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Sebastian Zarius

Werke aus Plastiktüten, digital verändert, zeigt der Künstler im Rahmen seiner Ausstellung „Goma“ im Projekthaus.

Goma ist der Name einer umkämpften Stadt im Kongo und auch das spanische Wort für Gummi. Somit hätten wir schon zwei Hinweise auf die Arbeiten von Sebastian Zarius, der die zentralafrikanische Republik schon früh bereiste und der sich gleichzeitig mit dem Material Polyethylen beschäftigt. In seiner aktuellen Werkgruppe Goma nimmt Sebastian Zarius Plastiktüten auseinander, fügt sie in Fotogrammen neu zusammen und verändert sie digital. So entstehen Bilder mit zerkratzten Feldern und bunten Balken, die das Lesen des Textes im Hintergrund unmöglich machen. Im Ankündigungstext heißt es dazu: „In umfangreichen Serien überschreibt der Künstler das Ausgangsmaterial, macht die Chiffren unkenntlich, kratzt und zerstört im digitalen Prozess, und schafft sich ein vollkommen neues Spielfeld aus Formen und Farbe.“ Zur Eröffnung der Ausstellung im Projekthaus spielt die Hamburger Band Baumhaus.

 

Schlammpeitziger

Der König der Weirdos in Sachen elektronischer Musik präsentiert seinen neuen Tonträger live im Nachtasyl des Thalia Theaters.

Kurz nach dem großen Techno-Knall vor ca. 25 Jahren bildete sich in Köln eine Szene von Knöpfchendrehern, die unter elektronischer Musik etwas anderes als nur Dancefloor-kompatible Beats verstanden. Unter diesen eh‘ schon ziemlich unkonventionell vorgehenden Musikern gab es einen, den man schnell als König aller Weirdos ausmachen konnte. Schon sein Name, Schlammpeitziger, klang nicht nach 4-to-the-floor-Langeweile. Und seine Musik hielt, was der lustige Name und die abstrusen Titel seiner Tracks (wie Erdrauchharnschleck) versprachen: eine Mischung aus Low-Fi, Casio-Sounds, komischen Geräuschen und abstrakter Elektronik – das Ganze getarnt als Tanzmusik. Mehrere Alben und einen ganzen Haufen Remixe (unter anderem für Depeche Mode, The Bionaut, Barbara Morgenstern und Egoexpress) später ist der Mann, der mit bürgerlichem Namen Jo Zimmermann heißt, immer noch am Start. Sein neues Werk, What’s Fruit?, ist soeben beim Pingipung-Label erschienen. Zur Präsentation der neuen Tracks geht es am 10. Oktober ins Nachtasyl.

 

Soul Weekender

In Clubs, Bars und zu Wasser auf Partybarkassen spielen sich Soul-DJs aus Europa in Rage – unter anderem Brett Franklin und Paul Grant.

Auf echte Soulfreunde wartet mal wieder ein wundervolles Wochenende. Drei Tage lang geht an Land und zu Wasser einer der größten Soulweekender Europas über die Bühne. Das diesjährige Line-Up bietet unter anderem mit Mick H, Dave Ripolles, Henning Boogaloo, Brett Franklin, Barry Close, Paul Grant und DJ Sigher geballte Soulpower. Da kann jeder seine präferierte Spielart herauspicken – von Northern Soul über Modern Soul und R&B bis Crossover werden im Club (Gruenspan und Komet), in der Bar (Hamburger Botschaft) und wie immer auch auf der Elbe (Frau Hedi und Frau Claudia) ein schmackhaftes All-you-can-hear-Buffet geboten. Wer mit aufs Boot will, sollte sich übrigens sputen mit dem Kauf von Karten. Diese und das komplette Programm gibt es unter auf der Homepage des Soul Weekenders.

Text: Ole Masch

 

Pink Saris

Tradition, Religion, Elend, Kritik und Protest: Das Metropolis Kino zeigt vom 9. bis zum 14. Oktober neue Filme aus Indien.

Einen kritischen Blick auf die indische Gegenwart werfen Filme, die häufig als internationale Co-Produktionen entstanden, weil ihre Regisseure im Ausland leben. So schildert der aus Kanada kommende Richie Mehta in seinem Roadmovie Siddharth (9./10.10.) die großstädtische Realität aus der Sicht eines Vaters, der auf der Suche nach seinem irgendwo zwischen Delhi und Mumbai verschollenen Sohn in Kontakt mit Kinderhändlern gerät. Die scharfen Gegensätze weiblicher Lebenswelten nehmen zwei Dokumentarfilme ins Visier: Gulabi Gang (13./14.10.) porträtiert die feministische Eingreiftruppe, die mit ihrer Pink Sari Revolution (Foto) dem indischen Machismo tatkräftig Paroli bietet, während The World Before Her (14.10.) die Wahlen zur Miss India und den Protest einer fundamentalistisch-hinduistischen Bewegung gegen jede Art der „Verwestlichung“ verfolgt. Cineastisches Highlight aber ist zweifellos das musikbegleitete Stummfilmmärchen Die Abenteuer des Prinzen Achmed.

 

James Brown

Geschichte, wie der Pop sie schreibt: Das bewegende Leben des „Godfathers of Soul“ erzählt dieser Film nach – mit all seinem Glamour und seiner Gewalt.

Get on Up ist kein handelsübliches Biopic, kein moralisches Märchen von Aufstieg und Fall des James Brown. Get on Up ist pure Verherrlichung mit den Mitteln des Pop. Die Schattenseiten dieses Lebens werden darüber freilich nicht ausgeblendet: nicht die Herkunft Browns aus den tristesten Verhältnissen im amerikanischen Süden, nicht die Drogen- und Waffendelikte mitsamt Gefängnisstrafen. Doch „the hardest working man in show business“ mag seine Musiker nur schleppend oder auch gar nicht bezahlen, seine Ehefrau verprügeln oder seine Angestellten zusammenstauchen, stets steht Mr. Brown blendend da: schon als Kind im Boxring oder Bordell; als Sänger im Gospel-Chor wie auch als Little-Richard-Adept; auf der Bühne des Apollo-Theaters in Harlem genauso wie im Oval Office des US-Präsidenten. Vor allem aber natürlich am Mikrofon: Dort entfacht der Hauptdarsteller Chadwick Boseman als James Browns getreulicher Impersonator singend und tanzend ein Feuerwerk, das die in die Kulissen verbannten Rolling Stones wie biedere Chorknaben aussehen lässt.

 

„Die kosmische Oktave“

Wer passt zu wem und aus welchen Gründen? Goethes „Wahlverwandtschaften“ in einer Inszenierung des Berliner Regisseurs Ulrich Rasche.

Ob das wohl immer noch so ist, dass Schüler bei der Lektüre des Werther vor Rührung heulen, während sie bei den Wahlverwandtschaften angestrengt ächzen? Statt des großen Gefühls, das alles andere mitreißt, nähert sich Goethe in letzterem Buch sehr planvoll den Fragen um Liebe und Beziehung. Was passt zusammen und was nicht? Und was ist, wenn sich aus alten Konstellationen neue bilden? Auf einer anderen Ebene thematisiert das auch ein Deutschland im Wandel. Die Dekonstruktion von Altem und das zeitgleiche Entstehen von Neuem interessiert den Berliner Regisseur Ulrich Rasche an dem Stück. Sein Theaterprojekt Die kosmische Oktave, das laut Kritikerstimmen „aufwühlend und betörend“ sein soll, basiert auf Goethes großem Bildungsroman, ist aber doch völlig anders: mit einem ganz neuen Text von Nis-Mommen Stockmann und viel Musik des amerikanischen Komponisten Ari Benjamin Meyers, unter anderem bekannt durch die Einstürzenden Neubauten. Das Stück wird im Rahmen des Vernetzt# Zukunftcamp aufgeführt.

Text: Katharina Manzke

 

Vernetzt Zukunftscamp

Mit Vorträgen, Filmen, Diskussionen, Tanz und Theater widmet sich die Veranstaltung den wichtigen Fragen unserer Zeit. Gäste: Katja Kullmann, Kurt Biedenkopf u.a.

„Welche großen Umbrüche und Herausforderungen liegen vor uns – und (wie) können wir sie bestehen?“ So lautet die zentrale Frage des dreitägigen Camps auf Kampnagel, mitorganisiert von der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Insgesamt 25 Veranstaltungen, Vorträge, Diskussionsrunden, Filme, Tanz, Theater, Kunstinstallationen und Workshops thematisieren das Motto All is lost // Nichts ist schon zu spät; als Gäste werden unter anderen der englische Professor und Experte für wissenschaftliches Rechnen Stephen Emmott, der isländische Schriftsteller Andri Snær Magnason, die Autorin und Journalistin Katja Kullmann (Rasende Ruinen. Wie Detroit sich neu erfindet, Suhrkamp 2012) sowie der Jurist und ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) erwartet. Vernetzt# Das Zukunftscamp 2014 geht noch bis zum 11. Oktober. Infos und Anmeldung unter www.vernetzterleben.de.

 

FM Belfast

Nur kauzig von außen, ansonsten nett und harmlos: Die isländische Band präsentiert ihr neues Album live im Uebel & Gefährlich.

FM Belfast stammen aus dem isländischen Reykjavík und spielen netten, harmlosen Synthie- und Sequenzer-gestützten Elektro-Pop mit Achtziger-Einschlag, also einer dieser Musikstile für zu spät Geborene. Die Besetzung der Gruppe schwankt zwischen drei und acht Mitgliedern, inklusive Überschneidungen zu der zurzeit zweitbekanntesten Band Islands, Múm. Anders als bei diesen oder bei Islands Nummer 1, Sigur Rós, schlägt die Insulaner-Kauzigkeit bei FM Belfast eher optisch als musikalisch durch. Ob Fliege, Hosenträger, komische Frisuren und bunte Klamotten plus Standard-House-Beats mit gefälligen Refrains und wackeligen Falsettstimmen einen tollen Abend ergeben können, wird sich zeigen, wenn Árni Rúnar Hlöðversson, Lóa Hlín Hjálmtýsdóttir mit ihrer Gang das Uebel & Gefährlich entern, um ihr aktuelles Album Brighter Days live vor zu stellen.

 

Eat & Style

150 Aussteller, 50 Profiköche und jede Menge Leckereien zum Naschen und Probieren – hier wird Ernährung zum Lifestyle.

Die Art der Ernährung ist zum Statement des persönlichen Lifestyles geworden. Hip ist plötzlich, wer seine Marmelade selbst einkocht und sich an der heimischen Espresso-Maschine wie ein Profi-Barista verhält. Dass es noch mehr Philosophien und Trends in Sachen Ernährung gibt, zeigt die Messe Eat & Style: Rund 150 Aussteller, nationale und regionale Produzenten sowie 50 Profiköche verwandeln die 6000 Quadratmeter des Schuppen 52 im Hamburger Hafen in ein Food-Festival. Bekannte Stars und junge Gesichter der deutschen Kochszene stellen sich dort vor: So zeigt beispielsweise Nicole Just, Beststellerautorin und Verfechterin des veganen Lebensstils, wie man ohne tierische Zutaten Cupcakes backt; in der Männerecke gibt Fleischprofi Lucki Maurer Tipps rund ums perfekte Steak; die Sommelière Romana Echensperger präsentiert heimische Weine und gibt ihr Wissen in täglichen Seminaren an die Besucher weiter. Probieren und Naschen stehen im Mittelpunkt der Messe. Besonders interessant dürfte da der Bereich TrendKitchen sein: Dort bieten lokale Köche wie Thomas Sampl vom Restaurant Vlet und Fabian Ehrich, Chefkoch des Fuh, ihre besten Gerichte in Vorspeisengröße zum Verkosten an. Die Messe findet vom 3. bis 5. Oktober statt.

Text: Julia Braune

 

Pfeffersäcke & Verfolger

Unlineares Dokutheater von Intendantin Karin Beier: „Pfeffersäcke im Zuckerland & Strahlende Verfolger“, am 2. und 7. Oktober im Schauspielhaus.

Nachts im Museum werden die Exponate lebendig. In Karin Beiers „Menschenausstellung“ klopfen die Schauspieler in ihren Glaskästen an die Scheibe: Setzen Sie den Kopfhörer auf, hören Sie mir zu! Das Theaterstück ist begehbar: Man bahnt sich im Malersaal seinen eigenen Weg durch die Vitrinen, präsentiert wird der Deutsche im Ausland. In selbstherrlich-laienanthropologischen Weltbetrachtungen deutscher Auswanderer in Brasilien wird ein Kultur-Clash geschildert, bei dem nur einer richtig Fahrt drauf hatte. Beim Surfen durch die Kanäle entwickelt sich ein mehrstimmiges Bild im Plauderton, dabei sind alle Geschichten echt: Pfeffersäcke im Zuckerland ist aufregend unlineares Dokutheater, jeder Zuschauer remixt sich die Aufführung selbst. Dann schließt die Ausstellung, die Museumswärter kommen zu Wort: Als slapstickhafte Wutrede wird der Elfriede-Jelinek-Text Strahlende Verfolger aufgeführt, der in einem gallespuckenden Bewusstseinsstrom die deutsche Hassliebe zum Fremden auseinandernimmt. Zur Asymmetrie von Ein- und Auswanderung hat Beier eine emotionale und engagierende Darstellungsform gefunden: faszinierend.

Update: Leider sind mittlerweile die Tickets für die Vorstellungen im Oktober vergriffen.

Text: Michael Weiland