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In Sachen Schwein

Die schreibende Zunft verhöhnt nur allzugerne den erfolgreichen (und sehr fleißigen) Gastronomie-Kritiker Jürgen Dollase. Gewiss ist sein Schreibstil nicht gerade freudig hüpfende Lustprosa. Was aber wirklich zählt und was ich für meinen Beruf als sehr wichtig empfinde, das ist die Präzision seiner Definitionen.

Ich selbst stehe ja für völliges Bauchkochen, für’s Intuitive, und trotzdem ist mir eine theoretische Grundierung natürlich unerlässlich. Als ich in Dollases neuem Buch blätterte, war mir schnell bewusst, dass ich manches nicht weiß und Teile meiner Erfahrung in Sachen Schwein von Jürgen Dollase nun genau analysiert und definiert wurden. Ich kann das Buch sehr empfehlen, man weiß hinterher besser, was man tut.

Schwein

 

Elitär und preiswert

Alle reden immer von den Star- oder Sterneköchen, entscheidend ist aber auch, wer hinter diesen Männern steckt. Im Hintergund meines Restaurants ist Frau Elisabeth allgegenwärtig. Es gibt dort mehr zu tun, als man vorne sieht. Der puristische Kurs der Küche, der Ausstattung und Räumlichkeiten wird von ihr überwacht. Ich neige nämlich gerne zum Kompromiss und dagegen hält sie nun schon seit 40 Jahren an.

Man könnte sie auch als Gelegenheits-Fleischesserin bezeichnen. Ganz selten isst sie Fleisch, und wenn, dann nur wirklich erstklassiges. Das ist zweifellos elitär aber auch ziemlich preiswert. Zum Beispiel liebt sie Hummer sehr. Ihren letzten aß sie vor vier Jahren an der Bretonischen Küste und der nächste wird gegessen, wenn man mal wieder dort ist, was noch viele Jahre dauern könnte. Wer sich so verhält, bei dem spielt der Fleischpreis eigentlich keine Rolle mehr. Wenn ich von einem exquisiten Ochsenkotelette rede, das 12 Euro kostet, dann geht ein Aufheulen durch Menge. Ja verdammt nochmal, nie redete ich davon, dass man so etwas täglich essen soll. Obwohl ich sozusagen an der Quelle sitze, verspeise ich ein Rumpsteak oder ein Ochsenkotelette vielleicht zwei mal im Jahr. Wirklich große Genüsse halten sich lang im Kopf.

 

Tischkultur ist keine Frage des Geldes

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Wer Kinder hat, der denke immer daran, sie für die Zukunft günstig zu prägen. Bei meinen Großeltern wurden in mir kulturelle Bedürfnisse geweckt und ein gewisser Stil vermittelt. Betrachtet man die Marmeladen-Menage, könnte man wohlhabendes Bürgertum vermuten. Nein, Oma und Opa mütterlicherseits waren immer ziemlich pleite, aber das Fähnlein der Tischkultur wurde hochgehalten.

Deshalb wäre schön, wenn man in diesem Jahr 2010 nicht davon redet, was man sich nicht leisten kann, sondern das, was möglich ist, so gut wie möglich gestaltet.

 

Bitte keinen Spinat!

Wer den Spielweg kennt, weiß, dass in unserer direkten Nachbarschaft einer der Münstertäler Kindergärten beheimatet ist. Seit diesem Sommer bekommen die Kinder dort auch Mittagessen.

Im Oktober rief mich die „Chef-Erzieherin“ Claudia an und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, für 3-5 Kinder, je nach Anwesenheit, das Mittagessen zu kochen. Vorher machte das eine Kollegin im Tal, doch da war der Aufwand zu groß, dann gab es einen kurzen Versuch mit „Essen auf Rädern“, das war auch nicht so glücklich, und dann kam die Claudia auf die Idee, doch einfach mal den Nachbarn zu fragen.

Sie sagte, dass das Budget 3 Euro, für Geschwisterkinder 2,50 beträgt, und ob ich dafür etwas kochen könnte.
Kein Problem – seitdem verlässt gegen 12.25 Uhr einer unserer Köche mit der warmen Mahlzeit das Haus, um genau 250m weiter die wartenden Kinder zu erfreuen: „Der Essensmann kommt!“

Bis alles rund lief, dauerte es aber einige Tage, denn es gibt Besonderheiten:
Ein Kind isst immer nur Mittwochs (Suppentag) und bekam so drei Wochen hintereinander Suppe, das kam bei ihm nicht so gut an.
Dann haben wir gedacht, so ein grätenfreies Forellenfilet „Müllerin“ mit Spinat, das wäre mal was – aber das ist gründlich schief gegangen…inzwischen sind aber alle ganz zufrieden, besonders Freitags, da ist „Schniposa“-Tag:
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Wildschweinkopf voller Trüffeln

Heston Blumenthal aus dem Restaurant The Fat Duck in London hat hier im Spielweg mit mir gekocht!

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Und zwar einen gefüllten Wildschweinkopf nach einem Rezept von Marie-Antoine Carème, das dieser ca. 1830 aufgeschrieben hat.
Ich habe ein in Wien erschienenes Kochbuch vom Bayrischen Hofkoch Rottenhöfer, der ein fast gleiches Rezept geschrieben oder vielleicht auch abgeschrieben hat, es gibt viele Parallelen.

Eine ganz wilde Geschichte. Zuerst wird der Wildschweinkopf „geflämmt“: mit einem Flammenwerfer, mit dem man normalerweise Dachpappe verlegt, werden die Borsten abgesengt. Der Kopf wird gesäubert, vom Unterkiefer her ausgelöst, gepökelt und laut Originalrezept mit einer Füllung aus Fleisch, Speck, Pistazien, geräucherter Ochsenzunge und sage und schreibe 1,6 kg schwarzen Trüffeln gefüllt, zugenäht, in ein Torchon gepackt und wie ein Rollbraten geschnürt.
Dann wird der Kopf mit 20! Kalbsfüßen im siedenden Fond 5 Std. geköchelt. Wenn der Fond kalt ist, soll er über Kopf stehen, dann ist er bombenfest geliert und vor allen Dingen längere Zeit haltbar.

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Ganz dünn aufgeschnitten sieht es nicht mehr so martialisch aus wie vor dem Schneiden, und vor allen Dingen: es schmeckt!
Für mich war die saftige Füllung die große Überraschung, ich bin sicher, dass nur in Verbindung mit der „Maske“ und dem darin enthaltenen Kollagen die Fülle so gut wird, in einer normalen Terrinenform würde es nicht so gelingen.

Danach haben wir eine kleine Jagd im schwarzen Winterwald abgehalten, ich bin mit meinem Hund „duchgegangen“ und Heston hat ganz schön gefroren. Die Jäger mussten dann abends den gefüllten Kopf verspeisen, es war eine großartige Aktion.

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Ein Filmteam aus England war dabei, kommt alles im Frühjahr in der BBC.

 

Köche, mehr Mut!

Es gibt ein Heft, das heißt Sterneklasse, und darin wird nicht die Astronomie beackert, sondern alle Themen um die Sternegastronomie.
Ich fand dort einige lohnenswerte Artikel. Im Heft beginnt es mit einer Kritik am Gault Millau-Chef Kohnke. Letztes Jahr war für ihn Nils Henkel der Koch des Jahres, heute ist der ausgezeichtete Koch aus Bergisch-Gladbach der Depp der Saison. Was letztes Jahr modern war, ist heute offensichtlich zu modern.

Ganz klar, beim Kochen, beim Büchermachen u.s.w., geht es auch um’s Geld, und ein Restaurantführer muss jedes Jahr etwas Neues berichten, auch dann, wen es nichts zu berichten gibt, weil alles Gute im neuen Jahr immer noch gut ist. Für viele Medien ist das natürlich ein echtes Dilemma.

Man könnte das alles gelassen nehmen, aber die Restaurantkritiker sind an den raren individuellen Unterschieden in der Spitzengastronomie stark beteiligt. Was Juan Amador und all die Neuerer machen, was Nils Henkel kocht, ja selbst meine traditionelle Auffassung, ist doch, egal wie, eindeutig eine Bereicherung der Kochkunst.
Einmal mag man Amador, ein andermal Klink oder sonstwas, bis hin zur Pizza, und dann vielleicht irgendwelche asiatischen Künste. Feinschmeckerei leidet mittlerweile unter einer uniformen Mode-Zwangsneurose. Die einen wollen nur die feinsten Sachen picken und empfinden alles andere als vulgär, der andere mag’s rustikal. Und die Medien steuern, was gerade im Trend liegt. Warum muss es aber deshalb zu Glaubenskriegen kommen?

Köche, mehr Mut, folgt euerem eignen Bauch und prostituiert euch nicht für irgendwelche Modeströmungen, die meist schon vorbei sind, bis das Köchlein an der Peripherie sie verinnerlicht hat.

Der Zuspruch der Gäste zählt und nicht die Medienmeinung, die immer wieder eine neue Sau durch Dorf treiben muss. Der Begriff “arme Sau” gewinnt so eine ganz neue Dimension.

Es scheint vielen Leuten, insbesondere auch den Restaurantführern, nicht zu passen, dass nicht alle Köche in die gerade angesagte Schublade passen. Gewiss, manche Kollegen begeben sich freiwillig hinein. Oder aus Not, weil die Bank dauernd anruft, und man so um den Rabatz nicht herumkommt, um im Gespräch zu bleiben.

 

Slow Food im wahrsten Sinne des Worts

© AT Verlag
© AT Verlag

Ich liebe die Schweiz, auch wenn es gerade mit dem Image nicht so gut läuft. Mir ist jedenfalls kein Schweizer bekannt, der so kleinkariert denkt, dass ihn ein Minarett um den Schlaf bringen würde. Es ist wie mit jedem Volk, es gibt solche und solche, aber mehr solche.

Nun hat das Wort der Cuisiner des Restaurants Braui in Hochdorf. Ich war noch nie dort, habe aber sein Buch gelesen und bin sehr angetan. Der Ort liegt ungefähr zwischen Zürich und Luzern.
Werner Tobler: „Wir bleiben auf dem Teppich und in der Küche. Unsere Kochsprache ist marktfrisch und schnörkellos. Firlefanz mit Dings an Bums ist uns ein Gräuel. Hühner aus Brasilien, Lämmer aus Neuseeland liegen uns nicht. Wir denken global, kochen aber regional. Viele Produzenten sind heute unsere Freunde. Wir verstehen uns. Mit Respekt gegenüber Natur und Vieh. Denn wenn schon Schweineleben, dann ein glückliches bis zum Schluss.“

 

Personalessen

Jeder, der in der Gastronomie arbeitet, kommt früher oder später mit diesem zugegeben etwas abwertenden Begriff in Berührung.

Die Köche essen normalerweise mittags & abends, je nach Dienst, bei uns um 11 und um 18 Uhr, also jeweils bevor die Gäste kommen.
Es gibt einen Plan, was die Woche über gekocht wird, meistens die Klassiker: Spaghetti Bolognese, Schniposa oder halbe Hähnle.

Hört sich doch ganz gut an, denkt man, aber an manchen Tagen…

Da schmeckt es einfach nicht, das Essen ist nicht richtig heiß oder das Gemüse in der Suppe ist zu hart oder beim „Toast Hawaii“ wird die Ananas vergessen oder es ist Zucker im Salatdressing (der Härtefall)…

Und dann lese ich in dem neuen Kochbuch von Mario Lohninger (Tre Torri, Wiesbaden), dass er auf seinen Wanderjahren bei den Gebrüdern Obauer in Werfen, Salzburgerland gearbeitet hat.

Auszug:
„…bald darauf durfte ich Personalessen kochen, da sieht jeder, ob Du kochen kannst oder nicht.“

Und genau diesen Satz habe ich dann auf ein Schild brennen lassen und in unserer Küche aufgehängt:
personalessen

 

Trendy Küche?

Immer wieder werde ich von Journalisten gefragt, welche neuen Trends zu erwarten seien. Jedesmal antworte ich mit „Keine Ahnung, denn um Trends kümmere ich mich nicht.“

Die so Abgespeisten halten mich dann irgendwie für ignorant oder weltfremd. Meine Beweggründe, mich nicht um Trends zu kümmern, haben aber mit meiner Erfahrung zu tun. Wer sich um Trends kümmert, handelt sich ein Publikum ein, das man als „trendy“ bezeichnen könnte. Solches Publikum braucht ständig trendigen Nachschub, wandert aber trotzdem irgendwann mal dorthin ab, wo gerade ein besserer Trend geboten wird.

So kommt beispielsweise ein Trendy-Koch nie zu einem Stammpublikum, dafür ist er jedoch der Liebling der Medien, die Trends unbedingt brauchen, um darüber zu berichten. Die gut gebratene Ente nämlich, mit würzigem Rotkohl, ist zwar das Glück des Gasts, aber keine Berichterstattung wert.

Heute lese ich, dass der im letzten Jahr als Koch des Jahres gefeierte Nils Henkel, der im Moment genau das kocht, was ihm letztes Jahr seine Auszeichnung eingebracht hat, tja, er wäre vom Gaullt Millau abgewertet, sozusagen im Verschiss. Zuviel Chemie, heißt es in der Beurteilung.

Im Magazin des Zürcher Tagesspiegel lese ich von dem Autor Christian Seiler folgende Sätze:
„Ich habe höchsten Respekt für alle Köche, die ihre Speisen nicht camouflieren, sondern zubereiten… Der Trend, Speck und Ei in Pralinenform zu servieren und Gulasch als Watte am Stiel, ging um die Welt. Das experimentelle Kochen wurde zur Kunst erklärt. Wenn die artifizielle Verklärung des Essens nun langsam verebbt und nur noch schwach an der Peripherie nachhallt, so mündet der alte Trend nicht in einen neuen Trend. Die puristische Konzentration auf außergewöhnliche Produkte, die Entdeckung der nötigen Sorgfalt, um sie angemessen zuzubereiten und präsentieren zu können ist alles, nur kein Trend.“

 

Herzlich Willkommen!

Thomas Hess-NielsenUnd noch ein neuer Autor:
Thomas Hess-Nielsen wird künftig gemeinsam mit Jürgen Koch, Vincent Klink, Karl-Josef Fuchs und Holger Stromberg bei Nachgesalzen bloggen. Von ihm wird es vor allem Informationen zum ökologischem Landanbau und Rezepte zu eigenen ökologischen Rohwaren der Saison geben.
Wir freuen uns sehr!