Verkehrte Welt: Die eigene Angst richtet sich nicht auf das Erwachen von Gewaltbereitschaft irgendwo anders, sondern paradoxerweise auf die emotionale Ablehnung aller Gewalt hier bei uns.
Oktober 2014
Opole: Gestern im Kino gewesen, in Miasto 44 (Stadt 44). Junge Leute im Warschauer Aufstand. Patriotismus, jugendlicher Übermut, erste Liebe – und dann: das Schlachten; eine ganze Generation wird in den Straßenkämpfen ausgelöscht. Die Willkürlichkeit dieses Gemetzels trifft mich ins Gedärm. Das Erschütternde ist aber, wie ich bald begreife, nicht die Sinnlosigkeit des Krieges selbst, sondern die Angst, dass nur wir Europäer vielleicht derart reflektieren, was Krieg ist. Anderswo auf der Welt hingegen die Verherrlichung des Krieges, des Tötens, des Enthauptens desjenigen, den man im Namen welcher Sache auch immer als Feind betrachtet, nicht aber als Mensch. Verkehrte Welt: Durch unser geschichtlich gewachsenes Bewusstsein und unseren Pazifismus werden wir mitfühlend, und dadurch wiederum ein leichtes Ziel. Meine Angst richtet sich also nicht auf das Erwachen von Gewaltbereitschaft irgendwo anders, sondern paradoxerweise auf die emotionale Ablehnung aller Gewalt hier bei uns.
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