Der Islam, eine asiatische Religion

Interessante neue Fakten:

While Muslims are found on all five inhabited continents, more than 60% of the global Muslim population is in Asia and about 20% is in the Middle East and North Africa. However, the Middle East-North Africa region has the highest percentage of Muslim-majority countries. Indeed, more than half of the 20 countries and territories in that region have populations that are approximately 95% Muslim or greater.

Richtig: Aber die 60 % sind doch der eigentliche Knüller.

Und überhaupt das historische Faktum der riesigen mulsimischen Diaspora, das erst langsam ins Bewußtsein sinkt:

In Deutschland leben mehr Muslime als im Libanon. Und in Russland mehr als in Libyen und Jordanien zusammen.
Das sind Resultate der Untersuchung des unabhängigen Pew Forums für Religionen.

Ein Fünftel aller Muslime – 300 Millionen – wohnt in Ländern, in denen der Islam nicht die Mehrheitsreligion darstellt.  In anderen Worten: Das Problem der Diaspora, für die es immer noch nicht ausreichende theologische Grundlagen gibt, ist immens.

Es wird größer werden. Es wird für diese Hunderte Millionen Menschen und ihre Nachkommen kein anomaler, vorübergehender Zustand sein, in dieser Lage zu leben.

Bild 2

Wie (ob?) dieser de facto Pluralismus mit den Grundlagen des Glaubens und der traditionellen islamischen Theologie und Rechtswissenschaft in Einklang zu bringen ist, ist eines der großen Menschheitsrätsel der nächsten Jahrzehnte.

 

Die Internationale

Mein Porträt der Außen-Bundeskanzlerin Merkel aus der ZEIT von heute, Nr. 40. S. 2:

Was bleibt? Das Gruppenfoto im Strandkorb von Heiligendamm? Der Dalai Lama im Kanzleramt? Angela Merkel neben Obama in Buchenwald? Die Rede in der Knesset? Die frostige Pressekonferenz mit Medwedjew nach dem Georgienkrieg? Der Krawall-Auftritt für mehr Finanzregulierung mit Sarkozy in London? Im roten Anorak in Grönland, als Gletscherschmelztouristin? Es ist schwer, den einen symbolischen Moment für die Außenpolitik Angela Merkels zu finden – wie bei Schröder das Nein von Goslar. Außenkanzlerin Merkel hatte viele davon. Kein einziger allein erlaubt den Blick in den Kern ihrer Politik. Gibt es denn einen Kern? Und ist das überhaupt eine sinnvolle Frage in diesen Krisenzeiten?
merkelgipfel

Angela Merkel in ihrem Element Foto: Regierung Online/Kugler

Kurz vor der Bundestagswahl bekommt Angela Merkel noch einmal die Chance, als Krisenretterin und Klimakanzlerin ganz groß zu punkten. In Pittsburgh kann sie sich als Vorkämpferin für Finanzmarktregulierung und CO₂-Reduktion auf größtmöglicher Bühne profilieren, während ihr Herausforderer daheim letzte Bierzelte und Marktplätze abklappern muss. Die Götter meinen es gut mit Angela Merkel und stellen sie auch in dieser Woche wieder im bunten Blazer zwischen lauter pinguinfarben gekleidete Männer.
Und so entsteht ein Muster: Angie und die starken Männer. Wie Angela Merkel sich unter den Mächtigen behauptet hat, offenbart viel über ihren außenpolitischen Stil. Manch einer hat sich früh ein Bild von ihr gemacht und es später revidieren müssen. George W. Bush zum Beispiel.
2003 schrieb sie ihm einen offenen Brief in der Washington Post, in dem sie sich ziemlich anbiedernd von Schröders Nein zum Irakkrieg absetzte. Bush hielt das für einen Treueschwur. Doch als sie Kanzlerin wurde, hat sie ihm wenig geschenkt: Kampftruppen für Afghanistan? Bombardierung Irans? Ukraine und Georgien in die Nato? Dreimal njet aus Berlin. Er blieb Fan, lud sie gar auf seine Ranch in Texas und versuchte ihr beim G-8-Gipfel den Nacken zu massieren. Merkels Zurückzucken wurde ein YouTube-Hit. Die Kanzlerin ließ Bush am Ende nicht mal mehr in die Hauptstadt. Der »liebe George« auf Abschiedstournee musste draußen warten, ein dead man walking im goldenen Gefängnis des Barockschlosses Meseberg. Berliner Bilder mit dem multipel Gescheiterten waren nicht erwünscht.
Auch Obama hielt sie schon vor dessen Wahlsieg auf Distanz. Das Brandenburger Tor gönnte sie ihm nicht als Kulisse. Es war dann sicher nicht leicht, Hunderttausende zum Großen Stern pilgern zu sehen, wo der Global-Charismatiker ersatzweise auftrat. Merkel hat anfangs auffällig spöttisch über die »Obamania« gesprochen. Gegen Bush war es leicht, gut auszusehen. Der ambitionierte Neue drängte »Miss World« aus dem Rampenlicht. Es war mehr als Neid: Charisma in der Politik aktiviert Merkels sehr dominantes Skeptiker-Gen.
Die Krise hat ihr Verhältnis zu Obama verändert: Merkel verweigerte sich zwar dem amerikanischen Druck, die Notenpresse auf Vollgas laufen zu lassen. Und Gefangene aus Guantánamo wollte sie auch nicht aufnehmen. Aber heute treibt sie die Sorge um, der Präsident könnte im Gerangel um seine Gesundheitspolitik so geschwächt werden, dass sein Schwung für eine Weltinnenpolitik verloren ginge. Iran, Nahost, Klima, Finanzkrise – kann man da ohne ein starkes Amerika vorankommen? Vorerst nicht. Ihre Berater rühmen, sie habe die transatlantischen Beziehungen »entspannt«. Ernüchtert wäre vielleicht das bessere Wort. Das wäre die Parallele zu Merkels Umgang mit den Herrschern der anderen Großmacht, deren Abstieg bereits weiter fortgeschritten ist.
Wenn Merkel zu Putin oder Medwedjew fuhr, fanden keine trauten Vieraugengespräche statt wie zu Schröders Zeiten. Putin, stets vorneweg beim Wettbewerb um den Titel des Weltpolitmachos, gerne auch halb nackt angelnd, machte sich einen Spaß daraus, seinen schwarzen Labrador Koni an der Bundeskanzlerin schnüffeln zu lassen – wohl wissend, dass diese Angst vor Hunden hat. Das war die Rache dafür, dass sie Dissidenten traf und beharrlich den Fall der ermordeten Journalistin Politkowskaja ansprach. Aus solchen Gesten wurde Merkels Bruch mit dem Erbe der Entspannungspolitik konstruiert. Das Eigene an Merkels Russlandreisen war aber, dass sie die falsche Alternative Annäherung oder Menschenrechte mied.
Merkel pflegt die Distanz. In der Georgienkrise fand sie als Vermittlerin mit Nicolas Sarkozy einen wohltuend erwachsenen Ton. Sie ließ keine Zweifel aufkommen, dass sie Saakaschwili für einen Hasardeur hielt und dennoch den russischen Einmarsch für ein Unrecht, ja schlimmer: für Torheit.
Aber sie hat eben keine andere Russlandpolitik gemacht als ihre Vorgänger. Im Gegenteil: Sie hat sie noch intensiviert. Dass sie etwa beim Nato-Gipfel in Bukarest den von der Bush-Regierung gewünschten Beitritt Georgiens und der Ukraine auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben half, entzückte Putin. »Das vergesse ich dir nie«, soll er der Kanzlerin gesagt haben. Und wie sie zwei Jahre später im Zeichen der Krise deutsches Steuergeld lockergemacht hat, damit Russland ein amerikanisches Unternehmen mit deutscher Ingenieurkultur kaufen kann, wird Putins gute Meinung von Merkel noch gefestigt haben. Nicht nur Opel, auch die Rostocker Wadan-Werften hat die Kanzlerin einem russischen Investor angedient. Mehr »Wandel durch Verflechtung« (Steinmeier) könnte auch ein ostpolitisch gesinnter SPD-Kanzler kaum zuwege bringen. Aber Angela Merkel ist eine bessere Verkäuferin sozialdemokratischer Politik als die Genossen. Das zeigte sich im lautesten Streit um die Außenpolitik.
Dass Merkels Einladung des Dalai Lama ins Kanzleramt zum Symbol ihrer Geradlinigkeit wurde, ist vor allem der Dummheit der anderen Seite geschuldet, sich die chinesische Empörung allzu eifrig zu eigen zu machen. Die Kanzlerin hatte gar kein großes Zeichen setzen wollen. Merkel empfing den schmunzelnden Wohlfühl-Geistlichen vor allem, weil er eben populär ist. Sie hatte dabei ihren Kredit bei den Chinesen überschätzt. Als der Schaden da war, machte Merkel aus einem diplomatischen Ungeschick eine Demonstration der Prinzipientreue. Ihr Kritiker Steinmeier sah sich gezwungen, zu betonen, auch er spreche in China Missstände an. Punktsieg Kanzlerin, gerade weil es dann der Außenminister war, der die Chinesen mühsam wieder einfangen musste.
Das Publikum sah fortan sich selbst gespiegelt im Bild einer angstfreien Kanzlerin, und wen wundert’s: Es mochte dieses Bild. Später legte Merkel sich wegen des Holocaust-Leugners Williamson sogar mit dem Papst an. Anders als beim Dalai Lama hat sie dies bei der eigenen Basis auch einiges gekostet. Katholische Stammwähler sehen den Papst nicht gerne auf der Bank der Sünder.
Die deutsche EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 war ein Erfolg mit manchmal bizarren Zügen. Merkel kämpfte für den Lissabon-Vertrag, nachdem die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war. Dann kam Polen mit der »Quadratwurzel«-Offensive. Man wollte das Stimmrecht der großen Länder gegenüber den mittelgroßen relativieren, indem nicht die absolute Bevölkerungszahl, sondern die Quadratwurzel daraus zugrunde gelegt werden sollte. Als Kaczyński Merkel vor die Wahl stellte »Quadratwurzel oder Tod«, ließ sie ihn seelenruhig implodieren wie schon so viele Parteivorsitzende, Ministerpräsidenten und Fraktionsvorsitzende in ihrem Leben. Geschafft. Ironischerweise musste sie am Ende feststellen, dass die härtesten Europagegner in der heiß geliebten bayerischen Schwesterpartei sitzen.
Ihren Ruf als Klimakanzlerin hat sie selbst ramponiert, als sie im Streit um die CO₂-Emissionen ziemlich unverhohlen das Interesse der deutschen Autobauer pushte, bei den dicken Schlitten Marktführer zu bleiben. Der fotogene Auftritt im roten Jack-Wolfskin-Jäckchen vor dem grönländischen Eqi-Gletscher wirkt im Rückblick nach Merkels Brüsseler Autolobby-Auftritten unglaubwürdig.
Zum drängendsten außenpolitischen Thema hat Merkel sich widerwillig schubsen lassen. Über den Einsatz in Afghanistan hat sie lange nur unwillig bis pflichtschuldig gesprochen. Erst nachdem die Grünen triezten, sie solle endlich mal hinfliegen, tauchte sie bei den Soldaten am Hindukusch auf. Und es bedurfte der tragischen Entscheidung des Obersts Klein und massiver Kritik der Alliierten, um Merkel zu einer Bundestagsrede zu inspirieren – immerhin im Jahr acht des deutschen Krieges.
Gibt es also einen Kern? Ein vernünftiger Pragmatismus beim Einsatz für Entspannungspolitik, europäische Integration, Klimakompromisse und Menschenrechte, allerdings verbunden mit einem schärferen Sinn für Symbolik als ihre Vorgänger – keine Nebensache in der Außenpolitik. Sehr bundesrepublikanisch eigentlich, doch mit einem diffusen Versprechen von mehr.
Angela Merkels machtvollster Moment zeugt davon. Das Gruppenfoto im Strandkorb von Heiligendamm hat ihn eingefroren: acht wichtige Männer, mittendrin die Dame im grünen Sakko. Sie ist perdu, diese G-8-Welt. Nach der Krise regieren die G 20. Wie Macht und Einfluss in dieser Welt funktionieren, weiß in Wahrheit kein Mensch. Wenn Angela Merkel eine zweite Amtszeit erlebt, beginnt eine Reise in unbekanntes Terrain.

 

Die Rückseite von Woodstock

Ab und zu darf ich in meiner Zeitung auch über Dinge schreiben, die mir wirklich wichtig sind. Filme zum Beispiel. (Ich schaue fast jeden Tag einen Film, seit ich mit einer ehemaligen Filmkritikerin verheiratet bin.) Und manchmal darf ich dann meine Meinung dazu sagen, wie hier über Ang Lees (mein Lieblingsregisseur der letzten 15 Jahre) neuen Film „Taking Woodstock“. Aus der ZEIT von morgen:

Ang Lee hat sich schon wieder ein neues Milieu, ein neue Ära zu eigen gemacht – nun also Woodstock und die späten Sechziger. Man fragt sich bewundernd, ob es eigentlich irgendetwas gibt, das dieser Regisseur nicht kann. Und zugleich bleibt man doch ein kleines bisschen enttäuscht zurück, denn „Taking Woodstock“ ist sicher kein ganz großer Film unter den vielen, die wir Lee schon zu verdanken haben. Gegen den abgründigen Spionage-Thriller „Gefahr und Begierde“ etwa fällt die luftig-leichte Hippie-Komödie deutlich ab. Und von „Brokeback Mountain“, dem größten Melodrama der letzten Jahre, wollen wir mal gar nicht erst anfangen. Aber müssen sich Genies denn immer selbst übertreffen?
Ein Rätsel, wie jemand so vielfältig erzählen kann: Ang Lees Filmwelt spannt sich auf zwischen Taiwan und Montana, zwischen Jane Austen und Marvel-Comics, zwischen chinesischen Familiendramen im heutigen Hongkong und einer tragischen schwulen Erweckungsgeschichte im Cowboymilieu der Fünfziger. Lee ist der große Melodramatiker, der Gefühls- und Beziehungsregisseur unserer Tage – ein Douglas Sirk ohne Kitsch, der zu seiner und unserer Entspannung gelegentlich auch mal einen Actionfilm macht.
Oder eine leichte Komödie wie diese hier, seine erste seit fünfzehn Jahren, als er mit dem „Hochzeitsbankett“ und „Eat Drink Man Woman“ auf der Szene erschien. Doch diesmal hat Lee sich eine wahre Geschichte vorgenommen – eine Premiere in seinem Oeuvre. Es wird erzählt, wie es dazu kam, dass eine halbe Million Hippies in das Kaff Bethel bei Woodstock einfiel, tief im „Borscht-Belt“ der Catskills gelegen, wo sonst jüdisch-osteuropäische Einwanderer ihre Sommerfrische zu verbringen pflegen. Dass dieser Film kein ganz grosser geworden ist, mag durchaus damit zu tun haben, dass Lee das Material nicht vollkommen gehört. Offenbar braucht er für seine Höhenflüge die Freiheit des Fiktionalen. Diesmal aber bilden die Erinnerungen Eliot Teichbergs den Rahmen, eines eher obskuren, aber entscheidenden Hintermanns des Woodstock-Festivals.

Eliot wollte eigentlich bloß seinen Eltern helfen, die Zwangsversteigerung ihres heruntergekommenen Motels abzuwenden. Dabei ist es kein Wunder, dass sie vor dem Ruin stehen: Seine dominante Mutter (wunderbar kratzbürstig: Imelda Staunton) und sein unterdrückter Vater (Henry Goodman) sind wohl die ungastlichsten Wirtsleute, die man sich denken kann – wortkarg, bitter, knauserig. Als Eliot, der eigentlich Innenausstatter in New York werden möchte, von einem Musikfestival hört, das in einem Nachbarort an den Vorbehalten der Bewohner gegen die Hippies zu scheitern droht, kommt er auf eine Idee mit Folgen: Sollen die Hippies doch nach Bethel kommen und auf der Wiese der Teichbergs ihr Festival abhalten! Am Ende wird es zwar die Wiese des Nachbarn Max Yasgur werden, weil die Teichberg-Farm in Wahrheit zu weiten Teilen ein Sumpfgebiet ist. Aber das kaputte Motel der Eltern wird tatsächlich zur Keimzelle des größten Ereignisses der Gegenkultur der 60er. Die Organisatoren haben hier ihr Büro, einige zentrale Bands steigen in dem Haus ab, und Hunderte kampieren am Ende auf dem Land der Teichbergs.
Doch das ist alles nur der Hintergrund für die Geschichte Eliots, seiner Familie und Freunde. Eliot, gespielt von dem sehr witzigen Comedian Demetri Martin in seiner ersten Rolle, wird zu unserem Führer durch die legendären Tage voller Frieden, Matsch und Musik. Er verliert seine Jungfräulichkeit mit einem der Bühnenarbeiter, er schmeißt seinen ersten Trip, und schließlich lernt er seine Eltern von einer neuen Seite kennen. (Wenn ich richtig gezählt habe, ist dies bereits das dritten schwule Coming Out in Lees Werk – ziemlich bemerkenswert für einen erklärtermaßen heterosexuellen Regisseur, der Vater zweier Söhne ist.) Die Teichbergs betrachten die langhaarigen jungen Leute mit den auffällig geweiteten Pupillen zunächst voller Verdacht, wie alle in der verschlafenen Gemeinde. Dann jedoch entdecken sie zahlreiche Möglichkeiten, ein gutes Geschäft mit ihnen zu machen, weil es viel zu wenig Schlafplätze und Verpflegung für die in Scharen anreisenden Freaks gibt. Und schließlich werden auch sie kurz vom Geist des Wassermannzeitalters erfasst – mit Hilfe einiger Kekse mit speziellen Zutaten. Eine der schönsten Szenen des Films zeigt die beiden alten Herrschaften vollkommen stoned und ausgelassen tanzend – vielleicht zum ersten Mal entspannt und befreit, seit die beiden Einwanderer das Shtetl in Weissrussland verlassen haben.
Dies ist kein Woodstock-Film. Wir sehen weder Hendrix, noch Joplin, noch die Who. Niemand imitiert Richie Havens. Manchmal wehen zwar einige Akkorde zum „El Monaco“-Motel herüber. Aber hier geht es im Grunde, wie so oft bei Ang Lee, um die Lebenswege einiger nicht ganz normaler Individuen, die vom Wind des Wandels erfaßt werden. Diesmal ist es kein Eissturm, der Menschen von ihrem Weg abbringt und ihre Beziehungen zertrümmert – wie in dem gleichnamigen Film. Es ist eine freundliche Brise: Eliot hat sein Coming out, seine Eltern schütteln die alte Einwandererangst ab, Eliots Freund Billy lernt mit seinem Vietnamtrauma zu leben, Max Yasgur lernt die Hippies als höfliche Menschen zu lieben. Und der muskulöse Transvestit und Ex-Marinesoldat Vilma findet seine Lebensaufgabe als Security-Dragqueen im rosa Fummel. Liev Schreiber ist in dieser Rolle der heimliche Held des Films, mit langen blonden Haaren, imposanten Oberarmen und einem Herz aus Gold.
Es macht Spaß, sich die Rückseite des berühmten Festivals von Ang Lee ausmalen zu lassen. Aber hier liegt auch ein Problem des Films: Im Vergleich zu Lees großen Melodramen wie „Eissturm“, „Brokeback Mountain“ oder „Gefahr und Begierde“ wirkt „Taking Woodstock“ irgendwie spannungslos. Und das ist ausgerechnet bei diesem Thema dann doch misslich.
Martin Scorcese war als junger Regisseur an der legendären Woodstock-Doku von Michael Wadleigh beteiligt, die unser Bild des Festivals geprägt hat. Im Rückblick hat Scorcese einmal gesagt: „Heute schauen viele Leute sentimental auf den Geist von Woodstock zurück. Aber ich glaube, er enthielt Elemente von etwas Bedrohlichem, die nie gezündet wurden.“ Schade, dass Ang Lee diese bedrohlich lauernden Elemente nicht wenigstens zeigt: Drogenwahn, Gewalt und Kommerz, die leider schon bald die Bewegung verschlingen sollten. Die Kostbarkeit des Moments unverhoffter Freiheit, den wir mit Eliot, seine Freunden und seinen Eltern erleben, hätte das noch gesteigert.

 

Hat Obama die Demokratisierung aufgegeben?

Die Neocons sind endlich wieder da, wo sie hingehören: in der Opposition. Und dort können sie vielleicht wieder wertvolle Beiträge leisten, indem sie die Regierung kritisieren. Augenscheinlich sind sie darin besser als im Regieren, wie die Bilanz der Regierung Bush zeigt.

Joshua Muravchik, eines der wenigen verbliebenen (intellektuellen) Neocon-Schwergewichte nimmt sich nun die Obama-Aussenpolitik vor und durchleuchtet sie auf den Status der Demokratie hin.

Obama habe einen Pfeiler der amerikanischen Aussenpolitik seit Carter, Reagan und Clinton aufgegeben, meint Muravchik – die Demokratisierungs-Agenda.

Muravchik

Seine Belege findet er in der neuen Weise, wie die Obama-Regierung mit China, Russland, Birma und Sudan umgeht – vor allem aber in der Nahost-Politik, aus der die Demokratisierung als Ziel nahezu völlig getilgt worden sei. (Was er nicht schreibt, ist allerdings, dass dieser Wandel bereits in den späten Bush-Jahren eingesetzt hatte – spätestens nach dem Sieg der Hamas in Gaza und dem Erfolg der Muslimbrüder bei den Wahlen in Ägypten. Und es wird natürlich auch nicht bilanziert, was Bushs Politik zum Niedergang der Demokratie-Agenda beigetragen hat. Aber geschenkt…)

Muravchiks Panorma ist recht beeindruckend und verlangt nach einer Antwort.

Besonders im Bezug auf das arabische Schlüselland Ägypten macht Muravchik einen Politikwechsel dingfest:

Perhaps the clearest shift in U.S. policy has been toward Egypt. By far the largest of the Arab states, and the most influential intellectually, Egypt has also been the closest to Washington. Thus, the Bush administration’s willingness to pressure the government of Hosni Mubarak was an earnest sign of its seriousness about democracy promotion.

For their part, Egyptian reformers urged the U.S. to make its aid to Egypt conditional on reforms. The Bush administration never took this step, but the idea had support in Congress, and it hung like a sword over the head of Mubarak’s government. Obama has removed the threat.

Und in der Kairoer Rede fällt Muravchik besonders stark die merkwürdige Betonung des Kopftuchs auf:

At three different points in the speech, Obama defended a woman’s right to wear the hijab, apparently as against the restrictions in French public schools or Turkish government offices or perhaps in the U.S. military, which insists on uniform headgear. But he said not a word about the right not to wear head covering, although the number of women forced to wear religious garments must be tens of thousands of times greater than the number deprived of that opportunity. This was all the more strange since he had just arrived from Saudi Arabia, where abbayas—head-to-toe cloaks put on over regular clothes—are mandatory for women whenever they go out. During Obama’s stop in Riyadh, the balmy spring temperature was 104 degrees; in the months ahead it will be twenty or thirty degrees hotter. The abbayas must be black, while the men all go around in white which, they explain, better repels the heat.

Nor did Obama mention either directly or indirectly that all Saudi women are required to have male “guardians,” who may be a father, husband, uncle or brother or even a son, without whose written permission it is impossible to work, enroll in school or travel, or that they may be forced into marriage at the age of nine. Speaking on women’s rights in Egypt, he might—but did not—also have found something, even elliptical, to say about genital mutilation, which is practiced more in that country than almost anywhere else.

 

Joschka Fischers langes Rohr

Ein Kommentar aus der ZEIT von morgen:

Joschka Fischer kümmert sich jetzt auch um eine Pipeline. Und sie ist sogar bedeutend länger als die seines früheren Chefs: Das »Nabucco«-Rohr soll Gas vom Kaspischen Meer bis nach Österreich führen – über 3300 Kilometer. Gerhard Schröders »Nord Stream«, die russisches Gas über die Ostsee nach Greifswald bringen wird, ist nur 1200 Kilometer lang. Der alte rotgrüne Knatsch darum, wer von beiden »Koch und Kellner« sei, geht in die nächste Runde – und zwar volles Rohr.
Schon erstaunlich, wie viele Wege aus dem rotgrünen Kabinett in die Energiewirtschaft führen: Schon die Minister Müller und Clement machten in Kohle und Atom, und Kanzler Schröder in Gas. Und nun eben Joschka Fischer: Anders als Gerhard Schröder, der übergangslos vom deutschen Regierungschef zum Interessenvertreter Gasproms mutierte, hat er drei Jahre Schamfrist verstreichen lassen. Und er wird immerhin nicht unter Verdacht stehen, als Einflussagent einer fremden Regierung arbeiten.
Der Ex-Außenminister wird Berater für das große Zukunftsprojekt der europäischen Energieversorgung: »Nabucco« soll zentralasiatisches Gas über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Europa bringen. Die Kanzlerin, wird gemunkelt, hat Fischers neuen Job abgesegnet, im Zeichen schwarz-grüner Harmonie. Das Nabucco-Projekt soll Europa aus der russischen Energie-Umklammerung befreien. (Und die Russen arbeiten, wo immer sie können, dagegen an.) Die Assoziation an den Gefangenenchor aus Verdis Oper, der über die babylonische Gefangenschaft klagt, ist Absicht. Während der Ex-Bundeskanzler mit der Unterwasser-Röhre den westeuropäischen Markt immer fester an Russland bindet, wird sein Ex-Vizekanzler nun daran arbeiten, Russlands Marktdominanz im wahrsten Wortsinn zu untergraben.
Fischers Mission hat geopolitische Tücken. Das wichtigste Transitland für Nabucco ist die Türkei. Und dort betrachtet man die Pipeline als Mittel, den EU-Beitritt zu beschleunigen. Joschka Fischer war als Aussenminister schon Befürworter dieses Beitritts. Nun aber hat er einen guten Grund mehr, dafür zu trommeln. Dass er es sich ansehnlich (»sechsstellig«) bezahlen läßt, hat einen faden Beigeschmack.

Der eigentliche Haken aber liegt hier: Iran hat nach Rußland die zweitgrößten Gasreserven. So richtig rentabel kann Nabucco auf Dauer nur sein, wenn dereinst nicht nur turkmenisches und aserbaidschanisches, sondern iranisches Gas durch sie fließt. Iran als Lösung unserer Energieprobleme? Nach den brutalen Szenen der letzten Wochen ist das ein schwer erträglicher Gedanke. Herr Fischer, übernehmen Sie.

 

Was kommt nach dem Pumpkapitalismus?

Ein großartiger Essay von Ralf Dahrendorf im Merkur über die Welt nach der Krise. Auszüge:

Die hier verfochtene These ist, dass wir einen tiefgehenden Mentalitätswandel erlebt haben und dass jetzt, in Reaktion auf die Krise, wohl ein neuerlicher Wandel bevorsteht. Man kann dem hinter uns liegenden Wandel einen simplen Namen geben: Es war ein Weg vom Sparkapitalismus zum Pumpkapitalismus. (Ich habe diesen Weg vor einem Vierteljahrhundert beschrieben.(1)) Es geht also um vorherrschende Einstellungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Das sind nicht etwa nur Einstellungen der Unternehmer und Manager aller Art, sondern auch der Verbraucher, also der meisten Bürger. Das ist wichtig, auch wenn viele es nicht gerne hören, weil sie lieber ein paar Schuldige an den Pranger stellen wollen, als Selbstkritik zu üben.

Die Mentalitäten, von denen hier die Rede ist, haben etwas zu tun mit Max Webers Analyse Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die brillante Schrift hat ihre Schwächen, Richard Henry Tawney hat schon früh gezeigt, dass es auch in katholisch geprägten Gegenden Kapitalismus gab.(2) Plausibel bleibt jedoch Webers These, dass der Anfang des kapitalistischen Wirtschaftens eine verbreitete Bereitschaft verlangt, unmittelbare Befriedigung aufzuschieben. Die kapitalistische Wirtschaft kommt nur in Gang, wenn Menschen zunächst nicht erwarten, die Früchte ihres Tuns genießen zu können. In jüngerer Zeit ist diese Wirkung häufig eher durch staatlichen Zwang erzielt worden. Russland, auch China haben diesen »sowjetischen« Weg genommen. Es lässt sich aber argumentieren, dass es in Teilen Europas eine Zeit gab, in der religiöser Glaube Menschen zum Verzicht und zum Sparen trotz harter Arbeit anhielt. Im calvinistischen Protestantis mus zumal galt das Jenseits als der Ort der Belohnung für den Schweiß der Arbeit im Diesseits.

Max Weber hatte England und Amerika im Sinn, als er derlei schrieb, wobei er für die luthersche Variante Raum fand. Auch gibt es in Europa noch sehr alte Leute, die sich an eine Zeit erinnern können, als Arbeit und Sparen die prägenden Lebensmaximen waren. (In den Vereinigten Staaten haben Veränderungen schon früher, gleich nach dem Ersten Weltkrieg, begonnen.) Seitdem aber hat überall ein Mentalitätswandel stattgefunden, den Daniel Bell in seinem Buch Cultural Contradictions of Capitalism in mehreren Aufsätzen beschrieben hat. Sein Thema dort ist »die Entwicklung neuer Kaufgewohnheiten in einer stark auf Konsum angelegten Gesellschaft und die daraus resultierende Erosion der protestantischen Ethik und der puritanischen Haltung«.

Das Buch erschien 1976. Schon damals sah Bell ein explosives Paradox im Kapitalismus. Auf der Seite der Produktion werden weiter die alten Werte von Fleiß und Ordnung verlangt; aber der Antrieb der Produktion ist in zunehmendem Maße »materialistischer Hedonismus und psychologischer Eudaimonismus«. Mit anderen Worten, der entwickelte Kapitalismus verlangt von den Menschen Elemente der protestantischen Ethik am Arbeitsplatz, aber das genaue Gegenteil jenseits der Arbeit, in der Welt des Konsums. Das Wirtschaftssystem zerstört gleichsam seine eigenen Mentalitätsvoraussetzungen.

Als Bell das schrieb, war der nächste Schritt der Wirtschaftsmentalität noch nicht getan, nämlich der vom Konsumwahn zum fröhlichen Schuldenmachen. Wann begann dieser Weg? In den achtziger Jahren gab es jedenfalls schon Menschen, die für ein paar hundert Mark auf eine sechswöchige Weltreise gingen und deren tatsächliche Kosten noch abzahlten, als schon niemand von ihren Freunden und Bekannten die Dias mehr sehen wollte, die sie in Bangkok und Rio gemacht hatten. Daniel Bell spricht zu Recht vom Ratenzahlen als dem Sündenfall. Nun begann der Kapitalismus, der schon vom Sparkapitalismus zum Konsumkapitalismus mutiert hatte, den fatalen Schritt zum Pumpkapitalismus.

Ein Zurück zur protestantischen Ethik wird es also nicht geben. Wohl aber ist eine Wiederbelebung alter Tugenden möglich und wünschenswert. Ganz wird man Daniel Bells Paradox des Kapitalismus nicht auflösen: Der Antrieb des modernen Kapitalismus liegt in Präferenzen, die die Methode des modernen Kapitalismus nicht gerade stärken. Weniger abstrakt formuliert: Arbeit, Ordnung, Dienst, Pflicht bleiben Erfordernisse der Voraussetzungen des Wohlstandes; der Wohlstand selbst aber bedeutet Genuss, Vergnügen, Lust und Entspannung. Menschen arbeiten hart, um im strengen Sinn überflüssige Dinge zu schaffen. Da tut es gut, an Ludwig Erhards ständige Mahnungen zum Maßhalten zu erinnern. Es ist auch wichtig, dass Menschen den Bezug zu unentbehrlichen Elementen des Lebensstandards – in diesem Sinne zu Realitäten – nicht verlieren.

Hat die Welt nach der Krise einen Namen? Das Fragezeichen, mit dem diese Anmerkungen begonnen haben, bleibt bestehen. Allzu viele Ungewissheiten verbieten die entschiedene Stellungnahme für den einen oder anderen Begriff. Zum Sparkapitalismus werden wir nicht zurückkehren, wohl aber zu einer Ordnung, in der die Befriedigung von Bedürfnissen durch die nötige Wertschöpfung gedeckt ist. Der »rheinische Kapitalismus«, also die Konsenswirtschaft der Großorganisationen, hat wahrscheinlich ausgedient. Sogar die Frage muss erlaubt sein, ob das System der Mitbestimmung irgend hilfreich war und ist bei der Bewältigung der Krise. Wenn die Frage nicht eindeutig bejaht werden kann, ist neues Nachdenken über die Formen der Berücksichtigung der »stakeholder« nötig. Der Pumpkapitalismus muss jedenfalls auf ein allenfalls erträgliches Maß zurückgeführt werden. Nötig ist so etwas wie ein »verantwortlicher Kapitalismus«, wobei in dem Begriff der Verantwortung vor allem die Perspektive der mittleren Fristen, der neuen Zeit, steckt.

 

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Steinmeier: Warum atomare Abrüstung unseren Interessen dient

Aus einem Gespräch, das ich gestern mit dem Kollegen Peter Dausend zusammen geführt habe:

DIE ZEIT: Herr Steinmeier, nach der Woche der drei Gipfel wird die Erde atomwaffenfreie Zone, der globale Finanzmarkt geregelt und die Türkei EU-Mitglied. Wie viel Traum steckt darin?

Frank-Walter Steinmeier: Wenn man nicht weiß, wo man hinwill, findet man nicht den Weg. Deshalb ist so unschätzbar wichtig, dass der amerikanische Präsident in Prag die atomwaffenfreie Welt als Ziel seiner Politik beschrieben hat. Das ist Vision und Realismus zugleich. Für mich ist dies das wichtigste Ergebnis der letzten Woche. Ich freue mich natürlich, dass die neue amerikanische Regierung den Weg geht, den ich auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar vorgeschlagen habe. Andere in Deutschland redeten da noch der nuklearen Abschreckungsstrategie das Wort.

ZEIT: Geht es Barack Obama darum, die Glaubwürdigkeit des Westens wiederzugewinnen? 

Steinmeier: Obama weiß, dass wir uns von eigenen Widersprüchen befreien müssen, wenn wir überzeugender gegenüber anderen auftreten wollen. Die Glaubwürdigkeit von Appellen zur atomaren Enthaltsamkeit bleibt begrenzt, wenn man seine eigene Sicherheitspolitik auf atomare Abschreckung gründet. Niemand ist naiv, besonders Obama nicht – er weiß genau, wie schwierig es sein wird, Iran zum Einlenken beim Atomprogramm zu bringen. Das wird leichter zu erreichen sein, wenn die Atomwaffenstaaten selbst abrüsten.

ZEIT: Die Europäer sind begeistert von Obama, wollen aber keine neuen Lasten übernehmen. In Amerika werfen ihm manche schon Schwäche vor.

Steinmeier: Der Vorwurf ist unberechtigt und zeigt lediglich, dass es auch in den USA noch eine Innenpolitik gibt. Und dass da so manchem konservativem Thinktank die Neuausrichtung der Außenpolitik nicht passt, wundert mich gar nicht. Auch in Deutschland spürt man ja ein gewisses Unbehagen in konservativen Kreisen. Ich halte es da mit anderen US-Kommentatoren: Auf seiner Europareise hat Obama für die USA das vielleicht kostbarste Gut in internationalen Beziehungen wieder neu aufgebaut: Glaubwürdigkeit.

ZEIT: Die USA haben eine Dialogoffensive gestartet. Was kann die deutsche Rolle dabei sein?

Steinmeier: Russland, China oder Syrien: Auch in Deutschland glaubten in den letzten Jahren viele, Gesprächsverweigerung sei eine besonders markige Form der Politik. Heute will man daran nicht gern erinnert werden. Die neue US-Regierung sieht genau, wer in den letzten Jahren, in der Phase der Abschottung und Abgrenzung, in der Außenpolitik die Dialogkanäle offengehalten hat. Deshalb sucht sie jetzt verstärkt das Gespräch mit uns. 

Mehr morgen in der ZEIT.

 

Lernen, mit dem radikalen Islam zu leben

Ich habe heute eine Reihe von Texten gelesen, die mich zum Grübeln bringen. So viele, dass ich nocht lange nicht mit dem Grübeln fertig bin. Doch das Gute an diesem Medium hier ist ja, dass man die Begrübelungsgrundlage verbreitern kann, indem man andere dazu einlädt, an de eigenen unfertigen Gedanken teilzuhaben und mitzudenken.

Erstens stach mir dieser Bericht von Press TV ins Auge, in dem behauptet wird, das State Department betrachte sie russische Zusammenarbeit mit den Iranern am Atomkraftwerk Bushehr als im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes erlaubte zivile Aktivität. Es wird der Sprecher des Aussenminsiteriums Robert Wood zitiert (den ich noch aus seiner Zeit als Sprecher der Berliner US-Botschaft kenne): 

Robert Wood said during a Wednesday press briefing that the trial start-up of the Bushehr nuclear plant in southern Iran is in the realm of peaceful use of nuclear energy. 

Und dann wird geschlußfolgert: Wood’s remarks indicated that Washington’s apparent approval was because fuel arrangements for the nuclear facility were made with Russia. 

Was bedeuten würde, dass die russische Kooperation mit Iran positiv gesehen wird, weil sie als Argument dazu herhalten kann, dass die Iraner keine eigene Anreicherung brauchen (ausser für Waffenzwecke, was Iran ja zu verfolgen bestreitet).

Das ist doch eine erstaunliche neue Position zu dem ganzen Iran-Russland-Atom-Komplex!

Zweitens las ich einen leidenschaftlichen Text von Roger Cohen in der Herald Tribune, in dem dieser sich wegen eines Reihe von Reportagen aus Iran gegen die Vorwürfe verteidigt, er habe sich von Regime  einseifen lassen, was seine milde Sicht des Landes beweise.

Unmittelbarer Anlass für diese Selbstverteidigung: Cohens Äusserungen zur Lage der Juden im Iran, die dort nach seiner Schilderung besser leben als in den meisten arabischen Ländern. (Läßt sich wohl kaum bestreiten.)  Nun geht Cohen in die Vollen und wendet sich in seiner neuen Kolumne gegen die Dämonisierung des Iran. Vor allem die dauernden Vergleiche des Iran mit dem Nazi-Staat weist er zurück, und zwar sehr zu Recht:

I was based in Berlin for three years; Germany’s confrontation with the Holocaust inhabited me. Let’s be clear: Iran’s Islamic Republic is no Third Reich redux. Nor is it a totalitarian state.

Munich allowed Hitler’s annexation of the Sudetenland. Iran has not waged an expansionary war in more than two centuries.

Totalitarian regimes require the complete subservience of the individual to the state and tolerate only one party to which all institutions are subordinated. Iran is an un-free society with a keen, intermittently brutal apparatus of repression, but it’s far from meeting these criteria. Significant margins of liberty, even democracy, exist. Anything but mad, the mullahs have proved malleable.

Das ist wichtig, bei aller Kritik an der iranischen Unterdrückung von Regime-Gegnern, Andersgläubigen und Frauen im Sinn zu behalten.

Und drittens beeindruckt mich ein neuer Essay von Fareed Zakaria in Newsweek mit dem Titel „Learning to live with radical Islam“. Zakaria sagt, wir müßten unterscheiden zwischen Islamisten, deren Agenda für die Durchsetzung der Scharia in ihren Gesellschaften wir zwar ablehnen mögen, die unsere Sicherheitsinteressen aber nicht gefährden, und denen, die sich als Teil eines globalen Dschihad gegen den Westen sehen.

In den letzten Jahren haben wir eine Perspektive eingeübt, in der diese Unterscheidung nicht gemacht wurde. Ja, es wurde geradezu zum Dogma, dass es unmöglich sei, zwischen verschiedenen Formen und Graden des Islamismus zu unterscheiden. Am Ende laufe alles aufs Gleiche hinaus.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der radikale Islamismus nicht verschwinden wird und nicht besiegt werden kann, wenn wir alle Islamisten in einen Topf werfen.

Wir müssen neue Prioritäten setzen: Unsere Hauptaufgabe ist es, den Bin-Ladenismus zu besiegen. Und in diesem Kampf sind nicht die moderaten Muslime (oder Ex-Muslime) unsere wichtigsten Verbündeten, sondern diejenigen Radikalen und Fundamentalisten, die sich nicht dem Dschihad gegen uns verschworen haben. 

Der „Surge“ im Irak hat aufgrund solcher Teufelspakte funktioniert, und in Afghanistan wird man ähnliche Koalitionen schmieden müssen, auch hier mit Gruppen, die uns zuwider sind. Es geht darum, die lokalen Militanten von den globalen Dschihadis abzuspalten und sie einzubinden in eine Lösung der Probleme des Landes. Zakaria zitiert David Kilcullen, den ich hier vorgestellt habe: 

„I’ve had tribal leaders and Afghan government officials at the province and district level tell me that 90 percent of the people we call the Taliban are actually tribal fighters or Pashtun nationalists or people pursuing their own agendas. Less than 10 percent are ideologically aligned with the Quetta Shura [Mullah Omar’s leadership group] or Al Qaeda.“ These people are, in his view, „almost certainly reconcilable under some circumstances.“ Kilcullen adds, „That’s very much what we did in Iraq. We negotiated with 90 percent of the people we were fighting.“

Für unsere einheimische Debatte über Islam und Radikalismus hat das auch Folgen: Wir müssen aufhören, auf Kopftücher und Burkinis zu starren, als sei erst dann Hoffnung in Sicht, wenn diese Markierungen religiöser und kultureller Differenz verschwunden sind.

Es wird ganz einfach nicht passieren, ob es einem passt oder nicht. 

Und wir müssen darum auch jede Form der Thematisierung vermeiden, die suggeriert, es gebe ein Kontinuum zwischen Kopftuch und Sprengstoffgürtel. 

Zakaria endet mit diesen Worten, die ich nur unterschreiben kann: 

We can better pursue our values if we recognize the local and cultural context, and appreciate that people want to find their own balance between freedom and order, liberty and license. In the end, time is on our side. Bin Ladenism has already lost ground in almost every Muslim country. Radical Islam will follow the same path. Wherever it is tried—in Afghanistan, in Iraq, in parts of Nigeria and Pakistan—people weary of its charms very quickly. The truth is that all Islamists, violent or not, lack answers to the problems of the modern world. They do not have a world view that can satisfy the aspirations of modern men and women. We do. That’s the most powerful weapon of all.

 

Der Einflussagent: Was Gerhard Schröder wirklich am Iran interessiert

Und noch etwas Kleines aus der Zeit von morgen:
Wollen jetzt nicht alle mit den Iranern reden? Sogar Obama? Warum regen sich dann alle über Gerhard Schröders Wochenendtrip nach Teheran auf? Oder distanzieren sich vorsichtig, wie das Auswärtige Amt: Nein, abgestimmt habe der Ex-Kanzler seinen Iranbesuch nicht. »Angezeigt« habe er seine Reiseabsichten bloß, wie üblich.
Gerhard Schröder sei »weder auf Wunsch noch auf Anregung, noch etwa mit Nachrichten« des Außenministers unterwegs gewesen, heißt es in Berlin. Er habe lediglich, wie alle Elder Statesmen auf heiklen Reisen, ein umfangreiches Briefing über den Stand der bilateralen Beziehungen zur Vorbereitung erhalten. Von einem Plausch mit Mahmud Ahmadineschad hat man ihn offenbar nicht abhalten können, wie die Fotos vom Sonntag zeigten.
Schröder hätte den notorischen Israelhasser nicht treffen sollen, grummelt es in Regierungskreisen. Doch immerhin hat er ja Klartext geredet: Es mache »keinen Sinn«, die historische Tatsache des Judenmords zu leugnen.
Aber Schröder war wohl nicht nach Teheran gekommen, um Ahmadineschad über die Schoah zu belehren. Russischen Medien war es eine Erwähnung wert, dass sein Besuch mit konkurrierenden Gesprächen zwischen der EU und Iran über die geplante Nabucco-Pipeline zusammenfiel, die an Russland vorbei Gas aus Zentralasien (und eines Tages vielleicht aus Iran) nach Europa bringen soll. Die Zeitung Kommersant kommentiert seine Iranreise: »Gasproms Einflussagent in Teheran eingetroffen«. Einflussagent – kein schönes Wort, auch wenn es durchaus lobend gemeint ist: Schröder, vermutet Kommersant, könnte »als langjähriger Freund Russlands« versuchen, die Iraner von Gasproms Südpipeline (South Stream) zu überzeugen, der Konkurrenz zu Europas Nabucco-Projekt. Die Russen sind von Letzterem nicht begeistert, weil es Europa unabhängiger vom Monopolisten Gasprom machen würde. Iran müsste freilich aufhören, an der Bombe zu basteln und Israel zu bedrohen, damit es Gas nach Europa liefern könnte – ganz egal, durch welche Pipeline.

 

St.Louis, Denver, Dallas

St. Louis ist eine der Hochburgen der deutschen Immigration in die USA, weshalb die Stadt auch heute noch die Bierhochburg der Staaten ist (Anheuser-Busch).
Mein Freund Warren Rosenblum, der an der Webster University Geschichte unterrichtet, erzählt von der glorreichen deutschen Geschichte hier im „Tor zum Westen“. Unter anderem viele der ’48er Revolutionäre kamen nach St. Louis und Umgebung, nachdem der Aufstand in Deutschland niedergeschlagen worden war. Sie gründeten Zeitungen und Bildungsvereine und prägten die Stadt.
Die deutsche Blüte von St. Louis kam zu einem Ende im Ersten Weltkrieg, als einen massiven Backlash gegen die Deutschen gab, die zum Kaiser hielten. (Es gab pro-Kaiser-Demos in St. Louis!) Und übrigens wollten die Deutschen in Amerika ihre Sprache nicht aufgeben und bestanden auf Schulunterricht in deutscher Sprache. Als sich im Weltkrieg die Loyalitätsfrage stellte, war dies das Ende der deutschen Subkultur. (Interessante Parallele zu unserer heutigen Debatte mit unseren Migranten! Man sollte ihnen mal davon erzählen, denke ich…)

Ich habe beim dortigen Chapter des American Council on Germany einen kleinen Vortrag über die Frage gehalten, was nun aus dem deutsch-amerikanischen Verhältnis unter Obama wird. Ich sehe große Chancen für eine Verbesserung des Verhältnisses, aber der Clou meiner Ausführungen liegt eigentlich darin, auf die Spannungen hinzuweisen (ich stelle den Text bald hier zur Debatte).

Mehrheitlich kann man jedenfalls feststellen, dass eine Riesen-Erleichterung diejenigen ergriffen hat, die eine starke Verbindung zu Deutschland halten (weil ihre Ahnen daherkamen, weil sie einen deutschen Ehepartner haben oder weil sie Geschäfte mit Deutschland machen). Und das gilt auch für eher konservativ gepolte Menschen. Alle sind überrascht über Obamas Wahl seines Sicherheits-Teams, in dem es keinen einzigen echten „Linken“ gibt. Manche kritisieren das, weil sie sich mehr Wandel erhofft haben. Aber die meisten finden es eher beruhigend angesichts der Krise. Es ist klar, dass ein neuer Präsident heute ein Team braucht, das erfahren ist.

In Denver und erst Recht in Dallas waren mehr Republikaner im Publikum, und das war für mich genau der interessante Aspekt der Reise. Aber die Krise, die sich hier Tag für Tag weiter entfaltet, führt auch in diesen Kreisen zur Nachdenklichkeit.

Ich habe gegen den Raketenschild und gegen einen Nato-Beitritt für Ukraine und Russland argumentiert. Ich habe dafür geworben, dass wir uns neu auf Russland und China einlassen, ohne die Augen von Menschenrechtsfragen zu nehmen. Ich habe für einen neuen, harten, diplomatischen Kurs gegen Iran gesprochen. Und ich habe dargelegt, warum ich glaube, dass wir in Afghanistan zwar auch mehr Truppen, aber vor allem einen neuen gemeinsamen Ansatz brauchen, der auch Gespräche mit Stammesführern beinhaltet, die wir von den Taliban weg hin zu uns lotsen müssen.

Und siehe: Ich bin nicht ausgebuht worden, auch von den Konservativen nicht. Es gab Skepsis, aber ich bin auch nicht übermässig optimistisch, dass nun alles gut wird.

Durchhalteparolen habe ich von niemandem gehört. Es ist allen klar, dass der Westen auf vielen Gebieten nicht gut dasteht und wir einen „Reboot“ brauchen.

Ich habe auch Angela Merkels Zögerlichkeit bei der Frage Stimulus/ Konjunkturprogramm/ Steuererleichterung verteidigt. Merkwürdige Rolle: Gegenüber einem eher konservativen Publikum die Fahne des fiskalisch Konservativen hochzuhalten, während die Amerikaner alles darauf setzen, das Geld billig zuhalten und den Konsum anzukurbeln, ohne Rücksicht auf das Defizit.

Auf einmal bist Du der Konservative, dachte ich, und das in Dallas!