Der Münchner Christian Prommer bringt zehn Klassiker der elektronischen Musik neu zum Klingen. Sein Jazzquartett verleiht den Stücken auf dem Album „Drumlesson Volume 1“ Wärme.
Oft ist die Idee eines Albums besser als ihre Umsetzung. Vor allem beim Vermengen von Musikstilen bedeutet neu nicht unbedingt gut. Viele Ideen werden binnen Wochen zu unerträglichen Maschen. In den Achtzigern trafen sich Pop und Klassik, später Klassik und Metal, vor ein paar Jahren wurde New Wave in Bossa gewandet, Poplieder kamen als Swing oder Easy Listening daher und Rap und Metal gingen geheimnisvolle Allianzen ein. Eine neuere Mode ist es, Rockklassiker auf karibisch zu trimmen. Oft klingen solche Mixturen, als hätte der Meisterfälscher Konrad Kujau seinen feinen Pinselstrich mit minderwertigem Gerät geführt, die Mona Lisa mit Wachsmalstiften und Kandinski mit Filzern kopiert.
Noch ein Versuch: Der Münchner Musiker und Produzent Christian Prommer bringt auf Drumlesson Volume 1 Elektronik und Jazz zusammen. Er ist nicht der erste, schon der Nu Jazz der späten Neunziger lebte von akustischen Sprenkeln im elektronischen Ambiente. Heute klingt solche Musik bieder, man hört sie bei Starbucks und bei Karstadt im Fahrstuhl.
Prommer macht es anders, und er macht es gut. Zehn wahrhaftige Klassiker der elektronischen Musik nimmt er sich vor und lässt sie von einem Jazzquartett umsetzen. Er selbst arrangiert und produziert die Stücke. House-Musik wie Mr. Fingers Can You Feel It aus den späten Achtzigern steht neben mehreren Techno-Stücken aus den Neunzigern, manche neuere Produktion wie Âmes REJ neben dem 30 Jahre alten Trans Europa Express von Kraftwerk. Prommer mischt die Stile bedacht, er verziert nicht bloß den mit dem anderen. Das Analoge und das Digitale durchdringen sich in seiner Musik. Dabei tönt weit und breit keine Elektronik. Drumlesson Volume 1 ist eine Jazzplatte.
Hier waltet die Liebe zum Detail. Die Stücke sind weise gewählt, sie repräsentieren unterschiedliche Schulen des Tanzflächenfüllens, Old School Chicago House, Detroit Techno, Minimal und wie sie alle heißen. Aufgenommen wurde das Album an einem Tag in einem Münchener Studio mit namhaften Jazzmusikern. Wolfgang Haffner spielt das Schlagzeug, Ernst Ströer die Perkussion. Über die Tasten des Flügels tanzen die Finger Roberto Di Gioias, Dieter Ilg zupft den Kontrabass. Vier Große, die schon mit noch Größeren des Genres im Studio und auf der Bühne standen, mit Bill Evans, mit Till Brönner, mit Passport.
Die vier Musiker greifen das Stumpfe, das Treibende des House immer wieder auf, selten verlassen sie den Takt, so als hörten sie die Originale im Kopfhörer während sie selbst spielten. Sie lösen die starren Strukturen auf ihre Art auf, spielerisch. Da wechseln sich Kontrabass und Klavier in der Melodieführung ab, springt der Bass plötzlich an die Stelle der Trommel und treibt den Rhythmus an. Bei Higher State Of Consciousness haut Roberto Di Gioia einen scheppernden Takt in die abgedämpften Tasten seines Flügel. Josh Wink schrieb das Stück vor 13 Jahren, er habe beim Hören dieser Version eine Gänsehaut bekommen, sagte er.
Bei Trans Europa Express wird offensichtlich, dass Prommer auch eine Art Rückführung betreibt. Kontrabass und Schlagzeug spielen ein typisches Jazzmotiv, einen Rhythmus, der klingt wie eine stampfende Dampflock. Kraftwerks frühe Arbeiten Anfang der Siebziger orientierten sich an solchen bildhaften Rhythmen, reduzierten sie und kühlten sie ab. Prommer bringt sie nun wieder auf Körpertemperatur, haucht ihnen neues Leben ein. Das Klavier übernimmt die repetitive Melodie, eigentlich nur ein ansteigender Klang. Di Gioia variiert sie immer wieder ganz leicht und bringt Distanz zwischen Original und Kopie. Und plötzlich klingt die Kopie wie ein neues Original.
Manche Stücke werden nicht zum ersten Mal so stark verfremdet. Francesco Tristano spielte zuletzt Derrick Mays Strings Of Life auf dem Flügel, ganz ohne Schlagzeug. Hier nun klingt es wieder ganz anders. Das Klavier umspielt flirrende Perkussion, der Bass taucht aus grummelnden Tiefen an die Oberfläche und stellt sich den Tastenarabesken entgegen.
Im zweiten Teil der Platte tritt die Basstrommel in den Vordergrund und stimmt den dumpfen House-Schlag an. Bei Claire ist das so und bei Higher State Of Consciousness. Der freien Improvisation lässt das Konzept wenig Raum, jedes Instrument trägt den Rhythmus, keines kann sich für mehrere Takte lossagen und sein eigenes Lied singen. Auch hier liegt das Besondere im Detail, in den leicht überhörbaren Schlenkern, die sich die Musiker hin und wieder erlauben.
Das Beeindruckende an Drumlesson Volume 1 ist, dass es seine Geschichte selbst erzählt und der theoretische Hintergrund letztlich bedeutungslos ist. Man muss sich die Nächte in den Achtzigern nicht in Clubs um die Ohren geschlagen haben, um Wohlklang zu empfinden. Man muss die zehn Originale nicht einmal kennen, um von der Kraft des Albums ergriffen zu werden.
Aber was stellt man nun mit diesem Bastard an? Soll man ihn wie eine gute Jazzplatte bei Rotwein am Kamin in High Fidelity genießen? Oder im Club dazu tanzen? Beides wäre einen Versuch wert.
Mit Christian Prommer und seinen Musikern unterwegs in Hamburg – eine Bildergalerie »
„Drumlesson Volume 1“ von Christian Prommer’s Drumlesson ist bei Sonar Kollektiv erschienen.
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