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Ein muslimischer Thinktank gegen den Islamismus

Vier junge britische Muslime sind dabei, eine Stiftung gegen den Islamismus zu gründen. Der bekannteste unter den Gründern der Quilliam-Stiftung ist Ed Husain, ein ehemaliges Mitglied von Hizb-ut-Tahrir. Husain hat im letzten Jahr das Aufsehen erregende Buch „The Islamist“ veröffentlicht, in dem er seinen Werdegang  vom entfremdeten Jugendlichen zum führenden Strategen der Hizb beschreibt. Ich habe das Buch hier verschiedentlich schon zur Lektüre empfohlen.

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Ed Husain    Foto: Quilliam Foundation

Mit von der Partei ist auch Maajid Nawaz, ein weiterer Dissident der Hizb-ut-Tahrir, der im letzten Jahr Zeugnis ablegte über sein Engagement in der „Kalifatspartei“.

Die Quilliam-Stiftung – benannt nach dem berühmten britischen Konvertiten Abdullah (William Henry) Quilliam, der die erste Moschee in England baute – will sich der Aufgabe widmen, die Islamisten intellektuell ernst zu nehmen und herauszufordern. Naheliegender Weise wird man sich zunächst der Hizb-ut-Tahrir zuwenden, die unter jungen Muslimen in England eine starke Anziehunsgkraft hat, weil sie eine moderne Weltrevolutionsideologie im Gewand der islamischen Tradition vertritt.

Am 22. April wird die Stiftung im Londoner British Museum ins Leben gerufen. Es gibt prominente Unterstützer aus der islamischen Welt wie etwa Scheich Bin Bayyah und Grossmufti Ali Gomaa aus Ägypten. (Beide gehören zu den islamischen Gelehrten, die den Dialog mit dem Papst führen.) Von britischer Seite sind als Berater etwa Lord Paddy Ashdown und Timothy Garton Ash dabei.

Ich halte dies für eine sehr wertvolle Initiative – weil die Islamismuskritik hier nicht von Aussen formuliert wird, sondern von der Warte eines gemäßigten Islams. Die Zeiten sind vorbei, da islamische Organisationen sich mit dünnen Distanzierungen das Thema Islamismus vom Leib halten konnten. Die Auseinandersetzung hat begonnnen. Zitat von der Website:

„The Quilliam Foundation is a counter extremism think tank. Created by former activists of radical Islamist organisations, who are familiar with the mindset and methods of extremist groups. Now under the guidance of mainstream Muslim scholars, we believe that Western Muslims should revive Western Islam, our Andalusian heritage of pluralism and respect, and thereby find harmony in West-Islam relations.

Western Muslims should be free from the cultural baggage of the Indian subcontinent, or the political burdens of the Arab world. We were born and raised in a milieu that is different from the Muslim East. As such, our future and progeny belong here. Just as Muslims across the globe have adopted from and adapted to local cultures and traditions, while remaining true to the essence of their faith, Western Muslims should pioneer new thinking for our new times.“

Die Website der Stiftung hat schon einige interessante Zeugnisse und gute weiterführende Links zu bieten.

 

Die iranische Blog-Welt lebt

In Harvard haben sich Forscher daran gemacht, eine Karte der äußerst lebendigen iranischen Blogosphäre zu erstellen. Dabei zeigt sich, dass Iran unter allen islamisch geprägten Ländern des Nahen Ostens eine einzigartige digitale Debattenkultur besitzt, in der Reformer mit Konservativen die Klingen kreuzen.

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Aus der Zusammenfassung der Forscher:

„In contrast to the conventional wisdom that Iranian bloggers are mainly young democrats critical of the regime, we found a wide range of opinions representing religious conservative points of view as well as secular and reform-minded ones, and topics ranging from politics and human rights to poetry, religion, and pop culture. Our research indicates that the Persian blogosphere is indeed a large discussion space of approximately 60,000 routinely updated blogs featuring a rich and varied mix of bloggers. Social network analysis reveals the Iranian blogosphere to be dominated by four major network formations, or poles, with identifiable sub-clusters of bloggers within those poles. We label the poles as 1) Secular/Reformist, 2) Conservative/Religious, 3) Persian Poetry and Literature, and 4) Mixed Networks. (Click here for the map image.) The secular/reformist pole contains both expatriates and Iranians involved in a dialog about Iranian politics, among many other issues. The conservative/religious pole contains three distinct sub-clusters, two focused principally on religious issues and one on politics and current affairs. Given the repressive political and media environment, and high profile arrests and harassment of bloggers, one might not expect to find much political contestation in the blogosphere. However, we identified a subset of the secular/reformist pole focused intently on politics and current affairs and comprised mainly of bloggers living inside Iran, which is linked in contentious dialog with the conservative political sub-cluster. Surprisingly, a minority of bloggers in the secular/reformist pole appear to blog anonymously, even in the more politically-oriented part of it; instead, it is more common for bloggers in the religious/conservative pole to blog anonymously. Blocking of blogs by the government is less pervasive than we had assumed. Most of the blogosphere network is visible inside Iran, although the most frequently blocked blogs are clearly those in the secular/reformist pole.“

Ein Bericht der New York Times findet sich  hier. Und hier die Website der Forscher mit den detaillierten Ergebnissen.

 

Wie sich die amerikanische Aussenpolitik verändern wird – Gespräch mit Tom Daschle

Ich hatte vorgestern Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit dem demokratischen Senator von South Dakota, Tom Daschle, dem ehemaligen Mehrheitsführer im amerikanischen Oberhaus, der bei der American Academy in Berlin zu Gast war.

Daschle hat zwar 2004 sein Senatsmandat verloren, ist aber immer noch eine der einflußreichen Stimmen in der demokratischen Partei. Er ist einer der Superdelegates, die womöglich am Ende über die Nominierung des demokratischen Bewerbers um die Präsidentschaft entscheiden.

Und er spielt eine wichtige Rolle in der Obama-Kampagne. Er gehört als gut vernetzter Parteiveteran zu den engsten Beratern des Kandidaten.
Daschle personifiziert ausserdem in seiner neuen beruflichen Rolle den rapiden Mentalitätswandel in den USA in Umwelt- und Klimafragen. Als Berater der Firma Alston & Bird setzt er sich für Verbreitung erneuerbarer Energien und für eine neue Klimagesetzgebung ein.

Daschle spricht heute, wenn es um Solar- und Bioenergie geht, wie ein Grüner. Das rot-grüne Gesetz über die erneuerbaren Energien erwähnt er immer wieder als Vorbild auch für die USA. Das ist schon einer erstaunliche Wandlung – denn der Senat war unter seiner Leitung (2001-2003) keineswegs auf Kyoto-Linie.
Ich fragte Daschle, wie er die große Rede Obamas zu den Rassenbeziehungen in Amerika bewertet. Hat Obama damit die Krise überwunden, in die er durch die amerika-feindlichen Äusserungen seines Pastors Jeremia Wright geraten war?

Daschle: „Obama hat diese Rede persönlich geschrieben, und es ist eine profunde Rede. Wenn er gewinnen sollte, wird man auf diese ungewöhnliche Rede zurückblicken und ein Element seines Sieges darin sehen. Das Starke an dieser Rede ist die Empathie mit beiden Seiten des Rassenkonflikts, die Obama an den Tag legt. Es ist nicht schwer für ihn, die Frustration der Schwarzen zu artikulieren, aber wie er mit gleicher Einfühlsamkeit auf die Enttäuschung der weißen Mittelschicht eingeht, das ist schon großartig.“

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Senator Tom Daschle (D)
Warum unterstützt Daschle, der seinerzeit den Clintons nahestand und wesentlich daran beteilgt war, Bill Clinton vor einem Impeachment wegen der Lewinsky-Affäre zu beschützen, nun den Kandidaten Obama? Er habe Obama seinerzeit bereits aufgefordert, für den Senat zu kandidieren, weil er das ausserordentlich politische Talent dieses Mannes gesehen habe, sagt Daschle.

Nachdem seine eigene Kandidatur gescheitert war, sind einige Mitarbeiter aus Daschles Kampagne zu Obama gewechselt. „Es gab also schon enge Kontakte. Und dann hat sich einfach eine persönliche Bindung zwischen uns ergeben. Obama ist eine einzigartige politische Figur. Er kann Massen begeistern und Wähler inspirieren. Er ist ganz einfach der beste Kandidat, den wir heute haben.“

Wird Obama seine Unerfahrenheit nicht am Ende zum Verhängnis werden? Tom Daschle meint, durchaus mit einem selbstkritischen Ton: „Die Leute sehen den Wert von politischer Erfahrung heute skeptischer. Denn die erfahrene politische Elite, und da schließe ich mich selbstverständlich ein, hat schließlich die derzeitige Lage Amerikas zu verantworten. Die Menschen sind kriegsmüde, und sie haben die politische Zerrissenheit des Landes satt, die in den Bush-Jahren entstanden ist. Darum glaube ich, dass sein Mangel an Erfahrung sich durchaus geradezu als Vorteil für Obama herausstellen könnte. John McCain wird sicher versuchen, in der letzten Phase des Wahlkampfes das Thema Erfahrung auszuspielen. Aber das wird kein großer Trumpf sein.“

Was würde ein Präsident Obama für den Rest der Welt bedeuten? „Es richten sich weltweit derart hohe Erwartungen auf ihn, daß Obama schon aufpassen muss, diese nicht weiter aufzublähen. Aber allein der Abgang von George Bush wird eine ungeheure Erleichterung mit sich bringen – in Amerika und in der Welt. Die Menschen werden mit neuem Zutrauen in die Zukunft schauen. Obama ist – schon druch seine Biografie – eine Antithese zu George Bush. Die Weltgemeinschaft wird ihm schon dafür mit Offenheit begegnen. Es wird einen substantiellen Wandel in der Weise geben, wie die amerikanische Aussenpolitik gemacht wird. Dialog und Multilateralismus werden keine Schimpfwörter mehr sein. Es ist eine Schande, wie Amerika in den letzten Jahre dabei versagt hat, in der Klimapolitik und bei den Menschenrechten – denken Sie an Guantanamo und den Interationalen Strafgerichtshof – seinem Anspruch auf eine Führungsrolle in der Welt gerecht zu werden.“

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Tom Daschle und der Kandidat Foto: Obama Kampagne

Wird eine offene und zum Dialog bereite amerikanische Regierung für die transatlantischen Partner nicht in Wahrheit unbequemer werden als die Bush-Regierung, weil damit eine neue Arbeitsteilung in den Weltkonflikten einhergehen muß? „Ja, so ist es. Es ist wichtig, daß die Welt versteht, wie frustriert das amerikanische Volk darüber ist, daß es überall auf der Welt in Konflikten die Hauptrolle spielen muß. Wir können das einfach nicht auf Dauer durchhalten. Schon darum muß mit dem Unilateralismus Schluß gemacht werden und eine neue multilaterale Verantwortung an seine Stelle treten – gemäß unserer gemeinsamen Interessen. Amerika wird unter Obama mehr Anforderungen an unsere Freunde in Europa stellen.“
Bringt ein schneller Rückzug aus dem Irak, wie ihn Obama vorschlägt, nicht die Gefahr mit sich, noch mehr Chaos und Blutvergießen zu inspirieren? „Dazu kann ich nur sagen: Wenn die Europäer sich solche Sorgen um den Irak machen, warum sind sie dann dort nicht präsent? Ich bin überzeugt: Wir müssen anfangen, höhere Erwartungen and die irakische Regieurng zu stellen und sie allmählich in die Verantwortung für ihr eigenes Land zu entlassen.“

Wird Obama seine Ankündigung umsetzen können, er werde als Präsident den Weg für Verhandlungen mit dem Iran freimachen? „Es ist wichtig zu betonen, daß Obama die Bedeutung amerikanischer Stärke versteht. Wir dürfen keine Schwäche zeigen, wir müssen kraftvoll auftreten in solchen Konflikten. Allerdings muß man sehen, daß der Griff zur Gewalt manchmal auch den Gegner stärken kann, wie es ja im Fall des Irans – gegen die Absicht von Präsident Bush – geschehen ist. Wir haben durch unser Verhalten in den letzten Jahren dem Iran eine unvorhergesehene Position der Stärke in der Region verschafft. Wenn Obama es mit konstruktivem Engagement und einem neuen Dialogangebot versuchen wird, sollte das nicht als Politik der Schwäche verstanden werden.“

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Hillary Clinton, Ted Kennedy und Tom Daschle 2002. Foto: Clinton Kampagne

„Im übrigen“, leitet Daschle über auf sein neues Arbeitsfeld, „zeigt uns auch der Konflikt mit dem Iran, dass wir eine Energiepolitik brauchen, die unsere Abhängigkeit von fossiler Energie verringert. Wir müssen mehr auf erneuerbare Energien und Effektivität setzen. Eine solche Politik ist nicht nur um der Umwelt willen nötig, sie macht uns auch sicherer. Leider sind wir Amerikaner bequem geworden und haben uns an billigen Brennstoff gewöhnt. Unser ganzer Lebensstil hängt daran, mitsamt der SUV’s und Hummer-Fahrzeuge. Amnerika muss in Energie- und Umweltfragen die Führung übernehmen. Sonst können wir auch nicht von den Chinesen verlangen, dass sie ihre Emissionen reduzieren. Sie sagen ganz zu Recht: Wenn die Amerikaner nichts tun, warum sollten wir dann voran gehen, wir sind neu in dem Rennen um Wohlstand.“

Wo wir gerade bei China sind, ein Wort zu Tibet? „Wir dürfen nicht nachlassen, für die Menschenrechte überall auf der Welt einzutreten. Ein Boykott wird dabei nicht viel helfen. Aber wir müssen den Chinesen nachdrücklich immer wieder klar machen, dass eine friedliche Lösung für alle die beste ist.“

 

Die Differenzierungsfalle

Ein Essay von Seyran Ateş
(Auszug aus einem Text, der heute auf der neuen Meinungsseite der ZEIT erscheint. Mehr an einem Kiosk Ihres Vertrauens.)

Wer sich wie ich seit Jahren an der Debatte über Integration beteiligt, wird immer wieder mit der Forderung konfrontiert, man müsse dies oder jenes doch bitte „differenziert betrachten“.
Differenzierung ist ein Zauberwort in der Integrationsdebatte. Es entscheidet darüber, ob jemand politisch korrekt ist oder nicht, ob er oder sie zu den Guten oder zu den Bösen gehört. Und was könnte man wohl gegen diese Forderung haben? Wer wollte schon gerne als undifferenziert, als polarisierend bewertet werden? „Sie waren toll, Sie haben das so differenziert dargestellt, sie haben nicht polarisiert. Vielen Dank“. Wenn nach einem Vortrag solches Lob kommt, macht sich meist Erleichterung breit.

Doch merkwürdig: Ich für meinen Teil denke mittlerweile, dass ich etwas falsch gemacht habe, wenn ich diesen Satz höre. Die Differenzierungsfalle hat mich erwischt. Konnte ich meine Position überhaupt vermitteln, wenn ich doch so schön differenziert habe, dass niemand sich auf den Schlips getreten fühlt? (…)

Die Differenzierungswächter hätten gerne, dass wir solange differenzieren, bis es nur noch unvergleichliche Einzelfälle gibt – keine Deutschen gibt, keine Türken, keinen Islam, keine Ehrenmorde und keine Zwangsehen. (Nur bei bedrängten Minderheiten wie den Kurden hört der Spaß auf, die traut sich kein politisch korrekter Deutscher wegzudifferenzieren.) Deutschland, gibt es dieses Land überhaupt? Deutschsein ist doch lediglich eine Konstruktion, glaubt der ausdifferenzierte, politisch korrekte Multikulti-Anhänger. Dass es so etwas wie eine deutsche Identität gibt, stellt eine Provokation für viele Linke und Liberale dar.

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Seyran Ates

(…)

Nach diesem Muster läuft die Debatte über die jüngsten Änderungen des Zuwanderungsgesetzes. Die Anforderung, Sprachkenntnisse schon im Herkunftsland zu erwerben, sei reine Türkenfeindlichkeit, hieß es von seiten der Migrantenverbände. Hunderte, wenn nicht gar Tausende anatolische Bäuerinnen, die Analphabetinnen sind – so die Klage -, dürfen nicht zu ihrem Ehemann nach Deutschland, wenn sie vor der Einreise keine ausreichenden Sprachkenntnisse nachweisen. Wie kann man nur von diesen armen Frauen verlangen, dass sie 300 – 400 deutsche Wörter lernen, sagen die Kritiker der Gesetzes. Diese Frauen sind doch eh schon Opfer des Kapitalismus, des Patriarchats, des Westens – und nun auch noch des deutschen Zuwanderungsgesetzes.

Warum sollen diese Frauen nicht einfach nachziehen dürfen? Liebende werden getrennt, das Zusammenkommen erschwert. Ich sehe regelmäßig in vor Romantik triefende Augen, wenn ich diese Erklärung höre. Die Forderung nach Sprachkenntnissen – da sind sich türkische Funktionäre und deutsche Gutmenschen einig – ist unmenschlich.
Haben sich diese armen Frauen denn etwa in einem romantischen Moment in einen in Deutschland lebenden Verwandten oder Bekannten der Familie verliebt?
Eine anatolische Frau vom Land ohne Sprachkenntnisse hat keine Möglichkeiten,sich auf dem Heiratsmarkt nach Gutdünken umzuschauen. Vieles spricht dafür, dass sie gegen ihren Willen ins reiche Deutschland verheiratet wird. Sie mag es zwar selbst durchaus auch als Befreiung empfinden, durch Heirat ihre Lebenssituation zu verändern. Doch damit sie in Deutschland dem Ehemann nicht schutzlos ausgesetzt ist, wäre es doch wohl von Vorteil, wenn sie einige wenige Worte Deutsch spricht, oder?

Wenn ich so argumentiere, schnappt die Differenzierungsfalle zu: Wie kann ich diese Frage überhaupt stellen? Das unterstellt doch, alle diese türkischen Frauen würden zwangsverheiratet werden. Das sei eine unzulässige Verallgemeinerung, eine Sünde wider das Differenzierungsgebot.

(…)

Wenn wir ein Einwanderungsland werden wollen, das seinen Namen verdient, brauchen wir eine Identifikation mit Deutschland. Damit können sich die Differenzierungsstreber nicht anfreunden. Den Einwanderern die Identifikation mit Deutschland nahezulegen, läuft politisch korrekten Menschen zuwider. Sie halten es für historisch überholt, daß der Mensch eine Identifikation mit dem Land brauche, in dem er lebt.

(…)

Es gibt nicht nur ein Identitätsproblem der Zuwanderer, sondern auch eines der Deutschen, die sich selbst und ihr Land nicht leiden können. Beide bedingen einander. Statt sich weg zu differenzieren müssen die Deutschen lernen, sich und ihre nationale Identität zu akzeptieren.

Es ist eine Ironie der Integrationsdebatte, dass diejenigen, die ihr Deutschsein verleugnen, uns Einwanderern immer wieder erklären, dass wir stolz darauf sein sollten Migranten – Türken, Kurden, Muslime zu sein. Sie kämpfen für den Erhalt unserer Identität und sind irritiert, wenn wir ihre Aufforderung nicht erfüllen. Wenn wir ihnen erklären, dass wir mehrere Identitäten haben, und zwar auch eine deutsche, sind sie ganz verzweifelt, weil sie nun gar nicht verstehen können, wie jemand freiwillig Deutscher sein kann. Ob diesen Menschen aufgefallen ist, dass Erdoğan ganz ähnlich wie sie argumentiert?

(…)

 

Ein arabischer Aufstand gegen die Hassprediger?

Der Guardian berichtet, zahlreiche arabische Menschenrechtsgruppen hätten in einer gemeinsamen Aktion ein religiöses Verdikt eines saudischen Gelehrten gegen zwei Schriftsteller kritisiert.
Das Vergehen der beiden: Sie hatten kritisiert, dass Angehörige anderer Glaubensrichtungen von der sunnitsichen Orthodoxie als „Ungläubige“ bezeichnet werden. Darauf hatte sie der als besonders konservativer Scheich notorische Abdul Rahman al-Barrak als „Apostaten“ bezeichnet und dazu aufgefordert, die beiden hinzurichten, falls sie ihre Meinung nicht zurückziehen.
Nun kommen den beiden Autoren – es handelt sich um Yousef Aba Al-Khail und Abdullah bin Bejad – über 100 Menschenrechtsaktvisten zu Hilfe, die den Scheich einen Kleriker der Finsternis nennen und ihn des „intellektuellen Terrorismus“ bezichtigen.

Mehr davon! Das ist genau die Auseinandersetzung, die lange an der Zeit ist.

Hier eine Dokumentation von der hilfreichen Website Political Islam.

 

Warum Muslime Wilders‘ Film ernst nehmen sollten

Darüber schreibt D.B.Shobrawy, ein mutiger junger Blogger ägyptischer Herkunft aus Chicago. Er fragt sich, woher die Wut auf den Film sich speist – nicht nur unter Radikalen, sondern selbst unter seinen moderaten Freunden:

Finally I came to another realization, I asked myself, “what is it specifically that has made people so angry that they want to kill over it?” Is it….

-The original Mohamed cartoon showing Mohamed and a bomb on his head depicted at the beginning and end of the film?

-The listing of verses from the Quran that are seen as shocking from the perspective of non-Muslims?

-Clip’s of Sheikh’s, Imam’s and Jihadist’s dedicating themselves to the murder of Christians, Jew’s and all types of Westerners?

-The implied illusion of a page being torn out of the Quran in the end?

-The comparison of Islamization of Europe to Nazism and communism?

-The request that Islamic ideology be “defeated”?

-Or is it simply that a non-muslim has made a movie critical of Islam?

I’ll assure you that for the wild and ignorant zombie monkey’s that burn embassies, murder clergy and send death threats to anyone within 100 degrees of separation from the movie itself, its the latter. These people are animals, too simple minded to see that their violent response gives credibility to the criticism posed by the movie in the first place. I’ve browsed fellow bloggers who call themselves moderate or even non-practicing Muslims and found much angrier responses to the movie than I would have expected.

Instead of following with a knee jerk reaction or just shouting “islamophob” take the movie for what it is, a fair reflection of how violent, angry and hate filled people have interpreted the Quran and how their perverted interpretations have changed the face of Islam all around the world. How many times have I heard, “these terrorists do not reflect Islam”, “this is not the Islam I know”. By simply condemning the movie because you view it as an attack on Muslims and not an attack on a specific ideological interpretation of Islam, then you have let a great opportunity pass you by. The West fears Islam because there aren’t enough Muslims who are willing to publicly condemn the actions of other Muslims. This has been a pivotal problem in the West’s confrontation with Islam. By staying quiet and being angered by criticism aimed at barbaric animals like those featured in Fitna you allow those animals to represent you and Islam.

 

Sonst guckt ja wieder kein Schwein

Nur damit es nicht unbemerkt bleibt: Heute war der 400.000ste Besucher da, und wir haben die Marke vonr 27.742 Kommentaren überschritten.
Danke dafür.
A propos Kommentare. Was Ihnen hier Dank meiner Zensur dabei noch erspart bleibt, ist etwa Derartiges:
„Würden Sie bitte aufhören die deutsche Flagge zu beschmutzen, beleidigen und zu entehren, indem Sie irgendwelche Türkensymbole dem Bild hinzufügen. Ein nicht europäisches Land, in dem – z.B. – die Menschen noch die Hühner in der Küche halten, hat nichts mit der deutschen Kultur gemeinsam (und wird auch niemals was haben )!

MfG
Robert Lukas Pastuschka aus Herne

PS. Ach ja, was sind bitte schön Deutschtürken?
Oder haben Sie schon z.B. Schweinkühe, Giraffenelefanten et al. gesehen?“

 

Holländische Juden gegen Geert Wilders

Der niederländische Centraal Joods Overleg (Zentralrat der Juden) kritisiert Geert Wilders für seinen Film, der unzulässige Generalisierungen enthalte und „kontraproduktiv“ sei:

Met het in beeld brengen van grafieken die de explosieve groei van de Moslim bevolking in Nederland en in Europa moeten voorstellen, in relatie met de getoonde terreuraanslagen en met de slogan ‘stop de islamisering, verdedig onze vrijheid’ suggereert Wilders, dat alle Moslims potentiële terroristen zijn die onze samenleving omver willen werpen. Dat strookt niet met de feiten en zet op een onacceptabele wijze een hele bevolkingsgroep in een kwaad daglicht. Een Nederlands politicus dient zich van dit soort generaliserende voorstellingen te onthouden.

Zu Deutsch: „Indem er Grafiken über das explosive Wachstum der muslimischen Bevölkerung in den Niederlanden und Europa zeigt und diese in Beziehung setzt mit terroristischen Anschlägen und mit dem Slogan ‚Stoppt die Islamisierung, verteidigt unsere Freiheit‘, suggeriert Wilders, dass alle Muslime potentielle Terroristen seien, die unser Zusammenleben zerstören wollen. Das stimmt nicht mit den Tatsachen überein und setzt eine ganze Bevölkerungsgruppe in ein schiefes Licht. Ein niederländischer Politiker sollte sich dieser Sorte verallgemeinernder Behauptungen enthalten.“

Zugleich betont die jüdische Dachorganisation, dass die Radikalisierung in Teilen der muslimischen Welt Anlass zu ernster Sorge ist und ruft zur Wachsamkeit und zur streitbaren Verteidigung der Demokratie auf.

Sehr gut. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

(Hier ein englischer Bericht in Haaretz.)

 

Geert Wilders und das Ende der Islamkritik für Dumme

Der Film „Fitna“ ist bislang ein Non-Event. Das ist gut so, und es zeigt, dass die Islamkritik an einem Scheidepunkt angekommen ist.
Wilders‘ Film beruht auf lauter altem Material, das weidlich bekannt ist.
Ohne das monatelange Vorab-Marketing hätte sich kaum jemand für dieses dürftige Werk interessiert.
Die dokumentierten Hasstiraden und die bekannten anstössigen Koran-Verse sind seit Jahren Thema, unter anderem auf Blogs wie diesem hier.

Und sie werden es auch sehr zu Recht so lange bleiben, bis die Muslime selbst sie widerlegt, kontextualisiert oder historisiert und damit entschärft haben. Das ist der einzige – allerdings gewichtige – valide Punkt in Wilders‘ Argumentation. (Wird hier freilich seit Jahren auch schon genau so gesagt.)

Es geht nicht an, dass dieser anstößige Punkt gleich mit erledigt wird, indem man auf Wilders bekannte „rechtsgerichtete“ (tolles Wort!) oder „islamfeindliche“ Haltung verweist. Der UN-Generalsekretär, die niederländische Regierung oder die EU sollten sich hüten, in ihrer ängstlichen Kritik diese Baustelle zu schließen. Die anständigen Muslime müssen da heran, und sie müssen es sehr viel offensiver tun als bisher.

Bis hierher habe ich absolut kein Problem mit „Fitna“ – ausser dass der Film total schlecht gemacht und langweilig ist. Ich finde es nicht unangemessen, wenn Koranverse über die „Ungläubigen“ zitiert werden und dann die Flugzeuge gezeigt werden, die in die Towers fliegen. (Der Kollege Peter Körte in der FAS kritisiert dieses Montage-Verfahren.) Es ist aber nun einmal so, dass die Islamisten sich auf diese Weise ermächtigt sehen. Und es bleibt die Aufgabe der vernünftigen und friedliebenden Muslime, jenen die heilige Schrift aus der Hand zu schlagen.

Mein Problem mit Wilders beginnt da, wo er die muslimische Einwanderung nach Europa in dramtischen Balkendiagrammen ins Spiel bringt. Von ein paar Dutzend Muslimen am Anfang des letzten Jahrhunderts in Holland bis zu den angeblichen 54 Millionen, die heute in Europa leben, wachsen die Balken bedrohlich an. Und dann werden dazu die Horrorbilder über die Ermordung von Schwulen und die Mädchenbeschneidung montiert – mit der Frage, ob dies Europas Zukunft sein solle.
Das ist genau die Logik der Islamisten, die jeden Einwanderer – egal ob aus Marokko, der Türkei, aus Bosnien oder Iran – als einen Soldaten in ihrem Kampf sehen möchten. Für die radikalen Islamisten gibt es keine säkularen Muslime, keine lauen Gläubigen, keine Freitagsbeter, keine Kulturmuslime, keine Biertrinker und Speckesser unter den Ihrigen. Für sie – Wilders zeigt ja einige ihrer Prediger – sind Muslime in Europa entweder Vorhut der Islamisierung oder Verräter. Genauso denkt Wilders, denn anders käme er nicht auf seine bedrohlichen Zahlen.

Und hier ist übrigens die ästhetische Gestalt dieses Films äußerst verräterisch: Er bedient sich der gleichen Technik und der gleichen Bildsprache wie die islamistischen Propagandavideos: Die Pflicht der Muslime zur Tötung von Ungläubigen und Juden wird direkt aus dem Koran abgeleitet. Dem Vers folgt dann das Snuff-Video von der Hinrichtung. Wilders‘ Film sieht über weite Strecken aus wie von der Propagandaabteilung von Al-Qaida gemacht – ein ästhetisches Stockholm-Syndrom.
Daraus muss die Islamkritik sich befreien.

Wir müssen das Wahnbild der Islamisten entzaubern, statt es von „islamkritischer“ Seite zu bestätigen.

 

Frohe Ostern!

Frohe Ostern!

Was der Tenor Paul Elliot hier so göttlich singt, ist aus Händels Messias, und Händel wiederum nahm Text dieser Arie aus Jesaja.