wilders gar nicht um jeden Preis regieren will, aber die Schuld für dieses Ergebnis gerne bei Rutte und Verhagen abladen möchte.)

Dies mache wiederum die Chance größer, so Wynia, dass es zu einer Koalition der Rechtsliberalen, Sozialdemokraten und Christdemokraten komme – also zu einer ganz großen Koalition.

Und wäre das nicht die schönste Sache überhaupt für einen wie Wilders? Er könnte dann weiter unverantwortlich vom Rand aus hineinbrüllen, sich zum ausgeschlossenen Opfer stilisieren und Hass gegen die etablierte Politik säen.

 

Der Bund liberaler Muslime ist da

Die Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hatte es schon vor einigen Wochen angekündigt. Jetzt ist es so weit: Der „liberal-islamische Bund e.V.“ ist da – eine Vereinigung von Muslimen, die jenseits der etablierten Verbände einen europäischen Islam nicht nur leben, sondern ihn auch zu Wort kommen lassen wollen.
Auf der soeben freigeschalteten Webpage liest sich das Selbstverständnis so:
„Der LIB vertritt ein pluralistisches Gesellschaftsbild und bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dementsprechend lehnt der LIB jegliche Form von rassistischer, u.a. antisemitischer, antichristlicher oder antiislamischer Auffassung ab.

Der LIB tritt darüber hinaus unter anderem konkret ein für

* eine „dogmafreie“ Auslegung religiöser Schriften wie dem Koran auch unter Einbeziehung historischer und sozialer Kontexte
* die umfassende Geschlechtergerechtigkeit, sowie deren pädagogische und theologische Umsetzung
* die Einführung eines flächendeckenden islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache an öffentlichen Schulen

Mit der Gründung eines Bundes für die in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime ist der LIB e.V. Ansprechpartner und Ratgebender für Vertreter aus

* öffentlichen Institutionen bzw. Verbänden
* theologischen Gemeinden
* politischen Gremien und Verwaltungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene
* schulischen, universitären und anderen Bildungseinrichtungen und der
* Wirtschaft“

Was genau heißt denn aber „liberal-islamisch“? So wie unsere Debatten in letzter laufen, muss die Wortkombination ja geradezu als selbstwidersprüchlich gelten. (Entweder liberal oder islamisch, was denn nun?) Kaddor und ihre Gründungsmitglieder wollen das nicht akzeptieren, sondern den absoluten Widerspruch, den sie schon in ihrem eigenen Leben als Muslime in Deutschland nicht spüren, auch intellektuell auflösen.

Auf der Homepage heißt es nun, liberal-muslimisch bedeute:

  • „auf eine vernunftoffene Gläubigkeit vertrauen, der Verstand ist ein Geschenk Gottes
  • anderen Positionen mit Respekt und Wertschätzung begegnen
  • Widersprüche aushalten können
  • historische, kulturelle, biographische und soziale Kontexte berücksichtigen
  • nicht Beliebigkeit
  • das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit voraussetzen
  • jedweden Absolutheitsanspruch zu reflektieren, relativieren oder gar darauf zu verzichten
  • Entwicklung und Wandel als gesellschaftliche Dynamik annehmen
  • für eine freie und selbstbestimmte Lebensgestaltung in Verantwortung vor dem Schöpfer eintreten
  • Entmytologisierung als Hilfestellung zur Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem sehen
  • nicht nach der Form, sondern nach dem Sinn fragen“

Sie wollen die Vertretung der Muslime nicht den oft stockkonservativen und an den Heimatdiskursen orientierten Muslimverbänden überlassen. Bisher sind die auf der Homepage verzeichneten Mitglieder noch recht wenige. Aber ich kann mir nach dem enormen Echo bereits der Ankündigung dieses neuen Verbands lebhaft vorstellen, dass die Sache schnell wachsen wird.

Lamya Kaddor unterrichtet selber als islamische Religionslehrerin. Sie konnte dabei feststellen, wie wenig junge Muslime oft über ihre eigenen Religion wissen. Sie hat ein Unterrichtsbuch veröffentlich, sowie zuletzt einen Koran für Kinder und ihr autobiographisches Buch „Muslimisch, weiblich, deutsch. Mein Leben für einen zeitgemäßen Islam“.

Gerade nachdem die islamischen Verbände sich beim Zocken mit dem Innenminister zuletzt sehr ungeschickt und unpolitisch angestellt haben, kann man einen neuen Verband, der endlich die jungen, intellektuell ambitionierten Muslime vertritt, die selbstverständlich hier dazugehören und mitreden wollen, nur begrüßen.

 

Warum muslimische Gebetsräume nicht in unsere Schulen gehören

Mitblogger NKB hat zu dem Berliner Urteil über Gebetsräume an Schulen folgenden Kommentar in einem anderen Thread hinterlassen. Er ist es wert, gesondert debattiert zu werden:

@ cwspeer: „Das Problem mit den radikalen Liberalen ist, dass sie blind für die eigenen Aporien sind. Die verbieten notfalls auch Schulkindern das Beten während der Pause. (Heute in Berlin beschlossen). Und zwar im Namen der Freiheit. Hallo! Im Namen der Freiheit von allem, was nicht in Ihr Schema passt, oder wie???“

Wie zu befürchten war, haben Sie nicht verstanden, worum es bei diesem Urteil ging. Es ist deshalb wenig überraschend, dass Sie die Entscheidung darauf reduzieren wollen, „Schulkindern das Beten während der Pause[n] zu verbieten“ – was natürlich ganz arg gemein ist…

Hier zu den Tatsachen: Yunus M. klagte in erster Instanz vor dem VG Berlin auf das Recht, während der Pausen ein rituelles (!) islamisches Gebet abhalten zu dürfen. Es war für den jungen Mann also nicht damit getan, während der Pausen still zu Gott zu sprechen; er musste das vielmehr in recht auffälliger und öffentlichkeitswirksamer Weise tun, mitunter auch mit anderen gemeinschaftlich. Die Schulverwaltung lehnte das ab. Also kam es zum Prozess. Das VG Berlin verkannte die Tragweite seiner Entscheidung und bejahte deshalb erstinstanzlich, dass Yunus M. das Recht zustehe, während der Pausen ein rituelles Gebet abzuhalten, soweit er das für sich nur für religiös verbindlich halte. Die Schulleitung war infolgedessen genötigt, ihm einen eigenen Raum zur Verfügung zu stellen, damit Yunus M. beim Beten erstens anderen nicht den Weg versperrte und zweitens – und wesentlich wichtiger – andere Schüler nicht mit der Zurschaustellung seiner Religion behelligte.

Das OVG Berlin-Brandenburg hat diese grundlegend falsche Entscheidung des VG Berlin nun korrigiert – und zwar unter anderem deshalb, weil die bisherige Praxis u.a. erheblich gegen die (negative) Religionsfreiheit verstieß.

Yunus M. hat zunächst einmal deshalb kein Recht, in der Schule öffentlich vor Mitschülern zu beten, weil er diese dabei offensiv mit seinem eigenen Glauben konfrontiert – zudem, ohne dass die Mitschüler ausweichen können. Der Staat ist indes zu unbedingter religiöser Neutralität verpflichtet. Wenn er Kinder schon zwingt, sich für eine bestimmte Zeit jeden Tag in einem bestimmten Gebäude oder auf dem angrenzenden Gelände aufzuhalten, kann er deshalb nicht zulassen, dass sie dort mit einer bestimmten religiösen Betätigung belästigt, mithin auch zu Gunsten einer bestimmten Religion missioniert werden.

Die „Lösung“ mit dem sog. Gebetsraum war aber noch schlimmer: Sie begründete zunächst einmal Sonderrecht für Yunus M. Wären darüber hinaus andere Gläubige mit dem Wunsch an die Schule herangetreten, gleichfalls während der Pausen ein Gebet abzuhalten, hätte die Schule – wohl oder übel – auch diesen Schülern einen eigenen „Gebetsraum“ zur Verfügung stellen müssen. Die Religionsfreiheit wäre also zu einem allgemeinen „Leistungsrecht“ geworden, das den Schulbetrieb im ungünstigsten Fall lahmlegen könnte.

Eine solche Praxis, beschränkt nur auf anerkannte Religionen, wäre indes gegenüber Atheisten diskriminierend gewesen: Wenn Yunus M. und anderen (anerkannten) Theisten ein Gebetsraum zusteht, warum sollte dann ein „Atheist“ z.B. nicht das Recht haben, einen eigenen Raum für irgendeine Betätigung zu verlangen, soweit er nur behauptet, das gebiete ihm sein Glauben? Um eine Diskriminierung zu vermeiden, wäre es somit notwendig gewesen, auch auf die (mehr oder minder religiös begründeten) Forderungen dieser „Atheisten“ einzugehen – so absurd sie auch sein mögen.

Es ist im Übrigen auch eine geradezu groteske Fehlvorstellung, dass es hierbei nur ums „friedliche Beten“ gegangen wäre, das keinen anderen störe und auch nichts von anderen wolle. An einer anderen Schule hatte die Einrichtung eines solchen Gebetsraumes z.B. kurz zuvor dazu geführt, dass Schüler an den Eingängen zu dem Raum „Wachen“ aufstellten, um zu verhindern, dass „Ungläubige“ während des Gebetes eindrangen und dadurch störten. Andersgläubige Schüler waren darüber verständlicherweise entsetzt und fühlten sich eingeschüchtert.

Religionen sind – auch wenn Sie das wahrscheinlich nicht wahrhaben wollen – immanent darauf gerichtet, andere auszugrenzen und anzufeinden. Das zeigt auch dieses Beispiel. Es geht vor allem aber auch darum, Macht auszuüben und für jedermann verbindliche Normen zu setzen – häufig genug auch für diejenigen, die nicht an diese Religion glauben.

Das genannte Beispiel macht ferner deutlich, dass es geradezu utopisch ist zu glauben, dass Schüler unterschiedlicher Konfessionen einen „Raum der Stille“ oder Ähnliches ohne weiteres gemeinsam nutzen könnten. Auch die Schule von Yunus M. hat mit einem „inoffiziellen Gebetsraum“ bereits schlechte Erfahrungen gemacht, wie u.a. die Berliner Zeitung zu berichten weiß. Im entsprechenden Artikel, noch im Oktober 2009 geschrieben, heißt es u.a.:

„Hier geht der 16-jährige Yunus M. zur Schule, der vor Gericht geklagt hatte. Hier hatte ihm Schulleiterin Brigitte Burchardt zunächst das Beten verboten. Vor ein paar Jahren hat es in der Schule schon mal einen inoffiziellen Gebetsraum gegeben. Das Projekt wurde schließlich durch eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen einzelnen Schülern beendet. Mädchen alevitischen Glaubens hatten den Raum genutzt, um ihr Gebet zu verrichten. Strenggläubige sunnitische Schüler waren damit nicht einverstanden, ihrer Ansicht nach war der Raum durch die Anwesenheit von Mädchen entweiht worden. Es kam zu einer Prügelei. Das war das Ende des inoffiziellen Gebetsraumes.“

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/140914/140915.php

Das Beispiel zeigt, dass das Ausleben von Religionen grundsätzlich nur unnötigen Konfliktstoff in die Schulen trägt, der dort nichts zu suchen hat und der dort sogar weitgehend vermieden werden kann! Im Übrigen scheint es mir wahrscheinlich, dass, gestattete man das Beten in den Schulen, Schüler, die einer religiösen Minderheit angehören, sich gedrängt fühlen könnten (oder gar offensiv gedrängt werden mögen), wenigstens partiell zum Glauben der Mehrheit zu konvertieren, soweit es an jener Schule nur klare religiöse Mehrheiten gibt (vgl. zu diesem Gedanken ebenfalls den verlinkten Artikel, Stichwort: “Schokoriegel” während des Ramadan.)

Grundsätzlich ist das Recht von Yunus M. während der Pausen zu beten mithin zwar von seiner positiven Religionsfreiheit umfasst, diese positive Religionsfreiheit muss aber aus den genannten Gründen hinter der negativen Religionsfreiheit der anderen Schüler sowie dem Ziel, einen reibungslosen Schulablauf zu gewährleisten, zurücktreten.

Weil das Bundesverfassungsgericht sich indes bis heute weigert, Art. 4 GG unter einen allgemeinen Schrankenvorbehalt zu stellen, musste das OVG Güter von Verfassungsrang finden, um eine Beschränkung zu rechtfertigen. Sowohl die negative Religionsfreiheit als auch der „Schulfriede“ haben glücklicherweise Verfassungsrang – letzterer, weil der Staat seinem Erziehungsauftrag sonst wohl nicht mehr nachkommen könnte (das leuchtet ein, stellt man sich nur vor, dass es wegen der unterschiedlichen Bekentnnisse regelmäßig zu Konflikten, gar Prügeleien kommen könnte oder aber eine Schule nahezu sämtliche Klassenräume zur Verfügung stellen müsste, um alle Wünsche der unterschiedlichen „Gläubigen“ zu befriedigen).

Im Grunde ist aber auch dieses Spiel mit den Verfassungsgütern absurd: Die allgemeinen Schulgesetze geben der Schulleitung und, von dieser ermächtigt, den Lehrern schließlich ein Recht, die Schulordnung durchzusetzen und pädagogische Maßnahmen zu ergreifen (siehe dazu z.B.: § 23 Abs. 2 i.V.m. § 38 Abs. 6 SchulG BW)

Wenn sich ein Schüler nun, ohne sich auf die Religion zu berufen, auf den Fluren oder in einem Klassenzimmer breitmachte und dabei die anderen Schüler störte, könnte ihm das deshalb ohne weiteres untersagt werden. Weil aber ein Schüler, wie hier Yunus M., sich auf die Religion beruft, soll für ihn plötzlich nicht mehr gelten, was für jedermann ganz selbstverständlich gilt? Das ist absurd.

Es wäre deshalb besser, das Bundesverfassungsgericht würde von seiner Irrlehre des vermeintlich vorbehaltlos gewährleisteten Art. 4 GG lassen und den allgemeinen Schrankenvorbehalt aus Art. 136 Abs. 1 WRV endlich anerkennen, der über Art. 140 ins Grundgesetz inkorporiert wurde. Aber das nur am Rande. Wie man sieht, lässt sich das Problem mit geschickter Argumentation schließlich auch anders lösen. Richtig ist das Urteil des OVG in jedem Fall. Mit einer „Aporie“ hat all das schon gar nichts zu tun.

Ein Wort noch zu Ihrem letzten Satz:

„Im Namen der Freiheit von allem, was nicht in ihr Schema passt oder wie???“

Sie haben recht, dass es nicht ins „Schema passt“ , dass ein Schüler in einer modernen, von verschiedenen Konfessionen geprägten und deshalb notwendigerweise von bestimmten Konflikten bedrohten Gesellschaft für sich das Recht reklamiert, seine Religion unter allen Umständen in der Schule, also im öffentlichen Raum, ausleben zu dürfen – auch und gerade vor den anderen oder zumindest so, dass sie davon Kenntnis nehmen müssen.

Wenn man jedem seine persönlichen Wünsche erfüllen wollte, könnte man ohnehin darauf verzichten, Gesetze zu erlassen. Man könnte ferner das hehre Anliegen sogleich in den Papierkorb treten, nicht zu diskriminieren – schon gar nicht aufgrund der Religionszugehörigkeit. Im Namen der „Freiheit“ ist es deshalb sehr wohl – und überdies einzig (!) – geboten, Schüler bei der Betätigung ihrer Religionsfreiheit grundsätzlich auf die schulfreie Zeit zu verweisen, soweit diese irgend nach außen wirkt.

Eines ist Ihnen daneben wohl auch gänzlich entgangen, wäre jedoch wichtig gewesen, wollte man den Fall richtig einordnet: Nach allem, was man zu dem Verfahren lesen konnte, ist es nämlich nicht so sehr der 16-jährige Yunus M., der um alles in der Welt während der Pause beten will. Der ihm zur Verfügung gestellte Gebetsraum ist in den vergangenen Monaten gar nicht so häufig genutzt worden; vielmehr betete Yunus M. dort nur sehr sporadisch.

Die wahre Triebkraft hinter dem Prozess dürfte vielmehr der Vater von Yunus M. sein, ein „strenggläubiger“ deutscher Konvertit. Es scheint mir keine Unterstellung zu sein, wenn man behauptet, dass es diesem Mann offenbar sehr wohl darum ging, nicht nur Grenzen auszutesten, sondern ein Zeichen zu setzen. Dass er dabei höchstwahrscheinlich seinen eigenen Sohn instrumentalisierte, um seine eigene wirre Ideologie öffentlich durchzusetzen – auch mittels einer medienwirksamen Klage vor dem VG –, kann ich zwar nicht mit abschließender Gewissheit beweisen, aber es scheint aufgrund der Umstände des Falles mehr als wahrscheinlich.

Für mich läuft das alles darum darauf hinaus, dass Sie es sich – wieder einmal – viel zu leicht gemacht haben und sich, geradezu trunken vor Selbstzufriedenheit, vermeintliche „Aporieen“ anderer entlarvt zu haben, der Überzeugung hingeben, moralisch überlegen zu sein, obgleich Sie es gewiss nicht sind. Schließlich hat in Ihren Augen wohl das große, böse deutsche Gericht entschieden, dem armen, entrechteten „Schulkind“ nicht zu gestatten, in der Schule zu beten, weil die Richter allesamt Angst vor den Religionen haben. Diese Angst ist in Wahrheit gänzlich unbegründet, gar phobisch; denn alle Religionen sind harmlos und friedlich – obgleich sie freilich mehr Menschen umgebracht haben als alle nicht-religiösen Ideologien.

Dass es hier in Wahrheit um etwas ganz anderes gehen dürfte, nämlich um den Versuch eines erwachsenen Mannes, mithilfe seines minderjährigen Sohnes die Neutralität des deutschen Staates in Frage zu stellen und die Schule zu einem Ort der Missionierung, vielleicht gar zu einem Ort der religiösen Unterdrückung zu machen, das hat sich Ihnen bei all dem schönen Pathos leider nicht erschlossen; die Gelegenheit, sich der eigenen moralischen Überlegenheit zu versichern, war einmal mehr viel zu verlockend, als dass es lohnend erschienen wäre, einen Versuch zu unternehmen, hinter die Kulissen zu blicken. Ist das nun also Ihre „Aporie“?

 

Eine Rabbinerin gegen das Burkaverbot

Rabbinerin Elisa Klapheck aus Frankfurt argumentiert ähnlich, wie ich es hier bereits mehrfach getan habe, zugleich gegen die Burka und das Burkaverbot. Sie  schreibt in der Jüdischen Allgemeinen von heute:

„Allerdings ist fraglich, ob die ohnehin wenigen Frauen mit Burka radikale Islamistinnen sind. Ihnen die Verschleierung zu verbieten, spielt letztlich nur ihren Ehemännern in die Hände. Diese können die Unterdrückung ihrer Frauen – nunmehr staatlich abgesegnet – sogar noch ausweiten. Denn das Verbot nimmt den Frauen das letzte bisschen Freiheit, auf die Straße zu gehen. Sie werden sich ganz gewiss nicht strafbar machen wollen, verfügen sie in ihren Lebenszusammenhängen doch nicht über die Freiheit, den Schleier aus eigener Entscheidung abzulegen.

In diesem Fall wird die Parallelgesellschaft nicht vom Islam, sondern vom belgischen Gesetzgeber selbst gefördert. Das kann für eine Demokratie, die von der Identifizierung ihrer Bürger mit dem Rechtsstaat lebt, nicht der Schritt in die richtige Richtung sein. Statt die Gräben zu vertiefen, sollte die Politik progressive muslimische Kräfte stärken. Damit diese in ihren eigenen Reihen überzeugend für das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung werben können. Diese Ordnung schließt allerdings das Recht ein, sich so zu kleiden, wie man es für richtig hält. Darauf wollen auch wir Juden nicht verzichten.“

 

Nazis machen mobil gegen „Islamisierung“

Heute war eine Postwurfsendung der NPD in meinem Briefkasten – eine 4 Seiten starke Zeitung.
Ich wohne in Charlottenburg in einer alten Reihenhaussiedlung. Kein klassisches Neonaziterrain. Die Zeitung setzt denn auch auf ein neues Thema: „Islamisierung“.
Das Titelfoto zeigt eine Frau mit Kopftuch. Ein dazu gehöriger Text versucht mit zweifelhaften Zahlen zu erweisen, dass in wenigen Jahrzehnten Muslime die Mehrheit in Deutschland stellen werden. Falls nicht … die NPD ein Wörtchen mitreden wird.
Im Grunde hat der Flyer nur dieses eine Thema: die Verdrängung der Deutschen durch Muslime. Auf der Rückseite werden Werbematerialen angeboten. Darunter ein T-Shirt in rot-weißen Farben mit dem Aufdruck: „Danke Schweiz! Minarettverbot auch hier!“ Die Grafik: Ein fallendes Minarett.
Im Inneren ist ein Comic zu sehen, der sich wohl an jüngere Leser wendet. Da sieht man eine Schulklasse mit lauter schwarzen Haarschöpfen. Nur ein blonder Junge sitzt in der vordersten Reihe. Er meldet sich, wird aber nie drangenommen. Stattdessen die dunkelhaarigen Kinder, die grotesk falsches Deutsch sprechen und schreiben. Der Lehrer lobt sie dafür auch noch. Und der Ausländerbeauftragte „Zottel“ rügt das deutsch-blonde Kind, das sich darüber beschwert, als rassistisch.
Es wird das Bild einer korrupten Medien- und Politikelite gezeichnet, die sich heimlich dem Ziel der Islamisierung verschworen hat. Schon das Plädoyer für „Integration“ gilt hier als Indiz für die Zugehörigkeit zu dieser korrupten, vaterlandslosen Clique.
So geht es immer weiter auf diesen 4 nicht schlecht gemachten Seiten. Nach der Ächtung des Antisemitismus bis weit in die deutsche Rechte hinein (-> Homann) hat der völkische Rassismus ein neues Thema gefunden, das er für mehrheitsfähig hält. Auch in meinem kleinbürgerlich-soliden Berliner Westend. Ich glaube, wie ich hier verschiedentlich schon geschrieben habe, nicht daran, dass die Rechtsextremen das Thema der Integration des Islams werden kapern können.
Aber sie arbeiten hart daran. Und ihr Diskurs über die drohende Islamisierung ist sehr geschickt darum bemüht, sich mit einer landläufigen Islamkritik zu überlappen. Ein Grund mehr, auf genaue Begriffe und klare Argumente zu achten.

 

Muslima fast nackt – auch wieder nicht recht

Der amerikanische Blogger Daniel Pipes hat einen klaren Beleg für die unfaire Bevorzugung von Muslimen durch die Dhimmi-Mentalität ausgemacht: Sie gewinnen einfach zu viele Schönheitswettbewerbe!

Der Hintergrund: Erstmals hat eine arabischstämmige Frau – Rima Fakih – den Titel der Miss USA gewonnen. Fakih entstammt einer libanesischen Familie. Sie war Miss Michigan geworden und hatte dann den von Donald Trump gesponsterten Miss USA-Wettbewerb in Las Vegas gewonnen.

Komisch: Sonst macht Pipes sich gerne Sorgen darüber, dass zuviele Muslimas in Europa die Burka tragen. Nun hat eine im Bikini die nichtmuslimische Konkurrenz hinter sich gelassen – und es ist auch wieder nicht recht.

So schreibt er über die angeblich starke Frequenz muslimischer Beauty Queens: „They are all attractive, but this surprising frequency of Muslims winning beauty pageants makes me suspect an odd form of affirmative action.“

Wenn aber selbst die nahezu vollkommen entblößte Araberin den gleichen Argwohn auf sich zieht wie die vollkommen verhüllte, dann stimmt wohl etwas nicht. Islamophobie? Arabophobie? Lubnanphobie? Whatever.

Pipes – Betreiber eines gut gehenden Liefergeschäfts für nahöstliche Angstpropaganda – hat sich hier einmal sehr schön selbst demontiert.

 

Wie die Islamkonferenz gelingen könnte

Ich komme optimistisch aus der Pressekonferenz der DIK (II), die soeben im Berliner Palais am Festungsgraben zuende gegangen ist.

Der erste Grund dafür: Ich glaube, dass Innenminister  Thomas de Mazière  der Sache gewachsen ist. Am Ende der PK kam eine (ziemlich dämliche) Frage, an der man deutlich machen kann, welchen Kräften ein Minister im Zusammenhang der Konferenz ausgesetzt ist. Ein Presse-Kollege fragte den Minister „jetzt mal ganz persönlich als evangelischen Christen“, wie er es denn fände, wenn man seine heilige Schrift – die Bibel – nach Anknüpfungspunkten für Gewalt und Extremismus durchkämmen würde, wie es jetzt allenthalben mit dem Koran passiert. Und wie es ja offenbar auch in der DIK beabsichtigt sei, die sich mit der Abgrenzung von Islam und Islamismus beschäftigen werde. Das sei doch per se schon beleidigend.

De Maiziere konterte, er lasse sich durchaus fragen, welche Anknüpfungspunkte für Gewalt in der Bibel zu finden seien. Die Geschichte des Christentums kenne schließlich fürchterliche Gewaltzexzesse – Kreuzzüge, Religionskriege – die zum Glück (aber unter welchen Kosten!) überwunden seien. Natürlich sei also die Frage nach der Kraft der Religion, Gewalt zu generieren, legitim.

Sehr gut gegeben! Das war weder bigott noch politisch korrekt. Auf solcher Grundlage kann man debattieren.

Zweiter Grund: Die Islamkonferenz ist ohne Islamrat und Zentralrat womöglich arbeitsfähiger als vorher, wie ich hier schon verschiedentlich vertreten habe. Die muslimische Repräsentanz ist in der zweiten Runde auf eine breitere Basis gestellt worden. Zu den teilnehmenden türkischen Verbänden (Ditib, VIKZ) sind nämlich die bosnischen Muslime als einzelner Verband noch hinzugekommen, sowie der Verband marokkanischer Muslime. Ausserdem nimmt die eher sakuläre TGD (Türkische Gemeinde in Deutschland) teil – eine gewisse Kuriosität, die aber der türkischen Community hier durchaus entspricht. In anderen Worten: Auch ohne Islamrat (i.e. IGMG) und ZMD kann man an einem Konsens über Religionsunterricht und Imamausbildung arbeiten. Und ich verwette das Häuschen meiner Oma darauf, dass mindestens der ZMD dann bald wieder an die Tür klopfen wird. Wie schon Herbert Wehner so treffend sagte: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“

Der Vertreter der Ditib, der Theologieprofessor Ali Dere, hatte vorher schon erkennen lassen, dass er das Fortbleiben von ZMD und Islamrat nicht als entscheidende Beeinträchtigung der Arbeit empfindet. Vielleicht rechnet er sich sogar einen Vorteil dadurch aus?

Der unabhängige Teilnehmer Hamed Abdel-Samad machte in seinem Statement klar, dass dies nicht bedeuten kann, Ditib als der übrig gebliebene Großverband übernehme nun den ganzen Laden. Er plädierte heftig und überzeugend dafür, die „Abnabelung der islamischen Theologie von den Herkunftsländern“ zu betreiben. Dort sei die Theologie autoritätshörig, sagte Abdel-Samad, und das könne hier nicht weiterhelfen. Er beschrieb die Chance der Islamkonferenz als „ein Stück islamische Aufklärung“. Die DIK sei ein „Verhandlungsprozess“ – erstens der muslimischen Gruppen mit dem Staat, zweitens aber auch der Muslime untereinander, die sich hier in ihrer Pluralität miteinander auseinander setzen müssen. (Ein wichtiger, oft vernachlässigter Punkt: Wo sonst treffen sich Aleviten, Schiiten, Sunniten (aus Bosnien, der Türkei, Marokko etc.) und muslimische Säkulare verschiedenster Couleur?)

Wenn ich recht sehe, hat man sich drei Ziele gesetzt. Erstens: Voraussetzungen schaffen für islamische Theologie und Religionsunterrocht an deutschen Hochschulen bzw. Schulen. Damit verbunden ist die Frage der Anerkennung islamischer Gemeinschaften als Ansprechpartner der staatlichen Stellen (auf Länderebene). Es  geht dabei nicht darum, „den Islam anzuerkennen“, wie es manchmal mißverständlich heißt. Der Islam ist eine welthistorische Tatsache, und ein weltanschaulich neutraler Staat hat prinzipiell keine Weltreligion anzuerkennen. Auch das Christentum per se ist bei uns nicht „anerkannt“, sondern die Konfessionen sind Partner des Staates in ihren konkreten kirchlichen Ausformungen. Dito die jüdische Vertretung durch Zentralrat und die liberalen Gemeinden.

Es geht also lediglich um die Anforderung an die islamischen Gemeinschaften, die rechtlichen Kriterien für die Kooperation mit dem Staat auf Länderebene zu erfüllen – also zum Beispiel eine klare Mitgliederstruktur aufzuweisen. Die bisherigen Dachverbände entsprechen dem nicht. Entweder sie reformieren sich und streben Einzelkooperationen an, oder sie formieren sich zu „Schuras“ wie etwa in Niedersachsen oder Hamburg.

Zweitens: Geschlechtergerechtigkeit vorantreiben. Dazu soll eine Studie erstellt werden über die Frage, was an der Benachteiligung von Frauen in islamisch geprägten Communities  religiös begründet ist – und was andere Ursachen hat. Das wird für alle Seiten der Debatte spannend.

Drittens: Islamismus definieren und genuine Islamfeindlichkeit von anderen Formen der Xenophobie und des Rassismus abgrenzen. (Dazu hätten wir hier einiges beizutragen…)

Man wird also genauso über jene islamisch geprägten Rollenbilder sprechen, die Mädchen und Frauen den Weg zur Gleichberechtigung verbauen, wie über die Ablehnung von kopftuchtragenden Frauen durch deutsche Arbeitgeber oder die schlechteren Chancen von Menschen mit türkischen Namen auf dem Wohnungsmarkt.

Das ist eine sehr ehrgeizige Kombination von pragmatischen und gesellschaftspolitisch langfristigen Zielen. Die Islamkonferenz lebt.

Schon vor der Sommerpause tagt der Ausschuss der DIK, der dann konkrete Projektgruppen beauftragen soll.

 

Warum die Islamkonferenz auch ohne den „Zentralrat der Muslime“ auskommt

Am kommenden Montag will Innenminister Thomas de Maizière die zweite Rundes der Deutschen Islam Konferenz feierlich im Berliner Palais am Festungsgraben lancieren. Heute ließ der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) verkünden, der für ihn reservierte Stuhl werde leer bleiben. Was soll eine DIK ohne den ZMD?

In Wahrheit steht nicht der Sinn der Islamkonferenz in Frage, sondern die Legitimation des so genannten „Zentralrats“. Denn andere, teils größere, Verbände nehmen weiter teil – wie etwa die türkische Ditib, die Aleviten, der Verband Islamischer Kulturzentren und der Verband bosnischer Muslime. Ausserdem dabei: eine hochkarätige Auswahl von 10 nicht organisierten Muslimen, darunter Theologen, Islamwissenschaftler, Anwälte und andere zivilgesellschaftliche Akteure.

Der pompöse Name „Zentralrat“ – in Anlehnung an den Zentralrat der Juden gewählt – war immer schon Anmaßung. Nichts ist „zentral“ an der Schirmorganisation, die schätzungsweise kaum zehn Prozent der hiesigen Muslime vertritt (nach  Studien, auf die sich das Innenministerium beruft, sogar nur maximal 3 Prozent) . Auf der Führungsebene dominieren deutsche Konvertiten wie der Vorsitzende Ayyub Axel Köhler, im Hintergrund agieren zwielichtige Figuren wie der ehemalige Chef der „Islamischen Gemeinde in Deutschland“, Ibrahim El Zayat, der im Verdacht steht, der Muslimbruderschaft anzugehören.Was von Köhlers Führungsstil zu halten ist, zeigte sich im Jahr 2007, als er  El Zayat einfach mit ins Plenum der Islamkonferenz einschleuste, gegen den Willen der deutschen Behörden.

Der ZMD kann keineswegs für die Mehrheit der Muslime in Deutschland sprechen. Er ist ein Relikt aus der Zeit, als der deutsche Staat und die Medien sich wenig auskannten mit den hier lebenden Muslimen. Man suchte händeringend Ansprechpartner, und da kam man bei flüchtigem Googlen eben immer auf den ZMD mit seinen wenigen sprechfähigen Köpfen: Nadeem Elyas, Ayyub Axel Köhler, Aiman Mazyek.

Diese Zeit ist vorbei – und zwar dank der Islamkonferenz. Der Islam in Deutschland hat angefangen, selbst sprechen zu lernen: Aus den türkisch dominierten Verbänden sind einige Köpfe hervorgegangen, die kompetent und eloquent Rede und Antwort stehen können – Bekir Alboga von der Ditib, Ali Ertan Toprak für die Aleviten zum Beispiel.

Immer mehr „Kulturmuslime“ melden sich zu Wort, weil sie sich nicht von den stockkonservativen Verbänden vertreten fühlen. Marokkaner, Bosnier und Iraner haben eigene Persönlichkeiten, die für die Vielfalt des Islams hierzulande stehen. Und auch die vielen Stimmen – sehr oft Frauen -, die sich kritisch mit dem islamischen Erben befassen,  sind hier zu nennen: von der frommen Schiitin Hamideh Mohagheghi über liberale Sunniten wie Lamya Kaddor oder Hilal Sezgin bis zu radikalfeministischen Kritikerinnen wie Seyran Ates und Necla Kelek reicht das Spektrum. Untereinander sind sich manche spinnefeind – aber das zeigt ja gerade, dass Deutschland im realen Pluralismus des islamischen Lebens in Europa angekommen ist.

Wir haben in der aktuellen Nummer der Zeit ein Interview mit drei neuen Teilnehmerinnen der Islamkonferenz. Alle drei sind nicht organisiert. Sie reden unverkrampft über ihren Glauben, über die Mißstände und das Schöne an der islamischen Spiritualität. Ihre Familien stammen aus Marokko, dem Iran und Bosnien. Sie sind unterschiedlich stark religiös, eine von ihnen trägt Kopftuch, die anderen nicht – und doch kann man sehr gut miteinander reden. Sie sind alle auf ihre eigene Art Musliminnen – und sie gehen nicht in die Moscheen der Männer. Diese Frauen sind die Zukunft des Islam in Deutschland.  Nicht die wichtigtuerischen Herren in den Verbänden. Der Innenminister tut recht daran, ihnen eine Stimme zu geben in der Konferenz. Ein reiches Stimmengewirr hat die Verbände an den Rand gedrückt – und das ist gut so!

Natürlich leiden die (meist) Herren darunter, dass ihre Vereine nicht umstandslos als quasi-Kirchen anerkannt werden (obwohl sie auch immer wieder behaupten, genau das wollten sie vermeiden, weil es unmuslimisch sei). Und nur so ist die beleidigte und unpolitische Aktion des ZMD jetzt zu verstehen:

„Die DIK II ist in der jetzigen Form ein unverbindlicher Debattier-Club. Der ZMD wird unter diesen Bedingungen an der DIK II nicht teilnehmen“, heißt es in der Pressemitteilung.

„Die DIK ist und bleibt eine von der Bundesregierung verordnete Konferenz. Der Staat versucht sich über die Selbstorganisation der faktischen islamischen Religionsgemeinschaften hinwegzusetzen. …

Das BMI ist nicht bereit im Rahmen der Islamkonferenz zusammen mit den legitimierten muslimischen Organisationen und den Vertretern der Länder im Rahmen einer Arbeitsgruppe einen Fahrplan zu entwickeln, der zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft führt.“

Die Islamverbände können nicht als Religionsgemeinschaften im vollen sind der deutschen Verfassung  anerkannt werden. Sie haben keine direkten Mitglieder. Ihre Repräsentationsstrukutren sind wenig transparent und demokratisch. Sie haben keine theologische Kompetenz, um als Partner des Staates bei der Entwickung von Curricula helfen zu können. Teilweise (Ditib) hängen sie viel zu sehr vom Ausland ab. Sie müssten sich neu aufstellen, um das zu erreichen. Der Koordinierungsrat der Muslime war kein Aufbruch in diese Richtung, sondern einfach nur eine weitere Dachorganisation über schon bestehenden Dachorganisationen.

Vielleicht ist das ganze Aufhebens um den Köperschaftsstatus ohnehin eine Sackgasse: Denn die dringenden Bedürfnisse der Muslime hierzulande – Religionsunterricht und Imamausbildung, Lehrstühle für islamische Theologie – kann man auch unterhalb dieser rechtlichen Schwelle regeln. Erfolgreiche Feldversuche – etwa in Niedersachsen – weisen in diese Richtung.

Der ZMD hat sich verzockt. Er wollte dem Innenminister eine rechtliche Aufwertung abtrotzen, ohne sich selbst vorher zu reformieren. Thomas de Maizière ist darauf nicht hereingefallen. Sein Ansatz, die Islamkonferenz pragmatischer zu gestalten, ist richtig: Islamunterricht und Imamausbildung beschleunigen, über Geschlechtergerechtigkeit reden, Islamfeindlichkeit und Islamismus als Zusammenhang debattieren. Das ist ein gutes Programm. Es läßt sich auch ohne den Zentrarat der Muslime bearbeiten. Vielleicht sogar besser.