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Schäuble hat es kapiert

Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich die Meldungen zum Interview des Finanzministers im Focus gelesen habe:

„Es ist in Ordnung, wenn bei uns die Löhne aktuell stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern“, sagte Schäuble in einem Interview mit dem „Focus“.“Diese Lohnsteigerungen tragen auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei“, sagte Schäuble.

Es gibt noch Hoffnung.

 

Wo Rainer Hank richtig liegt – und wo nicht

In den Grundfragen der Wirtschaftspolitik werden Rainer Hank und ich wohl niemals zusammenkommen, aber das muss ja auch gar nicht sein, denn nur die Auseinandersetzung fördert Erkenntnis zutage. Nun also nimmt der geschätzte Kollege Anstoß an meinen Ausführungen über die Stagnation der Staatseinnahmequote und argumentiert wie folgt:

Hätte Schieritz länger auf der Seite der Bundesbank verweilt, hätte er gesehen, dass die stagnierenden Einnahmen den Ausgabenhunger des Staates nicht gemäßigt haben.

Der Leviathan lebt, so seine Schlussfolgerung und dazu zeigt er folgenden Chart:

Grafik: Hankbild

Das ist nun in der Tat sehr interessant, denn wie unschwer zu erkennen ist: Die Staatsausgaben gingen schon Mitte der siebziger Jahre im Trend wieder zurück, wurden durch die Wiedervereinigung zwischenzeitlich in die Höhe getrieben, und fielen dann wieder ab. Heute sind sie wieder da, wo sie vor 30 Jahren waren. Genauer gesagt lagen sie 2010 bei 46,6 Prozent des BIP und 1980 bei 46,9 Prozent.

Deshalb ist mir nicht ganz klar, was Hank beweisen will. Das wir das mit dem Mauerfall besser hätten sein lassen sollen? Ich jedenfalls kann auch auf diesem Bild keinen Leviathan im Sinne einer ausufernden Staatstätigkeit erkennen.

Man kann natürlich argumentieren, schon damals in den Siebzigern sei Deutschland nicht mehr zu retten gewesen. Diese Meinung teile ich nicht, aber das Argument ist valide. Nicht valide allerdings ist es, den Eindruck zu erwecken, da werde irgendetwas „immer schlimmer“ oder es spitze sich eine Situation zu.

Nein, dieser Staat ist heute so gefräßig wie vor dreißig Jahren und das kann man gut oder schlecht finden, wie es nun einmal ist mit normativen Fragen. Aber es gibt nichts, was außer Kontrolle gerät und einen positiven Handlungsdruck erzeugt.

Wie es es aber nun mit den Schulden, denn zurecht weist Hank darauf hin, dass die Staatsverschuldung in der Tat steigt. Ich teile seine These, dass der Staat zu feige ist, sich das Geld bei den Bürgern und holen und deshalb lieber die Kapitalmärkte anzapft (die Unterschiede sind allerdings gar nicht so groß denn der deutsche Staat verschuldet sich ja zum großen Teil bei seinen eigenen Bürgern. Statt meine Steuern zu erhöhen, dreht er mit eben eine Staatsanleihe an und auch deren Zinsansprüche werden ja an die nächste Generation weiter gereicht. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Nur: Wenn die Staatsausgaben stagnieren und die Staatseinnahmen auf einem niedrigeren Niveau im wesentlichen auch, dann liegt es doch nahe, einfach ein paar Steuern zu erhöhen und alles ist wieder in Butter. Der Leviathan-Diskurs suggeriert ja, der Staat werde immer fetter und müsse dringend über die Ausgabenseite geschrumpft werden. So ist es aber offensichtlich nicht. Er ist nur falsch finanziert.

 

Die Renationalisierung der Geldpolitik

Ich hatte vor einiger Zeit bereits darüber geschrieben, dass die – an sich sehr sinnvollen – neuen makroprudentiellen Instrumente auf nationaler Ebene, wie sie jetzt in Deutschland per Gesetz eingeführt werden, bei nicht sachgerechter Anwendung zu einer Renationalisierung der Geldpolitik führen können. Warum? Weil die nationalen Behörden über Eigenkapitalvorschriften oder ähnliche Maßnahmen die Kontrolle über die Kreditvergabe zurückerobern.

Auch der Economist nimmt sich des Themas nun an:

But in the current climate there is also the danger that such regulations may be used in bigger economies to grab back power from the ECB. By reducing credit availability national central banks can contravene the euro zone’s wider monetary stance.

Aus meiner Sicht gibt es nur eine Lösung: Die nationalen Behörden müssen in kritischen Fällen ihre Maßnahmen von einer europäischen Institution genehmigen lassen, etwa dem ESRB. Damit bliebe die Flexibilität erhalten, national zu reagieren, ohne dass gesamteuropäische Ziele unterlaufen werden können.

 

Hat jemand den Leviathan gesehen?

Ein Grund dafür, dass ich mich so gerne auf der Webseite der Bundesbank aufhalte, sind die wunderbaren Zahlen, die es dort zu sehen gibt. Da wird also im Moment in Deutschland eifrig über die vermeintlich steigende Belastung der Bürger mit Steuern und Abgaben geschrieben und den fetten Staat, der sich immer mehr Geld von seinen Bürgen holt.

Nun, hier die Staatseinnahmen aus Steuern und Sozialabgaben seit Anbeginn dieser schönen Republik bis 2010.

Grafik: Staatseinnahmen in Prozent des BIP seit 1950

Was sehen wir? Einen ziemlichen Anstieg bis Mitte der siebziger Jahre und seither – Stagnation! Die Staatseinnahmen liegen heute mit 39,6 Prozent des BIP exakt auf dem Niveau von 1979, und das, obwohl ein ganzer Staat eingemeindet werden musste.

Damit ist noch nichts über die Verteilung der Lasten gesagt, keine Frage – und hier mag es Ungerechtigkeiten und sogar Anreizprobleme geben. Trotzdem, liebe Kollegen: Bevor ihr wieder zur Tötung des Leviathan aufruft, erst einmal die Bundesbank fragen. Er ist nämlich schon halb tot.

 

Draghis Wachstumspakt – eine Mogelpackung?

Die große Neuigkeit heute war die Forderung von Mario Draghi nach einem Wachstumspakt während einer Anhörung im europäischen Parlament. Viele Medien haben das als Abkehr von der Austeritätspolitik beschrieben, doch das ist Unsinn. Nach allem was ich höre, fordert Draghi entschlossenere Strukturreformen und damit im wesentlichen more of the same.

Wer glaubt, dass Strukturreformen tatsächlich kurzfristig für Wachstum sorgen, der mag sich damit zufriedengeben – dass sich diejenigen, die unter einem Wachstumspakt eine Ankurbelung der Nachfrage verstehen (und das dürfte die Mehrheit sein) davon überzeugen lassen, ist aber unwahrscheinlich.

Es bleibt dabei: Wenn Draghi oder Merkel von Wachstumspolitik sprechen, dann meinen sie damit etwas ganz anderes als Hollande oder Lagarde. Und der Neuigkeitswert der Aussagen des EZB-Präsidenten geht gegen Null.

 

Sollen wir jetzt die Piraten wählen?

Auf diesen Seiten war bislang noch nicht von den Piraten die Rede – wie auch, wir interessieren uns in der Regel für policies und was die Piraten wollen, weiß man nicht so richtig. Interessant erscheint mit, dass die Piraten in linken Zirkeln als progressive Kraft wahrgenommen werden, ich habe da nämlich meine Zweifel, und ich finde, dass es Björn Böhning in der FAZ sehr schön gesagt hat.

 Kern meiner Kritik an den Piraten ist deren grundsätzlich anti-staatliche Propaganda, mit der sie erfolgreich punkten. Sie bedienen gängige Klischees von faulen, korrupten und machtgierigen, aber unfähigen Politikern. Das verwundert erst einmal, da die Piraten derzeit selbst vor allem mit internen Machtkämpfen Schlagzeilen machen. Es ist aber schon auffällig, mit welcher Selbstüberschätzung sie die parlamentarische Arbeit angreifen und damit die Komplexität von politischen Entscheidungen bewusst verkennen.

Die Finanzkrise, das Auseinanderdriften von Arm und Reich, der Klimawandel – das sind keine Herausforderungen, die man mit Polemik meistern kann. Ich erwarte mir von Abgeordneten und Parteien, dass sie Antworten vorschlagen und diskutieren: ein alternatives, demokratischeres Wirtschaftssystem, gerechte Sozialpolitik und eine soziale Energiewende. Wie lange wollen die Piraten noch warten, bevor sie sich positionieren?

Die Innovation der Piraten scheint mit der Fokus auf Verfahren zu sein – aber liquid feedback ist an sich weder rechts noch links sondern ein politisch neutrales, und in meinen Augen sehr fragwürdiges Instrument, um individuelle Präferenzen zu aggregieren und in kollektives Handeln umzusetzen, zumal wir seit Kenneth Arrow wissen, dass soziale Entscheidungen nur begrenzt aus dem Willen des Einzelnen abgeleitet werden können.

Die repräsentative Demokratie hat schon ihren Sinn,  und wer z.B. denkt – was ich nicht tue –, der Staat sei von den bösen Bankern gekauft, der kann ja die Linkspartei wählen. Mit anderen Worten: Mit ist nicht klar, wofür diese Partei steht und ich glaube, das ist kein Zufall sondern ein immanentes Problem der Piraten, die die Form zum Inhalt erkoren haben.