Anders Breivik, Multikulturalist

Interessantes Stück von Brendan O’Neill in Novo, das Motive enthält, die ich hier auch schon einmal angeschlagen hatte (und auch hier, unter dem Aspekt „Multikulti von rechts“):

Die dunkle Ironie hinter den von Anders Behring Breiviks im Gerichtssaal vorgetragenen Tiraden gegen den Multikulturalismus ist, dass seine eigene Weltauffassung ebenfalls mit dieser spalterischen Ideologie durchsetzt ist. (…) enthüllt sowohl sein Aufruf, „seine Kultur“ [2] zu respektieren als auch die paranoide Überzeugung, „seine Kultur“ sei von gefühllosen Funktionären und dem ungehobelten Pöbel bedroht, dass er selbst dieser multikulturellen Perspektive anhängt. Die Selbstwahrnehmung als Angehöriger einer bedrohten Kultur, sein widerliches Selbstmitleid, seine Paranoia darüber, dass seine Traditionen von anderen mit Füßen getreten werden: All diese hanebüchenen Ideen entspringen letztlich der Ideologie des Multikulturalismus.
(…) Diese Besessenheit mit der eigenen kulturellen Identität und der Wunsch, einen Schutzschild um sie herum zu errichten, so dass sie bloß nicht von externen Kräften bedroht wird, ist reiner, unverfälschter Multikulturalismus. Es ist das gleiche Denken, das auch die moderne multikulturelle Maschinerie und deren Protagonisten motiviert, Respekt gegenüber verschiedenen „Identitäten“ durchzusetzen.
Breivik ist eindeutig durch Identitätspolitik und nicht durch altmodische religiöse Überzeugungen motiviert. (…) Grundlegend für seine Besessenheit ist die Idee einer immanenten „Identität“ mit festen kulturellen Merkmalen, wie man sie auch von Mainstream-Multikulturalisten kennt. Auch hier findet sich eine „Identitätsideologie“, nämlich die Überzeugung, jeden Menschen in vorgefertigte und nie veränderbare kulturelle Schubladen quetschten zu können – Weiß, Moslem, Schwarz – und das jede dieser Schubladen vor Spott und Respektlosigkeit geschützt werden müsse.
Eine andere Sache, die Breivik mit den Multikulturalisten teilt, ist ein mächtiges Gefühl kultureller Paranoia: Er glaubt, „seine Kultur“ befinde sich in einem Belagerungszustand. Normalerweise kämen nur Multikulturalisten auf die Idee, dass Minderheitskulturen, wie z.B. die islamische, durch Wellen von Islamophobie und allgemeiner Ignoranz bedroht seien. Für Breivik hingegen ist es die Mehrheitskultur – die weiße christliche Identität – die diesmal durch die „islamische Kolonisierung Europas“ und auch wieder durch die Ignoranz der breiten Öffentlichkeit bedroht sei [6] (die Durchschnittsbürger werden seiner Meinung nach durch die Medien in die Irre geführt). Dies sind zwei verschiedene Versionen der gleichen kulturellen Panik, die durch die multikulturelle Perspektive befördert werden. Tatsächlich ist es bemerkenswert, wie viel Breivik mit den von ihm so verachteten Islamisten gemein hat. Wo Islamisten, auch unter dem Einfluss des Multikulturalismus, behaupten, ihre kulturelle Identität sei durch „Neue Kreuzzüge“ des Westens gegen den Islam bedroht, sieht auch Breivik seine kulturelle Identität durch Kreuzzüge aus der entgegengesetzten Himmelsrichtung bedroht – durch die von Osten kommende „Islamisierung“. So werden beide Gruppen gleichermaßen völlig paranoid gemacht, indem sie ermutigt werden, ein obsessives Verhältnis zu ihren angeblich fragilen Identitäten zu entwickeln.
Breivik ist nicht der unerbittliche Feind des Multikulturalismus, als den er sich selbst gerne darstellt, er ist vielmehr dessen Produkt. Er ist ein monströses Geschöpf des Multikulturalismus. (…)

 

Der Islam und die Zukunft der Linken

Sam Harris hat auf seiner Website einen Essay zum Thema „Der Islam und die Zukunft der Linken“ veröffentlicht, den ich bemerkenswert finde. Harris ist ein prominenter Vertreter des kämpferischen Säkularismus, ein Religionskritiker, der  keinen Glauben auslässt.

Dass unter allen Religionen der Islam heute das größte Problem für die Menschenrechte und die Freiheit darstellt, sagt er dennoch in aller Deutlichkeit. Er sagt es ohne Islamophobie und ohne sich von dem möglichen Vorwurf, der Islamophobie Vorschub zu leisten, beeindrucken zu lassen.

Er wendet sich gegen diejenigen, die jede Kritik am Islam unter diesem Label einordnen – ebenso wie gegen diejenigen, die unter dem Deckmatel der Islamkritik „Rassismus, christlichen Faschismus oder beides“ verstecken. Und er nimmt die Linke („liberals“), der er sich selbst zugehörig fühlt, hart ran für ihre Weigerung, den religiös motivierten, genozidalen Faschismus der Hamas-Charta ernst zu nehmen.

Of course, millions of Muslims are more secular and are eager to help create a global civil society. But they are virtually silent because they have nothing to say that makes any sense within the framework of their faith. (They are also afraid of getting killed.) That is the problem we must keep in view. And it represents an undeniable difference between Islam and Christianity at this point in history. There are also many nefarious people, in both Europe and the U.S., who are eager to keep well-intentioned liberals confused on this point, equating any criticism of Islam with racism or “Islamophobia.” The fact that many critics of Islam are also racists, Christian fascists, or both does not make these apologists any less cynical or sinister.

The only way to know which way is up, ethically speaking, is to honestly assess what people want and what they believe.  We must confront the stubborn reality of differing intentions: In every case it is essential to ask, “What would these people do if they had the power to do anything they wanted?”

Consider the position of Israel, which is so regularly vilified by the Left. As a secularist and a nonbeliever—and as a Jew—I find the idea of a Jewish state obnoxious. But if ever a state organized around a religion was justified, it is the Jewish state of Israel, given the world’s propensity for genocidal anti-Semitism. And if ever criticism of a religious state was unjustified, it is the criticism of Israel that ceaselessly flows from every corner of the Muslim world, given the genocidal aspirations so many Muslims freely confess regarding the Jews. Those who see moral parity between the two sides of Israeli-Palestinian conflict are ignoring rather obvious differences in intent.

My fellow liberals generally refuse to concede that the religious beliefs of groups like Hamas merit any special concern. And yet the slogan of Hamas, as set forth in Article 8 of its charter, reads: “Allah is its target, the Prophet is its model, the Koran its constitution: Jihad is its path and death for the sake of Allah is the loftiest of its wishes.” If this is insufficient to establish this group as a death cult of aspiring martyrs, consider the following excerpts from the charter:

  • [T]he Islamic Resistance Movement aspires to the realisation of Allah’s promise, no matter how long that should take. The Prophet, Allah bless him and grant him salvation, has said:
  • “The Day of Judgement will not come about until Muslims fight the Jews (killing the Jews), when the Jew will hide behind stones and trees. The stones and trees will say O Muslims, O Abdulla, there is a Jew behind me, come and kill him. Only the Gharkad tree would not do that because it is one of the trees of the Jews.” (related by al-Bukhari and Muslim). (…)
  • There is no solution for the Palestinian question except through Jihad. Initiatives, proposals and international conferences are all a waste of time and vain endeavors. (…)
  • It is necessary to instill in the minds of the Muslim generations that the Palestinian problem is a religious problem, and should be dealt with on this basis. (…)“

Whether or not every Palestinian believes these things is not the point. The point is that many do, and their democratically elected government claims to. It is only rational, therefore, for Israel to behave as though it is confronted by a cult of religious sociopaths. The fact that much of the world, and most Western liberals, cannot see the moral imbalance here only makes the position of Israel more precarious, leaving it increasingly vulnerable to overreacting to Palestinian provocations. If the rest of the world were united in condemnation of Hamas, and of Islamism generally, Israel could afford to be slower to reach for its guns.

 

 

Breivik unzurechnungsfähig?

Dass der Massenmörder Breivik für unzurechnungsfähig erklärt wird, löst zwiespältige Gefühle bei mir aus. Die jahrelange, systematische Vorbereitung seiner Tat und die in teuflischer Diszipliniertheit erfolgte Durchführung (mitsamt Plan B) sprechen eigentlich gegen eine solche Diagnose. Auch der beträchtliche ideologische Aufwand, den er zur Rechtfertigung seiner Taten betrieben hat, ist auf den ersten Blick nicht so leicht mit verminderter Schuldfähigkeit überein zu bringen. Wenn das Wahnsinn ist, dann ist ein Teil der islamhassenden Suböffentlichkeit Europas borderline-wahnsinnig. Breivik hat sich die Legitimationsgrundlage seiner Taten nicht herbeihalluziniert, er konnte sie im Netz zusammenbasteln. Copy-und-Paste-Faschismus auf über 1.000 Seiten: Ist sowas wirklich unzurechnungsfähig?

Wenn Breivik aufgrund seines apokalyptischen Weltbildes – in dem es gilt, einem alles verschlingenden Multikulturalismus auch mit Waffengewalt zu wehren – psychotisch ist und an paranoider Schizophrenie leidet, dann bewegen sich viele, die ihr Gift in den entsprechenden Foren verspritzen, ebenfalls am Rande der Geisteskrankheit. Eine problematische Kategorisierung.

Ich glaube, wie ich hier schon öfter dargelegt habe, dass der islamhassende Rassismus eine politische Auseinandersetzung verdient, keine Pathologisierung im Gefolge des Begriffs „Islamophobie“. Insofern finde ich die Diagnose unglücklich.

Aber womöglich liege ich hier schief, und das Urteil der Psychiater bezieht sich nicht vorwiegend auf Breiviks Ideologie, sondern auf seine Persönlichkeitsstruktur, auf die Empathielosigkeit und Reuelosigkeit, mit der er seine Taten in den Vernehmungen reflektiert. Das kann man „irre“ finden, aber sind dann nicht islamistische Extremisten, die sich in die Luft sprengen, oder Nazi-Täter wie die Zwickauer Zelle, auch „irre“?

Es gefällt mir an dem Befund die berichtete Wirkung auf Breivik, der offenbar „gekränkt“ ist, dass man ihn nicht als den politischen Täter behandelt, der er gerne sein möchte. Vielleicht ist das doch die richtige Weise, mit ihm umzugehen?

Wenn es nur nicht ein Signal der Hilflosigkeit der norwegischen Gesellschaft ist: Wir finden keinen Ansatzpunkt, uns mit diesem politischen Wahn auseinanderzusetzen, also erklären wir ihn für nicht satisfaktionsfähig und sperren wir ihn weg!

Von einigen Angehörigen der Opfer und von Überlebenden war zu vernehmen, dass sie enttäuscht sind von der Aussicht, dass Breivik nicht als Massenmörder verurteilt werden wird, sondern vermutlich lebenslang weggesperrt in der Psychiatrie. Das ist verständlich. Aber was tun, wenn man an ihn einfach nicht herankommt, weil er in einer Wahnwelt lebt, in der es schlichte Notwehr ist, sozialdemokratische Jugendliche umzubringen, weil die angeblich dem „Multikulturalismus“ Vorschub leisten?

Ist dann die Diagnose der verminderten Schuldfähigkeit nicht doch richtig? Vielleicht steckt auch dies dahinter: Sie wird es hoffentlich möglich machen, Breivik für immer sicher zu verwahren. Ein Ende der Auseinandersetzung mit seinem politischen Wahngebilde und dessen Quellen sollte das nicht bedeuten.

 

Was wir Ratko Mladic verdanken

Nachdem Ratko Mladić mit den serbischen Truppen im Juli 1995 Srebrenica eingenommen hatte, verkündete der General, nun werde man Rache „an den Türken“ nehmen – wie die bosnischen Muslime von den Serben (mit Bezug auf die osmanische Herrschaft) genannt wurden.

Und so geschah es dann bekanntlich, unter den Augen der niederländischen Truppen, als beim schlimmsten Massaker der Nachkriegszeit in Europa bis zu 8.000 Jungen und Männer ermordet wurden.

Srebrenica eröffnete als Schandmoment der jüngeren Geschichte einen Reigen von humanitären Interventionen, ja man kann sagen, es wurde das Grunddatum des neueren Interventionismus. Die Vordenkerin des jüngsten Krieges, Obamas Beraterin Samantha Power, war seinerzeit als junge Kriegsreporterin auf dem Balkan. Nie wieder Srebrenica wurde zu ihrem Lebensmotto.

Benghazi darf kein zweites Srebrenica werden – das war der tipping point für den Krieg gegen Gadhafi. Insofern ist es zwar ein historischer Zufall, dass Mladic ausgerechnet jetzt gefasst wurde (und es wird wohl mehr mit den serbischen EU-Aspirationen zu tun haben) – aber eben doch ein sehr passender.

Die deutsche Öffentlichkeit in ihrer verständlichen Kriegsmüdigkeit weiß nichts von solchen Zusammenhängen – und will auch nichts davon wissen. Sie möchte glauben, das Zeitalter des Interventionismus sei vorbei. Es ist gut, dass wir jetzt einen Verteidigungsminister haben, der kühl dagegen hält. Interventionen von Koalitionen der Willigen unter Mandat der UN werden die Zukunft für unsere Streitkräfte sein, ob es uns gefällt oder nicht. Intellektuell und strategisch ist Deutschland darauf nicht vorbereitet. Das Schlüsselwort unseres Außenministers lautet „Abzugsperspektive“, als wäre mit dem notwendigen Abzug aus Afghanistan das Ende der Interventionen erreicht.

Mladićs Verhaftung hat noch einmal in Erinnerung gerufen, dass es ein Massenmord an Muslimen war, der die Welt vor 16 Jahren empört, beschämt und aufgeschreckt hat. Srebrenica wurde darum auch zu einem weiteren Rekrutierungsmittel der Dschihadisten, in deren Weltsicht ein globaler Krieg gegen den Islam geführt wird (von Tschetschenien bis Kaschmir). Was in deren Propaganda ausgeblendet wird, ist die schlichte Tatsache, dass der Westen nach dem Versagen von 1995 mehrfach gehandelt hat und das Leben eigener Soldaten für Muslime im Kosovo, in Afghanistan, in Bagdad, Basra, Mossul und Benghazi aufs Spiel gesetzt hat.

Das sollte man vielleicht mal öfter erwähnen, wenn von der vermeintlichen Islamophobie des Westens die Rede ist.

Mladićs Rache an den „Türken“ Bosniens wurde somit zum Anlass eines neuen Verständnisses von Menschen- und Völkerrecht, gipfelnd in der noch jungen Norm der „responsibility to protect“, die erstmals im libyschen Fall angewendet wird. Weder rechtlich noch strategisch ist dies zuende gedacht. Wie könnte es auch sein?

Mladić und seine mordenden Truppen haben uns seinerzeit endgültig aus den Träumen von einem Ende der Geschichte herausgerissen. Mich erfasst eine große Genugtuung bei dem Gedanken, ihn demnächst vor Gericht zu sehen.

Welch ein Frühling für Schurken! Wer ist der nächste?

 

Der Islam gehört zu Deutschland

Die dümmste Debatte des letzten Jahres geht in die dritte Runde: Gehört der Islam zu Deutschland? Ja oder nein? „Historisch“?

Eine neue Lesart schält sich heraus: Muslime ja, Islam nein. Klasse. Das ist endlich die Lösung! Muslime ohne Islam? Das muss doch irgendwie gehen.

Never mind, dass viele „Muslime“ hierzulande ohnehin areligiös leben. Je mehr aber der neue Innenminister und andere obsessiv über „die Zugehörigkeit des Islams“ zu Deutschland reden, um so mehr wird die Identität auch nichtreligiöser Muslime „islamisiert“. Ja, so paradox ist das: Ich höre in letzter Zeit immer wieder: Ihr schafft das noch, dass ich mich als Muslim identifiziere. Oder: Erst hier bin ich zum Muslim geworden, durch das Dauerfeuer der Debatte. Wollen wir das?

Angesichts des Frankfurter Mordanschlags reden wir jetzt wieder über Radikalisierung: Dummerweise beruht das Hauptverkaufsargument der Salafisten für ihren Steinzeitislam auf der Unterstellung, im Westen würden nur „Muslime ohne Islam“ geduldet. Darum müssten „wahre Muslime“ zu den Wurzeln der „wahren Religion“ zurückkehren, um sich gegen diese tiefsitzende Islamfeindlichkeit zu wehren. Der neue Innenminister hat soeben Pierre Vogel, Deso Dogg/Abu Malik, Scheich Abdellatif  et alii eine erstklassige Vorlage geliefert. Der Islam gehört hier nicht dazu – das übersetzt sich in der Propaganda der Salafisten in den Satz: Dass dein Islam der richtige und wahre ist, merkst du daran, dass die anderen ihn ablehnen. Einen Islam, den die akzeptieren könnten, musst Du, im Umkehrschluss, verwerfen. Der kann nicht richtig sein.

Vielleicht sollte sich der Neue im BMI mal mit den Verfassungsschützern treffen, die an vorderster Front gegen die Radikalisierung in Teilen der islamisch geprägten Jugend arbeiten. Er würde auf eine erstaunliche Sorge treffen, was das gesellschaftliche Klima in diesem Land post Sarrazin angeht. Der VS ist darauf angewiesen, dass Muslime mit den Behörden kooperieren. Dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist nicht die Arbeitshypothese unserer Verfassungschützer.

Sie müssen glaubhaft widerlegen können, dass „der Islam“ per se hier ausgegrenzt wird aus irgendeinem Vorurteil oder christlich-abendländischen Dünkel heraus. Und das ist ja auch in Deutschland nicht der Fall. Warum also diese Wahrnehmung anheizen durch „historische“ Exkurse über Fragen, in denen nie ein ernsthafter Mensch das Gegenteil behauptet hat? Wie soll man so etwas anders wahrnehmen denn als leicht verklemmte Form der Schikane?

Die Sicherheitsdienste brauchen das Vertrauen, dass unterschieden wird zwischen denen, die die Religionsfreiheit missbrauchen und denen, die sie legitimer Weise in Anspruch nehmen. Eine Aussage wie die Friedrich’sche, der Islam gehöre („auch historisch“) nicht zu Deutschland, zersetzt dieses Vertrauen. Er unterminiert die Bemühungen der Sicherheitsorgane, die Propaganda der Radikalen zu widerlegen, die einen ewigen und unüberbrückbaren Gegensatz konstruiert zwischen Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechten, Islam und westlichen Werten.

Es gibt sehr gute Broschüren, etwa neuerdings vom VS des Landes Berlin, in denen jene islamistische Ideologie auseinandergenommen wird, die den absoluten Gegensatz zwischen Islam und unserer Rechtsordnung betont. Die „Zerrbilder von Islam und Demokratie“ werden dort auf deutsch, türkisch und arabisch widerlegt. Niemand macht sich Illusionen darüber – vor allem nicht die Verfassungsschützer – dass es noch ein langer Weg ist, bis nicht nur eine stille Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung durch „den Islam“ erreicht ist, sondern bis die islamische Theologie in ihren eigenen Lehren gute Gründe für die Säkularisierung (also Entmächtigung ihrer selbst) finden wird. Der katholischen Lehre ist das (vor wenigen Jahrzehnten erst) auch gelungen, und heute tut die Kirche gerne so, als wäre ihr die Idee geradezu selbst gekommen, dass man kirchliche und weltliche Macht zu trennen habe. Der Islam wird es noch viel schwerer damit haben, das ist absehbar trotz aller Reformansätze. Vielleicht wird es auch nie zu einer klaren Sphärentrennung kommen, sondern bloß – bloß! – zu einem modus vivendi. (Mir würd’s reichen, weiß Gott.)

Das sollte die Sorge eines Innen- und damit Verfassungsministers – sein. Unsere Sicherheit hängt daran. Ein Minister, der seinen Diensten die Arbeit schwerer macht, macht Deutschland weniger sicher.

p.s. Ich habe kürzlich einen Vortrag bei einer VS-Tagung gehalten, bei der es um Radikalisierung und Strategien dagegen ging.  Meine sorgenvolle Analyse der Debatte in diesem Land hat dort erstaunlich viel Beifall bekommen. Man fürchtet dort, dass das aggressive Klima Bemühungen um Deradikalisierung konterkariert. Hier mein Text dessen Schlussfolgerungen ständigen Besuchern dieses Blogs nicht fremd sein werden:

„Können Medien der Radikalisierung junger Muslime entgegenwirken?“

Auf den ersten Blick ist das eine merkwürdige Frage: Wenn etwa in einem Leitartikel der ZEIT der militante Islamismus verdammt wird, so wird das wohl keinen gefährdeten jungen Mann davon abhalten, sich in ein Terrorcamp zu begeben. (Und das liegt nicht nur an der Schichtzugehörigkeit unserer Leser. Auch die BILD kann da nicht viel ausrichten.)
Wir erreichen solche Menschen doch gar nicht, könnte man meinen. Vielleicht wäre sogar das Gegenteil denkbar: Dass sich jemand für den bewaffneten Kampf gegen diese Gesellschaft im Namen des Islams entscheidet, gerade WEIL der Mainstream unserer Medien dies verdammt.
Islamismus ist auch, das haben wir anhand radikalisierter Konvertiten und junger Muslime der zweiten und dritten Generation gelernt, RADICAL CHIC. Es wird die totale Gegenposition zum Bestehenden gesucht, man schlägt sich gerade absichtsvoll auf die Seite der Bewegung, die am meisten gefürchtet und abgelehnt wird. In den 70ern war das im Westen der Kommunismus, heute ist es für manche der Islamismus. Dass man sich außerhalb des Mainstreams stellt, wenn man Islamist wird, ist oft Teil der Attraktion.

Menschen, für die es so weit gekommen ist, dass sie sich in absolute Ablehnung des Bestehenden begeben, erreichen wir aber weder mit einem wohl argumentierten Leitartikel wider den politischen Islam noch mit einem aufklärenden Stück über den „wahren Islam“, der Selbstmordattentate ablehnt.

Also: Wir werden zwar weiter solche Artikel publizieren, aber deren „antiradikalisierende Wirkung“ kann man sich wohl kaum so vorstellen, dass der nächste Mohammed Atta oder Fritz Gelowicz die FAZ, den Spiegel oder die ZEIT beiseite legt, nachdenklich wird und seine Reise nach Pakistan absagt.

Trotzdem halte ich es für richtig, dass Sie im Rahmen des Anti-Radikalisierungsprogramms über die Medien nachdenken. Um in den Blick zu bekommen, was die Medien in diesem Zusammenhang für eine Funktion haben, muss man freilich den Blick weiten.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

Das ist ein radikaler Satz. Aber so weit muss man die Perspektive öffnen, um die möglichen Zusammenhänge von Medien, Islam, Islamismus, Salafismus und Dschihadismus zu erkennen. In dem Konzept, das Sie mir freundlicher Weise zugeschickt haben, werden fünf „Radikalisierung begünstigende Faktoren“ aufgezählt: Einfluss von Predigern und ehemaligen Kämpfern, Internet und Videopropaganda, unmittelbare Bezugsgruppe Gleichgesinnter, soziale Entfremdung, Gefühl des Nicht- Dazugehörens, Aufenthalt in Terrorcamps.

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„In einem Jahr bin ich weg“ – eine Rundreise durch den europäischen Antisemitismus

Meine Reportage erscheint morgen auf Seite 3 der ZEIT (aus Anlass des Gedenktages zur Befreiung des KZ Auschwitz):

Amsterdam/Malmö/Budapest
Vor einiger Zeit hat Raphael Evers aufgehört, die Tram in seiner Heimatstadt Amsterdam zu benutzen. Auch auf den Markt geht er nicht mehr. Er ist ein sichtbarer Jude – ein Rabbiner mit Rauschebart, breitkrempigem Hut und einem schwarzen Anzug mit Frackschößen, der mittags in Sal Meijers Kosher Sandwichshop ein Broodje Meijer mit gepökeltem Rindfleisch und Senf isst und sich dabei die Sorgen älterer Gemeindemitglieder anhört. Das Lokal im Amsterdamer Süden ist ein sicherer Ort. Die Straßen sind es nicht mehr. »Ich werde beschimpft, manchmal sogar angespuckt. Für Juden wie mich gibt es No-­go-­Areas­ in dieser Stadt. Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.«
Das »jüdisch-christliche Erbe« wird in Europa derzeit gern beschworen, um sich vom Islam abzugrenzen. Doch der Vereinnahmung der Juden zur Verteidigung des Abendlands widerspricht das prekäre Lebensgefühl vieler, die ihr Judentum offen leben. Zwar gibt es durch die Einwanderung aus dem Osten eine neue Blüte; erstmals nach dem Holocaust. Doch wer wissen will, wie es heute um das jüdische Leben in Europa steht, der stößt auf Beklommenheit, Verunsicherung und Angst – das zeigt sich auf einer Reise nach Amsterdam, Malmö und Budapest.
»Bewusste Juden«, so wurde am 5. Dezember der liberale Politiker Frits Bolkestein in der Zeitung De Pers zitiert, »müssen sich darüber klar werden, dass sie in den Niederlanden keine Zukunft haben.« Sie sollten mit ihren Kindern lieber nach Israel oder in die USA emigrieren. Der 77-jährige Bolkestein war Vorsitzender der regierenden liberalen Partei VVD und später EU-Kommissar. Bolkestein habe, so Evers, seine Landsleute warnen wollen. Aber die Grünen, die sonst gerne über Rassismus reden, kritisierten den Überbringer der schlechten Nachricht. Ihre Spitzenkandidatin Femke Halsema erklärte, Bolkestein müsse wohl den Verstand verloren haben. Für Rabbiner Evers sind solche Reaktionen Teil des Problems.
Er ist als Direktor des Rabbinerseminars das Gesicht des Judentums im Lande. Er ist ein lebensfroher Typ. Er will kein Opfer sein, und er muss seiner Gemeinde Zuversicht vermitteln. Leicht ist das nicht. Das Klima sei »nicht gut« für »offen lebende Juden«, sagt er: »Aber wir dürfen nicht fliehen. Damit würden wir ja den Antisemiten recht geben! Sprechen Sie mit meinem Sohn, der kann Ihnen mehr erzählen.«
Benzion Evers ist wie sein Vater in der Gemeinde tätig. Aber nicht mehr lange: »In einem Jahr bin ich weg. Ich beende noch mein Studium, dann gehe ich mit meiner Frau nach Israel. Mein Vater sagt das zwar nicht öffentlich, aber ich glaube, nach seiner Pensionierung geht er auch weg.« Der 22-jährige Benzion hat sich schon in der Pubertät darauf eingerichtet, dass man in der Stadt besser keine Kippa, sondern eine Baseballkappe trägt. Er hat gelernt, den arabischstämmigen Schülern, die ihn und seine jüdischen Freunde als »Kanker Joden« (Krebsjuden) mobben, aus dem Weg zu gehen. Und er hat sich damit abgefunden, dass er sich permanent für Israels Politik rechtfertigen muss: »Man kann so leben. Aber es nimmt einem die Luft zum Atmen, wenn man seine Religion und seine Identität verstecken muss. Unseren Kindern wollen wir das nicht zumuten.« Benzion betont, er fliehe nicht nach Israel. Fünf seiner neun Geschwister sind schon in Israel. »Vielleicht macht der Antisemitismus nur den kleineren Teil meiner Entscheidung aus«, sagt Benzion. »Aber als Holländer finde ich, in unserem Land sollte so etwas überhaupt keine Rolle spielen.«
Seine Großmutter, Bloeme Evers-Emden, geboren 1926, ist eine Auschwitz-Überlebende. Sie war auf dem gleichen Transport wie Anne Frank. Sie kam zurück und lebte als Zeitzeugin in Amsterdam. Heute unterstützt sie seine Entscheidung. Eine Million Besucher kamen letztes Jahr ins Anne Frank Haus und ließen sich vom Schicksal dieser Ikone des Leides unter den Nazis bewegen. Wozu dient die Vergangenheitsbewältigung, wenn zugleich die Familien von Überlebenden aus dem Land gegrault werden?
Wer Frits Bolkestein in seinem Büro mit Amstel-Blick aufsucht, findet einen weißhaarigen Herrn vor, der einen sehr klaren, wenn auch bedrückten Eindruck macht. »Wenn Orthodoxe hier in Amsterdam eine Bar-Mizwa feiern, brauchen sie Wachleute. Die jüdischen Gemeinden müssen bei uns für ihre Sicherheit selbst bezahlen, die Regierung und die Stadtverwaltung schauen weg. Und die Politik hat Angst, das Problem anzugehen.«
Der muslimische Antisemitismus ist ein unangenehmes Thema in den Einwanderungsgesellschaften Europas, deren politisches System von Rechtspopulisten bedroht wird. Geert Wilders hat gleich versucht, aus Bolkesteins Äußerungen Profit zu schlagen: Nicht die Juden, sondern die Marokkaner müssten gehen. Die Parteien der Mitte scheuen sich, das Thema aufzugreifen, weil es Wilders nutzen könnte.

Seit Jahren findet eine schleichende Verrohung des öffentlichen Raums statt: Weil Ajax Amsterdam als »jüdischer Club« gilt (im Vorstand und auch im Team gab es gelegentlich Juden), rufen die Fans des Konkurrenten Feyenoord Rotterdam von den Stadionrängen »Hamas, Hamas, Juden ins Gas!«. Erst seit sich ein paar Holocaust-Überleben­de darüber in Briefen an die Vereine beschwert haben, beginnt die Liga einzuschreiten.
Seit dem Gazakrieg nimmt der Antisemitismus zu. 2009 – im letzten erfassten Zeitraum – wurde eine Steigerung der judenfeindlichen Straftaten um 48 Prozent registriert. Im Januar 2009, während des israelischen Krieges gegen die Hamas in Gaza, wurden 98 Taten gezählt, neun gewalttätig. Anfang Januar 2011 wurden mitten in Amsterdam Werbeplakate für ein Anne-Frank-Theaterstück mit dem Wort »PaleSStina« überschmiert.
Trotz der Vergangenheit kommen immer mehr junge Israelis nach Europa – ausgerechnet Berlin ist in den letzten Jahren zum Lieblingsreiseziel aufgestiegen. Gleichzeitig entdecken junge Europäer ihr Judentum wieder. Aber viele Juden, besonders orthodoxe, leben wie Rabbiner Evers – vorsichtig, innerhalb selbst gezogener Grenzen. Es gibt einen antisemitischen Alltag, einen offenbar akzeptierten Normalpegel des Hasses – auch in Deutschland: Jahr für Jahr werden im Schnitt 50 jüdische Friedhöfe geschändet, statistisch also jede Woche einer. Es sind meist Juden, die sich um den Antisemitismus kümmern müssen. Auch darum hat sich eine Bedrücktheit über das jüdische Leben gelegt.
Die Frage, wie tolerant Europa ist – wie der Alte Kontinent mit religiöser Vielfalt umgeht –, ist zuletzt anhand von Kopftüchern, Minaretten und Burkas diskutiert worden. Die Offenheit für Muslime ist zu Recht zum Maßstab geworden für das multireligiöse Europa. Darüber droht aus dem Blick zu geraten, wie sich alte Vorurteile, eine neue Demografie und der ewige Nahostkonflikt zu einer giftigen Mischung verquirlen, die Juden das Leben schwer macht. Das multireligiöse Europa muss zeigen, dass die Lehren aus dem Holocaust für alle gelten, auch für die Einwanderer und ihre Kinder.
Eine treibende Kraft der letzten Welle antisemitischer Taten sind muslimische Jugendliche, die selber unter der Engherzigkeit der europäischen Gesellschaften leiden, wenn sie Symbole ihres Glaubens tragen. Zwar wäre es falsch, nur auf sie zu schauen: Ungarn hat nahezu keine Muslime und doch ein wachsendes Problem mit Judenhass. Hier hat nämlich – wie in Teilen Ostdeutschlands – der Rechtsradikalismus Wurzeln geschlagen und sich unter Ministerpräsident Viktor Orbán als normaler Teil des politischen Lebens etabliert. Das neue Phänomen des muslimischen Antisemitismus jedoch ist ein besonders heikles Thema für die Einwanderungsgesellschaften West- und Nordeuropas. Die Hassbekundungen einer kleinen Teilgruppe meist junger, männlicher Migranten muslimischer Herkunft gegenüber Juden gefährden den Religionsfrieden in einem zunehmend multireligiösen Europa.

Auch in Malmö stößt man auf das Wort Gaza, wenn man nach Erklärungen für die Ereignisse der vergangenen Jahre sucht. Aber was hat Fred Kahn, der Vorsitzende der kleinen Gemeinde von Südschweden mit ihren 800 Juden, mit dem Stück Land zu tun, in dem die Hamas regiert? Der freundliche Herr mit Glatze und Schnurrbart, ein pensionierter Professor für Biochemie und Mikrobiologie, ist Schwede durch und durch. Früher, sagt Kahn, war Judenhass ein Phänomen der südschwedischen Neonazi-Szene. Heute machten vor allem Jugendliche aus dem islamisch geprägten Einwanderermilieu Probleme. Fast ein Fünftel der Bevölkerung Malmös ist muslimisch. Fred Kahn betont mehrfach, dass »99 Prozent der Muslime absolut friedlich« seien. Es gebe exzellente Verbindungen zu islamischen Gemeinden. Der Zentralrat der Juden, betont er, habe sich seit Jahren gegen die in Schweden grassierende Islamophobie gewandt. »Wir wissen«, sagt Kahn, »dass es überall, wo gegen religiöse Minderheiten gehetzt wird, am Ende auch gegen die Juden geht. Wir sind gegen Kopftuch- und Minarettverbote und verteidigen jedermanns Religionsfreiheit.«
Die Frage ist allerdings, wer für die Freiheit der Juden einsteht, unbehelligt Zeichen ihrer Religion zu tragen wie die Kippa oder den Davidstern. Der Rabbiner der Gemeinde, ein Orthodoxer, wurde auf der Straße mehrfach schon als »Scheißjude« beschimpft, den man »leider vergessen habe zu vergasen«. Seit dem Gazakrieg, sagt Kahn, sei das Klima so feindselig geworden, dass die meisten die Kippa lieber zu Hause lassen. Es gab Brandanschläge auf eine Kapelle, Verwüstungen jüdischer Friedhöfe und Pöbeleien gegen die Teilnehmer eines jüdischen Kinder-Ferienlagers. Etwa 30 jüdische Familien, schätzt der Vorsitzende, hätten die Stadt bereits verlassen, seit die Angriffe zunehmen. Manche gingen nach Stockholm, wo es mehr jüdische Infrastruktur gebe, in der man sich sicher fühlen könne, manche auch nach England oder Israel.
Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt, Ilmar Reepalu, hat lange geschwiegen. Nachdem Berichte lokaler Medien den Antisemitismus skandalisierten, gab er ein Interview, das in Fred Kahns Augen alles noch schlimmer machte. Reepalu forderte von Malmös Juden, »sich klar von den Menschenrechtsverletzungen des Staates Israel gegen die Zivilisten in Gaza zu distanzieren«. Diese Äußerung kommt einer symbolischen Ausbürgerung gleich. Eine Ungeheuerlichkeit: Müssen sich schwedische Juden von Israel distanzieren, um sich das Recht auf Unversehrtheit als Bürger zu verdienen? Der Bürgermeister aber setzte in einem späteren Interview noch nach: »Wir akzeptieren weder Zionismus noch Antisemitismus noch andere Formen ethnischer Diskriminierung.« Das ist eine subtile Version der Behauptung, der Zionismus sei eine Form des Rassismus wie der Antisemitismus. Ein linker Bürgermeister, der sich nicht vor seine jüdischen Bürger stellt und stattdessen den als »Antizionismus« posierenden Affekt gegen Juden auch noch füttert? »Wenn Juden aus der Stadt nach Israel auswandern wollen, hat das für Malmö keine Bedeutung«, sagte er. Reepalu ist weiter im Amt und wird von seiner Partei gestützt.
In Budapest kommen die Angriffe gegen Juden aus einer anderen politischen Richtung. Ungarn hat mit über 100 000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde Osteuropas. Nach dem Kollaps des Kommunismus gab es ein wahres Revival jüdischen Lebens. Die größte und schönste Synagoge des Kontinents steht an der Dohany-Straße im Zentrum der Hauptstadt, und Péter Feldmájer, Vorsitzender des ungarischen Zentralrats, residiert in einem holzgetäfelten Büro an ihrer Rückseite. Seine Augen leuchten, wenn er von den Tausenden nichtjüdischen Gästen spricht, die jedes Jahr zum jüdischen Sommerfest kommen. Seine Synagoge ist eine der Hauptattraktionen für Touristen, seit sie aufwendig saniert wurde.
Leider hatten auch die Rechtsradikalen ein grandioses Revival in den letzten Jahren. »Unter dem Kommunismus«, so Feldmájer, »war das alles verboten. Da konnte man es nicht sehen, aber es war immer da. Heute ist es wieder völlig normal, jemanden in der Öffentlichkeit als ›verdammten Juden‹ zu beschimpfen – als hätte der Holocaust nie stattgefunden. Was übrigens viele aus dieser Szene behaupten.«

Kristof Domina, ein junger Politikwissenschaftler, hat soeben das Athena Institute gegründet, einen Thinktank, der sich mit der rechtsradikalen Szene Ungarns beschäftigt. Er hat eine interaktive Karte der hate groups veröffentlicht, darunter 13 aktive Neonazi-Gruppen. Die Internetplattform kuruc.info, die regelmäßig den Holocaust leugnet und zur Gewalt gegen Roma und Juden auffordert, hat nach Dominas Erkenntnissen täglich bis zu 100 000 Besucher – eine erschreckende Zahl in einem Land von 10 Millionen Einwohnern. Kristof ist einer der wenigen nichtjüdischen Kritiker des Antisemitismus im Land. Er hofft, dass Ungarns EU-Ratspräsidentschaft die Aufmerksamkeit für diese Entwicklungen erhöht. Péter Feldmájer wünscht sich eine klare Verurteilung des alltäglichen Antisemitismus durch die Regierung. Aber er glaubt wohl selbst nicht daran. Orbáns konservative Regierungspartei Fidesz zögert, die offen antisemitische Partei Jobbik seit deren Zwölf-Prozent-Wahlerfolg im vergangenen Jahr in die Schranken zu weisen.
Für junge Juden wie die Studenten Tamás Büchler und Anita Bartha, beide Anfang 20, ist es eine Last, sich mit überwunden geglaubten Stereotypen zu beschäftigen. Sie engagieren sich in jüdischen Gruppen – Tamás als Koordinator für die Jewish Agency, Anita für eine lokale Jugendgruppe namens Jachad. Sie suchen eine positive Identität, sie wollen weg von deprimierenden Themen wie Holocaust und Antisemitismus. Die offizielle Vertretung der Juden, finden sie, reite zu viel darauf herum. Sie gehören zu der Ge­ne­ra­tion, die nach dem Kommunismus in Freiheit das Judentum wiederentdecken konnten, das ihre Eltern oft verheimlichen mussten. Die beiden tun die ungarischen Nazis als hässliche Folklore ab. Sie weigern sich, ihr Judentum von außen festlegen zu lassen und ihr Leben in Angst zu verbringen.
Vielleicht sind die Nazis mit ihren Pfeilkreuzen und Árpád-Bannern gar nicht das größte Problem. Anita berichtet von einer Untersuchung, nach der 40 Prozent der Geschichtsstudenten an ihrer Uni antisemitische Klischees vertreten. Tamás geht mit einem Aufklärungsprojekt in Schulklassen und muss immer wieder erleben, dass die Kinder darüber erstaunt sind, dass er keine große Nase hat. Er lacht, aber es klingt ein bisschen bitter. Wenn man die beiden fragt, wo sie ihre Zukunft sehen, lautet die trotzig-stolze Antwort: »Wir müssen nicht hier bleiben, anders als unsere Eltern unter dem Kommunismus.«
Aber zu gehen käme ihnen vor wie Verrat oder Niederlage. Entschieden haben sie noch nichts. Aber es ist beruhigend, die Option zum Gehen oder Bleiben zu haben: »Ich liebe diese Stadt wie verrückt«, sagt Anita. »Es ist die beste Stadt der Welt.«

 

Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen

Extended version meines Leitartikels für die kommende Ausgabe:

Auch dumme Sprüche können eine Debatte weiterbringen. Horst Seehofers Behauptung, wir bräuchten »keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen« ist so ein Fall.
Das Gegenteil ist nämlich wahr, und vielleicht könnte man darüber jetzt endlich reden. Deutschland bekommt nicht die Zuwanderer aus »anderen Kulturkreisen«, die es dringend braucht. 34000 Ingenieursstellen waren im letzten Jahr offen, und doch konnte das Land im letzten Jahr nur knapp 5000 Hochqualifizierte gewinnen – die meisten von ihnen aus China und Indien, Tendenz stark rückläufig.
Aber diese besonders in Bayerns Hightechindustrie begehrten Einwanderer hat Seehofer natürlich nicht gemeint. »Andere Kulturkreise« – das ist ein politisch korrektes Codewort für »Türken, Araber, Muslime«. Hier sucht jemand offenbar Anschluss an die Debatte um Thilo Sarrazin. Leider hat auch er dessen Buch nicht gelesen. Darin wird trocken festgestellt, wer qualifiziert genug für unseren Arbeitsmarkt sei, »kann selbstverständlich auch aus einem muslimischen Land kommen«. Seehofer ist beim Versuch, Sarrazin einzuholen, weit rechts über ihn hinausgeschossen und knapp neben dem niederländischen Populisten Geert Wilders gelandet. Der will nicht einmal Christen aus dem Irak aufnehmen – wer aus dem islamischen »Kulturkreis« kommt, gilt als kontaminiert.
So weit sind wir zwar noch nicht, dass solche Hetze auch hierzulande mehrheitsfähig wäre. Doch Populismus ist auch in Deutschland eine starke Versuchung in Zeiten schwindender politischer Legitimation. Im Unterschied zum hemmungslosen Original der Rechtspopulisten sind die Erfolgsaussichten der Kopie aber wahrscheinlich begrenzt. Denn dies ist ein Populismus aus Angst vor dem Volk.
Man kann diese Angst spüren, wenn Angela Merkel Seehofers xenophobe Spielchen jetzt »verständlich« nennt. Fand sie nicht Wulffs Rede richtig und Sarrazins Buch »«nicht hilfreich«? Was denkt sie wirklich über Deutschland und den Islam – zum Beispiel wenn sie den halbnackten Özil als Matchwinner für Deutschland in der Kabine beglückwünscht? Man erfährt es nicht. Auch für Sigmar Gabriel ist das schwer zu sagen, wenn er  Sarrazin hart attackiert und dann doch wie jener gegen »Integrationverweigerer und Hassprediger« poltert. Die Integrationsbeauftrage Maria Böhmer ist vor lauter Angst seit Wochen abgetaucht. Sie scheint die wichtigste Debatte über ihr Thema im Bunker des Kanzleramts aussitzen zu wollen.

„Hallo Herr Özil, ich wollte nur noch mal klarstellen: Bei uns steht das Grundgesetz über der Scharia! Ansonsten: Weitermachen.“

Sarrazins Erfolg hat die Politik in Furcht und Schrecken versetzt. Sie fürchtet, von der Welle, die er ausgelöst hat, erfasst zu werden – und versucht doch zugleich darauf zu surfen. So tritt das Paradox ein, dass heute genau jene Parolen und Denkfiguren in den Mainstream einsickern, für die man ihren Urheber doch ausgeschlossen hat.
Die derzeit so populäre Rede von der christlich-jüdischen Kultur hatte einmal einen guten Sinn. Nie wieder sollten Juden als das unintegrierbare andere schlechthin definiert werden, wie es jahrhundertlang üblich war. Doch nun geht es vor allem um die Markierung einer Differenz zu den Muslimen. Die Juden rhetorisch zu umarmen, um die Fremdheit des Islams herauszustreichen, grenzt an Geschichtklitterung.
Die kaum versteckte Botschaft an die Muslime kommt gleichwohl an: Ihr gehört hier nicht her, ihr habt nichts beizutragen, ihr werdet fremd bleiben. Fahrlässiges Geschwätz von »Kulturkreisen« unterhöhlt die Geschäftsgrundlage unseres Einwanderungslandes, das von jedermann einen Beitrag erwarten und fordern muss, unabhängig von seiner Herkunft und Prägung.  Darin lag ja die Berechtigung der Kritik am Multikulturalismus: dass er  Menschen nicht zuerst als selbstverantwortliche Individuen versteht, sondern als Gefangene starr abgegrenzter Kulturen. Wer jetzt das Einteilen  in »Kulturkreise« forciert, wiederholt disesen Fehler: Multikulti von rechts.
Mindestens in einer Hinsicht war Sarrazin doch hilfreich: Erst die Debatte um sein Buch hat gezeigt, wie groß die Themen Zuwanderung und Integration verhandelt werden müssen: Hier liegt eine politische Führungsaufgabe, die nicht kleiner ist als seinerzeit bei der Ostpolitik oder der Nachrüstung.
Den Deutschen ist viel zuzutrauen. Nach allen Umfragen steigt zwar die Skepsis gegenüber dem Islam. Aber es wäre falsch, das als Welle der Islamophobie zu deuten: Wie islamfeindlich kann ein Land sein, das in fünfzig Jahren die Entstehung von mehr als 2600 Moscheen und Gebetsräumen ohne große Konflikte ertragen hat? Ein Wort der Anerkennung von muslimischer Seite für diesen atemberaubenden Wandel wäre auch nicht verkehrt.
Es gibt nämlich keine Garantie dafür, dass dieses Land so weltoffen bleibt. Die Politik muß die Angst vor dem Volk überwindenund der  Mehrheit ebenso wie der Minderheit die Wahrheit sagen: Nein, wir werden nicht von muslimischen Horden überrannt. Mehr Abwanderer gingen im letzten Jahr in die Türkei als Einwanderer von dort zu uns kamen. Aber es sind oft die Besten, die uns verlassen. Wir fallen zurück im Wettlauf um die Elite der globalen Migranten. Und wenn wir das stoppen wollen – etwa durch ein Punktesystem für Migranten nach kanadischem Vorbild – auch dann müssen wir mehr Differenz aushalten. Und wenn das frei von Ressentiment und Kulturdünkel geschieht, kann man auch mehr Integration, ja mehr Anpassung von den Einwanderern verlangen. Der türkische Europaminister Egemen Bagis ruft den Türken zu:  »Lernt Deutsch! Passt euch den Sitten und Gebräuchen eures Gastlandes an!« Deutschland ist ein weltoffenes Land. Noch. Die Zukunftsfrage ist nicht bloß, wieviel Islam Deutschland verträgt, sondern: wieviel Engherzigkeit.

 

Deutschenfeindlichkeit an Berliner Schulen

Mein Beitrag aus der Zeit von heute über die Vorfälle an Berliner Schulen und den Versuch der Lehrergewerkschaft, sich einen Begriff von dem Problem des „Deutschenhasses“ türkisch- und arabischstämmiger Schüler zu machen. Es ist nicht meine erste Auseinandersetzung mit diesem Thema:

Es liegt ein Hauch von Panik in der Luft, als die Lehrerin endlich zu sprechen beginnt. Sie schluckt. Sie sagt: »Ich bekomme immer mehr Ehrfurcht und Respekt vor diesem Thema.« Dieses Thema, das ist die »sogenannte Deutschenfeindlichkeit« ihrer türkisch- und arabischstämmigen Schüler.

Kein Wunder, dass die Lehrerin so beklommen ist. Nur zwei Straßen entfernt vom Tagungsort hetzt der Rechtspopulist Geert Wilders (siehe Seite 12/13) gegen Muslime, die angeblich Deutschland durch Masseneinwanderung unterwerfen wollen. Die Lehrerin, die ihr halbes Leben an einer Schule in Neukölln verbracht hat, will mit der politisierenden Islamophobie nichts zu tun haben. Dies hier ist eine Veranstaltung des multikulturellen Ausschusses der linken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Furcht, eine ohnehin schon hysterische Debatte noch weiter anzuheizen, füllt den Raum.
Zwei Mitglieder des GEW-Ausschusses für multikulturelle Angelegenheiten, Andrea Posor und Christian Meyer, hatten in einem Artikel für die Berliner Lehrerzeitung Alarm geschlagen, in den zunehmend segregierten Schulen verstärke sich das Mobbing gegen deutsche Schüler. Dieser bereits vor einem Jahr erschienene Hilferuf löste so heftige Diskussionen unter den Lehrern aus, dass man sich, wenn auch unter großen ideologischen Bauchschmerzen, entschloss, eine Tagung zum Thema einzuberufen. Alles selbstverständlich hochseriös, abgesichert mit Rassismusexperten, Migrantenvertretern, Bildungsforschern. Zu groß ist die Angst, selbst unter Rassis­mus­verdacht zu geraten.
Aber am Ende schaut dann eben alles auf diese Frau, die von der Pöbelei berichtet, der deutsche Schüler – und Lehrer – ausgesetzt sind. Sie lehrt seit mehr als zwanzig Jahren an der Otto-Hahn-Gesamtschule im Stadtteil Neukölln und heißt Mechthild Unverzagt.
»Ist ja irre, dass die auch noch diesen Nachnamen hat«, flachst ein Lehrerkollege in der hintersten Reihe vor lauter Anspannung. Dann redet Frau Unverzagt, und sofort wird es leise im vollen Tagungsraum des Berliner GEW-Hauses.
Sie spricht von »Ghettoisierungstendenzen« in Neukölln, einem sogenannten »A-Bezirk« (»A« für Alte, Arbeitslose, Ausländer, Alleinerziehende). An ihrer Schule seien über 80 Prozent der Kinder »nichtdeutscher Herkunftssprache«, die große Mehrheit davon türkisch- oder arabischstämmig. Fast alle Familien seien arm, viele zerrüttet. Die türkischen und arabischen Schüler seien tonangebend in ihrer Respekt­losig­keit gegenüber Lehrern. Sie bekämen dafür Anerkennung unter ihresgleichen und stärkten so ihr Selbstwertgefühl: »Wenn es bei uns mal sogenannten Unterricht gibt, erleben sie Misserfolge. Also tun sie alles, um ihn zu sabotieren.« Die deutschen Kinder hätten als kleine Minderheit »alle Qualitäten, die ein Opfer haben muss«. Sie müssten lernen, »sich unsichtbar zu machen«. Sie wollten während der Pausen nicht mehr auf den Schulhof, weil draußen nur ein Spießrutenlauf mit Beschimpfungen und Drohungen auf sie warte. Nicht nur deutsche, auch leistungsbereite türkische und arabische Schüler würden von den Wortführern niedergemacht. Ein türkischer Junge, der zu den guten Schülern zähle, werde als »schwul« beschimpft: »Jeder, der irgendwas erreichen will in der Schule, ist der Gegner. Es wird alles gemobbt, was anders ist.« Auch sie selber ist in demütigender und sexistischer Weise angemacht worden.
Es dauert eine Weile, bis die Teilnehmer sich nach Unverzagts Schilderungen fangen. An diesem Samstagmorgen kann man erleben, wie schwer es manchen Linken immer noch fällt, offen von den Konflikten des Einwanderungslandes zu reden. Eine Professorin für Rassismusforschung versucht nachzuweisen, dass die »strukturell benachteiligten Schüler« türkischer oder arabischer Herkunft per definitionem nicht zum Rassismus fähig seien, weil sie ja eine machtlose Minderheit darstellten. Nach dem Bericht von Mechthild Unverzagt wirkt das einigermaßen bizarr. »Diese Kinder waren noch nie in einer Minderheitensituation«, erwidert die Lehrerin.
Vielleicht liegt ja darin das Problem. Chris­tian Meyer, selber Lehrer an der Hector-Peterson-Gesamtschule in Kreuzberg und einer der beiden Autoren des Artikels, der die Debatte ins Rollen brachte, spricht von der »doppelten Segregationsfalle«: Nicht nur die Deutschen ziehen aus den »A-Bezirken« weg, sondern auch die bildungsbewussten Migranten. Die verbliebenen Schüler »kompensieren Frustrationen und Per­spek­tiv­losig­keit durch Macho-Gehabe«. Sie definierten sich stolz als Nichtdeutsche und blickten verachtend auf Deutsche als Ungläubige, »Schweinefleischfresser« und – wenn es sich um Mädchen handelt – »Schlampen«. Die trotzige Selbstausgrenzung von Losern, die sich an noch Schwächeren abarbeiten, ist für sich nichts Neues – nur dass die Schwächeren jetzt in manchen Berliner Kiezen Deutsche sind. Jagen nicht anderswo deutsche Rechtsradikale Juden, Linke und alles irgendwie Fremde?
Mancher bei der Tagung neigt dazu, die Sache allzu schnell wegzuerklären. Bei dem Verhalten der Jugendlichen müsse es sich wohl um die »Rückgabe erlebter eigener Diskriminierung« handeln, sagt ein Teilnehmer. Sofort sind Beispiele zur Hand, bei denen Mädchen mit Kopftüchern diskriminiert und arabische Jungs nicht in die Disco gelassen werden. Ein Teilnehmer fordert daraufhin mehr »Lehrer mit Migrationshintergrund«, andere verlangen eine Nachschulung der Pädagogen in »interkultureller Kompetenz«, ergänzt um die Möglichkeit für »ausgebrannte Kollegen, sich früh pensionieren zu lassen«. Und auf einmal wendet sich der Verdacht gegen die Lehrer, die von ihrer Ohnmacht erzählt hatten: Sind sie einfach zu wenig »kultursensibel«?
Christian Meyer lässt das nicht auf sich sitzen. Seit über 30 Jahren ist er an der Schule in Kreuzberg, und er hat einen »interkulturellen Kalender« produziert, der die Feste aller Religionen verzeichnet: »Wir haben Türkischunterricht, wir machen Fahrten in die Türkei, Lehrer haben Türkisch gelernt. Gegen die Segregation kommen wir aber mit mehr Interkulturalität alleine nicht an.«
Meyer macht sich Sorgen, dass neuerdings die religiöse Differenz zunehmend zur Selbststigmatisierung benutzt wird. Und er möchte, dass gerade diejenigen verstehen, wie alarmierend das ist, die sich für die Integration des Islams einsetzen. Wenn die Religion zum Mittel der Abgrenzung wird, spielt das am Ende gerade denjenigen in die Hände, die sich darin einig sind, dass der Islam mit westlichen Werten unvereinbar sei: Hasspredigern und Islamophoben.
Das Unbehagen, Deutsche als Opfer von Diskriminierung zu thematisieren, bleibt bei der Tagung bis zum Ende. Mechthild Unverzagt sagt schließlich fast reumütig, sie wolle den politisierten Begriff der Deutschenfeindlichkeit »nicht mehr hören«. Sie will sich nicht vor den Karren der Demagogen spannen lassen, die auch ohne Kenntnis der Verhältnisse per Ferndiagnose schon »den Islam« als Ursache ausgemacht haben. Aber sie möchte doch, dass man zur Kenntnis nimmt, dass ausgerechnet sie, die engagierte Lehrerin, den Hass der Verlierer abbekommt, der dieser Gesellschaft im Ganzen gilt.
Was tun? Gewerkschafter sind nie lange verlegen, Rezepte gegen Benachteiligung zu formulieren. Eine bessere Schule, ganztags und mit mehr Ausstattung, wurde dann auch gefordert, neue Unterrichtsformen, interreligiös ausgebildete Lehrer, eine größere soziale Mischung. Also genau das, was an der einst als hoffnungslos geltenden Rütli-Schule die Wende gebracht hat. »Es ist ein Verbrechen, wie das Potenzial dieser Kinder verschwendet wird«, sagte Mechthild Unverzagt, so als müsse sie noch einmal klarstellen, dass die Schüler nicht ihre Gegner sind. »Wir brauchen eine Lobby«, sagt sie fast flehend.
Für Lehrer wie Mechthild Unverzagt und Christian Meyer ist es wichtig, in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Sie fühlen sich alleingelassen. Sie brauchen keine Belehrung über die sozialen Ursachen des Mobbings, dem sie und andere ausgesetzt sind. Sie brauchen die Anerkennung, dass bestimmte Verhaltensweisen inakzeptabel sind, auch unter schlimmsten Bedingungen. Und so sind sie am Ende erleichtert, dass die Gewerkschaft die Angst vor der eigenen Courage überwunden hat.
Den Kampf mit der neu erstarkenden Rechten in Deutschland und Europa kann man auch so sehen: Wenn dieses Land eine Linke hat, die den öffentlichen Raum gegen jeden Rassismus verteidigt – auch den von Nichtdeutschen –, haben Rechtspopulisten ein Thema weniger.

 

Antimuslimismus?

Habe ich’s nicht gesagt? Der Begriff der „Islamophobie“ taugt nichts, obwohl es eine arge und steigende Islamfeindlichkeit gibt. Nicht nur hierzulande, sondern in weiten Teilen der westlichen Welt (Willkommen im Club, Schweden!)

Armin Pfahl-Traugber macht in der taz eine ähnliche Unterschiedung wie ich damals in meinem Text:

Mit einer Ablehnung des Islam muss sich nicht automatisch eine Ablehnung von Muslimen verbinden. Dies zeigen sogar die Daten der GMF-Studie selbst: Während zwar eine Mehrheit von 65,9 Prozent im Jahre 2003 der Aussage widersprachen: „Die muslimische Kultur passt durchaus in unsere westliche Welt“, wiesen 65,6 Prozent zugleich die Aussage: „Bei Personen muslimischen Glaubens bin ich misstrauischer“, weit von sich.

Auch andere empirische Studien zeigen, dass es zwar eine deutliche Zunahme von Kritik und Ressentiments gegen den Islam gibt. Das geht aber nicht automatisch mit einer wachsenden Feindseligkeit gegen Muslime einher. Sowohl empirische wie theoretische Argumente sprechen daher dagegen, pauschal von „Islamophobie“ zu reden.

Besser sollte man vielleicht von „Antimuslimismus“ oder „Muslimenfeindschaft“ sprechen. Diese beiden synonymen Begriffe zielen auf die Feindseligkeit gegenüber Muslimen als Muslime ab. Es handelt sich hier nicht um einen bloßen Streit um Worte, die Bezeichnungen stehen vielmehr für unterschiedliche Inhalte. Wenn von „Antimuslimismus“ die Rede ist, dann ist jedenfalls klar, dass es dabei nicht um die Kritik an der muslimischen Religion geht, wie immer rational und begründet diese auch sein mag.

Allerdings muss ich nahc den letzten Wochen sagen: Ich hoffe sehr, dass das noch stimmt, dass es also eine Kritik an der Religion des Islam, ihren Traditionen und Werten gibt, die sich nicht automatisch in eine Muslimfeindlichkeit umsetzt. Zweifel und weitere Beobachtung dringend geboten.

 

Der Moscheeplaner von Manhattan spricht

Das ist also der Feind! Der Entwickler des „Community Centers“ in Nähe von Ground Zero, der mittlerweile als „Moschee am Ground Zero“ so viel Hass entgegenschlägt, spricht. Ist Sharif El-Gamal der Botschafter Obama, pardon Osama bin Ladens? (Haha!) Machen Sie sich selbst ein Bild. (Vollständiges Interview hier.)
Und falls meine bescheidene Meinung gefragt ist: Das Ganze stinkt bis über den Atlantik nach Xenophobie, Rassismus und (na gut, meinetwegen, ich schreibe das Wort jetzt hin) Islamophobie: