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Unser NSU-Archiv

Die Pistole, die bei neun NSU-Morden zum Einsatz kam © Franziska Kraufmann/dpa

Dies ist der 1.662. und letzte Eintrag im NSU-Prozess-Blog. Fünf Jahre und zwei Monate lang haben wir an dieser Stelle das Geschehen im Münchner Terrorprozess aufbereitet. Solange dieses riesige Verfahren lief, war das Blog aktiv. In unserem Medienlog haben wir an fünf Tagen pro Woche Stimmen aus der Presse gesammelt. An jedem Prozesstag haben wir Ihnen eine Vorschau auf das Geschehen geliefert. Nicht zuletzt war das Blog Sammelort für nahezu alle unsere Berichte und Reportagen aus dem Gericht.

Dahinter stand ein Gedanke: „Wir werden den NSU-Prozess am Oberlandesgericht München in diesem Blog täglich begleiten – bis zu seinem Ende, das Jahre entfernt liegen mag.“ So hieß es in unserem allerersten Eintrag. Wir haben damals entschieden: Dieses Verfahren ist zu wichtig, als dass wir nur gelegentlich einen Reporter dorthin entsenden und lediglich einzelne Prozesstage herausgreifen können. Weiter„Unser NSU-Archiv“

 

So sehen türkische Medien das NSU-Urteil

„Ein Prozess mit vielen Fragezeichen“ schreibt die Cumhuriyet am Tag nach der Urteilsverkündung gegen Beate Zschäpe. Platz für Analysen und Kommentare widmeten die türkischen Medien dem Prozessende aber nicht.

Fast zeitgleich mit der Urteilsverkündung in München im NSU-Prozess wurden gestern auch in der Türkei bedeutende Urteile gesprochen. So müssen einige Manager, die im Zusammenhang mit dem Grubenunglück von Soma stehen, für mehrere Jahre ins Gefängnis. Bei dem Unglück in der türkischen Kleinstadt Soma starben vor vier Jahren 301 Kumpel. Zudem räumen fast drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl in der Türkei regierungsnahe Zeitungen weiterhin auf ihren Titelseiten viel Platz frei für den frisch gewählten Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Bleibt da noch Platz für den NSU-Prozess? Ja, aber nur wenig. „Lebenslänglich“ schreiben heute viele Blätter auf ihren Titelseiten und melden so die Verurteilung von Beate Zschäpe.

Die Hürriyet und die regierungskritische Cumhuriyet haben das Urteil vor allem nachrichtlich zusammengefasst. Analysen und Kommentare ihrer Kolumnisten gibt es nicht. „Ein Prozess mit vielen Fragezeichen“ schreibt die Cumhuriyet und zitiert noch einen Sprecher des Zentralrats der Juden mit der Aussage: „Vieles über den NSU ist noch im Dunkeln. Es muss weiter ermittelt werden.“ Die türkische Regierung hatte das Urteil als „nicht zufriedenstellend“ kritisiert, da mutmaßliche Hintermänner und mögliche Verbindungen der NSU-Täter zum deutsche Geheimdienst nicht aufgeklärt seien. An der Kritik aus Ankara orientieren sich vor allem regierungsnahe Hetzblätter wie Sabah und Yeni Şafak.

„Berlin schützt seine Mörder“

Über einem Bericht von Yeni Şafak steht die Überschrift: „Berlin schützt seine Mörder“. Die Korrespondentin schreibt: „Die deutschen Medien haben dem Prozess große Beachtung geschenkt. Allerdings sehen viele die Aufarbeitung der Mordfälle als nicht vollständig. Die Hintermänner und Verbindungen zwischen dem tiefen Staat und dem deutschen Geheimdienst seien nicht aufgeklärt worden.“

Die Kritik, dass hinter der NSU-Zelle womöglich ein Netzwerk steckt und der Prozess dem aber nicht nachgegangen ist, wird auch in anderen Berichten aufgegriffen. Wegen der eher nachrichtlichen Berichterstattung wurde der Prozess aber insgesamt auch von den deutschlandfeindlichen Medien nicht weiter (politisch) ausgeschlachtet. Anderes war offenbar wichtiger.

 

Was ist das für ein Urteil?

Zum Abschluss des NSU-Prozesses jubeln im Saal die Neonazis. Die Hinterbliebenen der Terrorakte werden es schwer haben, mit dem Urteil ihren Frieden zu machen.

Am Schluss wird es im NSU-Prozess noch einmal hässlich. Richtig hässlich. Richter Manfred Götzl hat soeben Recht gesprochen über fünf Menschen, die an der größten Serie von Rechtsterrorismus in der deutschen Geschichte beteiligt waren. Nur noch eine Formalie, dass er nun den Untersuchungshaftbefehl gegen den Mitangeklagten André Eminger aufhebt, dem er zweieinhalb Jahren Gefängnis gegeben hat. In dem Moment beginnt eine Rotte von Neonazis auf der Besuchertribüne zu johlen und zu klatschen. Ihr rechtsextremer Kamerad kommt frei, vorläufig, bis die Strafe vollstreckt wird.

Was ist das für ein Urteil, das Neonazis jubeln lässt? Kann dieses Ergebnis Frieden in der deutschen Gesellschaft stiften, kann es die Hinterbliebenen der zehn NSU-Mordopfer zumindest ansatzweise mit dem Staat versöhnen, der so viele Fehler gemacht hat? Oder hat sich hier, nach fünf Jahren akribischer Wahrheitssuche, das Versagen fortgesetzt?

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Ein Prozess, der den NSU-Hinterbliebenen wenig gegeben hat

Auf eine umfangreiche Aufklärung hatten die Hinterbliebenen der Mordopfer im NSU-Prozess gehofft. Geblieben ist davon nichts.

Die Trauer um seinen Vater hat sich in den vergangenen 18 Jahren tief in sein Gesicht gegraben. Sie hat dunkle Schatten um die Augen von Abdulkerim Şimşek gezogen, auffällige Falten auf seine Stirn geworfen. Am 9. September 2000 wurde sein Vater Enver Şimşek erschossen. Er war das erste von zehn Mordopfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Da war Abdulkerim 13 Jahre alt.

Am Mittwoch fällt im Münchner NSU-Prozess nach fünf Jahren Verhandlung das Urteil gegen Beate Zschäpe, die mutmaßliche Mittäterin der Gruppe, und vier als Unterstützer angeklagte Männer. Abdulkerim Şimşek wird im Gerichtssaal sein, ebenso seine Schwester und seine Mutter. Die ganze Familie nimmt als Nebenkläger am Verfahren teil. So machen das insgesamt rund 90 Angehörige und Verletzte der Anschläge. Das Urteil ist ein Abschluss. Für das Gericht, für die Angeklagten, für die Öffentlichkeit. Nicht für Abdulkerim Şimşek.

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Richter Rätselhaft

Wehe, jemand kommt ihm frech: Manfred Götzl hat den NSU-Prozess mit einer Mischung aus Gelassenheit und Penetranz geleitet. Wer ist der Mann, der das Urteil über Beate Zschäpe sprechen wird?

Es gibt Momente, da ist zu spüren, wie Manfred Götzl mit sich ringt, ob er nun ausrasten soll oder nicht. Dann spannt der Mann mit den raspelkurzen Haaren und der Nickelbrille die Stirn an und öffnet langsam den Mund. Wenn ein Zeuge lügt oder Dinge verheimlicht, bleibt der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess meist ganz entspannt. Aber eine freche Antwort kann ihn sofort auf die Palme bringen.

Dezember 2013. Siegfried Mundlos sagte aus, der Vater des NSU-Mitglieds Uwe Mundlos. Mitten in der Vernehmung biss er in einen mitgebrachten Apfel. „Wenn Sie jetzt Hunger haben“, rief Götzl, „dann machen wir erst mal zehn Minuten Pause!“ Und schon riss er die Tür hinter sich auf und verschwand. Das ist Eskalationsstufe eins. Als sich die Atmosphäre nach der Unterbrechung beruhigt hatte, stellte Götzl dem Zeugen eine kritische Frage. Mundlos gefiel das nicht. „Sie sind ein kleiner Klugsch…!“, herrschte er den Richter an, die letzte Silbe verschluckte er. Götzl brüllte sofort los, Eskalationsstufe zwei: „Was fällt Ihnen ein, mich so anzugehen?“, rief er, den Finger bohrte er in die Luft.

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„Ich will Ihnen nicht Ihr Pausenbrot streitig machen“

In fünf Jahren Verhandlung kann nicht alles nach Plan gehen. Im NSU-Prozess gab es Momente, die so absurd waren, dass sie noch einmal erzählt werden müssen – auffällig oft ging es dabei ums Essen.

Eine kleine Verwechslung

Wer vor dem großen Publikum des NSU-Prozesses auftritt, kann schon mal etwas durcheinanderbringen. So wie ein Zwickauer Taxifahrer, der erzählte, er habe einmal Frau Zschäpe, Herrn Böhnhardt und „Herrn Mundstuhl“ chauffiert. Auch durch das Lachen im Saal ließ er sich nicht davon abhalten, die amüsante Namensvariation mehrere Male zu wiederholen. Weiter„„Ich will Ihnen nicht Ihr Pausenbrot streitig machen““

 

Fünf Fragen, die nach dem NSU-Prozess bleiben

Große Teile des NSU-Komplexes sind nicht aufgeklärt. Auch nach dem Urteil werden viele Fragen bleiben. Und neue sind hinzugekommen – zur Qual der Opferangehörigen.

Juristisch ist der Fall NSU nach dem Urteil am Mittwoch vorerst beendet. Auch viele der Untersuchungsausschüsse haben ihre Arbeit abgeschlossen. Die ernüchternde Bilanz: Wenn all die Recherchen über die rechtsextreme Terrorgruppe zu etwas geführt haben, dann zu noch mehr Fragen. Vom Status „aufgeklärt“ ist der Fall noch weit entfernt. So wird es vermutlich auch noch lange bleiben.

Nicht alles, was zu Beginn Rätsel aufgegeben hat, ist in mehr als fünf Jahren NSU-Prozess erhellt worden. Diese fünf Fragen sind nach wie vor ungeklärt:

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„Ich wollte Justiz begreifbar machen“

Sie gehörte zu den Gesichtern des NSU-Prozesses: Andrea Titz war über Jahre Pressesprecherin des Münchner Gerichts. Manche Fragen, die ihr gestellt wurden, hatten es in sich.

Andrea Titz: "Ich wollte Justiz begreifbar machen" - NSU-Prozess
Die frühere Pressesprecherin Andrea Titz im Amtsgericht Wolfratshausen © Tom Sundermann

Wenn es im NSU-Prozess kompliziert wurde, musste Andrea Titz ran: Die Richterin war über lange Zeit Pressesprecherin des Münchner Oberlandesgerichts. Immer wieder erklärte sie Journalisten die Hintergründe des Terrorverfahrens. Das Amt als Sprecherin hatte sie kurz vor Prozessbeginn 2013 angetreten, im Juni 2017 ging die heute 48-Jährige als Leiterin an das Amtsgericht Wolfratshausen. Hier blickt sie auf die Zeit zurück, in der sie deutschlandweit bekannt wurde – auch wegen ihres extravaganten Kleidungsstils.

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„Der Prozess hat zu lange gedauert“

Die Terroristen des NSU töteten acht Türken. Nun fällt im Münchner Prozess das Urteil. Trotz Enttäuschungen vertraut die türkische Gemeinschaft auf den Rechtsstaat.

Ein Gastbeitrag von Mesut Koç, Generalkonsul der Türkei in München

Gedenken: Die Witwe Elif Kubaşık und andere Angehörige trauern um den vom NSU ermordeten Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık. © Bernd Thissen/dpa

Wenn im NSU-Prozess das Urteil fällt, werden die in Deutschland lebenden Türken sehr genau hinsehen. Acht ihrer Landsleute starben durch die rechtsextreme Terrorserie an Einwanderern. Umso wichtiger sei nun die Aufklärung vor Gericht, schreibt der Generalkonsul der Türkei in München, Mesut Koç. Er ist 1970 in Deutschland geboren, hat den Prozess zu wichtigen Anlässen persönlich im Gerichtssaal verfolgt.

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Die Frau hinter der Nebelwand

Seit fünf Jahren beobachtet unser Reporter den NSU-Prozess. Mit Beate Zschäpe hat er mehr Zeit verbracht als mit vielen Freunden. Er weiß, welche Macht sie hat.

Die Eintrittskarte in ein neues Leben ist gelb und lässt sich an die Brust heften. Oben steht in Großbuchstaben „Oberlandesgericht München“, darunter „Akkreditierung im Verfahren Beate Zschäpe u.a. (NSU)“. 50 Exemplare gibt es. Eines davon, Nummer 38, gehört mir. Mein Name steht gleich unter dem von Zschäpe.

In ihrer Gegenwart habe ich in den vergangenen fünf Jahren mehr Zeit verbracht als mit vielen Freunden. Natürlich ist sie mir fremd geblieben. Ich habe ja nie ein Wort mit ihr gewechselt. Doch es geht nicht ohne sie. Zschäpe ist nicht nur die Angeklagte in diesem Prozess, sie ist der Prozess.

Ich sitze im Gerichtssaal, weil der gelbe Anstecker eine Sitzplatzreservierung für Journalisten im NSU-Prozess ist. Das Gericht hatte sie verlost, eine Woche vor Beginn des Verfahrens im Mai 2013. Seitdem schaue ich für ZEIT ONLINE hin und habe von der erhöhten Tribüne immer auch Zschäpe vor Augen.

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