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Der prominenteste iranische Blogger verhaftet

Hossein Derakhshan, genannt Hoder, ist in Teheran verhaftet worden. Man wirft ihm nach einem Bericht der Londoner Times vor, er habe „für Israel“ spioniert. Was das heißt, weiß man: Hochverrat.

Hossein ist ein Freund, mit dem ich mich in den letzten Jahren zwar oft gestritten habe. Er war nach meiner Meinung politisch auf Abwegen. In den letzten Jahren hat er immer mehr die Position des Regimes verteidigt.

Gerade darum kommt die Nachricht von seiner Verhaftung als ein niederschmetternder Schock. Nach Auskunft einer regimenahen Website soll Hossein „zugegeben“ haben, für Israel spioniert zu haben.

Das läßt nur einen Schluß zu: Er ist gefoltert worden. Oder man erpreßt ihn, wie schon andere Unangepaßte in den letzten Jahren, über seine Familie.

2005 habe ich ihn in der ZEIT vorgestellt. Hossein hat das Bloggen im Iran populär gemacht. Er hat das Land verlassen müssen und einige Jahre in Kanada gelebt. Dann war er als globaler Netz-Nomade unterwegs, lebte eine Weile in London und ging vor einigen Wochen in den Iran zurück. Er schrieb in seinem Blog, er sei glücklich, wieder in seiner Heimat zu leben. 

Hossein Derakhshan letztes Jahr in Berlin  Foto: J.Lau

Nun haben ihn die Machthaber verhaften lassen, wie schon so viele kritische Intellektuelle. 

Die grausame Ironie: In den letzten Jahren hatte sich Hossein immer mehr zu einem Verteidiger des Regimes gegen andere kritische Dissidenten und (in seiner Sicht) masslose Angriffe von außen entwickelt.

Es hat ihm nichts genützt. Die Machthaber interessieren sich scheinbar nicht für solche feinen Unterschiede. Sie verhaften alle, die nicht zu kontrollieren und einzuschüchtern sind. 

Und Hossein hat etwas getan, das als die größte Frechheit von allen gilt. 2006 fuhr er für einige Zeit nach Israel, als selbst ernannter Botschafter der Verständigung zwischen den beiden Ländern.

Er wollte den Israelis zeigen, dass nicht alle Iraner (in Wahrheit die wenigsten) von Judenhass getrieben sind. Und er schrieb in seinem iranischen Blog seine Eindrücke aus Israel auf, einem widersprüchlichen, aber alles in allem liebenswerten Land. (Ein Bericht der Jerusalem Post hier.)

Wer das tut, kann offenbar nicht vom Regime kontrolliert werden. Er hatte damit die rote Linie überschritten. Und so haben Hosseins sehr israelkritischen Kommentare aus der letzten Zeit offenbar nichts mehr zu seinem Schutz im Iran beigetragen. Und selbst die Verteidigung des iranischen Rechts auf Atomwaffen (das ja noch nicht einmal das Regime selbst offiziell für sich in Anspruch nimmt) hat ihm keine mildernden Umstände gebracht. 

Auch hat es ihm nichts genutzt, andere Intellektuelle, wie etwa Ramin Jahanbegloo (als der ebenfalls verhaftet worden war unter vorgeschobenen Spionage-Vorwürfen) anzugreifen. Hossein hatte über Ramin gesagt, dessen offenbar erpreßtes Geständnis (er habe für ausländische Kräfte gearbeitet und eine „samtene Revolution“ geplant) müsse man für bare Münze nehmen. Ich habe mich über diese Deutung mit ihm zerstritten. 

Nun ist er selbst in die Mühle gekommen und hat „gestanden“. 

Es ist menschenverachtend und unerträglich, wie der Iran seine besten, freiesten Köpfe zerstört.

Die Bundesregierung und die Europäische Union müssen gegen diesen Terror protestieren.

Keine Gespräche mit Iran, ohne dass dieser Vorgang auf den Tisch kommt.

(Gobal Voices)

(Dank an y.p.)

 

Liveblog: Wahl in den USA

01:00h Ach ja: Und Amerika ist doch ein großartiges Land.

00:55h Karl Rove, der Spinmeister von George W. Bush, sagt auf Fox News, die Republikaner müßten sich modernisieren. Na klar: Der finstere Meister, der die Partei in die Sackgasse geführt hat mit seinem aggressiven Rechtsruck und dem Ausverkauf an die verrücktesten evangelikalen Christianisten, plädiert jetzt für das Rücken in die Mitte. Er hat wirklich übehaupt keine Scham. Und die Journalisten lassen ihm das durchgehen. Auch egal: Der Mann ist Geschichte! Und so geht man mit Freuden und erleichtert ins Bett.

00:45h In Cambridge und Boston sind die Straßen voll mit jungen Leuten. Fremde lächeln sich an. Autos fahren Korso, die Fenster heruntergekurbelt: Obama! Obama! Viele junge Schwarze sind unterwegs und feiern. Amerika ist nach einigen harten Wochen mit sich versöhnt. Und weil jeder weiß, was auf das Land noch zukommt – Obama hat es in seiner Rede angedeutet – ist die Freude in dieser Nacht noch größer. Unter den feiernden Studenten in Cambridge sind alle Nationen vertreten. Sie feiern, als hätten sie selbst gewonnen. Es ist etwas Großes passiert, das noch nicht begriffen werden kann.

23:34h Auf MSNBC erzählt der Abgeordnete John Lewis von den Zeiten, da er noch in segregierten Bussen fahren musste und bestimmte Bänke nicht benutzen durfte. Und nun sieht er auf seine alten Tage einen Schwarzen im Weissen Haus.

23:28h Das war der McCain, den man während des Wahlkampfes fast schon vergessen hatte: fair, ein Gentleman, kämpferisch, aber grosszügig. Im Publikum viele mittelalte weiße Männer, die traurig ins Leere schauen, während der Gescheiterte sie auffordert, dem neuen Präsidenten ihre Loyalität zu erweisen.

23:26h McCain baut Palin als Hoffnung der republikanischen Partei auf. Wir können alle gespannt sein, was sie noch alles im Dienst der Partei und des Landes vollbringen werde.

23:19h McCain gesteht Obama den Sieg zu, und er tut es in bewegenden Worten. Er lobt Obama für den Geist der demokratischen Erneuerung, den er in den Jungen inspiriert habe. Und er spricht auch von dem großen Moment, den dies für die Schwarzen in Amerika bedeute. McCain reklamiert die Tatsache, dass ein Schwarzer nun Präsident werde, als Grund für patriotischen Stolz. Tolle Wendung!

23:18h Die Veteranen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung haben Tränen in den Augen.

23:13h Keith Olberman nennt die Wahl Obamas einen „Man-on-the-moon-moment“. Wenn man die ausgelassen feiernden schwarzen Wähler sieht, kann man da nur zustimmen.

23:11h Virginia geht an Obama, ein wichtiger Teil des alten Südens. Es war knapp, aber trotzdem ist das ein historischer Moment: Ein schwarzer Kandidat wird im Herzen der alten Konföderation gewählt.

23:10h Obama hat die Katholiken gewonnen, und die Männer mit 50 zu 48 Prozent. Das ist seit Kennedy keinem Demokraten mehr gelungen.

23:00h Obama wird bei NBC zum Gewinner erklärt. Hier in Cambridge wird gejubelt.

22:43h In Florida hat Obama noch Chancen. Aber es wird knapper als erwartet. Er stützt sich dort allerdings hauptsächlich auf Minderheiten-Wähler. Die vielen weißen Alten haben überwiegend McCain gewählt. Obama hat nur bei den moderaten Independents etwas gut machen können, die von Bush abgestoßen sind.

22:37h Obama liegt in Virginia jetzt mit 2 Prozent Vorsprung vorn.

22:24h Obama führt in Virginia mit fast 40.000 Stimmen bei 88 Prozent ausgezählten Bezirken.

22:03h: Obama führt in Florida mit fast 200.000 Stimmen oder 51 zu 49 Prozent, bei etwa zwei Dritteln ausgezählter Stimmen.

21:58h Obama zieht in Virginia mit 10.000 Stimmen Vorsprung davon, es bleibt aber noch beim 50:50.

Texas geht erwartungsgemäß an McCain.

21:35h 50:50 in Virginia, McCain führt mit 7000 Stimmen bei 72 Prozent ausgezählten.

21:32h Obama scheint auch Pennsylvania zu gewinnen. Das wäre mit 21 Wahlmännern ein wichtiger Brocken.

21:23h Obama gewinnt Ohio. Kein Republikaner hat je die Wahl gewonnen, ohne Ohio dabei mitzunehmen.

21:14h Virginia ist noch knapper! Jetzt sind es nur noch 50 Prozent für McCain, 49 für Obama bei 64 Prozent der Stimmen.

21:09h In Virginia wird der Abstand geringer: McCain führt 51 Prozent zu 48, bei fast 60 Prozent ausgezählter Stimmen. Ohio und Indiana sind noch nicht klar. Es wird eine lange Nacht.

20:46h Obama hat noch keinen einzigen Staat „umgedreht“ – weder Florida, noch Virginia, noch Indiana. Ein Durchmarsch sieht anders aus….

20:34h McCain liegt weiter vorne, jetzt mit 55 Prozent bei 36 Prozent ausgezählter Stimmen.

20:17h Virginia liegt mit 56 Prozent weiter im republikanischen Lager, jetzt bei 26 Prozent ausgezählter Stimmen.

20:13h Virginia liegt nach einem Viertel der ausgezählten Stimmen bei 53 Prozent für McCain. In den Umfragen hatte Obama vorne gelegen.

19:17h Obama gewinnt 91 Prozent der schwarzen Wähler in Virginia, McCain liegt bei den weissen Wählern mit 53 zu 43  Prozent vor ihm, wie aus ersten Exit Polls hervorgeht. Virginia ist vielleicht der entscheidende „battleground state“.

18:04h Die langen Schlangen vor den Wahllokalen sind ein Symbol der erneuerten Demokratie in Amerika. Jetzt schon steht fest, dass der scheinbar unabwendbare Abwärtstrend bei der Wahlbeteiligung umgekehrt wurde. Die Amerikaner sind repolitisiert worden durch eine Kampagne, in der es um deutlich unterscheidbare Alternativen ging. Beide Kandidaten haben sich um die Republik verdient gemacht. Obama hat besonders die Jungen mobilisiert – und viele schwarze Erstwähler, die endlich das Gefühl haben, dass es auf sie ankommt. Nun ja, und George W. Bush hat natürlich auch geholfen, indem er das Land vor die Wand gefahren hat.

17:31h In weniger als einer halben Stunde schließen die ersten Wahllokale in Indiana und Kentucky. Dann wird man einen ersten Trend sehen. Vielleicht werden manche Sender auch schon einen Sieger ausrufen. Man sollte allerdings bis mindestens 7 Uhr Ortszeit warten, weil erst dann die letzten Lokale an der Grenze zu Illinois zumachen. Obama erhofft sich Gewinne in diesem Teil Indianas, der zuvor republikanisch gewählt hat. Schafft er es dort, dann sieht es bitter aus für McCain.

 

Attentat auf Faschismusforscher in Israel

In Israel ist ein Attentat auf einen der berühmtesten Faschismusforscher der Gegenwart verübt worden – Professor Zeev Sternhell von der Hebräischen Universität Jerusalem. Eine Rohrbombe erwartete ihn vor seinem Haus. Sternhell überlebte leicht verletzt. In der Umgebung seines Hauses wurden Flugblätter gefunden, auf denen gegen Friedensaktivisten von Peace Nowgehetzt wird. Es wird darum davon ausgegangen, daß das Attentat dem rechten Rand der Siedlerbewegung zuzuschreiben ist.

Sternhell ist als Kritiker der Siedlerbewegung und der Besatzung des Westjordanlands bekannt. Erst in diesem Jahr wurde er mit dem renommierten Israel-Preis ausgezeichnet. In folgendem Text begründet er seinen säkularen Zionismus. Es ist ein bewegndes Zeugnis. Wenn Menschen wie Sternhell – Überlebende, die sich für Israel und für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat einsetzen – zu Feinden werden, dann steht Israel am Rande einer großen inneren Krise. Darum haben auch viele namhafte Politiker den Anschlag verurteilt.

Ich entnehme die deutsche Übersetzung von Sternhells Interview dem Newsletter der israelischen Botschaft vom 11. März 2008. Ich möchte Sie besonders den hier gelegentlich herein schauenden Muslimen ans Herz legen, die Israel gerne kritisieren. (Man halte sich vor Augen: Die Botschaft Israels verbreitet einen solchen Text! Welch ein großartiges Land.)

„Der israelische Ideenhistoriker Zeev Sternhell erhält dieses Jahr als weltweit renommierter Faschismusforscher und einer der führenden Intellektuellen seines Landes den Israel-Preis für politische Wissenschaften. In einem Interview mit Ari Shavit hat er sich nun ausführlich zu seinem Verhältnis zu Israel und dem Zionismus geäußert.


(Foto: Daniel Bar On, © Hebrew University of Jerusalem)

Für Sternhell, der 1935 in Galizien geboren wurde, den Holocaust im besetzten Polen überlebte und 1951 von Frankreich aus nach Israel einwanderte, stellt Israel vor dem Hintergrund der Erfahrungen seiner Jugend nicht primär eine politische Angelegenheit, sondern eine „Rückkehr zur Menschlichkeit“ dar: „Eine Rückkehr zum Leben als Menschen. Denn dort, im Ghetto, hat man die menschliche Grundlage in sich verloren. Die menschliche Identität. Man hörte überhaupt auf, menschlich zu sein. Man war kein Mensch.“

„Als Jugendlicher in Avignon habe ich drei Zeitungen am Tag gelesen und durch die die Entwicklungen in Palästina verfolgt. Dann kam die Erklärung zur Gründung des Staates, im Mai 1948. Ihre Generation kann nicht die Aufregung verstehen, die uns erfasste. Es war nur vier Jahre, nachdem die Rote Armee uns befreit hatte, sechs Jahre, nachdem die Nazis das Ghetto ausgelöscht hatten. Und der Übergang von diesem Schrecken, dieser Hilflosigkeit, zu einem jüdischen Staat, der einen Krieg gewinnt.

Als 13jähriger Junge fürchtete ich sehr, dass die Araber die Juden abschlachten würden. Es sah aus, als gäbe es nur 60 000 Juden und um sie herum Millionen von Arabern. Und dann die Tatsache, dass die Armee der Juden kämpfte und siegte und der Staat entstand – das war für mich etwas jenseits aller Vorstellungen. Die reine Tatsache, dass diese Juden, die in die Ghettos gingen, die man durch die Straßen jagte, die man tötete und schlachtete, nun aufstehen und sich einen Staat errichten. Ich betrachtete dies wirklich als ein Wunder. Dies war ein historisches Ereignis von beinahe metaphysischer Dimension. Und plötzlich gibt es Juden, die Minister sind, Juden, die Offiziere sind, und einen Pass, Uniformen, eine Flagge. Und jetzt haben die Juden, was die Goyim haben. Sie sind nicht mehr von den Goyim abhängig. Sie können auf sich selbst aufpassen. Die Gründung des Staates war für mich wie die Schöpfung der Welt. In meinem ganzen Leben gab es keinen aufregenderen Moment. Er versetzte mich in eine Art Rauschzustand.“

„Ich bin nicht nur Zionist, ich bin Super-Zionist. Für mich war und bleibt der Zionismus  das Recht der Juden, selbst über ihr Schicksal und ihre Zukunft zu bestimmen. Das Recht von Menschen, Herren ihrer selbst zu sein, ist in meinen Augen ein Naturrecht. Ein Recht, das die Geschichte den Juden verweigert hatte und vom Zionismus zurückgeholt wurde. Das ist seine tiefere Bedeutung. Damit stellt er eine mächtige Revolution dar, die das Leben von jedem einzelnen von uns berührt. Ich habe diese Revolution gefühlt, als ich im Gymnasiastenalter allein nach Israel einwanderte. Erst da, als ich im Hafen von Haifa das Schiff „Artza“ verließ, hörte ich auf, das Objekt des Handelns anderer zu sein und wurde zu einem Subjekt. Erst dann wurde ich zu einem Menschen, der über sich selbst bestimmt und nicht von anderen abhängig ist.“

„Ich bin ein alter zionistischer Linker, sowohl im nationalen als auch im sozialen Sinne. Wenn man so will, bin ich ein National-Israeli. Es wird zweifellos Freunde von mir auf der Welt geben, die dies nicht positiv betrachten, aber ich habe noch nie darum gebeten, positiv betrachtet zu werden. Wer den Zweiten Weltkrieg überstanden und die Gründung des Staates erlebt hat und allein mit noch nicht einmal 16 Jahren eingewandert ist, ist allein daher hierher gekommen, um in einem jüdischen Nationalstaat zu leben.

Es liegen hier zwei Dimensionen vor. In der einen Dimension glaube ich nicht, dass man hier die Existenz sichern kann ohne Nationalstaat. Ich mache mir nichts vor. Ich glaube, wenn die Araber uns vernichten könnten, würden sie dies mit Freude tun. Wenn die Palästinenser und die Ägypter, und all jene, die mit uns Abkommen unterzeichnet haben, etwas tun könnten, damit wir nicht hier wären, wären sie glücklich. Daher droht uns noch immer eine existentielle Gefahr. Und Stärke ist noch immer die Versicherungspolice für unsere Fortexistenz. Und obwohl ich gegen die Besatzung bin, und obwohl ich will, dass die Palästinenser die gleichen Rechte haben wie ich, glaube ich, dass ich den nationalstaatlichen Rahmen brauche, um mich selbst zu verteidigen.

Aber es gibt auch die andere Dimension. Ich habe keine Religion. Ich habe nicht die Sicherheit und nicht die Stütze der Religion. Daher bin ich ohne den nationalstaatlichen Rahmen ein entwurzelter Mensch. Ein unvollständiger Mensch.  Es ist ein Paradox. Heute sprechen die Religiösen im Namen des Nationalismus, den ich nicht akzeptiere, da er den anderen, den palästinensischen Nationalismus nicht achtet. Aber die Wahrheit ist, dass wir, die Säkularen, des nationalstaatlichen Rahmens sehr viel mehr bedürfen als die Religiösen. Wenn man mir Israel nimmt, bleibe ich mit nichts, gar nichts zurück. Ich bin nackt und bloß. Daher ist Israel so wichtig für mich. Und ich kann es nicht wie eine vollendete, gewöhnliche und normale Tatsache behandeln. Ich behandle es wie etwas, das man die ganze Zeit schützen muss. Etwas, bei dem man darauf achten muss, dass es einem nicht zwischen den Fingern zerrinnt. Denn Dinge zerrinnen leicht, das haben wir schon gelernt. Und manchmal schnell, von einem Tag auf den anderen.“

„Ich bin nicht nach Israel gekommen, um in einem binationalen Staat zu leben. Hätte ich als Minderheit leben wollen, hätte ich andere Orte wählen können, an denen das Leben als Minderheit sowohl angenehmer als auch sicherer ist. Aber ich bin auch nicht nach Israel gekommen, um ein Kolonialherr zu sein. In meinen Augen ist ein Nationalismus, der nicht universal ist, der nicht die nationalen Rechte anderer achtet, ein gefährlicher Nationalismus. Daher glaube ich, dass die Zeit drängt. Wir haben keine Zeit. Und was mich besorgt macht, ist, dass das gute Leben hier, das Geld und die Börse und die Wohnungen in der Preislage Manhattans die Leute in einer schrecklichen Illusion leben lassen. Aber es kann nicht noch hundert Jahre so weiter gehen. Ich bin nicht sicher, dass es noch zehn Jahre so weiter gehen kann.

Meine Generation, die erste Generation der Staatsgründung, für die die Existenz des Staates ein Wunder ist, verlässt nach und nach die Bühne. Und für uns ist es eine Tragödie, dies zu sehen. Für mich ist das wirklich das Ende der Welt. Denn  der Mensch will die Zukunft seiner Kinder und seiner Enkel gesichert wissen. Als Bürger will ich die Zukunft der Gesellschaft gesichert wissen, in der ich lebe. Und als Mensch strebe ich danach, etwas zu hinterlassen, Fingerabdrücke. Und ich will wissen, dass, wenn ich den Löffel abgebe, meine Töchter und Enkelinnen hier weiter ein normales Leben führen werden. Ein normales Leben, das ist, was wir wollten. Aber heute erscheint dieses normale Leben nicht gesichert. Die Zukunft meiner Töchter und Enkelinnen erscheint mir nicht gesichert. Und das verfolgt mich wirklich. Es verfolgt mich, dass das, was heute ist, morgen auseinander fallen kann.“

Zeev Sternhell ist em. Professor für politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem.

 

Neues vom „Juwel von Medina“

Stanley Fish, der berühmte Literaturwissenschaftler, hat sich in seinem Blog der Affäre um „The Jewel of Medina“ angenommen. (Mein Bericht hier.)

Fish widerspricht Salman Rushdie, der seinen eigenen Verlag Random House öffentlich bezichtigt hatte, durch den Rückzug des Romans über Mohammeds Lieblingsfrau Aischa „Zensur aus Angst“ geübt zu haben und einen „sehr schlechten Präzedenzfall geschaffen“ zu haben.

Fish weist nach, es habe sich nicht um Zensur gehandelt:

„It is also true, however, that Random House is free to publish or decline to publish whatever it likes, and its decision to do either has nothing whatsoever to do with the Western tradition of free speech or any other high-sounding abstraction.

Rushdie and the pious pundits think otherwise because they don’t quite understand what censorship is. Or, rather, they conflate the colloquial sense of the word with the sense it has in philosophical and legal contexts. In the colloquial sense, censorship occurs whenever we don’t say or write something because we fear adverse consequences, or because we feel that what we would like to say is inappropriate in the circumstances, or because we don’t want to hurt someone’s feelings. (This is often called self-censorship. I call it civilized behavior.)

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Stanley Fish

From the other direction, many think it censorship when an employee is disciplined or not promoted because of something he or she has said, when people are ejected from a public event because they are judged to be disrupting the proceedings, or when a newspaper declines to accept an advertisement, rejects an op-ed or a letter, or fails to report on something others think important. But if censorship is the proper name for all these actions, then censorship is what is being practiced most of the time and is in fact the norm rather than the (always suspect) exception.

But censorship is not the proper name; a better one would be judgment. We go through life adjusting our behavior to the protocols and imperatives of different situations, and often the adjustments involve deciding to refrain from saying something. …

But if none of these actions fit the definition of censorship, what does?

It is censorship when Germany and other countries criminalize the professing or publication of Holocaust denial. (I am not saying whether this is a good or a bad idea.) It is censorship when in some countries those who criticize the government are prosecuted and jailed. It was censorship when the United States Congress passed the Sedition Act of 1798, stipulating that anyone who writes with the intent to bring the president or Congress or the government “into contempt or disrepute” shall be “punished by a fine not exceeding two thousand dollars and by imprisonment not exceeding two years.” Key to these instances is the fact that (1) it is the government that is criminalizing expression and (2) that the restrictions are blanket ones. That is, they are not the time, manner, place restrictions that First Amendment doctrine traditionally allows; they apply across the board. You shall not speak or write about this, ever. That’s censorship.“

Kurz gesagt: Zensur im strengen Sinn liegt nur dann vor, wenn eine Regierung jedweden Ausdruck eines Sachverhalts per se verbietet.

Random House habe also sehr wohl das Recht zu veröffentlichen, was auch immer dem Verlag beliebt – und genauso, von einer Veröffentlichung Abstand zu nehmen, wenn etwa neue Gesichtspunkte den Verlag zum Umdenken über ein Projekt bewegen.

Mag sein.

Aber ist es vielleicht nicht beunruhigend, wenn ein Verlag das Buch bestellt, produziert und druckt – und erst zurückzieht, wenn „Berater warnen, seine Veröffentlichung könne Rassenkonflikte heraufbeschwören“ (consultants warned that its publication ‚could incite racial conflict‘)?

Vielleicht ist das nicht Zensur im strikten Sinn, aber es wie Fish einfach nur als „zivilisiertes Verhalten“ zu bezeichnen, scheint mir arge Schönfärberei.

Womöglich hat Fish Recht, vor dem Aufblasen dieser Episode zu einem „Showdown“ zu warnen. Aber leider ist es nicht die erste solche Episode.  Ein großer Verlag fällt eine solche Entscheidung aus einem Klima der Angst – das ist das Thema.

 

Mohammed als Frauenfreund

Sherry Jones, die Autorin des vom Verlag zurückgezogenen Buchs „The Jewel of Medina“ (mein Bericht hier), wollte mit ihrem Roman über Mohammeds Lieblingsfrau Aischa eigentlich das Verständnis für den frühen Islam befördern.

Eine tolle Ironie: Sie wollte den Propheten als einen Proto-Feministen darstellen, der sehr viel mehr für die Frauenrechte getan hat, als seine heutigen Anhänger oft wahr haben wollen. Und prompt fallen die über sie her.

Der 11. September hatte Sherry Jones, damals Reporterin in Montana, zu Studien über die Taliban und schließlich den frühen Islam angeregt. Und 2002 begann sie, an dem Buch über Mohammed und die Frauen zu schreiben:

„I wanted to tell the story of the women around Muhammad, and to honor them and him as well,“ Jones said yesterday from Spokane, Wash., where she lives and writes about environmental issues for the Bureau of National Affairs. „What I see as the Islam Muhammad envisioned has, in crucial ways, been changed. I wanted to show people, especially in the West, about early Islam.“

Das Buch wurde wegen der Warnungen der Islamwissenschaftlerin Denise Spellberg vom Verlag Random House zurückgezogen. Ein serbischer Verlag hat aber die Rechte erworben und 1000 Exemplare in Umlauf gebracht. Nachdem ein serbischer Mufti gegen das Buch protestierte, hat nun  auch der serbische Verlag angekündigt, keine weiteren Auflagen herauszubringen. Verlage in Ungarn, Rußland, Italien und Spanien haben ebenfalls die Rechte erworben und warten nun erst einmal ab, wie die Sache sich entwickelt.

Ein Bericht der Washington Post hier.

Und hier kann man das erste Kapitel lesen. Es ist ein ziemlicher Schmachtfetzen von einem Roman. Mohammed, heißt es am Ende des ersten Kapitel, wollte uns (Frauen) Freiheit geben, aber andere Männer nahmen sie uns fort.

Ob der serbische Mufti weiß, dass er gegen ein solches Gutmenschenbuch vorgeht, das Mohammed als Feministen darstellt?

 

In Bangladesch konvertieren immer mehr Muslime

In Bangladesch wird zunehmend Stimmung gemacht gegen die christliche Missionstätigkeit. IslamOnline, ein Webportal, das der Muslimbruderschaft nahe steht, berichtet über Kritik von muslimischer Seite an den zunehmenden Konversionen.

In Bangladesch, das über 85 Prozent muslimisch ist, waren zuvor hauptsächlich Hindus und Buddhisten aus den unteren Kasten konvertiert. Zunehmend finden sich aber auch Muslime in den Kirchen. Sie verändern in der Regel ihren Namen nicht (wenn sie keine selbstmörderischen Risiken eingehen wollen).

IslamOnline kann sich diesen Trend natürlich nur dadurch erklären, dass die Menschen mit „Geld und Jobs ins Christentum“ gelockt werden. Was könnte das Christentum den Menschen auch spirituell zu bieten haben, da sie doch schon die letzte und perfekte Offenbarung kennengelernt haben?

Nun wird über eine Gegenoffensive nachgedacht. Man müsse den Armen etwas bieten, damit sie nicht dem christlichen Geld nachlaufen.

Tja, Freunde, so wird das nichts. Könnte es nicht sein, dass Barmherzigkeit, Freiheit und die Botschaft von Gottes Liebe auch etwas mit dem Appeal des Christentums bei denjenigen zu tun haben, die im islamischen Bangladesch mit Füssen getreten werden?

Im übrigen: Wir hier im Westen sind angehalten, Konvertiten vom Christentum zum Islam respektvoll zu betrachten. In einer globalisierten Welt funktioniert interreligiöses Verständnis auf Dauer nur in Gegenseitigkeit.

 

Shirin Ebadi wird verleumdet, weil sie Baha’i verteidigt

Genauer gesagt, ihre Tochter, was ein besonders perfider Trick ist. Shirin Ebadi, die bekannte Anwältin und Menschenrechtlerin, die für ihr Engagement 2003 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, verteidigt derzeit die sieben verhafteten Führer der Baha’i-Religion im Iran, denen vorgeworfen wird, Kontakte zu Irans Erzfeind Israel gehabt zu haben (mein Bericht hier). Ihre Tochter ist Teil des juristischen Teams. Und weil man Ebadi als Friedensnobelpreisträgern nicht angreifen kann, versucht man sie eben kleinzukriegen, indem man ihre Tochter bedroht.

Darum hat die offizielle Nachrichtenagentur IRNA, wie dpa berichtet, die Behauptung in die Welt gesetzt, Ebadis Tochter sei zur Baha’i-Religion konvertiert. Damit würde sie im Verständnis der Scharfmacher unter den Mullahs zur Apostatin.

Die Juristin warf IRNA am Montag vor, sie habe Lügen über ihre Tochter verbreitet.  Der Übertritt zu der im 19. Jahrhundert in Persien gegründeten Religionsgruppe gilt im Iran als Kapitalverbrechen und kann schlimmstenfalls mit dem Tod bestraft werden. Derzeit wird im Parlament der Entwurf eines Gesetzes beraten, dass für Apostasie die Todesstrafe  verhängen will.
Bahai-Anhänger rechtlich zu vertreten, bedeute nicht, dass man zu deren Glauben übergetreten sei, hatte Ebadi zuvor erklärt.
Im vergangenen Januar waren in der südiranischen Stadt Schiras 54 Bahai-Anhänger wegen Propaganda gegen das islamische System verhaftet worden. Drei waren anschließend zu Haftstrafen von je vier Jahren verurteilt worden. Die anderen erhielten Haftstrafen auf Bewährung. Menschenrechtler kritisierten, seit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2005 würden die rund 350 000 Bahai-Anhänger im Iran verstärkt verfolgt. Die mystisch geprägte Religion, die Elemente asiatischer und islamischer Spiritualität verbindet, hat weltweit rund 7,5 Millionen Anhänger.

 

Tote Muslime sind nur interessant, wenn Israel oder Amerika schuld sind?

Nicholas D. Kristof, der Reporter der New York Times, der unermüdlich dagegegen anschreibt, dass der Völkermord in Darfur vergessen wird, hat kürzlich diesen scharfen Kommentar geschrieben:

„The Islamic world has been even more myopic, particularly since the victims in Darfur are all Muslim. Do dead Muslims count only when Israel is the culprit? Can’t the Islamic world muster one-hundredth as much indignation for the genocidal slaughter of hundreds of thousands of Muslims as it can for a few Danish cartoons?“

Das ist einer der unentdeckten Skandale dieser Tage: Die moralische Lethargie (oder stille Mittäterschaft) der islamischen Staaten im Bezug auf Darfur.
Kann es sein, dass es auch darum keine Erregung über die Verbrechen gibt, weil die Täter erstens ebenso Muslime sind – und die Opfer zweitens Schwarze (und keine Araber)?

Nun, wie auch immer, nachdem der Schlächter von Darfur – der sudanesische Präsident Omar al-Baschir – vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden soll, wird diese Affäre nun zu einer Probe vor allem für die muslimische Welt. Wo sind die Politiker, die Geistlichen, die Intellektuellen, die gegen die sudanesische Mordpolitik im Namen des Islams protestieren?

Fehlanzeige. Der türkische Ministerpräsident – ich habe hier darüber berichtet – hat den Unhold sogar empfangen.

In seinem Blog berichtet Kristof immerhin von einer Protestadresse des American islamic Congress:

„Indeed, the Al-Bashir regime is responsible for the death of hundreds of thousands of Muslims. Neither the Arab League nor the Organization of the Islamic Conference should defend a regime that commits genocide against fellow Muslims.

This is not a time for moral ambiguity or cultural relativism. Some voices — both in governments and in the street — across the Muslim world are defending General Al-Bashir. It is our moral duty to seek justice for thousands of fellow Muslims murdered simply for having the wrong identity.“

Na bitte. Geht doch!

 

Führender Neocon: Glaubt mir, es ist Folter

Christopher Hitchens, der große Querulant unter den amerikanischen Journalisten und einer der entschiedensten Befürworter des Kriegs gegen den Terrorismus, hat sich einer Probe unterzogen.

Hitchens hat am eigenen Leib erfahren wie „Waterboarding“ wirkt, eine „robuste Verhörtechnik“, die nach Meinung der amerikanischen Regierung keine Folter ist (und somit nicht gegen die amerikanische Verfassung verstößt und angewandt werden darf). Die Technik kam etwa bei Khalid Sheihk Muhammed zum Einsatz, einem führenden Al-Kaida Mitglied. (Hier die beeindruckende Liste seiner Geständnisse.)

Hitchens‘ Ergebnis ist eindeutig : Waterboarding ist Folter. Wenn dies keine Folter ist, gibt es keine.

Ist es unzulässiger journalistischer Narzissmus, so etwas öffentlich zu tun? (So wird der abtrünnige Hitchens teils in rechten amerikanischen Blogs kommentiert.)

Ich finde das nicht. Hitchens hat meinen Respekt dafür, dass er seinen Zweifel über die Weise, wie der Krieg gegen den Terrorismus geführt wird, auf diese drastische Weise nachgeht. Etwas spät ist es schon, jetzt, wo in jedem Fall eine neue amerikanische Regierung – ganz egal ob mit Barack oder Obama an der Spitze – der obszönen Verspottung der amerikanischen Verfassung durch die Bushies ein Ende machen wird.
So endet Hitschens Selbsterfahrungsessay in „Vanity Fair„:

„The interrogators would hardly have had time to ask me any questions, and I knew that I would quite readily have agreed to supply any answer. I still feel ashamed when I think about it. Also, in case it’s of interest, I have since woken up trying to push the bedcovers off my face, and if I do anything that makes me short of breath I find myself clawing at the air with a horrible sensation of smothering and claustrophobia. No doubt this will pass. As if detecting my misery and shame, one of my interrogators comfortingly said, “Any time is a long time when you’re breathing water.” I could have hugged him for saying so, and just then I was hit with a ghastly sense of the sadomasochistic dimension that underlies the relationship between the torturer and the tortured. I apply the Abraham Lincoln test for moral casuistry: “If slavery is not wrong, nothing is wrong.” Well, then, if waterboarding does not constitute torture, then there is no such thing as torture.“

 

Zur Verfolgung der Baha’i im Iran

Aus der ZEIT vom 26. Juni 2008, S. 8:

Am Morgen des 14. Mai werden in Iran fünf Männer und eine Frau in einer konzertierten Aktion verhaftet und bald danach in das berüchtigte Evin-Gefängnis verbracht. Hier, im Norden Teherans, schließt das iranische Regime seine Gegner weg.Den sechs Verhafteten – Fariba Kamalabadi, Jamaloddin Khanjani, Afif Naeimi, Saeid Rezaie, Behrouz Tavakkoli und Wahied Tizfahm – wird vorgeworfen, »gegen die Sicherheitsinteressen des Landes« verstoßen zu haben. Sie hätten »Kontakt zu ausländischen Mächten, insbesondere Zionisten«, so ein Regierungssprecher am 20. Mai.

Der Sprecher verschweigt, dass alle Verhafteten führende Mitglieder der zweitgrößten Religionsgemeinschaft Irans nach dem schiitischen Islam sind – des Bahai-Glaubens. In Wahrheit ist die Verhaftung der sechs der Höhepunkt einer brutalen Unterdrückungskampagne gegen Andersgläubige.

bahai.jpg

Diese sieben Bahá’í wurden inhaftiert: (von links sitzend): Behrouz Tavakkoli, Saeid Rezaie, (stehend): Fariba Kamalabadi, Wahied Tizfahm, Jamaloddin Khanjani, Afif Naeimi, Mahvash Sabet (schon am 5. März gesondert verhaftet)

Die sechs Verhafteten waren – mit Kenntnis der iranischen Behörden – für die provisorische geistliche Leitung der 300 000 Bahai in Iran zuständig. Eigentlich kommt diese Aufgabe einem gewählten Nationalen Rat zu. Doch nach der Islamischen Revolution waren dessen Mitglieder verschleppt und vermutlich ermordet worden. Seither leben die Anhänger des Religionsstifters Baha’ullah in einem Zustand der Rechtlosigkeit. Mit der Machtübernahme Mahmud Ahmadineschads hat sich die Lage abermals verschärft. In den vergangenen drei Jahren wurden Bahai-Friedhöfe mit Bulldozern planiert, Hunderte aus ihren Dörfern vertrieben und zahlreiche Studenten ihres Glaubens wegen von den Universitäten verwiesen. Die Repression wird durch eine Hetzkampagne in Schulen und Medien unterlegt.

Warum ziehen die Bahai die besondere Aggression des Regimes auf sich? Anders als Christen und Juden gelten die Bahai als Abtrünnige. Der Bahaismus, der heute weltweit etwa sieben Millionen Anhänger zählt, ist in Iran entstanden. Seine beiden Stifter, genannt Báb (»das Tor«) und Baha’ullah (»Herrlichkeit Gottes«), waren Männer aus Schiras und Teheran. Mitte des 19. Jahrhunderts begründeten sie eine theosophische Lehre, die alle Weltreligionen beerben und aufheben wollte. Die Menschheit sei ins »Zeitalter der Reife« eingetreten. Keine Religion sei »falsch«, doch alle müssten aus ihrer Zeit verstanden werden. An die Stelle des Dschihad rückte Baha’ullah die Mahnung zur Gewaltlosigkeit. Frauen wurden weitgehende Rechte zugestanden. Die Bahai begriffen Mohammed nicht als »Siegel der Propheten«, sondern als eine Stimme der göttlichen Offenbarung unter vielen. 1848 folgte die offizielle Ablösung vom Islam.

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Verfolgung schon im 19. Jhdt.: Ein Baha’i-Vater mit seinem Sohn (beide links im Bild), die 1896 verhaftet und später hingerichtet wurden.  Quelle: Bahai.org

Der schiitische Klerus hat den Bahaismus mit allen Mitteln bekämpft. Zehntausende fielen Massakern zum Opfer. Aus einer innerislamischen Reformsekte wurde so nicht zuletzt durch die Verfolgung und die Diaspora eine Offenbarungsreligion mit universalistischem Anspruch. Heute leben Bahai überall auf der Welt, besonders in Asien, Schwarzafrika und Lateinamerika. Ihr Weltzen­trum liegt im heutigen Haifa, was die iranische Propaganda gerne für ihre »Zionisten«-Verschwörungstheorie benutzt. Der schlichte Grund dafür ist, dass der Prophet ins Exil gedrängt wurde und im palästinensischen Akkon – nahe Haifa – starb.

Die Verfolgung der Bahai in ihrem Ursprungsland ist Teil des Kampfes der orthodoxen schiitischen Geistlichkeit gegen alle religiösen Reformbewegungen. Die Islamische Republik Iran hat den Hass gegen sie institutionalisiert. In einem Geheimdekret von 1992, unterzeichnet vom Revolutionsführer Chamenei, wurde festgelegt, dass Bahai durch allerlei Schikanen am gesellschaftlichen Fortkommen gehindert werden sollten. Präsident Ahmadineschad scheint nun den kulturrevolutionären Elan der iranischen Revolution durch eine schärfere Verfolgung der Bahai wiederaufleben lassen zu wollen. Die Geheimdienste erfassen seit einiger Zeit systematisch alle Anhänger. Und nun droht auch noch eine Verschärfung des Gesetzes gegen den Abfall vom Glauben, die Apostasie. Nach dem Gesetzesentwurf, der noch im iranischen Parlament beraten wird, sollen »Apostasie, Ketzerei und Zauberei« zwingend mit dem Tode bestraft werden.

So scheint es nicht übertrieben, wenn Menschenrechtsorganisationen vor einer drohenden Vernichtung der iranischen Bahai warnen. Wie der Gottesstaat mit seiner größten religiösen Minderheit umgeht, verrät viel über den inneren Zustand des Teheraner Regimes. Es ist in eine Phase ideologischer Mobilmachung eingetreten und hält den Westen für überfordert durch den Atomstreit. Bei den Menschenrechten, so das Kalkül der jetzigen Repressionswelle, wird man es nicht so genau wissen wollen, wenn wichtigere Konflikte zu lösen sind.

(Eine Dokumentation der Verfolgungen findet sich hier bei der „Gesellschaft für bedrohte Völker“.)