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Tusch hier, Tusch da

 

Es muss nicht immer Marsch sein, was aus dem Blechtrichter tönt. Das Hypnotic Brass Ensemble aus Chicago lässt dem Sousafon den Groove entfahren

Cover

 
Hypnotic Brass Ensemble
 
Von seinem unbetitelten Album Honest Jon’s (2009)
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Blasmusik ist etwas für Schwerhörige und Militärfanatiker? Kaum mehr als die Untermalung von Karneval und christdemokratischer Wahlkampferöffnung? Von wegen!

Zumindest in England tönt ein Haufen Bläser gerade tief in die Popmusik: das Hypnotic Brass Ensemble aus Chicago, acht Bläser und ein Schlagzeuger. Blur und Mos Def holten sie auf ihre Bühnen, Erykah Badu und Maxwell ins Studio, auch auf Tony Allens kürzlich erschienener Remixplatte waren sie zu vernehmen. Das sind doch Referenzen!

Das Hypnotic Brass Ensemble ist beinahe eine Familienangelegenheit. Acht Söhne des Jazztrompeters Phil Cohran pusten in die verschiedensten Blechinstrumente, Christopher Anderson haut dazu den Takt. Phil Cohran spielte einige Zeit mit Sun Ra und vererbte seinen Söhnen die Lust, am Jazz zu Experimentieren. Das Hypnotic Brass Ensemble lässt keinen Takt gerade, Soldaten und Karnevalisten stolperten gleichermaßen zu ihren Rhythmen. Gut so.

Schon richtig, große Bläserensembles gehören auf die Straße. Von dort kommen auch die hypnotischen Brasser. Lange Zeit traten sie als Marching Band auf, vor fünf Jahren gingen sie erstmals in ein Studio und nahmen einige Lieder auf, kopierten CDs und verkauften sie am Straßenrand und während anderer Auftritte. Nun erscheint ihr erstes Album beim britischen Label Honest Jon’s. In ihrer Heimat interessiere sich bislang noch niemand für ihre Musik, sagen sie.

Und was in den Häuserschluchten großer Städte und auf den matschigen Wegen ländlicher Festivals die Leute mitreißt, wirkt auch aus der Konserve. Auf Augenhöhe fauchen vier Trompeten, mal besonnen, meist hektisch. Weiter drunten blasen zwei Posaunen, Tusch hier, Tusch da. In der Magengegend bollert ein Baritonhorn. Das bringt Erdung, ist häufig aber übertönt, nein, besser gesagt untertönt vom Sousafon. Was für ein Instrument! Wie eine Python wickelt es sich um den Rumpf seines Spielers und scheint ihn fast zu ersticken. Dem ausladenden Trichter – es hat einen Durchmesser von mehr als einem halben Meter – entfährt sanftes groovendes Brummen.

Und jeder Musiker hat etwas zu sagen, am liebsten alle gleichzeitig. Großzügig versprühen die Neun flackernden Funk – ohne modernistische oder ironisierende Verzierungen, ohne Gitarren, Synthesizer, ohne Sampler und Rapper. Manchmal klingt’s wie aus einem fünfzig Jahre alten Kriminalfilm, manchmal wie in der Kaffeebar, und manchmal wie in Lagos. Wer weiß, von solchem Gepuste erfüllt würden vielleicht selbst Karneval und christdemokratischer Wahlkampf interessant.

Das unbetitelte Debütalbum des Hypnotic Brass Ensembles ist auf CD und LP bei Honest Jon’s/Indigo erschienen.

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