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Rumpeln wie früher, gewinnen wie früher

  • Deutschland gewinnt gegen Portugal 1:0
  • Gomez trifft
  • Portugal auch, aber nur zweimal die Latte

Fazit

Vor dem Turnier musste man sich Sorgen machen. Joachim Löw, der Schöngeist, so schrieben alle, auch wir, wolle vor allem schönen Fußball spielen lassen. Das Ergebnis sei nicht so wichtig. Ein Affront im Land der Fußball-Rationalisten, das Schönspieler jahrzehntelang über die Klinge springen ließ und sich dann die Hartplatzasche aus den Knien pellte.

Der EM-Auftakt gegen Portugal war daher eine wohltuende Reise in die Vergangenheit. Schön war es nicht, was die deutsche Mannschaft da auf den Lemberger Rasen brachte, aber erfolgreich. Es war wenig zu sehen vom EM-Qualifikationstempo und –Spielwitz (10 Spiele, 10 Siege). Die deutsche Mannschaft rumpelte sich durch die 90 Minuten. Auch weil, das muss man zugeben, Portugal das in der Defensive ziemlich geschickt angestellt hat. Und selbst als die DFB-Elf durch Gomez in Führung ging und man ein paar WM-2010-Konter hätte erwarten können, ging nichts mehr. Stattdessen blockten die deutschen Abwehrspieler die Schüsse des Gegners mit allem, was sie hatten. Fuß, Bauch, Rücken. Wie früher eben.

Joachim Löw wird das nicht stören. Bei allen ästhetischen Ansprüchen: Er weiß, wie wichtig ein Sieg zu Beginn eines Turniers ist. Natürlich hätte er auch ein 4:2 Costa Rica wie 2006 genommen oder ein 4:0 gegen Australien wie 2010. Aber Portugal ist eine andere Liga. Der Sieg wird seiner durch die etwas missratene EM-Vorbereitung verunsicherten Mannschaft die nötige Ruhe geben. Und dann können wir ja noch einmal das versuchen, was alle zufrieden stellt: Schön spielen und gewinnen.

Unser Mann in Lemberg, Oliver Fritsch, twittert seine Zusammenfassung des Spiels: „Eigentlich ein idealer Start: Abwehrschlacht überstanden, Tormann aufgebaut, keine vorzeitigen Titelglückwünsche, Holland verliert.“

Und noch einmal Oli Fritsch: „Ästhetik ist ja Ansichtssache: Schön fand ich, dass sich die Deutschen am Ende in jeden Schuss warfen wie beim Eishockey.“
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Serdecznie witamy w Gdansk!

Seit Montag Abend dieser Woche bin ich in Danzig, zum ersten Mal. Trotz hoher Erwartungen muss ich sagen, dass ich überrascht, wenn nicht gar überwältigt bin von der Schönheit dieser Stadt. Umso mehr, wenn man bedenkt, wer alles an Danzig in all den Jahrhunderten herumgezerrt hat und wie zerstört es nach dem Zweiten Weltkrieg war.

Die Rechtstadt, der historische Kern der ehemaligen Hansestadt, wurde von den Polen in der Fünfziger und Sechziger Jahren in einer beachtlichen Leistung in großen Teilen wieder originalgetreu rekonstruiert. Etwa der Königsweg, das Grüne Tor, das Krantor, das ehemalige Stadttor aus Backstein und Holz und bekannteste Wahrzeichen Danzigs.

Westlicher, gut sichtbar von der Stadtmitte, recken die alten Kräne der Danziger Werft ihre Buckel in den Himmel. Sie haben das gleiche Stehvermögen wie Lech Walesa, Elektriker und Friedensnobelpreisträger, auch wenn sie heute von einem ukrainischen Unternehmen gesteuert werden. In meinen Erinnerungen, meinen ersten politischen, kam Anfang der Achzziger keine Tagesschau ohne den kleinen Schnauzbartträger aus. Walesa war in (West-)Deutschland ein Held. Im heutigen Polen glauben manche den Enthüllungsgeschichten, er sei ein KGB-Agent gewesen.

Aber ich bin ja hier, um über Fußball zu berichten, in erster Linie über die deutsche Nationalmannschaft. Die hat sich hier in ihrem Lager in Oliwa im Danziger Westen naturgemäß gut abgeschottet. Manchmal dürfen Journalisten zwanzig Minuten beim Aufwärmen zuschauen, manchmal bekommt man kurz Gelegenheit, mit einem Spieler zu sprechen. Mit drei Kollegen saß ich diese Woche mit Holger Badstuber am Tisch. Also dem Innenverteidiger, von dem das Trainerteam so schwärmt, der ihrem Ideal durch seine Spieleröffnung so nahekommt.

Wie das gesamte Team macht Badstuber einen gelassen selbstbewussten Eindruck. Das gilt umso mehr für Joachim Löw. Die, die ihn näher kennen, trauen ihm durchaus zu, dass er Lars Bender heute als rechten Verteidiger aufstellt. Das wäre mal eine Trainerentscheidung, Bender hat diese Position noch nie gespielt. Und dann gleich gegen Ronaldo …

Am nächsten sind Anna, meine Kollegin aus dem Print, und ich gestern einem anderen Fußballtrainer gekommen: dem norwegischen Nationaltrainer Egil „Drillo“ Olsen, der für das TV kommentieren wird. Er fuhr mit uns im Taxi vom Stadion in die Innenstadt. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich ihn nicht erkannte, dass ich nicht mal wusste, dass er seit drei Jahren wieder Trainer ist. Ich hatte ihn als Trainer der Neunziger in Erinnerung, obwohl er vor drei Jahren Deutschland mit seiner Elf in Düsseldorf 1:0 bezwang. Immerhin konnte ich einen der Torschützen des historischen 2:1-Siegs Norwegens gegen Brasilien (WM 98) nennen: Kjetil Rekdal. Anna und ich hoffen, dass wir mit der beglichenen Taxirechnung unsere Ignoranz wettmachen konnten, sind aber nicht sicher.

Heute fliege ich mit vielen anderen Journalisten nach Lemberg, das Danzig in nichts nachstehen soll. Ich melde mich von dort, werde vermutlich aber nicht viel von der Stadt sehen, weil der Rückflug auf 2 Uhr nachts terminiert ist. Schnell noch ein paar Eindrücke aus Danzig, auch darin das Krantor und das Denkmal der gefallenen Werftarbeiter, die Säule mit den drei Ankern und Kreuzen.

 

Noch hat Polen nicht verloren

  • Beide Mannschaften mit jeweils einem Platzverweis
  • Griechenland verschoss einen Elfmeter
  • Dortmunds Lewandowski traf für Polen

Fazit Zwei Tore, zwei Rote Karten, ein eingewechselter Torwart, der zum Helden wird – selten war in einem Eröffnungsspiel so viel drin. Das macht Lust auf mehr. Am Ende aber standen die Co-Gastgeber aus Polen etwas bedröppelt da. Es reichte nur zu einem 1:1 gegen den vermeintlich schwächsten Gruppengegner aus Griechenland. Dabei wurde der Grieche Dimitrios Salpingidis zur personifizierten Euphoriebremse. Er war es, der den Ball zum Ausgleich ins polnische Tor schob. Dass es nicht noch schlimmer für die Polen kam, war ihrem Ersatztorwart Tyton zu verdanken. Der war kaum auf dem Feld als er einen Elfmeter von Karagounis hielt.

Die Polen müssen sich fragen, warum sie nach der stürmischen Anfangsphase und der folglichen Führung plötzlich keine Lust mehr hatten, Fußball zu spielen. Noch aber hat Polen nicht verloren.

Schluss Das war’s. Polen ist etwas traurig.

83. Minute Das Spiel jetzt Schwergewichtsboxen, 12. Runde. Wer landet den Lucky Punch? Oder wird’s doch so ein Axel-Schulz-Ding?

Unser Mann in Kiew unterhält sich derweil mit dem ukrainischen Lokalfernsehen, schreibt er. Die nehmen auch jeden.

Was für ein Pech für die Griechen. Und dabei hatten sie kurz zuvor extra Konstantinos Fortounis eingewechselt.

71. Minute Drama, Baby! Was für eine Geschichte. Der frisch eingewechselte Torwart Tyton hält mit seinem ersten Ballkontakt den Elfmeter von Karagounis. Ein neuer Torwart-Tyton?

68. Minute Elfmeter für Griechenland und Rot für Szczesny. Polen ist geschockt.

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Ribéry macht Dampf, Oleh Blochin Stunk

Zwei Bilder, die uns heute aufgefallen sind: Franck Ribéry brütet in der übergroßen Cappuccino-Tasse und Ukraine-Trainer Oleh Blochin wütet vor nervenden Journalisten.

© Franck Fife/AFP/GettyImages

© Alexander Demianchuk / Reuters

 

Für eine Handvoll Futter – Krake Paul ist lange tot, Orakeltier allerdings ein Trendberuf

„Ich schwöre, Noah hat gesagt, die Arche legt erst um 17 Uhr ab“, brachte das Einhorn heraus, als es am verlassenen Bootssteg stand. Doch seine bessere Hälfte schnaubte nur. So oder so ähnlich muss es gekommen sein, dass kein Einhorn zum EM-Orakel erkoren wurde.

Es ist nämlich so: Früher war jedes EM-Orakel ein Tier. Heute ist jedes Tier ein EM-Orakel. Bundesweit haben Lokalradios und Dorfbürgermeister Maskottchen mit hellseherischen Fähigkeiten Hunger gekürt. Von der Ausreißer-Kuh bis zum Zwergotter ist jeder Buchstabe des Alphabets gleich mehrfach belegt, Mops und Möwenschwarm sind nur der Anfang.

Das Allerletzte? Zwergotter-Orakel. Foto: Peter Zschage / Morgenpost Sachsen via dpa

Trendsetter war der inzwischen verblichene Krake Paul aus Oberhausen. Vier von sechs Spielergebnissen sagte er bei der EM 2008 korrekt voraus, bei der WM 2010 lag er bei allen acht Versuchen richtig.

In der Folge erlebte die Krakenforschung ihre Blütezeit. Die Sensibilität von Pauls Geschmackssinneszellen wurde ebenso kontrovers diskutiert wie seine Vorliebe für helle Farben und horizontale Flächen. Ungarns führender Verhaltensforscher Vilmos Csányi erhob gar Manipulationsvorwürfe. Kurz: Es entspann sich ein Drama, das erst mit Pauls Tod im Oktober 2010 endete. Im spanischen Carballiño beteuerte man eilig, nichts damit zu tun zu haben. Das Örtchen ist zwar für seine Tintenfischverarbeitung bekannt, die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Paul nach dem spanischen WM-Sieg habe aber mitnichten den Wunsch nach Filetierung beinhaltet, hieß es.

Denkmal für Krake Paul
Meereszoo-Manager Stefan Porwoll vor dem Denkmal zu Ehren von Orakel-Krake Paul. Foto: Bernd Thissen / dpa

Der Konkurrenzkampf unter den tierischen Orakeln tobte zu diesem Zeitpunkt längst. Mani, der Sittich aus Singapur, wilderte in Pauls angestammtem Revier. Lazdeika, Litauens Lieblings-Harlekinkrabbe, konzentrierte sich lieber auf Basketball, Maggie the Monkey auf Eishockey.

Auf dieses Gebiet hat sich allerdings auch Magdalena spezialisiert, die missgebildete Schildkröte mit den zwei Köpfen.

Köpfchen für zwei: Schildkröte Magdalena, Eishockey-Orakel
Köpfchen für zwei: Schildkröte Magdalena, Eishockey-Orakel. Foto: Jaroslav Podhorsky / dpa

Den Ausgang der Partien der Fußball-EM in Polen und der Ukraine tippt der Eber Funtik in Kiew – mit 380 Kilo ein Leichtgewicht gegen Elefantenkuh Citta aus Krakau. Die hatte sich gegen Esel und Papagei aus demselben Zoo durchgesetzt – mit ihrer richtigen Vorhersage des Champions-League-Siegers. Das Gewerbe professionalisiert sich eben, die ersten Affären um eine Stallorder sind wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Derweil drängen Amateure en masse auf den Markt. Hier findet sich eine umfassende Liste. Am Ende wird selbst der sensationellste Sensationssieg von irgendeinem der flauschigen Viecher prophezeit worden sein. Da können die einzelnen Vertreter der Branche Orakel-Tier noch so unqualifiziert sein. Andererseits: Punxsutawney Phil, Titelheld des Films „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und Urvater aller Orakeltiere, prophezeit im US-Bundesstaat Pennsylvania wie seine Vorgänger seit 1887 an jedem 2. Februar, wie lange der Winter noch dauert. Mit dürftigem Erfolg: Richtig lag er nur in 39 Prozent der Fälle.

Da könnte man lieber eine Münze werfen. Aber darum geht es ja nicht. Außerdem: Kinder und Tiere gehen immer. Alte Journalistenweisheit.

 

Alle EM-Stadien in Google Street View

Die Errichtung der Spielstätten zählt bei Europa- und Weltmeisterschaften traditionell zu den größten Kostenfaktoren. Auch in Polen und der Ukraine wurden eigens Stadien neu gebaut oder für viel Geld saniert. In einigen Fällen sogar mit sehr viel Geld. Wer schon vor Anpfiff einen Blick in das Innere der Spielstätten werfen möchte, kann das per Google Street View tun:

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(via)

 

Wer spielt edel, wer schläft nur so?

„Wie man sich bettet, so spielt man“ lautet eine alte Fußballerweisheit. Kein Wunder, dass die Mannschaften der Europameisterschaft ganz genau darauf achten, wo sie sich nun betten. Luxus trumpft dabei Reisezeit: Neben dem Gastgeber haben nur zwei weitere Mannschaften (Frankreich und Schweden) ihr Lager in der Ukraine bezogen. Der Rest hat sich auf polnischem Boden eingenistet und darf sich auf weite Wege durch Osteuropa freuen.

Doch was sagen die Häuslichkeiten über die Teams aus? Wer spielt edel und wer schläft nur so? Wir wagen eine Analyse.

Deutschland

© Marcus Brandt/dpa

Schon das Lager der deutschen Nationalmannschaft versprüht mehr Lenor als Jogi Löw beim Hemdenkaufen. „Dwór Oliwski“, Olivaer Hof, heißt das Teamhotel. Es liegt im Danziger Stadtteil Oliwa, auch „Tal der Freude“ genannt, und ähnelt einer Dorfidylle wie man sie sonst nur aus polnischen Heimatfilmen kennt. Ähnlich schmalzig bezeichnete der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach die Wahl als „Liebe auf den ersten Blick“. Dabei sollte man nach den jüngsten Leistungen der Mannschaft eine etwas härtere Gangart erwarten. Soll heißen: mehr Trainingscamp und weniger Wohlfühl-Bubble. Vielleicht brauchen die Deutschen diese provinzielle Idylle aber auch, bevor der BVB-Block sich abspaltet und nächstes Mal als eigenes Team aufläuft. Teilen sich Hummels und Mertesacker eigentlich ein Zimmer?

Griechenland

© Peter Andrews / Reuters

In Griechenland gibt es derzeit wahrlich wenig zu lachen. Deswegen sind die meisten Griechen-Witze noch schlechter als die Quoten auf einen zweiten EM-Sieg. Um es den gebeutelten Südländern dennoch so angenehm wie möglich zu machen, versuchen es die Gastgeber mit Palmen, Marmor und antiker Architektur. Pech nur, dass die Mannschaft auch in der Post-Rehakles-Ära ähnlich altertümlich und oft mit der Grazie eines Baby-Elefanten (im Bild rechts) spielt. Immerhin, das Wein-Angebot des Warszawianka Hotel in Jachranka soll einen hohen Stellenwert genießen.

Spanien

© Peter Andrews / Reuters

Was ist eigentlich mit den Spaniern los? Erst belegt der Verband die Spieler mit einem Twitter-Verbot, dann nehmen sie ein ganzes polnisches Dorf in Beschlag. Selbst die Bewohner Gnewins dürfen die nächsten Wochen nur noch mit Zutrittsberechtigung „einreisen“. Sind das erste Anzeichen von Star-Allüren? Ein Erwachen imperialistischer Wurzeln? Oder hat die „rote Furie“ angesichts der großen Erwartungen einfach Muffensausen? Abgesehen von viel Ruhe bietet das Mistral Hotel auch ein großes Billard-Angebot. Können die Spanier das überhaupt? Einlochen. Ok, doofe Frage.

England

© Kacper Pempel / Reuters

Ganz anders als die Spanier hausen die Engländer. Der gemeine englische Fußballer gilt als geselliges Wesen, bisweilen etwas zu gesellig. Deswegen vergraben sich die Engländer auch nicht in abgesperrten Arealen, sondern beziehen ihr Quartier mitten in Krakaus Innenstadt. Da ist das Leben, da sind die Fans und es ist auch nicht weit, um nach dem Dinner noch einige Pint im nah gelegenen Pub zu zünden oder sich vor den britischen Tabloids zu blamieren. Vielleicht haben die Engländer aber auch mehr Stil als man denkt. Die Zimmer des Hotel Stary jedenfalls sind beeindruckend in Größe und Eleganz, ganz anders als John Terrys Charakter also. Unklar ist, ob auch in Doppelzimmern die Badewanne neben dem Bett steht. Aber wie gesagt: Die Engländer sind ja gesellig.

Portugal

© Reuters

„Wo befreundete Wege zusammenlaufen, da sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus.“ Dieses Zitat von Hermann Hesse ist in den flauschigen Teppich des Hotels in Opalenica gewoben. Hier gastiert die portugiesische Mannschaft. Erstaunlich, vermutet man hinter Spielern wie Cristiano Ronaldo angesichts seiner Freistoßzelebration doch eher einen Fan gediegener Wildwestliteratur. Sonst hat die Behausung weniger mit der südländischen Heimat als mit nordischem Minimalismus zu tun. Einzig der Preis ist so heiß wie die Sonne an der Algarve: Mit 33.000 Euro pro Tag ist es das teuerste aller EM-Quartiere, Haargel und der Frisör von Fábio Coentrão exklusive. Vielleicht wollten sie es tatsächlich – frei nach Hesse – nur für eine Stunde (oder Vorrunde) buchen.

Schweden

© Gleb Garanich / Reuters

Im Gegensatz zu den Luxushotels der Konkurrenz haben sich die Schweden pragmatisch eingenistet. Das Platium Hotel (nein, hier wurde kein ’n‘ vergessen) außerhalb Kiews versprüht schon von Außen einen Charme zwischen Tanke und Rastplatz. Im Inneren ist es nicht besser: Die Badezimmer sind in stilsicherem Braun gehalten (oder ist das schon Terrakotta?), die Hometrainer sehen aus, als würde an ihnen noch der Schweiß aus UdSSR-Zeiten haften. Das passt einerseits zum schwedischen Spiel (ernst, kompakt, ohne Schnickschnack), stößt sich andererseits an schwedischen Designmaximen (offen, hell, ästhetisch schön). Ob dieser Kulturschock mal gut geht. Was wohl der Lebemann Zlatan Ibrahimović über diese Wahl sagt?

 

Warum das Blog zum EM-Blog wird

In Moskau erstarrte Boris Gelfand, als die Schach-Weltmeisterschaft vor wenigen Tagen entschieden wurde. Wie unser Reporter Ulrich Stock bloggte, bekam der Herausforderer rote Flecken vor Aufregung. Am Schachbrett war mehr Anspannung als vorm Elfmeterschießen mit Arjen Robben. Kann man das steigern? Geht noch mehr Drama? Wollen wir mal sehen.

In einigen Stunden wird die Europameisterschaft 2012 angepfiffen. Fußball! Auf vielen Titelseiten, Werbebroschüren, Busplakaten ist es das wichtigste Thema. Einige sagen EM, andere Euro, alle meinen das Spiel mit dem Ball und den Ausnahmezustand, der eintritt, wenn EM (oder WM) ist.

Auch wir können und wollen nicht anders. Christian Spiller, der SportChefvomDienst in der Berliner Sportredaktion von ZEIT ONLINE, wettet darauf, dass Italien weiter kommt als Holland. Eike Kühl glaubt die Spanier zu verstehen. Tobias Jochheim, eigentlich Experte für Dogdance, fühlt sich mit dem (Achtung!) EM-Underdog aus Irland patenschaftlich verbunden.

Oliver Fritsch ist unser Mann im Koffer von Joachim Löw. Gemeinsam mit der ZEIT-Reporterin Anna Kemper wird er im DFB-Trainingslager in Danzig unwissenden Nationalspielern das korrekte Hinterlaufen erklären. Und ich, ich sitze wegen dieses fußballgeschuldeten Ausnahmezustands vier Wochen in Kiew, schaue auf etwas Lautes und will verstehen, was die EM mit der Ukraine und die Ukraine mit der EM macht.

Gemeinsam haben wir als EM-Team von ZEIT ONLINE was vor. In der Gesprächsserie „EM-Schnack“ wollen wir mit unterschiedlichen Persönlichkeiten abwechselnd und täglich über ihre EM-Abende sprechen – vom ukrainischen Stabhochspringer Sergej Bubka über den polnisch-deutschen Boxer Darius Michalczewski bis hin zum reichsten Mann Polens.

Für unser EM-Tweet-Projekt suchen wir zu jedem Spiel die beste Spielzusammenfassung in 140 Zeichen. Schicken Sie uns Ihren #emtweet und verfolgen Sie unsere Gedanken auf @zeitonlinesport. Wenn Sie uns auf Twitter folgen, verpassen Sie zudem auch so gut wie keine Bewegung unserer Reporter vor Ort.

Während des Turniers wird jede EM-Mannschaft zusätzlich von jeweils einem ZEIT-ONLINE-Redakteur oder -Autor begleitet, unseren EM-Paten. Die Patentanten und -onkels haben ihre Teams bereits vorgestellt. In Anschluss an die EM-Spiele verfassen sie ihren persönlichen Spielbericht.

Und: Alle Spiele und Tore gibt es in unserem Live-Ticker, die wichtigsten Partien bloggen wir an Ort und Stelle, hier also, hoffentlich gewohnt unterhaltsam live.

Walerij Lobanowskyj

Falls es Ihnen nach der Protzerei noch nicht aufgefallen ist: Gemeinsam haben wir in etwa so viel Fußballsachverstand wie die Trainerlegenden Lobanowskyj, Rehhagel und Basler zusammen. Dank der Übersetzungshilfen von Daria Ignatenko vielleicht gar etwas mehr. Um dem unmittelbarer gerecht zu werden, wird dieses Sportblog für einen Monat zum EM-Blog des ZEIT-ONLINE-Sportteams.

Wir wollen diesen Kanal nutzen, um Momente zu teilen, etwa aus dem Speisesaal des deutschen Teamhotels oder aus Kiews U-Bahn. Vielleicht posten wir hier Kurzweiliges, vielleicht schlechte Witze aus dem Redaktionsalltag, vielleicht den allerbesten EM-Tweet. Wollen wir mal sehen …

 

Anand oder Gelfand – Tag der Entscheidung

17.29 Die Pressekonferenz endet, und Ihr Schachreporter bedankt sich für die Aufmerksamkeit.

17.27 Gelfand hätte die dritte Partie im Tiebreak gewinnen können. Er tat es nicht, danach war es schwierig. Anand hatte die besseren Nerven, Gelfand verbrauchte zu viel Zeit.

17.23 Die Pressekonferenz läuft noch. Gelfand betont einmal mehr, daß er gekommen sei, um Schach zu spielen. Und das habe er getan. Ich glaube, man muss das alles erst einmal verdauen. Verstehen auch, ob das, was sich heute nachmittag hier zugetragen hat, dem Schach neue Perspektiven eröffnet, Aufmerksamkeit qua Spektakel, oder ob Hauen und Stechen in dieser Form dem Schach abträglich ist. Dafür wird auch die Qualität der Partien eine Rolle spielen.

17.10 Pressekonferenz. Vor Kameraleuten und Fotografen kaum ein Durchkommen. Die Kollegen stehen auf Stühlen und Tischen. Wie immer ist kaum ein Wort zu verstehen, weil überall rundherum gequatscht wird. Boris Gelfand bittet wiederholt um Ruhe, teilweise sich selber, weil seine Stimme zeitverzögert über den schlecht schallisolierten VIP-Raum zu ihm nach vorne hallt. Gelfand hat rote Flecken im Gesicht, nicht zum ersten Mal.  Anand wirkt gelöst, lächelt. Beide schildern kurz ihre Sicht des Matches. Anand fand es sehr eng, der Verlust der siebten Partie habe ihn schwer getroffen. Wie gut, daß er gleich in der achten ausgleichen konnte. Nun, was soll er auch sagen.

Vierte Schnellpartie Anand-Gelfand endet remis. Schlussstand: 2,5 zu 1,5

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