Lesezeichen
 

Italienischer Innenminister: Kopftuch nicht verbieten! (Burka schon)

Der italienische Innenminister Giuliano Amato hat gestern in der Kopftuchfrage gegenüber der Tageszeitung La Stampa Stellung bezogen: Das Kopftuch soll in Italien nicht verboten werden, weil auch Nonnen eine Kopfbedeckung tragen dürfen. Amato sagte in Florenz anläßlich der Nationalen Migrations-Konferenz: «Vietare il velo vuol dire imporre un’ideologia imperialista occidentale agli occhi di chi ci vede diversamente da noi». (Das Kopftuch zu verbieten, bedeutet in den Augen derer, die bei uns anders leben, eine imperialistische westliche Ideologie durchzusetzen.)
amato.jpg

Koptuch ja, Burka nein: Giuliano Amato

Amato ist allerdings einverstanden damit, die Verschleierung des Gesichts in der Öffentlichkeit, etwa durch die Burka, zu verbieten.

Weitergehenden Forderungen nach einem kompletten Kopftuchverbot in der Öffentlichkeit hält Amato entgegen:
«Allora dovremmo vietare il velo solo alle donne islamiche? Se fai una legge che proibisce di portare il velo nei luoghi pubblici, la prima questione che sorge è: perché una suora può portarlo e una donna islamica no?“ (Sollen wir das Kopftuch nur Musliminnen verbieten? Wenn wir ein Gesetz machen, dass das Tragen des Kopftuchs an öffentlichen Orten verbietet, dann stellt sich als erste Frage: Warum kann eine Nonne es tragen und eine islamische Frau nicht?)

Auf den Einwand, in Frankreich gebe es ein Kopftuchverbot, antwortet Amato, dort seien schließlich auch Kreuze verboten, und einen solchen Laizismus wolle er in Italien nicht.

Die wahre Aufgabe bestehe in der Integration der entfremdeten Jugendlichen im Westen, „perché la radicalizzazione nasce sempre da un’identità negata“ – „denn die Radikalisierung kommt immer aus einer verweigerten Identität“.
Das ist mir ein bisschen zu einseitig: Es gibt viele intrinsische Faktoren für Radikalisierung, die herzlich wenig mit „verweigerter Identität“ zu tun haben.

Auch das Wort vom „Imperialismus des Westens“ finde ich fatal. Das ist  fast schon Originalton Muslimbruder-Propaganda.

Aber Amato hat trotzdem recht, gegen ein Kopftuchverbot zu votieren, weil es nicht zur freiheitlichen Ordnung Italiens paßt.

 

Britische Konservative setzen auf Multikulti

warsi.jpg
Sayeeda Warsi könnte bald britische Integrationsministerin sein

Der Vorsitzende der britischen Konservativen, David Cameron, hat Sayeeda Warsi in seine Schattenkabinett berufen. Die 36jährige soll „Communities Secretary“ werden – Integrationsministerin. Sie wäre damit die erste muslimische Ministerin in einer britischen Regierung, sollte Cameron die wahl gegen Brwon gewinnen (wonach es im Moment gerade nicht aussieht, aber was sind Umfragen wert).

Nach Sarkozy, der mehrere Frauen muslimischer Herkunft in die Regierung holte, darunter Rashida Dati und jüngst auch Fadela Amara, die Gründerin der Frauenrechtsorganisation „Ni Putes Ni Soumises“ (weder Huren noch Unterworfene), wollen auch die britischen Konservativen den Kampf um die Migranten-Wähler und das Thema Integration aufnehmen. Frau Warsi hat sich entschieden gegen Zwangsheiraten engagiert, die sie als unislamisch brandmarkt.
Attraktive junge Frauen mit „Migrationshintergrund“ (kann bitte jemand ein neues Wort erfinden!), die Multikulturalismus und Leitkultur miteinander verbinden: Gut so! Warum schläft die CDU? Wo ist die law-and-order-Türkin, die für die Konservativen hierzulande die Integrationsdebatte führt?

Kommt Europa doch weiter? Vielleicht ist der Multikulturalismus ja doch nicht gescheitert, wie wir allzu schnell immer wieder sagen?

Ein paar Auszüge aus einem Artikel vonn Sayeeda Warsi, den sie anläßlich der zeitgleichen Gerichtsverfahren gegen den Nazi Richard Griffin und den Islamisten Abu Hamza verfasste:

But the choice is not between a single mono-culture and wholesale separatism. We are forging a multicultural society that with each new generation redefines the terms of acceptance.

Perhaps I could use my own life as an example.

My parents were immigrants – they arrived in the 1960s, they worked in factories. Perhaps in their minds they were only visitors. I am a proud second-generation British Muslim, born and brought up in Yorkshire, as is my daughter, who incidentally attends a faith school – a Christian one – and receives her Islamic teaching at a madrassa in the evenings.

My definition of integration is different to that of my parents, and I presume different to what my daughter will define in her generation.

I was born in Britain, it is my home , it’s the only place I’ve ever known. I’m a Yorkshire woman, I am British, and I am a Muslim. I see no contradiction, but there are still a small minority who do as I found out when I stood as a Conservative candidate in my home town.

Most people I encountered on the doorstep took me at face value. But I also met two extremes. Some were typified by the white man who shouted ‘F*** off Paki’, and encouraged me to ‘go home’. Others, mostly male, first-generation Muslims, questioned whether it was proper for me, as a Muslim woman, to enter public life, despite the fact that many of them had probably voted for a white female MP for the last fifteen years.

Yet throughout history, Muslims across the world have successfully assimilated into the differing cultures of the countries where they have settled, until there is no longer a dividing line between their national identity and their religious one. There is no reason why that should not be the case in Britain.

The Muslim community in Britain is no longer a Diaspora but a settled British Muslim community and should identify itself as that. Let me say it again (for it cannot be said too often): Yes one can be both British and a Muslim.

Yes, we need to continue the debate about integration. And we need to have that debate in a healthy, robust way – not sweeping it under the carpet or – equally dangerous – allowing it to take over our entire identity in the way that it has with some Muslim groups.

But the onus of integration is not just on ethnic minorities; it is on all of us to accept differences, respect each other and embrace diversity.

 

Die Burkini-Debatte

Mitblogger MC gibt folgendes zu bedenken:

Ich kann beim besten Willen keinen Zusammenhang zwischen dem Burqini und dem Islamismus erkennen.
Wird der von Ihnen beschriebene Freiraum der Schule, der zur Entfaltung und zum Kennenlernen der Welt angedacht ist, durch den Burqini in nennenswerter Weise eingeengt? Ich denke nicht.

Ich verstehe langsam die Gedankengänge bestimmter Zeitgenossen nicht mehr. Da werden tausende Seiten in den Zeitungen mit hasserfülltem Gelaber gefüllt, nur um gegen ein Stück Stoff oder jetzt gegen einen etwas weiter geschnittenen Badeanzug zu kämpfen. Das zeigt mir doch nur wir arm im Geister diese Hassprediger sein müssen.

Es geht hier nicht um die reaktionären Kräfte, was auch immer Sie damit meinen, es geht um das ethische Verständnis einer Religion in bestimmten Dingen eben eine andere Meinung zu haben als der Mainstream. Für mich als Muslim ist der Burqini eine moderate Lösung, die ein Zusammenleben auch im Freibad
ermöglicht. In Australien gibt es sogar muslimische Rettungsschwimmerinnen, die diesen Burqini tragen.

Ich meine, dass man dieses Recht den Muslimen zugestehen muss, selbst zu entscheiden, wie sie in den Swimmingpool steigen.

Oder haben wir demnächst eine Bikini-Pflicht in öffentlichen Bädern?

Ich bleibe bei meiner Ablehnung:

Schauen Sie doch in die Handreichung des Council (Link in meinem vorigen Post).
Der Burkini ist Teil eines ganzen Pakets, mit dem man die britische Schule islamisch-moralisch reformieren will. Der gesamte Schulalltag wird gemäß der Gruppenrechte, die sich gewisse Muslime selbst zuschreiben, umgepflügt. Jede einzelne Massnahme wird zwar als pragmatischer Kompromiss der Mehrheit mit den Muslimen verkauft, deren Religion all dies nun einmal erfordere. (Wer könnte etwas gegen Gebete in der Schule haben, wer könnte etwas gegen Alkoholverbote auf Klassenfahrten haben, wer könnte etwas gegen „anständige“ Schwimmbekleidung haben?) Am Ende ist ein neutraler Raum nicht mehr vorhanden. Alle Grenzen werden durch die Empfindlichkeiten einer religiösen Gruppe diktiert. Fatal. Weiss eigentlich niemand mehr, wie viele Millionen in den europäischen Religionskriegen und Kulturkämpfen ihr Leben lassen mussten, bis wir diese kostbare öffentliche Sphäre erreicht hatten?

Zum Burkini:
Der Burkini sexualisiert den Schwimmunterricht, genau wie das Kopftuch die Frau permanent sexualisiert. Ich empfinde dies übrigens nicht nur als frauen- sondern auch als männerfeindlich, weil es unsereinem (und schon 9jährigen Jungs!) eine unkontrollierbare Lüsternheit unterstellt. Ein normaler Schwimmanzug gilt neben dem Burkini plötzlich als Schlampen-Outfit. Ich bin als Feminist und Vater dreier Töchter absolut gegen diese Sexualisierung im Gewand der höheren Moral.

 

Das Kopftuchverbot in NRW – eine politische Dummheit

Als ehemaliger Schüler der Bischöflichen Liebfrauenschule Eschweiler, der bei Schwester Gisela – mit ihrem Nonnenhabit ein menschlicher Pinguin im Giordanoschen Sinne – einen exzellenten Philosophie-Unterricht geniessen durfte, halte ich die Düsseldorfer Entscheidung von gestern für einen schweren Fehler, für eine politische Dummheit, für einen weiteren Sargnagel des liberalen Staatsverständnisses.

Mit dem Kopftuchverbot an den Schulen in NRW wird übrigens auch das Tragen des Nonnenhabits ausserhalb des Religionsunterrichts verboten. Lächerlich.

Wie viele Nonnen gibt es denn noch im Schulunterricht? Man sollte froh sein über die restlichen Nonnen, die noch unterrichten. Bei uns gab es damals sogar hervorragenden Bio-Unterricht im Habit (ja, inkl. Evolution und Sexualkunde!).

Wir brauchen kein Kopftuchverbot für die wenigen Fälle, die überhaupt anliegen. Lehrerinnen sind daraufhin zu prüfen, ob sie mit der Verfassung und ihren Grundwerten übereinstimmen.

Ihr religiöses Bekenntnis ist ihre eigene Sache, selbstverständlich auch in der Kleidung. Sollten sie Schülerinnen unter Druck setzen, es ihnen nachzutun, greift das Disziplinarrecht.

Man kann Burka und Nikab (Vollschleier) aus praktischen Gründen verbieten (kein Augenkontakt), aber der Staat sollte sich nicht daran machen, gute und schlechte religiöse Symbole zu definieren. Er hat die Verfassung zu wahren und zu schützen, nicht über korrekte religiöse Praktiken zu richten.
Übrigens: Wenn es Nonnen weiterhin erlaubt wird, im Religionsunterricht Habit zu tragen, heisst dies dann im Analogieschluss, im islamischen Religionsunterricht wird dereinst das Kopftuch auch erlaubt sein?

Oder wird, wenn es einst einen Islamunterricht gibt, das Gesetz schnell noch einmal verändert? Abenteuerlich, das alles.
Das Kopftuch ist allerdings ein legitimer Gegenstand der Debatte – und ja: Es ist ein Symbol der Islamisten. (Aber nicht jedes Kopftuch hat diese Bedeutung.)

Die Debatte innerhalbe der islamischen Community darüber muss beginnen (und sie hat begonnen, siehe Ekin Deligöz), ob das Kopftuch obligatorisch ist. Eine solche Debatte kann aber nur sinnvoll dann stattfinden, wenn der Staat das Tuch nicht durch Verbote zum politischen Symbol macht, und damit letztlich den Islamisten die Hände reicht, die es ja genau so haben wollen.

Das Kopftuch ist kein Gegenstand für Gesetzgebung, ebensowenig wie der Nonnenhabit. Wir müssen uns den Zugriff des Staates auf diese Sphäre verbitten.
Ein Verbot religiöser Symbole passt auch nicht in unsere deutsche Leitkultur, in der es keinen strikten Säkularismus gibt, sondern eine wohlwollende Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften.

Dass ein Kopftuchverbot hilft, den Kampf gegen den religösen Extremismus und gar den islamistischen Terrorismus zu führen, halte ich für absoluten Quatsch.

Diejenigen, mit denen wir es dabei zu tun haben, sind ausserordentlich pragmatisch, wenn es um die religiösen Pflichten geht (siehe Jussuf Al-Karadawi).

 

Scheich Karadawi: Musliminnen müssen kein Kopftuch tragen – wenn sie sich in die Luft sprengen

Ist das Kopftuch obligatorisch für Musliminnen?
Zu dieser auch hier immer wieder aufflammenden Debatte ein interessantes Zitat des wohl berühmtesten sunnitischen Gelehrten unserer Tage – Jussuf El-Karadawi. Im vergangenen November hat Karadawi sich mit der Anfrage beschäftigt, ob Palästinenserinnen, die eine „Märtyreroperation“ (also ein Selbstmordattentat) verüben wollen, aus strategischen Gründen gegen die islamischen Bekleidungsregeln verstossen dürfen.

qaradawi.jpg

Der Scheich (rechts) mit seinem Bewunderer, dem Londoner Bürgermeister Ken Livingstone 

Frauen, die einen solchen Akt begehen wollen, haben das Recht, das Haus ohne männlichen Beistand (Mahram) zu verlassen. Sie müssen auch nicht ihren Ehemann oder Bruder oder Vater um Erlaubnis fragen. Und sie haben auch das Recht, wenn nötig zur Täuschung des Feindes ihr Haar zu zeigen, weil sie es ja nicht tun, um „ihre Schönheit zu zeigen“, sondern um für Gott zu töten.
Diese Logik muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Das Haar zu zeigen ist für Karadawi haram, wenn es um der Schönheit willen geschieht. Wird es aber heimtückisch mit Mordabsicht getan, tut er seinen halal-Stempel drauf:

As for the point that carrying out this operation may involve woman’s travel from place to another without a Mahram, we say that a woman can travel to perform Hajj in the company of other trustworthy women and without the presence of any Mahram as long as the road is safe and secured. Travel, nowadays, is no longer done through deserts or wilderness, instead, women can travel safely in trains or by air.

Concerning the point on Hijab, a woman can put on a hat or anything else to cover her hair. Even when necessary, she may take off her Hijab in order to carry out the operation, for she is going to die in the Cause of Allah and not to show off her beauty or uncover her hair. I don’t see any problem in her taking off Hijab in this case.

To conclude, I think the committed Muslim women in Palestine have the right to participate and have their own role in Jihad and to attain martyrdom.

Niemand soll sagen, islamischer Feminismus sei ein Widerspruch in sich. Im Zeichen des Terrors kommt er mit mächtigen Schritten voran, und Scheichs, die sonst gerne schlaflose Nächte über der Frage verbringen, wie sie die Frauen im Haus und unter dem Hijab halten, werden plötzlich sehr pragmatisch.

 

Jede Generation ist die erste Generation

Ein sehr gut recherchierter Beitrag im New York Times Magazine über den türkischen Heiratsmarkt in Deutschland. Durch arrangierte Ehen und Importbräute wird jede Generation immer wieder zur ersten Generation, was die Intergration angeht. Caldwell beschreibt, warum die Türken auf arrangierte Ehen setzen, wie sie die deutschen Familien sehen, und was die integrationspolitischen Kosten dieses Heiratsmarktes sind.

Zitiert wird in dem Stück unter anderem der Gastgeber dieses Blogs:

Like Ayaan Hirsi Ali in the Netherlands, Kelek has been accused of “Enlightenment fundamentalism,” a tendency to defend secular values too dogmatically. Last year, a group of 60 “migration researchers” wrote an open letter to the weekly paper Die Zeit attacking Kelek’s writing as “unserious” — an odd criticism to level at a memoirist, even one trained in sociology. Others say she has made Islam too central to her explanation of violence against women.

chris.jpg

Christopher Caldwell

Marriage among Turks has become a cause célèbre partly because of Turks’ resistance to German ways. But Turks’ acceptance of German ways, particularly by this first generation of Turkish-German feminist writers and intellectuals, plays a role too. “I think a lot of Germans are positively embarrassed by how patriotic these women are,” writes Jorg Lau, an admirer of both Kelek and Ates who often writes about Muslim issues for Die Zeit. For the first time, negative verdicts on the Turkish model of relations between the sexes are coming out of the Turkish community itself.

Und hier ist Christopher Caldwells These zum neuen muslimischen Antisemitismus in Europa.

 

Das deutsche Rechtssystem und seine Scharia-Gettos

Im Nachgang zu dem Frankfurter Koran-Beschluss haben zwei betroffene Anwälte eine exzellente Analyse der deutschen Rechtslage vorgelegt. Nasrin Karimi und Philippe Koch beschreiben im neuen Heft von NOVO, wie das deutsche Rechtssystem paradoxerweise gerade langjährig hier wohnende und gut integrierte Ausländer in rechtliche Enklaven einsperrt und ihnen den Zugang zu deutschem Recht verwehrt. Der ganze Artikel ist hoch lesenswert. Ein Auszug:

„Während klassische Einwanderungsländer wie Frankreich und Großbritannien in ihren Rechtsordnungen den gewöhnlichen Aufenthalt als Anknüpfung für die Bestimmung des anzuwendenden Personen- und Familienrechts gewählt haben, geht das deutsche internationale Privatrecht vom Staatsangehörigkeitsprinzip aus. Maßgeblich also für die Frage, welches Recht in persönlichen Angelegenheiten anzuwenden ist, ist die Staatsangehörigkeit der rechtsuchenden Bürger, unabhängig davon, wie lange diese sich in Deutschland schon aufhalten.

Welche Folgen hat diese Praxis für die Justiz? Was bedeutet dies für die beteiligten Bürger? In Deutschland sind durch die Anwendung ausländischen Rechts Enklaven entstanden, in denen die deutsche Zivilrechtsordnung für den nicht-deutschen Teil der Bevölkerung keine Geltung hat.
So werden Iraner vor deutschen Gerichten nach dem Recht der Islamischen Republik Iran geschieden, ein Ägypter, der in Deutschland seit 40 Jahren lebt und hier verstirbt, wird nicht nach deutschem Erbrecht, sondern nach dem ägyptischen Erbrecht beerbt.
Nicht nur, dass die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts deutschen Juristen erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Die Anwendung ausländischen Rechts begründet darüber hinaus ein rechtskulturelles Spannungsfeld, das der deutschen Öffentlichkeit und den verfahrensbeteiligten ausländischen Bürgern unter dem Gesichtspunkt der Rechtsakzeptanz nur schwer zu vermitteln ist.
So kennen beispielsweise islamisch-rechtlich geprägte Rechtsordnungen im Bereich des Familien- und Erbrechts eine Vielzahl von tief verwurzelten rechtskulturellen Besonderheiten, die dem deutschen Recht fremd sind, aber von deutschen Gerichten anzuwenden sind. Für den islamisch-rechtlichen Kulturkreis seien beispielhaft die von der Scharia stark geprägten Scheidungsgründe sowie die systematische Benachteiligung von Frauen im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge erwähnt.

Dies führt oft zu paradoxen Ergebnissen. Denn regelmäßig werden in der Bundesrepublik lebende Ausländer, die längst integriert sind, in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren an dem Recht ihrer Herkunftsländer „festgehalten“. Und dies, obwohl die wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände der in Deutschland lebenden Ausländer oft keinerlei Bezug mehr zu den Prämissen aufweisen, die den Wertungen der Rechtsordnungen ihrer Herkunftsländer zugrunde liegen. Warum sollte sich etwa eine seit 20 Jahren in Deutschland tätige Ärztin, die aus dem Iran stammt und in Deutschland voll integriert ist, nach dem Recht der Islamischen Republik Iran scheiden lassen? „

 

Warum unterdrückt der Iran seine Frauen so brutal?

Warum hat die Islamische Republik den Frauen den Krieg erklärt, die für ihre Rechte eintreten? Akbar Gandschi, der bekannteste iranische Dissident, hat eine brillante Erklärung (sein Essay hier): Die Geschlechtersegregation ist wichtig, um zu simulieren, dass der Iran eine Gesellschaft sei, in der die Scharia gelte.

Ganji-01.jpg
Zu simulieren! Denn wie Gandschi schreibt, die wesentlichen Bestimmungen der Scharia werden im Iran de facto gar nicht angewendet:
1 Dieben werden die Hände nicht abgeschnitten.
2 „Gegnern Gottes“ werden nich je ein gegenüberliegendes Bein und ein Arm amputiert.
3 Das Talionsgesetz – Auge um Auge, Zahn um Zahn – wird nicht angewendet.
4 Die Steinigung wird nicht angewendet.
5 Die Gesetze gegen Apostasie werden nicht angewendet.
6 Die Vorschrift über den Dschihad werden nicht angewandt.
7 Die Besteuerung von Nichtmuslimen wird nicht praktiziert.
8 Die Auspeitschung bei islamisch unkorrektem Verhalten wir nicht angewandt.
9 Das Zinsverbot wird nicht beachtet, sondern durch findige Weisen, Zinsen zu „Porfit“ zu erklären, umgangen.
10 Die Zahlung des Zehnten wird vernachlässigt.
Gandschis sarkastische Folgerung:

Only one thing remains that suggests that the system is Islamic: women’s hijab. The Islamic Republic’s regime makes women wear the hijab by force so that, one, the country is considered Islamic and, two, there can be a justification for continued rule by the vali-ye faqih [supreme Islamic jurist/cleric].

Die Unterdrückung der Frauen mit allerlei Vorschriften über islamische Kleidung, vor kurzem abermals heftig in Szene gesetzt, hätte also nicht die Funktion, die Scharia durchzusetzen, sondern sie wäre ein Versuch, die Nichtbeachtung der Scharia zu bemänteln und damit eine Schein-Legitimation der Theokratie zu liefern:

Today, the Islamic Republic stands naked and without a cover, because, based on to the criteria of the fuqaha (Rechtsgelehrte, J.L.), the country is not Islamic; because there is no justification for the continuation of the fiqh-based State; because it is brute force that has made the survival of rule by the fuqaha possible. There is no reason or logic for covering up the naked oppression and intimidation. So, they cover up women in order to put their Islamism on display. It is that simple.

Gandschi geht noch weiter: Er fragt, warum die Frauenfrage für das Regime eine so existentielle Frage geworden ist, dass es zu immer brutalerer Unterdrückung greift:

The State is opposing women’s demands because the only thing that justifies the authority and guardianship of the fuqaha is the implementation of the precepts of fiqh and the only precepts that remain are the precepts that rule out freedom and equality for women. So, the quarrel is essentially not over religiosity or irreligiosity. The quarrel is over democracy or dictatorship, since equality is the shared foundation of democracy and human rights. Anyone who is opposed to the equality of women and men, believers and unbelievers, clerics and non-clerics, etc. is opposed to democracy and human rights. And anyone who fights for equality in any arena is, knowingly or unknowingly, fighting for democracy and human rights.

Die Frauenfrage ist im Grunde die demokratische Frage. Am Ende zieht Gandschi eine interessante Parallele. Die Kemalisten mit ihrem Kopftuchbann und dien Mullahs mit ihrer Kopftuchvorschrifte werden von ihm als zwei verschiedene, beide zum Scheitern verurteilte, Wege des Umgangs mit der Frauenfrage bezeichnet:

Women’s liberation will be achieved when the plurality of women’s social identities is officially recognized and when the State – any State – stops imposing on women norms that suit the ruling elites and trying to create ‚a woman in line with the ideology‘. Turkey’s Kemalists see women who observe the hijab as barbarous and Iran’s fundamentalists consider women who do not observe the hijab or who do so improperly as barbarous. But is barbarity anything other than a State that drives its citizens in a direction that they do not want to go by brute force and makes them wear clothes that they do not want to wear? We must accept human beings‘ right to choose their own customs. Women must not be used as a means for achieving States and ideologies‘ ends. Freedom and equality have to be accepted so that everyone can live their lives on the basis of their own understanding of the good. The modern individual is someone who creates him/herself as a work of art. Every work of art is different from every other work of art. Democracy means recognizing differences and the right to be different and to think differently.

Ich würde dennoch einen Unterschied zwischen dem Kopftuchverbot der Kemalisten und dem Haarzeigeverbot der Mullahs sehen wollen: Denn das erste – wie auch immer autoritär – eröffnet den Frauen (jedenfalls der Tendenz nach) alle gesellschaftliche Möglichkeiten, das zweite verschließt ihnen ganze Welten. Das erste definiert die Frau als gleichrangig (jedenfalls ideell), das zweite definiert sie als das ganz andere, den Männern untergeordnete und zweitrangige Wesen.

Trotzdem: Gandschi hat wieder den Nerv getroffen.

 

Ein freier Kopf

Neidvoll blicken wir heute auf die Kollegen der WELT, die einen sehr bewegenden und erhellenden Text von Emel Abidin-Algan, der Tochter des Gründers von Milli-Görüs Deutschland, dokumentieren. Frau Abidin Algan schildert ihre Erfahrungen mit dem Ablegen des Kopftuchs und mit der Entwicklung eines neuen, innerlich freien Gottesbezugs.

algan.jpg
Emel Abidin-Algan

Das Ablegen des zur Selbstverständlichkeit gewordenen Kopftuchs war nicht einfach, weil ich damit ein Selbstbild entwickelt hatte, das mit moralischen Werten verknüpft war. Es hat mich zwei Jahre des Forschens und Experimentierens gekostet, bevor ich mich davon trennen konnte, weil ich jemand bin, der keine halben Sachen macht. Mein Leben ohne das Kopftuch ist jetzt nicht etwa besser geworden, weil es schon immer gut war, es ist vielmehr ganz anders geworden, aufregender und vielseitiger. Die Freiheiten, die ich jetzt habe, denen bin ich auch jetzt erst gewachsen. Vor allem hat sich meine Wahrnehmung meinen Mitmenschen gegenüber verändert. Kein Kopftuch mehr zu tragen bedeutet in der Praxis für mich zunächst: nicht mehr aufzufallen und keinem Verhaltensdruck mehr ausgesetzt zu sein, mehr Bewegungsfreiheit im Kennenlernen der Welt von Männern zu haben und keinen möglichen Einschränkungen mehr auf dem Arbeitsmarkt ausgeliefert zu sein.

Sie beharrt aber darauf, dass dies ein freiwilliger Prozess ohne Druck sein muss. Ihre Tochter, sagt sie, fühle sich derzeit mit der Verhüllung wohl.

Zugleich bestreitet sie, dass die religiöse Begründung des Kopftuchs heute noch Bestand habe:

Eine wichtige Erfahrung war festzustellen, dass der Koran im historischen Kontext verstanden werden kann. Heute zum Beispiel, im Gegensatz zur damaligen Zeit des Propheten, braucht kein Mann mehr ein Unterscheidungsmerkmal wie eine Verhüllung, um Frauen nicht zu belästigen. Interessanterweise war gerade das einer der Gründe für die Bedeckungsverse im Koran. Das Problem mit der Verhüllung heute wäre auch einfach gelöst, wenn Männer über ihre Wahrnehmungen reden würden. Denn um die Männer geht es ja, wenn sich eine Frau verhüllt.

 

Zentralrat der Muslime: Schwimm- und Sportunterricht ist notwendig

Aiman Mazyek, Generalsekretär der Zentralrats der Muslime, präzisiert die Aussagen des Sprechers des KRM im Gespräch mit der ZEIT folgendermassen:

„Ich bin überrascht über die Berichte, dass der Vorsitzende des ZMD
getrennten Sportunterricht einfordern würde. Das war nie der Standpunkt
des ZMD und auch nicht der des Vorsitzenden. Im KRM findet dies ebenso
keinen Widerklang. Es handelt sich hierbei um eine in der Hektik
entstandenen Aussage

Wir haben immer auf die Notwendigkeit des Schwimm- und Sportunterrichtes
hingewiesen. Sportbefähigung oder die Erlangung des Schwimmabzeichens
wird bei uns gross geschrieben.

Bei etwaigen Problemen sollten die Interessen der Eltern aber auch
berücksichtigt werden. Man sollte mit den Schulen und Eltern gemeinsam
nach pragmatischen Lösung suchen, dies gilt im Besonderen beim
Schwimmunterricht. Diese Methode hat sich im Laufe der
Jahre bewährt. Letzteres meinte sicherlich auch Dr. Köhler.“