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Das rätselhafte Sterben der NSU-Zeugen

Eine junge Frau stirbt einen Monat nachdem sie im Landtag zum NSU ausgesagt hat. Es ist der dritte Fall, in dem ein Zeuge aus dem Terrorkomplex zu Tode kommt.

Melisa M. fuhr das Motorrad mit der Startnummer 314. Motocross, die Fahrt über Rennstrecken mit Rampen und engen Kurven, war ihr Hobby. Ein Unfall am Dienstag vergangener Woche schien zunächst nur ein Dämpfer zu sein: M. fuhr mit der Maschine ihres Freundes auf einem Trainingskurs. Als sie stürzte, fiel das Motorrad auf ihr linkes Knie und verursachte einen Bluterguss.
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Die Fragen nach dem Feuertod

Neue Beweise zum Tod des möglichen NSU-Zeugen Florian H. wirken wie wichtige Puzzleteile in der Aufklärung der Mordserie. Doch mit seinem Fall wird nun vor allem Politik gemacht.

In Untersuchungsausschüssen beugen sich normalerweise Parlamentarier über eng beschriebene Aktenblätter und befragen streng nach Protokoll Zeugen.  Anders vor einer Woche im Ausschuss „Rechtsterrorismus/NSU Baden-Württemberg“ im Stuttgarter Landtag. Dort streifte sich der Gremiumsvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) einen blauen Gummihandschuh über die rechte Hand und zog Beweismittel aus einer Plastiktüte mit dem Logo eines Modediscounters: einen verrußten Schlüsselbund, ein Handy, ein Feuerzeug, den Deckel eines Benzinkanisters.
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Ein Schritt Richtung Normalität? – Das Medienlog vom Freitag, 9. Januar 2015

Am Montag beginnt das Münchner Oberlandesgericht mit der Aufarbeitung des Nagelbombenanschlags von Köln aus dem Jahr 2004. Aufklärung ist dringend geboten – denn das Trauma der Tat in der Keupstraße, bei der über 20 Menschen verletzt wurden, hält bis heute an. „Normalität herrscht auf der Keupstraße schon lange nicht mehr“, beobachtet dpa-Autorin Katja Heins. Dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zur Aufklärung beitragen wolle, indem sie ihr Schweigen bricht, glaube indes keiner der Betroffenen. Mindestens einen Monat lang will sich das Gericht mit dem Anschlag in der Keupstraße beschäftigen.

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Wann kam die Mordwaffe nach Deutschland? – Das Medienlog vom Freitag, 10. Oktober 2014

Erneut hat sich das Gericht mit dem Schmuggel der NSU-Mordwaffe Ceska 83 beschäftigt. Dazu sagte ein Schweizer Staatsanwalt aus, der 2012 die Zeugen Peter-Anton G. und Hans-Ulrich M. vernommen hatte. Sie sollen die Pistole 1996 bei einem Waffenhändler gekauft und nach Deutschland geschmuggelt haben. Die Befragung von M. durch den Beamten förderte damals einiges zutage: „Seine vorherigen Aussagen bei der Polizei korrigierte der Schweizer. Und zwar erheblich“, resümiert Björn Hengst auf Spiegel Online.

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Die Verstrickungen des toten V-Manns

Wieder einmal steht der Verfassungsschutz im Verdacht, schon früh von der Existenz des NSU-Trios gewusst zu haben. Und wieder einmal ist der tote V-Mann „Corelli“ der Grund. Ein Zufall?

Wenn der frühere Neonazi Thomas Ri. noch am Leben wäre, dann müsste er sich spätestens jetzt vielen Fragen stellen. Zum Beispiel: Was dachte er, als ihm jemand im Jahr 2005 eine CD in die Hand drückte, auf der die Abkürzung NSU zu lesen war? Was hatte er mit einem anderen Rechtsextremen namens Uwe Mundlos zu tun? Und wusste er, dass dieser Mundlos mit seinen Kameraden Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt durch Deutschland fuhr und mutmaßlich Einwanderer ermordete?

Aber Thomas Ri. ist tot. Ende März wurde er leblos in seiner Wohnung in der Nähe von Bielefeld aufgefunden, gestorben im Alter von 39 Jahren an einem nicht diagnostizierten Diabetes, wie es heißt.

Der mysteriöse Todesfall war in der vergangenen Woche einmal mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Da wurde bekannt, dass Ri. dem Bundesamt für Verfassungsschutz 2005 eine CD weitergegeben hatte, die mit dem Kürzel „NSU/NSDAP“ beschriftet war – also sechs Jahre vor der Enttarnung einer Gruppe namens NSU, dem Nationalsozialistischen Untergrund. Die Bundesanwaltschaft schreibt dem NSU zehn terroristische Morde zu. Der Datenträger allerdings war unbeachtet in den Akten des Bundesamts gelandet. Hinweise auf Anschläge enthielt er offenbar nicht.

Ri. arbeitete als V-Mann unter dem Decknamen „Corelli für die Verfassungsschützer. Nach seiner Enttarnung im September 2012 wurde er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen und bekam eine neue Identität.

Der Fall Ri. ist nicht nur deshalb pikant, weil er erneut die Frage aufwirft, wann die Ermittlungsbehörden zum ersten Mal etwas von der Existenz des NSU hätten ahnen müssen. Es bündeln sich in seiner Person auch mehrere Handlungsstränge, die mit der Geschichte der mutmaßlichen Terrorzelle in Zusammenhang stehen.

Zum ersten Mal wurde die Abkürzung NSU 2002 publik. Damals erschien in einem Heftchen namens Der Weiße Wolf die enigmatische Grußbotschaft „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…“ Bei dem Blatt handelte es sich um eine Zeitschrift, die in der rechten Szene kursierte. Sie erschien von 1996 bis 2005. Grund für die mysteriöse Nachricht war vermutlich eine Geldspende, die das NSU-Trio dem Herausgeber des Blatts hatte zukommen lassen – 2.500 Euro, geschickt mit einem Begleitschreiben, in dem zum „wahren Kampf dem Regime“ aufgerufen wird. Verantwortlich war im Jahr 2002 der NPD-Kader David P., der für die Partei auch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern saß.

Schon damals hatte Corelli seine Hände im Spiel: Er betrieb mehrere rechte Internetprojekte. Auf einem Server stellte er David P. Speicherplatz für den Onlineauftritt des Weißen Wolf zur Verfügung. Dabei handelte es sich möglicherweise nicht um einen selbstlosen Gefallen für den nationalen Kampf: Wie im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags herauskam, stand er im Auftrag des Bundesverfassungsschutzes mit P. in Kontakt. Ob dieser Kontakt auch die Zusammenarbeit für das Internetprojekt umfasste, ist unklar.

Die CD mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ gab Ri. offenbar auch an einen Bekannten aus Hamburg weiter, und zwar im Jahr 2006. Enthalten waren darauf Texte und Bilder mit rassistischem und hetzerischem Inhalt. Anfang 2014 gelangte der Datenträger an den Landesverfassungsschutz in Hamburg.

Es erstaunt, wie häufig der Name „Corelli“ ins Spiel kommt, wenn es um die Abkürzung NSU geht. Und wie nahe der Verfassungsschutz durch seine Informationen an mögliche Mitwisser herankam. Wenn Thomas Ri. nicht selbst einer war: Sein Name tauchte auf einer Adressliste auf, die Ermittler 1998 während einer Durchsuchung bei Uwe Mundlos sicherstellten. Beide hatten sich 1995 auf einem Konzert kennengelernt. Unter den V-Männern des Bundesverfassungsschutzes ist er wohl der einzige, der direkten Kontakt zu einem Mitglied des späteren NSU-Trios hatte.

Von der Existenz einer mordenden Gruppe erfuhren allerdings weder Geheimdienst noch Ermittlungsbehörden etwas, bis sich der NSU im November 2011 selbst enttarnte. Vielleicht, weil allein die Kenntnis einer Abkürzung aus drei Buchstaben noch keinen Hinweis auf eine Terrorzelle birgt. Die vagen Hinweise allerdings ließ sich das Bundesamt einiges kosten: Während seiner Spitzeltätigkeit, der er von 1994 bis 2007 nachging, kassierte Corelli rund 180.000 Euro.

Den neuesten Ungereimtheiten soll nun ein eigens eingesetzter Sonderermittler nachgehen: Der frühere Grünen-Abgeordnete und langjährige Innen- und Rechtspolitiker Jerzy Montag wird für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ermitteln.

 

Bekennerschreiben vor den Morden?

Hetzerische Texte geben Einblick in die Gedankenwelt des jungen Uwe Mundlos – und deuten auf Verbindungen des NSU zur rechtsextremen Organisation Blood & Honour.

Es laufe etwas schief in der nationalen Bewegung, befindet der anonyme Autor. „Wie viele Kameraden kennst Du, die nicht das Geld für Spenden und den Kampf haben, aber für Konzerte und den Suff?“, fragt er. Da gebe es Gestalten, denen es genüge, „im szenetypischen Aussehen herumzulaufen“ und „mit Kameraden in der Kneipe zu saufen“. Schlägereien und Exzesse statt Demonstrationen und Parteiarbeit, das alles sei „gegen unser Volk und unser Land und unsere Bewegung“.

Es ist eine kritische Nabelschau der rechtsextremen Szene in Ostdeutschland, gedruckt auf Hochglanzpapier, verschickt an Gesinnungsgenossen – und verfasst von einem Neonazi mit elitärem Kampfgeist. Bei dem Autor, der seinen Kameraden die Leviten liest, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Uwe Mundlos – mutmaßliches, totes Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Den Text mit dem Titel Gedanken zur Szene verfasste Mundlos 1998, kurz nachdem er mit seinen Komplizen Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt in den Untergrund geflüchtet war. Er erschien in der Erstausgabe eines Heftchens mit dem Titel White Supremacy, auf Deutsch Weiße Vormacht, das ZEIT ONLINE vorliegt.

In dem Beitrag räsoniert der Autor außerdem über die Mittel der Bewegung. So solle „sich jeder im Klaren sein, dass mit Konzerten allein keine Schlacht zu gewinnen ist“, heißt es dort. Er fordert, „sich aktiv am Kampf und der Bewegung zu beteiligen“. Was meint Mundlos mit „Kampf“ und „Schlacht“? Er spricht von Demonstrationen und ruft dazu auf, die „nationalen Parteien“ zu unterstützen, als „Arschtritt für das rote Bonn“.

Drei Ausgaben der Zeitschrift erschienen zwischen 1998 und 2001. Zu lesen gab es vor allem Konzertberichte von Skinhead-Bands, Porträts rechter Gruppen und politische Essays. Mittlerweile lagern die Hefte in Beständen des Verfassungsschutzes. Mehrere Opferanwälte haben beantragt, sie als Beweismittel in den NSU-Prozess einzuführen. Denn sie geben einen Einblick in das Denken von Mundlos und seinen Mitstreitern, als sie sich von gewaltbereiten Neonazis zu mutmaßlichen Terroristen wandelten.

Magazine wie White Supremacy, Fanzines genannt, waren in den neunziger Jahren die wichtigsten Sprachrohre der rechten Kultur und kursierten tausendfach vervielfältigt in den entsprechenden Kreisen. Die Leserschaft des Hefts, dessen erste Ausgabe ein Propagandabild mit Männern in NSDAP-Uniform zeigt, war allerdings noch eine Spur spezieller: Herausgeber waren Kader der sächsischen Division der im Jahr 2000 verbotenen Organisation Blood & Honour.

So heißt es im Vorwort der ersten Ausgabe, White Supremacy sei eine Publikation, die „zu 100% die B&H Bewegung unterstützt“. Verantwortlich waren nacheinander Jan W., Thomas S. und Thomas R. – Mitglieder des militanten Skinhead-Netzwerks, nun alles Zeugen im NSU-Prozess. R. gewährte dem geflüchteten Trio 1998 sogar Unterschlupf in seiner Chemnitzer Wohnung.

Mindestens drei Artikel soll Mundlos dem Antrag der Nebenklage zufolge für zwei Ausgaben geschrieben haben. Außerdem soll er in weiten Teilen für das Layout zuständig gewesen sein – für den am Computer begabten Mundlos dürfte es sich um eine Herzensangelegenheit gehandelt haben. Ein Zeuge, der die NSU-Terroristen bei sich aufgenommen hatte, berichtete dem Bundeskriminalamt, er habe Mundlos bei der Arbeit an Layouts für Szenezeitschriften beobachtet. Ein V-Mann lieferte dem Verfassungsschutz die Information, dass Gedanken zur Szene aus seiner Feder stammte.

Ging es Mundlos in dem Text wirklich nur um demokratische Methoden? Die Nebenklagevertreter glauben, dass die martialischen Begriffe als Aufforderung zur Gewalt zu verstehen sind. „Das ist nicht anders zu werten“, sagt der Kieler Anwalt Alexander Hoffmann. Er sieht den Text als eine Art vorgelagertes Bekennerschreiben des NSU, von denen das Trio im Laufe der Mordserie keine verschickte: „Den Wunsch, sich zu erklären, haben sie später hintangestellt.“

Auch die Berliner Anwältin Antonia von der Behrens interpretiert den Text als Gewaltaufruf: „Diese Begriffe sind nur wegen der Gefahr der Strafverfolgung auf Demonstrationen beschränkt. Für Mundlos ist das weitgehender.“

Im selben Lichte dürften auch die anderen zwei Texte zu sehen sein, die er verfasst haben soll. Erschienen sind sie in Ausgabe 3 von White Supremacy: Ein Beitrag mit dem Titel Die Farbe des Rassismus prangert Gewalttaten von Schwarzen gegen Weiße an, er ist unterschrieben mit dem Pseudonym Uwe Unwohl. Unter einem Solidaritätsaufruf in der dritten Ausgabe steht der Name Uwe UmerZOGen.

2001 erschien die letzte Ausgabe, bereits im Jahr 2000 hatte der NSU laut Anklage den Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg ermordet. Für Hoffmann steht außer Zweifel, dass in den Schriften aus der Zeit um die Jahrtausendwende bereits Pläne zu Anschlägen gegen vermeintlich Fremde durchschimmern, auch wenn die Ideologie „noch nicht passgenau herauszulesen“ sei. In jedem Fall handle es sich um „eine klare Absichtserklärung“.

Bemerkenswert ist auch die Verbindung zu einer weiteren Organisation, die sich damals für die Rassentrennung einsetzte: Die Weiße Bruderschaft Erzgebirge. Diese stellt sich in Ausgabe 2 aus dem Jahr 2000 auf einer halben Seite vor und wirbt dafür, „eine sichere Zukunft für unsere Kinder und unsere Kultur zu schaffen“. Gemeint sind mit „unsere“ die „weißen Völker der Erde“.

Die Bruderschaft hatten die Zwillinge André und Maik E. gegründet. In der Zeit machten sie sich einen Namen in der rechtsextremen Szene des Erzgebirges. E. sitzt heute als Mitangeklagter neben Beate Zschäpe. Er soll für das NSU-Trio unter anderem Wohnmobile auf seinen Namen gemietet haben.

 

Verteidiger kritisieren Vernehmung von Schweizer Zeugen – Das Medienlog vom Mittwoch, 17. September 2014

Vor einer Aussage in München hatten sich die Schweizer Zeugen Peter Anton G. und Hans Ulrich M. gedrückt – nun beginnt das Gericht, ihre Aussagen bei der Schweizer Polizei in den NSU-Prozess einzuführen. G. soll die Mordwaffe Ceska 83 bei einem Händler gekauft oder seinem Freund M. den Kauf ermöglicht haben. Dieser soll sie nach Deutschland gebracht haben. Zwei Ermittler gaben wieder, was G. ihnen in mehreren Vernehmungen gesagt hatte – die teils harschen Nachfragen der Verteidiger machten dabei „anschaulich, wie zäh die Prozessparteien um jede Kleinigkeit ringen, die am Ende vielleicht von Vorteil sein kann“, schreibt Christoph Arnowski vom Bayerischen Rundfunk.

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Der mysteriöse Todesfall von Heilbronn – Das Medienlog vom Dienstag, 16. September 2014

Vor genau einem Jahr starb der 21-jährige NSU-Zeuge Florian H., als sein Auto nahe Stuttgart in Flammen aufging. H. hatte zuvor unschlüssige Angaben gemacht, die etwas mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter von 2007 in Heilbronn zu tun hatten. Die Staatsanwaltschaft stufte den Todesfall als Selbstmord ein – doch viele Beobachter halten diese These für unlogisch: „Es ist einer der rätselhaftesten Todesfälle im Umfeld des NSU-Terrors“, urteilt Christian Rath in der taz. Auch H.s Eltern wollen erreichen, dass erneut in dem Fall ermittelt wird.

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Rechtes Spitzenpersonal aus dem Erzgebirge

Der Bruder des Angeklagten André E. hat im NSU-Prozess die Aussage verweigert. Der Fall der Familie zeigt, wie sich in Ostdeutschland die Ideologie des Fremdenhasses verbreiten konnte.

André E. setzt ein triumphierendes Grinsen auf und blickt zu seinem Zwillingsbruder Maik, der auf der Zuschauertribüne in der ersten Reihe sitzt. Der grinst, genauso breit, zurück. Sein Bruder ist angeklagt als Helfer des NSU, er soll dem Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ausweise besorgt und Wohnmobile für sie gemietet haben. Grund für die Heiterkeit der Geschwister ist der Auftritt ihres gemeinsamen großen Bruders Ronny E., der kurz zuvor den Gerichtssaal verlassen hat.

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Zschäpe steuert auf lebenslang zu

Der NSU-Prozess geht in die Sommerpause, bis zum 4. September ruht das Verfahren. Was passiert danach? Die meisten Angeklagten schweigen weiter – obwohl es für sie nicht gut aussieht.

Wenn im NSU-Prozess eines sicher ist, dann, dass das Verfahren noch lange nicht vorbei ist. Vor wenigen Tagen präsentierte das Oberlandesgericht mögliche neue Prozesstage für die erste Jahreshälfte 2015. Diese Tage können genutzt werden, müssen aber nicht. Wahrscheinlicher ist, dass sie mal wieder nicht ausreichen werden. Und dass das Urteil auch im kommenden Jahr noch nicht fallen wird.

Denn wie viel Arbeit liegt noch vor den Prozessbeteiligten: Rund 300 Zeugen warten noch auf ihre Vernehmung. Zwei psychiatrische Gutachter müssen ihre Expertisen verfassen. Die Bundesanwaltschaft wird ein langes Plädoyer halten, ebenso die Verteidiger aller fünf Angeklagten. Außerdem rund 60 Opferanwälte, möglicherweise alle einzeln. Und wenn all dies erledigt ist, müssen Richter Manfred Götzl und seine vier Kollegen ein buchdickes Urteil verfassen.

Die Indizien, die ihnen dafür bislang vorliegen, sprechen eine deutliche Sprache. In 135 Verhandlungstagen seit Mai 2013 haben sie in weiten Teilen die Anklage bestätigt. Damit liegen Hinweise vor, wie das Gericht entscheiden könnte – auch, wenn noch niemand weiß, wann.

Beate Zschäpe
Beobachtet man Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl, scheint es, als zweifelten auch sie nicht mehr an der Höchststrafe gegen ihre Mandantin. In ihren vier Befangenheitsanträgen gegen das Gericht bezogen sie sich stets auf Formalien, auch die Fragen an Zeugen wirken häufig blutleer und hilflos – als gebe es nichts mehr zu gewinnen. Dass bei den Anwälten offenbar der Kampfeswille nachlässt, entging Zschäpe nicht und mündete Mitte Juli in einen erfolglosen Antrag auf Entlassung der drei.

Nahezu eindeutig bewiesen ist, dass Zschäpe am 4. November 2011 die Wohnung, die sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau teilte, anzündete und damit eine Nachbarin in Lebensgefahr brachte. Schon wegen dieses versuchten Mordes steuert die Angeklagte auf lebenslange Haft zu. An der Mittäterschaft bei den zehn NSU-Morden lassen sich begründete Zweifel vorbringen, die jedoch vor zahlreichen Indizien verblassen, die dafür sprechen. Können die Anwälte keine plausible Erklärung liefern, warum Zschäpe mit ihren Kameraden so abgeschottet zusammenlebte, wird das Gericht die Anklage bestätigen.

Ralf Wohlleben
Es ist praktisch Gewissheit: Für den Mitangeklagten Wohlleben wird der Prozess mit einem Schuldspruch enden. Diese Nachricht hatten seine Verteidiger dem Strafsenat mit einem Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft abgerungen. Denn das Gericht entschied, dass Wohlleben in Haft bleibt, weil sich die Vorwürfe aus der Anklageschrift bestätigt hätten. Dort heißt es, der heute 39-Jährige habe den ebenfalls Angeklagten Carsten S. beauftragt, die Mordpistole Ceska 83 zu beschaffen und an das Trio zu liefern.

Wohllebens Verteidiger, vor allem der juristisch äußerst versierte Olaf Klemke, waren im Verfahren zunehmend offensiv aufgetreten und meldeten sich immer wieder mit Anträgen zu Wort. Ein milderes Urteil ist jedoch nur zu erwarten, wenn sich ihr schweigender Mandant zum Reden entschließt.

Carsten S.
Für den mutmaßlichen Waffenkurier S. sieht es gut aus – jedenfalls vergleichsweise. Er soll um die Jahrtausendwende eine Pistole gekauft und dem untergetauchten Trio in Chemnitz übergeben haben. Das wertet die Anklage als Beihilfe zum Mord. Zu den Vorwürfen gegen ihn hat er sich als einziger Angeklagter umfassend eingelassen, im Oktober beantwortete er auch Fragen der Verteidigung von Ralf Wohlleben.

S. muss sich nicht vorwerfen lassen, er habe nicht alles Menschenmögliche getan, um seinen Anteil an den NSU-Taten aufzuklären. Zudem wird er wahrscheinlich nach den Vorschriften des Jugendstrafrechts verurteilt, weil der heute 34-Jährige zur Tatzeit Heranwachsender war. Damit ist eine Bewährungsstrafe denkbar. S. könnte sich dann mithilfe des Zeugenschutzprogramms ein neues Leben aufbauen – was ihm mit dem Ausstieg aus der rechten Szene schon einmal geglückt war.

André E.
Es war eine Geste brüderlicher Liebe: Vor dem Gerichtsgebäude reckten der Angeklagte André E. und sein Zwillingsbruder Mike die rechte Faust nach vorn und stießen sie aneinander. Maik E. hatte aus der Sicht des mutmaßlichen NSU-Unterstützers alles richtig gemacht: Bei seiner Vernehmung Ende Juli hatte er die Aussage verweigert und sogar Richter Götzl mit ein paar patzigen Sprüchen geärgert. Im Januar hatte sich bereits E.s Frau Susann auf ihr Schweigerecht berufen. Solange sein Umfeld die Kooperation verweigert, kann er sich auf der Anklagebank zurücklehnen.

Dreimal soll E. ein Wohnmobil für das Trio gemietet haben – genau in die Mietzeiträume fielen zwei Banküberfälle und die Vorbereitung des ersten Bombenanschlags in Köln von 2001. Auch hielt er bis zuletzt Kontakt. Seine Verteidiger könnten allerdings argumentieren, E. habe sich mit anderen Erklärungen abspeisen lassen und von den Tatplänen nichts gewusst. Umso wichtiger ist es für die Anklage, E.s rechte Gesinnung herauszuarbeiten – doch das machen die Zeugen der Bundesanwaltschaft schwer.

Holger G.
Die Verteidigung von Holger G. spielt höchstes Risiko: Zu Prozessbeginn verlas der Angeklagte eine Erklärung, in der er die Vorwürfe gegen ihn zum Teil abstritt. Andere ignorierte er. Ein solches Verhalten nennen Juristen Teilschweigen – und das wird einem Angeklagten fast immer nachteilig ausgelegt. Schließlich drängt sich die Frage auf, was hier geheim gehalten werden soll.

G. soll dem NSU-Trio unter anderem seinen Führerschein und seinen Reisepass überlassen haben – mit den Dokumenten mieteten die drei immer wieder Autos und Wohnmobile. Von den Morden will er jedoch nichts gewusst haben. Was G. in der Erklärung verschwieg, das puzzelten Richter Manfred Götzl und die Anwälte der Nebenklage zusammen: nämlich, dass er sich lange mit großer Anstrengung in der rechten Szene engagiert hatte. Nachdem er 1997 aus Jena nach Hannover gezogen war, knüpfte er offenbar Kontakte zu dem niedersächsischen Neonazi-Anführer Thorsten Heise. Bis zum Schluss traf sich G. mit dem Trio – was dafür spricht, dass er die Morde zumindest ahnte. Sollte er sich nicht später noch dazu äußern, kann er nicht auf ein mildes Urteil hoffen.